Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kollegin Wagner hat gesagt, sie finde es gut, dass eine Frau Kanzlerin ist. Sie hat auf meinen Zwischenruf, dass ich das auch gut finde, gesagt, ich solle nicht so schreien. Ich wollte Ihnen zustimmen, Frau Kollegin Wagner,
Ich lege aber Wert auf die Feststellung, dass Angela Merkel eigentlich sagen müsste: „Danke, GRÜNE!“ Denn ohne 25 Jahre grüne Frauenpolitik wäre es nicht möglich, dass sie heute Kanzlerin ist.
Einen Moment, Herr Kollege Al-Wazir. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um Aufmerksamkeit. Der Redner ist nicht zu verstehen.
Im Übrigen wäre es ohne 25 Jahre grüne Politik auch nicht möglich, dass zu Angela Merkels 50. Geburtstag Guido Westerwelle seinen Freund mitbringt und ihn neben Edmund Stoiber setzt.
Die CDU-Fraktion – das ist die erste Erkenntnis in dieser Aktuellen Stunde – ist noch ein wenig unsortiert. Eigentlich hätte man am Montag merken müssen, dass am Dienstag ein Setzpunkt mit genau dieser Frage für Mittwochmorgen anberaumt worden ist. Aber bitte sehr, die Kollegen Wagner und Wintermeyer sind noch in der Ausbildungsphase.
Deswegen dachte ich eigentlich, dass wir heute nicht viel zu reden haben. Ich bin Ihnen aber doch dankbar, dass Sie diese Aktuelle Stunde beantragt haben,weil ich mir schon die Frage gestellt habe:Worin besteht die Chance für Hessen? Ich weiß nicht, ob sich der „Neuanfang“ in Berlin auf die innerparteiliche Aufarbeitung bezieht, ob Sie damit vielleicht den Abgang des Vorsitzenden des Freundeskreises leidender Hunde, Regionalgruppe München, gemeint haben,
oder ob Sie noch einmal debattieren wollen, was Sie vor der Wahl an katastrophaler Blockadepolitik im Bundesrat organisiert haben. Ich bin aber, ehrlich gesagt, heute Morgen völlig durcheinander gekommen,als ich das Interview mit Roland Koch gelesen habe. Frau Wagner hat nicht das ganze Interview zitiert.
So ist das, Frau Wagner. – Es heißt hier: Hessens Ministerpräsident Roland Koch hält es für unmöglich, dass die neue Bundesregierung große Reformen auf den Weg bringt. – Worin besteht dann die „Chance“ für Hessen, sehr verehrter Herr Kollege Wagner?
Es heißt weiter: Mit der großen Koalition könne sich nichts Tiefgreifendes ändern. Ein großer Wurf sei völlig ausgeschlossen. – Ist das die „große Chance“ für Hessen, Herr Kollege Wagner? Ich verstehe es nicht.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Norbert Schmitt (SPD): Roland Koch sägt schon am Stuhl von Angela Merkel!)
Wir GRÜNEN haben natürlich über die Frage diskutiert, wie wir die große Koalition bewerten. Es ist kein Geheimnis: Wir halten den Koalitionsvertrag für in vielen Punkten nicht gelungen.Aber selbst wir hätten dieser Regierung 100 Tage gegeben.Wenn aber selbst Roland Koch der großen Koalition keine 100 Tage gibt, was sollen wir dann sagen?
Nicht bei fünf Minuten Redezeit.– Ich habe schon gestern gesagt: Die CDU hat bis heute die Tatsache, dass sie am 18. September das schlechteste Wahlergebnis seit 1949 eingefahren hat, nicht aufgearbeitet. Es wäre gut, wenn Sie es einmal aufarbeiten würden, denn eines ist klar – da gebe ich dem Kollegen Grumbach Recht –: Der neoliberale und marktradikale Ansatz ist gescheitert. Darüber sollten Sie sich einmal Gedanken machen.
Ein Gutes hat die Große Koalition allerdings:Es wird Roland Koch nicht mehr möglich sein, aus der Regierung heraus einen Oppositionswahlkampf zu machen.
Wir werden im Jahre 2008 eine Debatte darüber haben, wie die Bilanz dieser Landesregierung aussieht. Das ist das einzig Gute an der großen Koalition.
Der letzte Satz des genannten Interviews ist allerdings eine Katastrophe. Da wird nämlich die Frage gestellt: Wann kann Hessen einen verfassungskonformen Haushalt vorlegen? Darauf antwortet Roland Koch: „Wir werden es so bald wie möglich versuchen.Dass wir dieses Ziel schon 2007 erreichen, ist schwierig, trotz Mehrwertsteuererhöhung“.Dazu sage ich Ihnen:Die Diskussion über die Bilanz der Arbeit dieser Regierung wird sehr spannend werden. Wenn sich die beiden großen Parteien auf der Berliner Bühne gegenseitig blockieren, dann führen wir eine Debatte über die Bilanz der Arbeit Ihrer Regierung, Herr Ministerpräsident. Auf diese Diskussion freue ich mich mehr als auf eine Aktuelle Stunde vor dem Ablauf des 100-Tage-Zeitraums.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielleicht ist das Spannende an einer solchen Debatte, dass sie sich ein bisschen zwischen Selbstfindung und pawlowschen Reflexen bewegt – und zwar durch alle Reihen, weil sich alle ein Stück weit neu orientieren müssen. Deshalb kann keiner ganz aus seiner alten Haut, und keiner ist ganz sicher, wie die neuen Konstellationen aussehen.
Herr Kollege Al-Wazir, deshalb will ich Ihnen ausdrücklich bestätigen: Die Hessische Landesregierung freut sich außerordentlich darüber,dass sehr viele Argumente dafür sprechen, dass wir im Jahre 2008 mehr über unsere Landespolitik als über alles andere streiten werden. Ich gehe davon aus, dass wir das mit großer Freude und mit einer sehr optimistischen Einschätzung bezüglich der Haltung der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land zu dem, was ihnen als Politik von den unterschiedlichen Seiten dargestellt und angeboten wird, tun können.
Das ist deshalb durchaus eine Chance für Hessen, weil wir in dieser Konstellation möglicherweise ruhiger und auch etwas freier arbeiten können. Darüber haben wir am vergangenen Dienstag gesprochen. Wir werden umso eher freier und ruhiger arbeiten können, je schneller das Verhältnis von Einnahmen und Ausgaben unter dem Gesichtspunkt der Aufgabenerfüllung im Haushalt vernünftig gestaltet werden kann. Das gehört alles dazu, sodass wir sagen: Das ist, auch im Hinblick auf das Jahr 2008, für uns in der Debatte spannend, die wir in den nächsten zweieinhalb Jahren führen werden.
Das ist aber auch deshalb spannend, weil wir in der Bundesrepublik Deutschland eine außerordentlich bedrohliche Situation haben. Die Frage ist, welche Antwort man darauf gibt. Diese Antwort ist verdammt schwer zu geben. Deshalb wird man nicht zu den einfachen pawlowschen Reflexen zurückkehren können.
Ich bin sehr froh, dass es diese Bundesregierung gibt. Ich habe mich sehr darum bemüht, dass sie zustande kommt. Ich werde dem deutschen Volk aber nicht erzählen, dass all das, was wir in den letzten 40 Jahren über die prinzipiellen Unterschiede zwischen sozialdemokratischer und christdemokratischer Politik gesagt haben, Unsinn gewesen ist. Das haben die Journalisten erzählt, das habe nicht ich erzählt.
Sie können in einer endlosen Zahl von Interviews und Diskussionen nachlesen – Gott sei Dank haben das auch die meisten Sozialdemokraten immer gesagt –:Die beiden großen Parteien müssen in der Lage sein, in einer kritischen Phase, die durch verschiedene Ursachen entstehen kann – z.B.aufgrund der ökonomischen Verhältnisse oder aufgrund von Wahlergebnissen, die andere Regierungskonstellationen schwierig machen –, zusammenzuarbeiten und sich dem Land nicht zu verweigern. Ich bin sehr froh, dass es Angela Merkel und der CDU gelungen ist, Gerhard Schröder zu erklären, was das im konkreten Fall aufgrund des Wahlergebnisses bedeutet, und dass wir dann zusammen gekommen sind.
Dabei hat es manche Rauferei gegeben. Da sind sich Leute begegnet, die bisher immer dachten, sie könnten sich nur mit dem Schwert begegnen. Diese Leute mussten jetzt Verträge miteinander schließen.Auch das hat zu Prozessen zwischen Selbstfindung und pawlowschen Reflexen geführt.
Daraus ist auf nationaler Ebene ein Regierungsvertrag entstanden, aber kein Regierungsvertrag der großen Würfe.Wir sollten aufhören,den Menschen etwas anderes zu erzählen. Unter den Voraussetzungen, die die Bürgerinnen und Bürger mit ihrer demokratischen Entscheidung herbeigeführt haben, ist das aber die beste Regierung, die es geben kann. Es ist eine Regierung, zu der ich sage: Ich glaube, man kann etwas daraus machen. Deshalb lohnt es sich, damit anzufangen, etwas daraus zu machen.
Wenn wir Euphorie erzeugten nach dem Motto, das sei eine neues Projekt, dann würden wir die Menschen in der Tat täuschen, auch die Anhänger der Sozialdemokraten und der Christdemokraten. Das stimmt nämlich nicht. Wenn wir eine gemeinsame gesellschaftspolitische Vision hätten, gäbe es die Geschichte des Streites nicht – auch keinen Streit unter dem Blickwinkel Individuum und Kollektiv –, wie ihn Sozialdemokraten und Christdemokraten seit mehr als 100 Jahren miteinander austragen.
Auch das sind ja mehr als 100 Jahre, Frau Fuhrmann. Wenn ich Ihnen ein Kompliment machen darf: Man sieht es Ihnen gar nicht an.
Auch diese Unterschiede nicht zu verschweigen gehört zu den Vorraussetzungen für die nächsten Wahlen. Ich weiß nicht, ob es in der CDU oder in der SPD jemanden gibt, der davon träumt, dass wir in Zukunft immer große Koalitionen haben. Ich träume davon nicht. Jetzt will ich Ihnen den ganzen Satz aus dem Interview vorlesen, den finde ich nämlich sehr gut.
Auf die Aussage: „Legen Sie die Messlatte nicht zu niedrig. Die Menschen erwarten, dass sich im Lande etwas verändert“, habe ich geantwortet:
Wollten die Bürger wirklich, dass sich etwas ändert? Die Wähler haben sich für die Große Koalition entschieden. Mit der großen Koalition kann sich nichts Tiefgreifendes ändern. CDU/CSU und SPD sind so diametral entgegengesetzt in ihrer Programmatik,dass sie zusammen keine großen Reformen auf den Weg bringen können. Das ist völlig ausgeschlossen. Wenn das deutsche Volk in den nächsten Jahren das merkt,dann ist das kein Fehler.