Protokoll der Sitzung vom 14.12.2005

Zum Staatsgerichtshof. Ich mache alles mit, liebe Kolleginnen und Kollegen. Der Staatsgerichtshof hat am Montag dieser verantwortungslosen Schuldenmacherei die juristische Absolution erteilt. In dem Minderheitenvotum des Staatsgerichtshofs heißt es völlig zu Recht, dass Art. 141 der Hessischen Verfassung in der Lesart der Mehrheit des Gerichts überhaupt keine Bedeutung mehr zukommt. Die Mehrheit des Verfassungsgerichts hat sich, im Übrigen entgegen der Rechtsprechung aller übrigen Landesverfassungsgerichte, dem Wunsch des Finanzministers gebeugt und das Schuldenmachen von jeglicher Verfassungsgrenze befreit.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU)

Ich werde dieses Urteil erklären. Eigentlich ist die Mehrheit des Verfassungsgerichts zu 90 % dem Antrag der SPD gefolgt – sogar was die Begründung angeht. Sie ist dann nur zu einem anderen Ergebnis gekommen.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Warum diffamieren Sie den Staatsgerichtshof?)

Die erste Aussage war, dass es eine Verfassungsgrenze gibt und dass die Höhe der Nettoneuverschuldung nicht die der Investitionen überschreiten darf. Dies bestätigt auch die Mehrheit des Landesverfassungsgerichts.

Die zweite Aussage lautet, dass eine Überschreitung dieser Verfassungsgrenze gerechtfertigt ist, wenn eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vorliegt. Auch dies haben wir in unserer Antragsschrift so dargetan.

Drittens. Die Landesregierung hat eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts für das Jahr 2002 angenommen. Auch dies hat die SPD-Landtagsfraktion der Landesregierung in ihrer Antragsschrift zugestanden.

Auch wir haben gesagt, es gebe eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Die habt ihr selbst in Berlin verursacht!)

Viertens. Wir haben behauptet, eine erhöhte Kreditaufnahme sei nur dann zulässig, wenn sie zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts geeignet sei. Dafür sei eine Begründung erforderlich.

Die Mehrheit des Verfassungsgerichts hält in dem Urteil ausdrücklich fest: Dieser Begründungspflicht ist die Landesregierung nicht nachgekommen. – Auch die Mehrheit des Verfassungsgerichts gibt der SPD-Landtagsfraktion Recht,wenn sie darlegt,dass der Finanzminister dies nicht in ausreichender Weise begründet habe und dass deshalb diesem Erfordernis nicht Genüge getan worden sei.

Dann macht die Mehrheit des Verfassungsgerichts allerdings einen weiteren Schritt. Ich halte es für grundfalsch, zu erklären – das kann man sagen; man kann durchaus unterschiedliche juristische Auffassungen haben –: An und für sich müssten wir,wenn wir an dem Punkt sind,den Haushalt für verfassungswidrig erklären.

Aber dann sucht und findet das Verfassungsgericht einen weiteren Weg. Es gebe nämlich nicht nur die Rechtfertigung durch eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, sondern auch noch sonstige Gründe, warum man diese Verfassungsgrenze überschreiten könne. Einer dieser Gründe ist die Unvorhersehbarkeit der Situation. Ich frage mich, warum man diese unvorhersehbare Situation nicht anders als durch die Aufnahme erhöhter Kredite abwenden kann.

(Beifall bei der SPD)

Dies führt letztlich leider dazu, dass die Minderheit im Staatsgerichtshof Recht hat. Die Minderheit im Staatsgerichtshof trägt nämlich vor, nun gebe es beim Aufnehmen erhöhter Kredite überhaupt keine Schranken mehr.

(Norbert Schmitt (SPD): So ist es!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, wir werden Ihrem Antrag zustimmen, weil wir der Auffassung sind, dass dieser Haushaltsplanentwurf wiederum verfassungswidrig ist. Aber ich rate Ihnen davon ab, mit dieser Begründung zum Staatsgerichtshof zu gehen. Sie würden wieder auf die Nase fallen, weil die Mehrheit im Staatsgerichtshof Ihnen antworten würde: Sie haben Recht, diesmal ist es keine unvorhersehbare Situation, aber diesmal ist die erhöhte Kreditaufnahme im Begleittext des Haushaltsplans angemessen begründet. – Ich bin relativ sicher, dass der Staatsgerichtshof so plädieren würde.

Im Ergebnis hat der hessische Finanzminister sein Ziel erreicht. Jegliche verfassungsmäßige Schranke, die der Verschuldung dieses Landes gesetzt ist,wird aufgehoben.Das Schlimme ist, dass dies nicht unser Problem ist. Wir müssen die Schulden sowieso bezahlen.

(Norbert Schmitt (SPD): Richtig!)

Meine Damen und Herren, die Enkel der Enkel werden die Schulden dieser Landesregierung zu begleichen haben. Dieses Urteil ist ein Urteil zulasten der künftigen Generationen in unserem Lande.

(Beifall bei der SPD)

Zur Vollständigkeit zum Haushalt. Zu den 1,7 Milliarden c an neuen Schulden kommen noch die eingeplanten Veräußerungserlöse in Höhe von 800 Millionen c hinzu.

Ein jeder weiß, dass man Eigentum nur einmal veräußern kann,

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das ist rechtmäßig!)

sodass – das ist vom Finanzminister im Prinzip zugestanden – das strukturelle Defizit in unserem Lande um diese Summe erhöht werden muss. Wir haben im Jahr 2006 ein strukturelles Defizit in Höhe von 2,5 Milliarden c zu beklagen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein privates Unternehmen müsste in einer solchen Situation Insolvenz anmelden.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Minister Karlheinz Weimar)

Herr Finanzminister Weimar,wenn Sie hereinrufen:„Da hat er Recht“: Was nützt das denn? Ich will doch von Ihnen nicht Recht bekommen.

(Ministerpräsident Roland Koch: Er hat hineinge- rufen:„Ich glaube nicht“! – Gegenruf des Abg.Nor- bert Schmitt (SPD): Er hat trotzdem Recht!)

„Er glaubt nicht“, na gut. – Herr Finanzminister, die Schulden unseres Landes werden in diesem Jahr die Marke von 32 Milliarden c überschreiten. Steigende Schulden bedeuten steigende Zinslasten. Schon im Jahr 2007 werden die Zinslasten annähernd den Betrag der eingeplanten Neuverschuldung erreichen.

(Michael Boddenberg (CDU):Wann kommen Ihre Sparvorschläge?)

Auch die Zinsen werden steigen. Die Zentralbank hat schon die erste Erhöhung beschlossen. Die Ratingagentur Standard & Poor’s hat kürzlich wegen der explodierenden Schulden erneut, zum zweiten Mal in dieser Legislaturperiode, die Kreditwürdigkeit dieses Landes herabgestuft. Ein schlechteres Rating bedeutet tendenziell höhere Kosten für die Refinanzierung.

(Petra Fuhrmann (SPD): Da wäre ich in Sack und Asche gegangen! – Zuruf von der CDU: Unfug!)

„Unfug“ wird hier hereingerufen. Das finde ich wunderbar. Meine sehr verehrten Damen und Herren, warum wird denn ein Rating gemacht? Rating hat etwas mit der Frage zu tun, zu welchem Zinssatz man sich finanzieren kann. Wir können darüber reden, warum das passiert ist, aber wenn die Unionsfraktion nicht einmal anerkennt, dass es ein Problem ist, wenn man heutzutage heruntergeratet wird, dann wird es einem angst und bange in diesem Lande.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es kann einem auch angst und bange werden. Ich mache hier nicht nur Rhetorik. Schon ein um durchschnittlich 0,5 % – die Zentralbank hat gerade um 0,25 % erhöht – erhöhter Zinssatz würde das Land Hessen mehr Geld kosten,als wir momentan für die freiwillige Leistungen im Sozialbereich insgesamt aufwenden – um einmal die Dramatik der Situation deutlich zu machen.

(Zurufe des Ministers Karlheinz Weimar und des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN))

Ja, natürlich, Herr Finanzminister. – Herr Ministerpräsident, als Sie vor den Berliner Kameras das öffentliche Bild des Heulens und Zähneklapperns aus dem Matthäusevangelium bemühten – –

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da steht: „Klappen“! – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Sie klappern!)

Habe ich „klappern“ gesagt? Ich glaube, er hat auch „klappern“ gesagt. Ich zitiere Sie und nicht Matthäus.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Matthäus-Maier! – Lebhafte Zurufe)

Juristen können vieles fortschreiben. Wir können sogar die Bibel fortschreiben. – Wir wollen aber die Bibel nicht falsch zitieren. Herr Ministerpräsident, als Sie dieses biblische Bild benutzt haben, haben Sie in der Tat nicht an die Berliner gedacht, sondern Sie haben an Ihren hessischen Finanzminister und den hessischen Haushalt gedacht, denn dabei können einem wirklich die Tränen in die Augen schießen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Zahlen, die ich eben genannt habe, wird der Finanzminister nicht bestreiten.

(Petra Fuhrmann (SPD): Die kann er nicht bestreiten! – Gegenruf des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP): Ihr kennt Karlheinz nicht!)

Seine Verteidigung lautet – so lautet sie stets –: Die Zahlen stimmen, aber Hessen steht vergleichsweise gut da.

(Dr.Christean Wagner (Lahntal) (CDU):Richtig! – Armin Klein (Wiesbaden) (CDU): Das stimmt! – Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Das ist immer die Ansage des hessischen Finanzministers. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies stimmt nicht.

Mit Ihrer Erlaubnis, Herr Kollege von Hunnius, zitiere ich aus Ihrer Rede zur Einbringung des Haushalts. Ich danke Ihnen für die Erlaubnis. Der Kollege von Hunnius hat in seiner Rede zur Einbringung des Haushalts völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass der einzig ehrliche Vergleich der Vergleich mit den westdeutschen Flächenländern ist. Er hat festgestellt, dass zwei westdeutsche Flächenländer und sogar ein ostdeutsches Flächenland vor uns sind. Er hat auch gesagt: Das bedeutet Mittelfeld, weil nur noch vier westdeutsche Flächenländer hinter uns sind.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch dies ist nur ein Teil der Wahrheit. Denn den Platz im Mittelfeld, den wir momentan einnehmen, verdankt diese Landesregierung dem Erbe sozialdemokratischer Ministerpräsidenten

(Volker Hoff (CDU): Oh!)

und den über Jahrzehnte regierenden erst rot-gelben und dann rot-grünen Koalitionen in diesem Land.