Herr Präsident, meine Damen und Herren! „Im Einzelplan 04 nichts Neues“, könnte man als Überschrift über die Haushaltsberatungen des Jahres 2006 setzen. Die Erhöhung der Mittel für Vertretungsunterricht und die Umwandlung von 300 BAT-Stellen in Planstellen wurden bereits für die Presse aufpoliert und ins Schaufenster gestellt. Die Ministerin hat über die personalpolitische Achterbahnfahrt, die diesen Entscheidungen vorangegangen ist, kein Wort verloren.
Mit dem Haushalt 2004 wurden 945 Stellen gestrichen und der Topf für Vertretungsmittel gesenkt. Im Jahre 2005 gab es so genannte Sonderprogramme mit BAT-Stellen und zusätzlichen Vertretungsmitteln, um die größten Löcher bei der Unterrichtsversorgung notdürftig zu schließen. Für 2006 werden 300 der vorher gestrichenen Planstellen wieder eingestellt und die Vertetungsmittel wieder erhöht.Allerdings sind inzwischen junge Lehrkräfte in die Bundesländer abgewandert, die ihnen eine verlässliche Perspektive geboten haben.
Traurige Tatsache bleibt auch, dass in Hessen weiterhin fast 2.000 Lehrerstellen fehlen, um mit einem Ansatz von Seriosität von einer Unterrichtsgarantie sprechen zu können.
Doch die Kultusministerin geht jetzt noch einen Schritt weiter und verkündet die Unterrichtsgarantie Plus, die sich darin erschöpft, dass die 7 % ausfallenden Unterrichts zukünftig über selbstverantwortete Schulbudgets aufgefangen werden sollen. Selbstverantwortung von Schulen ist ein Thema, dem sich alle Fraktionen in diesem Hause mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung angenommen haben. Der Ansatz des Kultusministeriums, den Schulen die Verantwortung für die Versäumnisse des Landes bei der Lehrerversorgung aufzubürden, wird aller
(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Norbert Schmitt (SPD): Es ist feige!)
Die Schulen wissen nämlich, wie schwierig es sein wird, fachlich qualifizierte personelle Vertretung für ausfallenden Unterricht zu finden. Frau Kultusministerin, ich glaube, Sie führen sich selbst ad absurdum, wenn Sie mehr Qualität in hessischen Schulen versprechen und gleichzeitig den Schulen empfehlen, sie könnten auch engagierte Mütter als Vertretung vor eine Klasse stellen.
Neu in diesem Haushaltsentwurf ist vor allem die Formulierung strategischer Ziele für die Bildungspolitik. Im Folgenden will ich mich mit zweien davon näher auseinander setzen. Strategisches Ziel Nummer eins ist, die so genannte Risikogruppe der PISA-Untersuchungen spürbar abzusenken. Als Ziel ist dies sicherlich einvernehmlich in diesem Haus. Wenn 27 % der Kinder in hessischen Schulen vom Bildungserfolg abgekoppelt sind und nach den Ergebnissen der PISA-Studien nur unterste Kompetenzwerte erreichen, wenn weiterhin die Abhängigkeit des Bildungserfolgs vom sozialen Status der Eltern erschreckend hoch ist, dann ist das ein gesellschaftlicher Skandal, gegen den wir etwas unternehmen müssen.
Frau Kultusministerin, es genügt eben nicht, das strategische Ziel zu formulieren, dass sich das ändern muss. Der Weg,wie dieses Ziel erreicht werden soll,muss auch in der Verteilung der Mittel im Haushalt und in der Ausrichtung der Bildungspolitik deutlich werden.
Ich sage an dieser Stelle:Wir haben weder in Ihrem Haushaltsentwurf noch in Ihrer Bildungspolitik etwas gefunden,was zu der Hoffnung Anlass gibt,dass zukünftig mehr Jugendliche in Hessen eine befriedigende Berufs- und Lebensperspektive aufgrund einer besseren schulischen Bildung aufbauen können.
Wir haben auch für das kommende Jahr wieder beantragt, die Mittel für die Schule in Schloss Hansenberg aus dem Haushalt zu streichen. Stattdessen sollten sie den Grundschulen für den Ausbau der Ganztagsangebote zur Verfügung gestellt werden.
Ich weiß, das ist ein Reizthema.Aber wir haben diese Änderungsanträge nicht gestellt, weil wir an der Qualität des Bildungsangebots der Schule in Schloss Hansenberg zweifeln. Frau Kultusministerin, wir haben dies auch nicht beantragt, weil wir der Auffassung sind, dass hoch leistungsfähige Kinder und Jugendliche nicht gefördert werden sollten.
Wir haben dies beantragt, weil die Schule in Schloss Hansenberg die sichtbare und finanziell quantifizierbare Manifestation Ihrer bildungspolitischen Ideologie der selektiven Förderung und der Auslese hier in Hessen ist.
Ich bin davon überzeugt, dass alle hessischen Kinder bei Unterrichtung in kleinen Klassen, mit dem zusätzlichen Einsatz von Sozialpädagogen und einem vielfältigen Lern- und Freizeitangebot, das im Ganztagsbetrieb der Schulen erfolgt, bessere Leistungen erzielen könnten.
Unser Ziel ist, dass alle Schüler, also sowohl die starken als auch die schwachen, an unseren Schulen Lernbedingungen vorfinden, mit denen sie individuell und adäquat gefördert werden. Das sollte nicht nur für einige wenige gelten.
Das gilt auch für die Umsetzung des strategischen Ziels Nummer drei, nämlich der Verringerung der Zahl der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss. Dieses Ziel soll nur für Schülerinnen und Schüler an Hauptschulen oder Hauptschulzweigen der kooperativen Gesamtschulen gelten. Dabei ist keine Rede davon, dass seit Jahren die Zahl der Einweisungen in die Förderschule und in die Schulen für Lernhilfe kontinuierlich steigt. Ich halte die Formulierung dieses Ziels, die den Fokus auf die Hauptschule legt, für eine Verkürzung der Problematik.
Es muss ein Ziel sein, dem Ansteigen der Zahl der Schüler an den Förderschulen durch ein besseres Ausschöpfen der bei ihnen vorhandenen Lernpotenziale entgegenzuwirken. Die Quote der Schüler ohne Schulabschluss korrespondiert mit der Größe der Risikogruppe. Die da zugrunde liegende Problematik kann aber nicht auf eine Schulform fokussiert werden.
Sie wollen dagegen in allererster Linie die Hauptschule stärken. Das haben Sie selbst so formuliert. Sie wollen die Hauptschule stärken, obwohl die Studie PISA-E gezeigt hat, dass in allen Bundesländern mit stark gegliedertem Schulsystem die Hauptschule so schlechte Ergebnisse hat, dass ernsthaft darüber nachgedacht werden muss, ob es dabei überhaupt gelingen kann, die Anschlussfähigkeit an weiterführende Bildungsgänge zu erhalten. Frau Ministerin, mit SchuB-Klassen werden Sie es zwar einigen jungen Menschen ermöglichen, den Hauptschulabschluss zu erreichen – und jeder einzelne ist wichtig –, aber Sie werden dieses strukturelle Problem nicht lösen.
Ihre christdemokratische Kollegin im Hamburg, Frau Schulsenatorin Alexandra Dinges-Dierig kommt angesichts der ähnlich schlechten Ergebnisse der Hauptschulen in Hamburg zu ganz anderen Erkenntnissen. Sie erwägt, die Vielfalt der Schulen auf zwei zu reduzieren.
Sie ist zu dieser Überlegung gekommen, weil sie anscheinend ausreichend Lesekompetenz hat und die Ergebnisse der PISA-E-Studie ohne ideologische Scheuklappen und Vorurteile interpretieren konnte.
Sachsen hat es geschafft, die Ergebnisse in der PISA-Studie in allen Bereichen signifikant zu verbessern. Es befindet sich im Vergleich der Bundesländer mittlerweile an zweiter Stelle. Die Risikogruppe in Sachsen ist kleiner. Der Abstand zwischen denjenigen mit hohem und mit niedrigem Leistungsniveau ist wesentlicher geringer als in
Hamburg und in Hessen. Sachsen hat diese Ergebnisse mit einem zweigliedrigen Schulsystem erreicht. Dort wurden die Haupt- und die Realschule zusammengelegt.
Meine Damen und Herren der CDU,Sie dagegen schauen nach Bayern. Dort ist zwar das Kompetenzniveau in der Hauptschule wesentlich höher als bei uns in Hessen. Dort besuchen aber auch über 30 % der Kinder die Hauptschule. Das führt zu dem, bildungspolitisch gesehen, völlig unbefriedigenden Ergebnis, dass der Anteil der Abiturienten weit unter dem Bundesdurchschnitt liegt. Kinder von Arbeitern haben dort eine fast siebenmal geringere Chance, das Abitur zu erreichen.
könnten Sie Folgendes feststellen: Je mehr Schulformen ein Bundesland anbietet, umso mehr streut die Leistung und umso abgeschlagener und größer wird die Gruppe der leistungsschwächeren Schülerinnen und Schüler.
Dieses Ergebnis aus der PISA-E-Studie sollte Sie eigentlich mehr beschäftigen als die Frage, ob die mittlere Position,die Hessen dort einnimmt,ein großer Erfolg oder ein kleiner Misserfolg ist.
Sie haben gefragt, woher ich diese Erkenntnisse habe. Ich rate Ihnen, die Unterlagen zu lesen, über die Sie hier immer so aufgeregt diskutieren.
Die SPD-Fraktion ist in der Lage, festzustellen, dass auch in Ländern,in denen die CDU regiert,gute Ansätze in der Bildungspolitik vorhanden sind. Sie hingegen werden nicht weiterkommen, wenn Sie sich wie die Protagonisten der Schweine von der Animal Farm benehmen und immer rufen: Die Bildungspolitik der CDU ist gut, die Bildungspolitik der SPD ist schlecht. – Dabei handelt es sich um kleinkariertes Format.
(Beifall bei der SPD und der Abg.Margaretha Höll- dobler-Heumüller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Zurufe von der CDU)