Protokoll der Sitzung vom 23.02.2006

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das allein beweist doch schon, dass solche großen Strukturprogramme ohne Hilfe des Bundes nur schwer initiiert werden können.

Genauso verhält es sich mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz und dem Exzellenzprogramm für die Hochschulen. Hier wurden wichtige Impulse gegeben. Nach In-KraftTreten der vorgesehenen Föderalismusreform wäre das dann aber verboten.

Es ist sinnvoll, dass Wettbewerbssituationen entstehen. Herr Dr. Wagner, das wird in Ihrem Dringlichen Entschließungsantrag gepriesen. Außerdem haben Sie das ja auch mündlich vorgetragen. Es ist richtig, wenn es um einen Wettbewerb um den bestmöglichen Weg und um ei

nen Wettbewerb hinsichtlich der Innovationen geht. Dem Bund soll aber jetzt verwehrt werden, sich gemeinsam mit den Ländern den wichtigsten Fragen für eine gute Zukunft zu stellen. Er soll gerade den weniger finanzkräftigen Ländern keine Anschubfinanzierung für eine bessere Bildung, eine bessere Betreuung oder den Ausbau der Studienplätze mehr geben. Dabei geht es aber nicht um Wettbewerb. Vielmehr ist das eine Investition in die Köpfe unserer Kinder, mit der wir sie für den internationalen Wettbewerb fit machen können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit dieser Reform des Föderalismus würden Sie dem ganzen Land Steine in den Weg legen. Es wird dann Schwierigkeiten haben, die Aufgaben zu bewältigen, die für eine gute Zukunft erledigt werden müssen.Sie tun das,weil Sie in der großen Koalition schnell einen Kuhhandel hinbekommen wollten. Sie wollen handlungsfähig wirken.

Das ist aber geradezu pervers. Denn zahlreiche Personen haben den einzigen positiven Aspekt einer großen Koalition darin gesehen, dass es endlich zu einem klugen und vernünftigen Kompromiss bei der Reform des Föderalismus kommen würde. Sie führen hier aber einen Machtkampf auf Kosten der Kinder und der jungen Leute dieses Landes. Wir stehen aber vor sehr vielen wichtigen Herausforderungen. Das betrifft gerade auch den Bildungsbereich. Diese Föderalismusreform wird aber gerade die großen und wichtigsten Projekte, die es anzuschieben gilt, im Keim ersticken.

Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen der CDU und der SPD, man hört bereits zahlreiche Stimmen aus den Ländern und insbesondere auch aus der SPDBundestagsfraktion zu diesem Thema. Ich möchte Sie zu diesem Thema wirklich eindringlich bitten: Denken Sie noch einmal nach. Nehmen Sie sich noch ein wenig Zeit. Geben Sie sich einen Ruck. Bessern Sie die Reform des Föderalismus im Interesse der Bildung und der Ressource Nummer eins für die Zukunft unserer Gesellschaft noch einmal nach. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Sorge. – Das Wort hat die Frau Kollegin Nancy Faeser, SPD-Fraktion.

Hast du die Schere weggelassen? Der Schlips des amtierenden Präsidenten darf nach § 155 der Geschäftsordnung nicht abgeschnitten werden.

(Heiterkeit)

Herr Präsident, ich bitte um Vorlage dieses Abschnitts der Geschäftsordnung. Er ist mir bislang nicht bekannt.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Das zwischen dem Bund und den Ländern ausgehandelte Paket zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung ist ausdrücklich zu begrüßen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Eine Neuordnung der Gesetzgebungszuständigkeiten des Bundes und der Länder ist dringend erforderlich. Das betrifft vor allem die Bereiche, in denen der Bundesrat bis

lang wichtige Reformprojekte blockieren konnte. Insoweit ist der ausgehandelte Kompromiss hoch zu werten.

Meine Damen und Herren, Ausgangspunkt für die Reform – das ist schon gesagt worden – waren insbesondere das nicht durchschaubare Kompetenzgeflecht, fehlende Transparenz der Entscheidungen und nicht mehr zeitgerechte Finanzströme.Außerdem gab es zahlreiche Fälle,in denen die Länder durch eine faktische Umgehung ihrer Mitbestimmung ihrer Mitwirkungsmöglichkeiten beraubt wurden, obwohl die zu regelnden Sachverhalte die Länderinteressen tangierten.

(Beifall bei der SPD)

Aber damit wir uns richtig verstehen: Mir fielen ad hoc viele Beispiele ein, in denen die ehemalige Opposition im Bundestag über den Bundesrat wichtige Reformprojekte blockiert hat, die sie in den Medien immer eingefordert hatte. Dennoch ist dies kein Problem einer parteipolitischen Auseinandersetzung, und ich will dies daran heute auch nicht festmachen.

Fest steht, dass die Transparenz politischer Entscheidungen infolge der Reformmöglichkeit unseres Landes in der Vergangenheit oftmals auf der Strecke geblieben ist. Wir begrüßen deshalb die längst überfällige Föderalismusreform mit einem klaren Bekenntnis auch von unserer Seite zur föderalen Struktur in der Bundesrepublik.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Leider haben sich die Länder – das muss auch gesagt werden – in der Vergangenheit mit Geld locken lassen und wesentliche originäre Kompetenzen abgegeben.

(Beifall des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Dies betraf eine Reihe von Aufgaben – das sage ich als Abgeordnete mit Selbstbewusstsein –, die wir auch selbstständig hätten regeln können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des Abg. Vol- ker Hoff (CDU) und des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Uns allen ist klar, dass der nun von der Bundesregierung wieder aufgegriffene Prozess eine Kompromisslösung ist, Frau Kollegin Sorge. Deswegen gibt es zu einzelnen Inhalten auch nach wie vor unterschiedliche Meinungen und Auffassungen. Die nun ausgehandelte Föderalismusreform ist mit mehr als 40 Einzelteilen die umfangreichste Grundgesetzänderung seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Die Änderungen sind zwar ein guter Anfang; dennoch hat die „FAZ“ nicht Unrecht, wenn sie schreibt, dass die jetzige Reform etwas für verfassungsrechtliche und parlamentarische Feinschmecker, aber keine sättigende Hausmannskost sei.

Im Entschließungsantrag von CDU und FDP wird die Absicht begrüßt, weiter über die Finanzverfassung zu verhandeln. Das, meine Damen und Herren, ist uns, der SPDFraktion, zu wenig. Es bedarf auch einer umfangreichen Neustrukturierung der Finanzströme der Länder.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Michael Denzin (FDP))

Außerdem sollte – da gebe ich der Kollegin Sarah Sorge Recht – Qualität tatsächlich vor Beschleunigung stehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das muss an dieser Stelle gesagt werden. Damit ist kein Verschieben auf die lange Bank gemeint. Erforderlich ist

dennoch ein bedachtes Vorgehen. Auch wenn man Zeiträume einhält, darf man kein Denkverbot erteilen. Das gilt vor allem für das Einhalten von parlamentarischen Schritten. Da sehe ich Sie, meine Damen und Herren von der CDU, an; es betrifft mehr den Bundestag. Es geht nämlich immerhin um umfassende Änderungen des Grundgesetzes. Ein Erfolg sollte auch an dieser Stelle nicht erzwungen werden. Es kann nicht sein, dass man sofort als Blockierer gilt, wenn aus fachlicher Sicht Zweifel angemeldet werden. Es gibt ein paar Bereiche, auf die ich kurz eingehen möchte, so wie es mein Fraktionsvorsitzender in der letzten Rede bereits getan hat.

Noch nicht angesprochen wurde der Umweltbereich, und zwar die Genehmigung von Industrieanlagen. Ich denke, da muss gemeinsam – da nehme ich die Wirtschaft mit dem BDI mit herein – gesagt werden, dass es sicher sinnvoll ist, die Genehmigung großer Anlagen einheitlich zu regeln. Wir sind hier nämlich an das Europarecht gebunden, und da kann es nicht sein, dass man in Kleinstaaterei verfällt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Lassen Sie mich kurz auch etwas zur Hochschulbildung sagen. Auch ich vertrete die Auffassung, dass man nicht einerseits auf der Europaebene versucht, beim Hochschulzugang und beim Hochschulabschluss zu einer Harmonisierung zu kommen, und auf der anderen Seite dazu übergeht, dass in den Ländern eigene Regelungen geschaffen werden. Das passt nicht zusammen. Wenn man harmonisiert, dann vollständig.

Frau Kollegin Faeser, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich komme zum Schluss, möchte aber noch ein kurzes Beispiel hervorheben; das ist der Justizvollzug. Auch hier gibt es keinerlei fachliche Gründe, das auf die Länderebene zu verlagern. Das muss an dieser Stelle gesagt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das wird bundeseinheitlich von Wissenschaftlern und von allen Bediensteten im Land Hessen, die mit Justizvollzug zu tun haben,so gesehen.Ein solcher Eingriff in staatliche Maßnahmen ist sonst nirgendwo zu betrachten. Deshalb sollte das einheitlich mit der gesamten Kriminalpolitik geregelt werden. Denn wenn man ein einheitliches Strafrecht hat, muss man auch einen einheitlichen Strafvollzug betreiben.

Dennoch, meine Damen und Herren, ein klares Bekenntnis zur Föderalismusreform. Aber angesichts der umfangreichen Änderungen ist auch Kritik angebracht.Wir bitten Sie um Unterstützung unseres Antrags. Der Schleswig-Holsteinische Landtag hat, Herr Kollege Hahn, im Übrigen einstimmig zugestimmt. Ich bitte auch Sie um Unterstützung. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bedanke mich. – Das Wort hat der Kollege Hahn, der Vorsitzende der FDP-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Otto Graf Lambsdorff hat schon vor vielen Jahren gesagt, dass die Föderalismusreform die Mutter aller Reformen ist. Deshalb begrüßen wir als FDP-Landtagsfraktion genauso wie unsere Kollegen in allen anderen Landtagen und im Deutschen Bundestag die Einigung, die die große Koalition nunmehr gemeinsam mit der FDP in Berlin gefunden hat. Wir gehen davon aus, dass ein sauberes Genehmigungsverfahren mit entsprechenden Anhörungen durchgeführt wird,in dem noch einmal all das erörtert werden kann, was Frau Kollegin Faeser und Frau Kollegin Sorge dargelegt haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind schon stolz darauf, dass unser Staatsaufbau dank der vielen Vorarbeit, die in der Föderalismuskommission und anderswo geleistet wurde, nun endlich neu justiert wird. Es war die erste große Koalition Ende der Sechzigerjahre, die mit dem Unsinn begonnen hat, Gemeinschaftsaufgaben und eine Gemeinschaftsfinanzierung einzurichten.

(Beifall bei der FDP)

Das war ein Durcheinander, das in den letzten Jahrzehnten zu einer immer weiter gehenden Vermischung der Ebenen und einer kollektiven Unzuständigkeit – das ist unser Lieblingswort in diesem Zusammenhang – geführt hat. Diese kollektive Unzuständigkeit wird jetzt wieder gelöst. Derjenige, auf dessen Ebene eine Entscheidung zu treffen ist, darf sie in aller, aller Regel auch ganz alleine treffen, und er kann sie auch ganz alleine treffen. Ein Bundestagsabgeordneter muss doch in den letzten Jahren schier irre geworden sein, wenn er wusste, dass 60 % seiner Entscheidungen, die natürlich immer Koalitionsentscheidungen im Deutschen Bundestag waren, letztlich nicht von ihm in der Koalition beschlossen wurden, sondern über den Bundesrat in den Vermittlungsausschuss gekommen sind, woraufhin eine irgendwie geartete Entscheidung getroffen wurde.

Ich sage das sehr bewusst, weil ich weiß, dass nicht nur in meiner Bundestagsfraktion, sondern auch in den Bundestagsfraktionen von Ihnen allen jetzt wieder die Diskussion hochkommt:Wir wollen doch jetzt noch einmal überlegen, ob wir unseren Beitrag zur Zweidrittelmehrheit im Bundestag leisten. Jeder Bundestagsabgeordnete muss wissen: Nach der Föderalismusreform hat er persönlich wieder mehr,und zwar entscheidend mehr,zu sagen.In einer Demokratie ist es auch richtig, dass die gewählten Volksvertreter eine Entscheidung treffen und nicht eine Einigung in Nachtsitzungen des Vermittlungsausschusses – oder wo auch immer – herbeigeführt wird.

(Beifall bei der FDP)

Eine zweite Bemerkung. Ihre Ausführungen, Frau Kollegin Sorge, zu dem Thema Hochschule usw. geben mir Anlass zu der Sorge,dass Sie sehr wenig mutig sind.Um es etwas brutaler zu sagen: Sie vertrauen nicht darauf, dass Landtagsabgeordnete genauso klug sein können wie die Bundesregierung.