Protokoll der Sitzung vom 30.03.2006

(Petra Fuhrmann (SPD):Nein,das haben wir alles!)

Wir haben sehr unterschiedliche Kombilohnmodelle in Deutschland gehabt – Sie haben es angesprochen –, das

Kasseler Modell, das Mainzer Modell und viele andere mehr. Sie waren fast immer regional begrenzt und gerade nicht so durchgehend, dass sie einen echten Niedriglohnsektor für diejenigen geschaffen haben, die heute überhaupt keine Arbeit haben. Frau Kollegin Fuhrmann, das ist das eigentliche Thema, mit dem wir uns heute beschäftigen.

Wir reden nicht darüber, wer heute Arbeit hat, sondern wir reden über eine hohe Anzahl Arbeitsloser in Deutschland, bei den Arbeitslosen über eine immer höher werdende und auch im europäischen Vergleich besonders stark gestiegene Anzahl Geringqualifizierter ohne Ausbildungsabschlüsse,

(Petra Fuhrmann (SPD): Sie haben nicht zugehört!)

die zu den Langzeitarbeitslosen gehören und die nicht nur langzeitarbeitslos sind, was alleine in Deutschland schon eines der große Probleme ist, sondern auch noch gering qualifiziert sind und sehr häufig auch noch zur Gruppe der Älteren oder der Jungen ohne Ausbildung gehören. Über die müssen wir reden. Wie schaffen wir es, solche Menschen in Deutschland überhaupt wieder in einen Arbeitsprozess zu bekommen?

Da geht es nicht darum, irgendjemanden dauerhaft in geringen Löhnen zu halten, sondern ihm überhaupt wieder einen Einstieg in eine Arbeit zu ermöglichen,

(Petra Fuhrmann (SPD): Machen wir!)

in eine vernünftige Struktur und auch in eine sinnvolle oder Sinn stiftende Tätigkeit über die Teilnahme am Arbeitsmarkt.

Wir wissen alle, dass die vielen Kombilohmodelle wie das Mainzer Modell ein Problem hatten: Sie haben zuerst einen Anreiz gesetzt, und danach hat es nicht mehr funktioniert.

(Petra Fuhrmann (SPD):Was war mit dem Kasseler Modell? – Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das hessische Modell!)

Ich komme darauf zu sprechen, Herr Bocklet; warten Sie es doch einfach ab. Wir haben ja auch einen Bericht dazu vorgelegt, und wir haben aus dem Bericht unsere Schlüsse gezogen.

Wir haben ganz klar gesagt: Wir brauchen ein weitergehendes Modell, und zwar eines, das einen stetigen Tarifverlauf hat, das sinnvoll auf ein gesamtes Land ausgerichtet ist und nicht nur an einer Stelle gemacht wird, mit dem Arbeitgeber, aber auch mit denjenigen, die einen Job suchen, das keine Mitnahmeeffekte hat, sondern mit dem kontinuierlich die Möglichkeit des Förderns und Forderns geschaffen wird.

Sie müssen nicht immer nur das Kasseler Modell ansprechen, sondern Sie können auch das Existenzgrundlagengesetz nehmen. Ich bin auch gerne bereit, über die weiteren Modelle des Ifo oder auch das Magdeburger Modell zu sprechen, die alle darauf ausgerichtet sind, ein flächendeckendes Modell zu schaffen und vor allem dann auch zu vereinfachen.

Herr Kollege Bocklet, deswegen ist es gerade so wichtig, in diesem Bereich bestehende Förderinstrumente zusammenzufassen, weil wir wissen, dass auch auf der Arbeitgeberseite heute kaum noch jemand einen Überblick über die vielen unterschiedlichen Möglichkeiten hat, die

es heute schon im SGB II, im SGB III und in vielen Bereichen mit zusätzlichen Förderprogrammen gibt.

Auch damit will ich aufräumen: Bei den hessischen Förderprogrammen, die sowohl das Sozialministerium als auch das Wirtschaftsministerium machen,haben wir keine Probleme, dass die Mittel nicht abgerufen werden. Das ist überhaupt nicht das Thema. Der eigentliche Punkt ist: Welche Möglichkeiten gibt es heute? Wie können wir das so vereinfachen, dass Geringqualifizierte, die arbeitslos sind, überhaupt wieder in eine Beschäftigung kommen?

Den Ansatz,einen Kombilohn mit einem vernünftigen Tarifverlauf zu schaffen, haben wir im Existenzgrundlagengesetz zum ersten Mal aufgezeigt.

Herr Kollege Rentsch, Sie wissen, dass ich durchaus eine große Sympathie für eine negative Einkommensteuer habe. Aber wir wissen auch, wie schwierig sie zu administrieren ist, und haben schon häufig gemeinsam diskutiert, dass man nicht von heute auf morgen eine negative Einkommensteuer, noch schwieriger ein echtes Bürgergeld, umsetzen kann – auch die Gutachten dazu sind Ihnen allen bekannt –, sodass es nicht ganz einfach ist, diese unterschiedlichen Instrumente zusammenzufassen.

Die große Koalition in Berlin hat sich vorgenommen,über die Kombilöhne weiter zu sprechen, aber nicht über die alten Modelle, die einen Anreiz setzen, und über die ganz vielen unterschiedlichen Fördermaßnahmen, die sich jeder aussuchen kann, sondern es geht unter dem Gesichtspunkt der Vereinfachung darum, über Sinn stiftende Arbeit in Deutschland wieder einen echten Niedriglohnsektor zu schaffen und einen Einstieg in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Dazu gehört selbstverständlich auch die Senkung der Lohnnebenkosten.

Zu dem Modell, das die GRÜNEN hierzu vorlegen, muss gesagt werden:Wenn man dem Arbeitgeber dort die Sozialversicherungsbeiträge erlassen will, was im Übrigen in einigen Bereichen des SGB III für ältere Arbeitnehmer heute längst möglich ist, bekommen wir das Problem, dass natürlich dieses Geld aus Steuermitteln in die Sozialkassen fließen muss.

(Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Genau!)

Das ist der weitere Punkt, der dann genauso dazugehört und bei dem wir genauso über die Gegenfinanzierung sprechen müssen.

Deswegen sage ich ganz offen: Wir reden über das IfoModell von Sinn genauso wie über das Magdeburger Modell, die alle eine Art Kombilohn vorsehen. Sie können das unterschiedlich beschreiben. Sie können unter Kombilöhnen Verschiedenes subsumieren, aber das Entscheidende ist, dass Sie Menschen einen Zuschuss geben, sodass sie tatsächlich von einer Tätigkeit aufstockend leben können und auch in Deutschland von einfachen Tätigkeiten leben können und diese Arbeiten nicht einfach nur im Ausland stattfinden oder Deutsche sie in Deutschland nicht annehmen, sondern nur im Urlaub im Ausland einfache Tätigkeiten im Dienstleistungsbereich überhaupt annehmen.

Frau Ministerin, ein freundlicher Hinweis: Die Fraktionsredezeit ist bereits überschritten.

Ich komme sofort zum Schluss. – Das ist einer der entscheidenden Punkte. Wenn wir das nicht ausdiskutieren, werden wir es nicht schaffen, diese Geringqualifizierten, deren Anteil an den Arbeitslosen in Deutschland inzwischen weitaus höher ist als in vielen unserer europäischen Nachbarländer, überhaupt wieder zu integrieren.

Deswegen wird sich die Hessische Landsregierung weiter für Kombilohnmodelle einsetzen, bis hin zur negativen Einkommensteuer in unterschiedlichen Bereichen, aber so, dass es in unsere Systeme in Deutschland eingepasst werden kann, damit es eine Möglichkeit gibt, über Sinn stiftende Arbeit wieder an Arbeitsprozessen teilzunehmen und Menschen nicht dauerhaft auszuschließen.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Herr Kollege Bocklet für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat sich noch einmal zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich möchte noch zu einigen Punkten Stellung nehmen. Punkt eins: Die Behauptung, es gebe keine flächendeckende Kombination von staatlichen Subventionen und Löhnen, ist falsch. Es gibt jetzt durch die Bundesgesetzgebung – zuletzt Hartz IV – die Möglichkeit,Eingliederungszuschüsse zu zahlen. Wenn Sie ähnlich wie ich durch die Jobcenter getourt wären, wüssten Sie, dass es in der Bundesrepublik mittlerweile bereits eine Unzahl von Menschen gibt – 650.000 –, die mit Eingliederungszuschüssen passgenau, zielgenau an Arbeitgeber vermittelt werden und deswegen auch schon eine Art Kombilohn bekommen.

Punkt zwei: Ich habe in den Jobcentern flächendeckend immer wieder zu hören bekommen, dass 20 % der ALGII-Bezieher – ich war überrascht von der horrend hohen Zahl – Geld mitbringen. Da habe ich gefragt: Was heißt denn das, „Geld mitbringen“? Das sind Menschen, die eine Arbeit haben und denen heute schon das Einkommen zum Leben nicht reicht, wie etwa Friseurinnen oder Halbtagskräfte, vor allem Frauen, und die deshalb aufstockende Sozialhilfe bekommen.

(Petra Fuhrmann (SPD): Bei einer Floristin mit 3,78 c sicher!)

Diesen Kombilohn haben wir heute auch schon, und zwar flächendeckend.

Nun zum letzten Punkt:Wer neue Kombilohnmodelle flächendeckend diskutiert oder diskutieren will, der muss zur Kenntnis nehmen,dass das,was wir bisher probiert haben – wir haben es schon diskutiert –, entweder zu teuer war, Mitnahmeeffekte auslöste oder reguläre Arbeitsplätze gefährdet hat.

Die Kombilöhne sind ja keine Zauberei; entweder gibt man den Arbeitgebern oder den Arbeitnehmern Geld, oder man reduziert die Lohnnebenkosten. So viele verschiedene Neuheiten wird man da nicht erfinden können. Aber ein Punkt wurde neu in die Debatte gebracht – Frau Fuhrmann,da müssen wir sehr aufmerksam sein –:Das Ifo fordert nämlich parallel,den Arbeitsanreiz zu erhöhen,indem man die Regelsätze für die Sozialhilfe, sprich: für ALG II, um 20 % senkt. Das heißt, man bekäme nicht

mehr 345 c,sondern 80 c weniger,und das angesichts der Armutsdiskussion, die wir jetzt schon haben. Wer in der Bundesrepublik die Regelsätze der Sozialhilfe weiter senken will, der legt die Lunte an unseren Sozialstaat und wird einen unglaublichen Sturm derer entfachen, die von der Sozialhilfe jetzt schon kaum noch das Brot zum Leben kaufen können. Das lehnen wir GRÜNE entschieden ab. Das dürfen wir nicht weiter diskutieren. – Danke.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank, Herr Bocklet. – Jetzt hat sich noch einmal Frau Sozialministerin Lautenschläger zu Wort gemeldet.

Herr Bocklet, ich will ganz deutlich sagen: Über das IfoModell wird in unterschiedlicher Weise gesprochen. Von der Landesregierung wurde immer gesagt: Nur dann, wenn jemandem überhaupt etwas angeboten wird und eine Möglichkeit besteht, einen Arbeitsplatz anzunehmen, und dieses Angebot dann abgelehnt wird, wird über Kürzungen gesprochen.

(Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das passiert doch heute schon!)

Ich selbst habe Ihnen gerade vorgetragen, dass es eine ganze Reihe unterschiedlicher Bereiche gibt, Eingliederungszuschüsse und vieles mehr. Aber die Personengruppe, über die wir zusätzlich sprechen, erhält noch nicht einmal Eingliederungszuschüsse. Sie ist gering qualifiziert und erhält höchstens Zuschüsse aus dem SGB-II-Bereich, und die steigen immer mehr an. Für diese Menschen müssen wir erst einmal eine Möglichkeit der Beteiligung schaffen. Ob dies über eine negative Einkommensteuer oder über unterschiedlich ausgestaltete Kombilöhne geschieht, das sind Punkte, über die wir reden müssen, damit wir nicht dauerhaft Menschen ausschließen.

Ein letzter Punkt:Auch zu den Minijobs kennen viele von Ihnen die Untersuchungen, dass sie nicht bewirkt haben, dass Menschen dauerhaft in eine Beschäftigung gebracht wurden, sondern dass die Minijobs vor allem bei Hausfrauen, Rentnern und Studenten einen sehr großen Markt gefunden haben. Es ist nicht so, dass Geringqualifizierte darüber tatsächlich einen Einstieg in einen Niedriglohnbereich geschafft haben, um andere Stundenlöhne zu bekommen und überhaupt wieder am Arbeitsmarkt teilzuhaben. Wir sprechen darüber, wie wir das weiter organisieren können.

Dass es viele andere Bereiche gibt, in denen wir Vereinfachungen brauchen, ist klar. Aber wir müssen weiter alle Anstrengungen unternehmen, dass in Deutschland der Anteil derjenigen, die arbeitslos und gering qualifiziert sind, nicht weiter ansteigt. Das ist das Ziel, das wir uns gemeinsam vornehmen müssen und für das wir auch über bessere Modelle als die heutigen streiten müssen.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank,Frau Lautenschläger.– Nun liegen mir keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit sind wir am Ende der verbundenen Aussprache zu dem Antrag der Fraktion

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Beschäftigung wirksam fördern – statt unsinniger Kombilohnmodelle, Drucks. 16/5134, dem Dringlichen Antrag der Fraktion der FDP betreffend Bürgergeld bringt Arbeitsmarkt in Schwung, Drucks. 16/5307, und dem Dringlichen Entschließungsantrag der Fraktion der CDU betreffend mehr Beschäftigung für gering qualifizierte Menschen, Drucks. 16/5441.

Es wird vorgeschlagen, alle drei Anträge an den Sozialpolitischen Ausschuss zu überweisen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann verfahren wir so.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 18:

Antrag der Fraktion der CDU betreffend 10 Jahre Auslandsmissionen und Polizeihilfeprojekte – Würdigung der hervorragenden Arbeit der hessischen Polizei auch im Ausland – Drucks. 16/5138 –

hierzu:

Änderungsantrag der Fraktion der FDP – Drucks. 16/5218 –