Sehr geehrter Herr Präsident, meinen Damen und Herren! Ich weiß, wir sind neu in diesem neuen Landtag. Tarek Al-Wazir hat schon darauf hingewiesen, dass es dafür einen Grund gibt, dass eine neue Partei in diesen Landtag eingetreten ist. Das hängt damit zusammen, dass wir andere Themen, andere Inhalte, andere Schwerpunkte gesetzt haben, die bisher im Landtag nicht vertreten waren.
Ich will noch einmal deutlich machen: Die Partei DIE LINKE gehört nicht zu dem neo-konservativen, neo-liberalen Spektrum. Unsere politischen Inhalte stellen sich natürlich anders dar als die der CDU und der FDP, aber auch gegenüber SPD und GRÜNEN.
Wir sind der Meinung, der hessische Wähler hat am 27. Januar tatsächlich dafür gesorgt, dass künftig diese geschäftsführende Landesregierung in Opposition zur Mehrheit der Wähler in Hessen steht.
Diese Erkenntnis führte dazu, dass wir einen Landtag haben,der zum ersten Mal wieder souveräner,unabhängiger ist und nicht mehr aus dem Kabinettsessel und der Staatskanzlei dirigiert werden kann.
Wir sollten unsere Souveränität in diesem Parlament tatsächlich nutzen.Wir sollten einander zuhören und sicherlich auch streitig miteinander diskutieren, um die für die Menschen in Hessen beste Lösung zu finden.Dazu wollen wir beitragen.
Herr Ministerpräsident, gestern habe ich mit einigem Interesse zur Kenntnis genommen, dass Sie in Ihrer Rede zur Eröffnung dieses Landtags Georg August Zinn und den Antifaschisten Eugen Kogon zitiert haben. Da habe ich mir gedacht: Es gibt einen gewissen Klimawechsel, vielleicht öffnet man sich.
Aber in Ihrer heutigen Rede haben Sie nochmals Ihr gesundes Feindbild genannt,dass Sie mit allen reden wollen, nur nicht mit uns. Ich hatte gedacht, es ändert sich klimatisch etwas. Das stimmt nicht.
Ich will Ihnen noch einmal sagen: Für mich als junger Gewerkschafter in der Lehrlingsbewährung war gerade Eugen Kogon derjenige, der mich dadurch beeindruckt hat, das er als ehemaliger KZ-Häftling und Antifaschist ein Buch geschrieben hat, das wir aufgezehrt haben. Daher gehört er im Grunde genommen für die gesamte LINKE in die antifaschistische Tradition. Wir sollten Eugen Kogon und seinen Geist in der antifaschistischen Tradition dieses Landes bewahren und dieses Andenken auch über Parteigrenzen hinweg wachhalten.
An diesem Tag möchte ich aber auch – das trifft sich gerade so – an einen anderen Wiesbadener erinnern, an Martin Niemöller. Er nahm genau heute vor 50 Jahren am 1. Ostermarsch teil, der von London nach Aldermaston ging, und er trug maßgeblich dazu bei, dass es in der Bundesrepublik heute eine gute Tradition ist, Ostermärsche für Abrüstung und gegen den Krieg durchzuführen.
Martin Niemöller hat auch mich in vielen Gesprächen,die wir miteinander geführt haben, geprägt. Wir verdanken ihm viel, vor allen Dingen, dass es in diesem Land eine übergroße Mehrheit in der Bevölkerung gibt, die sich klar gegen Kriege, gegen Gewalt, für nicht militärische Formen der Konfliktaustragung einsetzt.
Von der geschäftsführenden Landesregierung erwarten wir, dass sie die Parlamentsentscheidungen nicht behindert und verzögert, sondern dass sie diese Entscheidungen respektiert und mithilft, sie schnell umzusetzen.
Wir wollen – und dies sehen wir als Chance dieses Parlaments –, dass die Debatten öffentlich werden und auch von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Zumindest war dies das Signal der letzten Wochen aus den Medien, die sich sehr konstruktiv nicht nur wegen der heutigen konstituierenden Sitzung mit uns beschäftigt haben.
Ich denke, es ist wichtig, die Inhalte, über die wir streiten und die wir hier beschließen, auch in die Öffentlichkeit zu tragen und dadurch mitzuhelfen, dass diese Inhalte im Interesse der Menschen umgesetzt werden.
Wir sehen uns nicht als Stellvertreter der verschiedensten Initiativen und sozialen Bewegungen, sondern wir sind Bestandteil der außerparlamentarischen Bewegung.Auch das ist ein Unterschied zu den Parteien in diesem Landtag.
Wir sind vor allen Dingen angetreten, für die Menschen ein Ohr zu haben, die bisher kein Ohr gefunden haben und die allzu oft abgestoßen wurden.
Unsere Politik ist eindeutig erkennbar als eine,die sich gegen die Agenda 2000 und gegen Hartz IV wendet. Wir wollen, dass die Ein-Euro-Jobs tatsächlich nicht mehr aus den Sozialetats finanziert werden, sondern dass daraus andere, vernünftige Arbeitsverhältnisse zu Mindestlohnbedingungen finanziert werden.
Die Menschen in Hessen wollen soziale Gerechtigkeit und keine Kinderarmut. Sie wollen eine gerechte Steuerpolitik, die die bisherige gesellschaftliche Umverteilung beendet und die Reichen wirklich besteuert.
Wir wenden uns gegen jegliche Privatisierung und wollen Güter der öffentlichen Daseinsvorsorge tatsächlich in öffentlicher Hand behalten. Das gilt für Wasser und Strom, natürlich aber auch für Bildung und Gesundheit.
In Art. 38 der Hessischen Verfassung steht, dass die Wirtschaft des Landes die Aufgabe hat, „dem Wohle des ganzen Volkes und der Befriedigung seines Bedarfs zu dienen“. Deshalb müssen soziale Ungerechtigkeit, Armut und Not bekämpft werden. Das ist der Auftrag der Hessischen Verfassung.
In den nächsten Tagen werden wir sicherlich Themen aufgreifen, die schon genannt wurden. Das betrifft auch die Studiengebühren. Dort gehen wir etwas weiter, denn wir glauben, dass man verfassungswidrig einbehaltenes Geld wieder zurückzahlen muss. Das muss getan werden: Diese eingezogenen Studiengebühren gehören denen, die sie eingezahlt haben.
Wir gehen davon aus, dass es in der Bildungspolitik sehr grundsätzliche Entwicklungen der Integration geben muss, nicht nur von Migranten in das Schulsystem, sondern das gemeinsame Lernen muss Vorrang haben.
Wir gehen davon aus, dass es in Wiesbaden kein neues US-Headquarter geben muss.Gerade dieses Headquarter ist dafür verantwortlich, dass in Abu Ghuraib gefoltert wurde.
Wir treten für diese Dinge hier im Parlament ein, weil wir – um Herrn Hahn ein bisschen entgegenzukommen – nicht nur mit Voltaire agieren, sondern weil wir Freiheit, Gleichheit und Solidarität, also die Ideale der Französischen Revolution, als inhaltliche Zielvorstellungen haben.
Wir wollen dies im Parlament einbringen, aber wir wollen diese Dinge auch in den außerparlamentarischen Bewegungen, der Friedensbewegung mit vorantreiben.Wir wissen, dass unsere politischen Möglichkeiten in diesem Parlament relativ begrenzt sind. Aber ich glaube, wenn wir Druck entfalten, wenn wir die Bevölkerung aktivieren, wenn wir die Menschen mitnehmen, dann wird sich in die
sem Land tatsächlich etwas verändern lassen.Dann ist der Politikwechsel, von dem geredet wurde, eine Möglichkeit, die wir alle anstreben sollten. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege. Sie müssen es über sich ergehen lassen, dass ich jetzt feststelle, dass dies Ihre Jungfernrede war.Es geht nicht anders,aber es ist auch korrekt und insofern protokollarisch verbrieft.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute ist nicht der Tag, um Parteiprogramme oder Wahlkampfprogramme vorzutragen. Es ist der Tag, darüber zu sprechen, wie sich in dieser neuen Situation das Verhältnis zwischen geschäftsführender Landesregierung und Parlament entwickelt. Die meisten Beiträge meiner Vorredner haben sich auch mit diesem wichtigen Thema beschäftigt.Ich zolle deshalb den Beiträgen insgesamt,soweit sie sich mit dieser Situation beschäftigt haben, ohne dass ich auf das Einzelne eingehe, meinen Respekt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die wichtigste Botschaft des heutigen Tages lautet: Hessen ist nach der Landtagswahl auch weiterhin nicht führungslos. Wenn auch geschäftsführend, ist eine verlässliche und handlungsfähige Regierung im Amt. Ich danke Ihnen, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, für Ihr klares Signal, in enger Kooperation mit dem Parlament verantwortlich die Zukunft unseres Landes zu gestalten und die Kontinuität der Verwaltung sicherzustellen. Nun ist es an den Fraktionen dieses Landtags, ihrerseits ein Signal auszusenden, nämlich das Signal, dass auch das Parlament handlungsfähig und kooperativ ist.
Meine Damen und Herren, am 27. Januar haben wir ein schwieriges Wahlergebnis erhalten; das ist bereits angesprochen worden. Aber ich halte nicht viel davon, dass man als Politiker ein Wahlergebnis beklagt, sondern ich halte viel davon, dass man ein vorhandenes Wahlergebnis gestaltet – in konstruktive Politik für unser Land.
Keine der demokratischen Parteien hat ihre Wahlziele erreicht. Die CDU hat herbe Verluste hinnehmen müssen und ist nur noch knapp stärkste Partei geblieben. Ihr Ziel, mit der FDP eine gemeinsame Regierungsmehrheit zu erhalten, hat sie verfehlt. Die SPD hat dazugewonnen, aber immerhin hat sie ihr Wahlziel nicht erreicht, eine rotgrüne Mehrheit zu schaffen. Auch die GRÜNEN haben erhebliche Stimmenverluste hinnehmen müssen.
Gestaltung dieses schwierigen Wahlergebnisses heißt, alle vier demokratischen Fraktionen müssen aufeinander zugehen. Alle vier demokratischen Fraktionen müssen die Bereitschaft zu Kompromissen zeigen. Niemand wird sein eigenes Wahlprogramm 1 : 1 umsetzen können. Es reicht nicht aus, zu sagen: Wir bringen unsere wichtigsten Wahlversprechen in das Parlament ein und schauen einmal, wer zustimmt. – So können sich konstruktive, sachgebotene Mehrheiten nicht entwickeln. Noch einmal: Für keines der Wahlprogramme konnte eine Partei eine ausreichende Mehrheit erreichen. Daher müssen sich alle auf
Es ist auch nicht sehr hilfreich, Parlamentsinitiativen anzukündigen und diese dann sozusagen zum Test für die Wandlungsfähigkeit anderer Fraktionen zu machen. Die CDU-Fraktion hat mit ihrer Wildunger Erklärung deutlich gemacht, dass sie in Anerkennung des Wahlergebnisses bereit ist, in zentralen Punkten der Landespolitik auf die anderen Parteien zuzugehen und die Voraussetzungen für Kompromisse zu schaffen.
In diesem Sinne finde ich es vernünftig, dass z. B. die GRÜNEN – Kollege Al-Wazir hat es bereits angesprochen – zum Thema Schulpolitik ein Positionspapier vorgelegt und die Fraktionen zu Gesprächen eingeladen haben. Ich denke, das ist ein konstruktiver Weg zur Gestaltung von Mehrheiten für vernünftige Politik.
Ministerpräsident Koch hat soeben noch einmal deutlich gemacht, dass die Regierung das Parlament bei seinen Aufgaben unterstützen und mit dem Sachverstand der Ministerialverwaltung Hilfestellung leisten wird. Die Regierung Koch hat bereits vor dem formalen Beginn der Legislaturperiode gezeigt, dass sie die Erklärung, Partner des Parlaments sein zu wollen, ernst meint.
Ich nenne ein ganz konkretes Beispiel der letzten Tage, nämlich die Frage der Gegenfinanzierungsvorschläge von SPD und GRÜNEN zur Abschaffung der Studienbeiträge. Meine Damen und Herren, Sie wissen, dass wir für die Beibehaltung der Studienbeiträge sind. Darüber werden wir in der nächsten Plenarsitzung noch ausführlich miteinander debattieren. Finanzminister Weimar hat die Vorschläge dennoch unvoreingenommen geprüft und Informationsgespräche mit Vertretern von SPD und GRÜNEN geführt. Wie zu vernehmen war, haben diese Gespräche in sachlicher und konstruktiver Atmosphäre stattgefunden.So stelle ich mir Zusammenarbeit zwischen diesem Parlament und der Landesregierung vor.
In gleicher Weise müssen nun aber auch die Fraktionen zeigen, dass sie in Respekt vor dem Verfassungsauftrag der Landesregierung zu konstruktiver Zusammenarbeit bereit sind. Da will ich mit wenigen Sätzen auf Frau Ypsilanti eingehen. Frau Ypsilanti, Sie haben wörtlich gesagt, die geschäftsführende Landesregierung habe kein Mandat, Beschlüsse und Gesetze zu verhindern. Das hat selbstverständlich auch eine Regierung mit einer parlamentarischen Mehrheit nicht. Das ist Verfassungslage, und das wird immer Verfassungslage bleiben.
Sie haben festgestellt, dass die Landesregierung die Beschlüsse des Landtags umzusetzen habe. Das ist eine Selbstverständlichkeit. An diesem Zustand hat sich tatsächlich nichts verändert.
Aber ich will eines hinzufügen, damit es an dieser Stelle kein Missverständnis gibt. Natürlich hat auch eine geschäftsführende Landesregierung das Recht und die Pflicht, dort initiativ zu werden, wo es im Interesse des Landes geboten ist. Es ist also nicht so, dass wir hier allein initiativ sind und die Landesregierung abnickt, sondern wir erwarten von dieser geschäftsführenden Landesregierung, dass sie auch ihrerseits in Wahrnehmung ihrer Interessen und in Wahrnehmung der Pflichten gegenüber unserer Bevölkerung initiativ wird.
Verehrte Frau Kollegin Ypsilanti, Sie bestritten das Recht der Landesregierung, aus eigenem Recht tätig zu werden. Ich sage, es ist die Verfassungslage, dass sie tätig werden muss.Wir haben den Grundsatz der Gewaltenteilung. Die Landesregierung wird also auch aus eigenem verfassungsmäßigen Recht tätig sein und tätig bleiben müssen.
Meine Damen und Herren, es ist bereits gesagt worden, ich will es gleichwohl nochmals ansprechen:Ankündigungen, die Regierung vor sich herzutreiben und vorführen zu wollen, dienen in dieser besonderen Lage nicht dem Lande. Das möchte ich wirklich als Appell an uns alle verstanden wissen. Wir haben die Chance, im Wege des Aufeinander-Zugehens Politik konstruktiv zu gestalten und zu verhindern, dass sogenannte hessische Verhältnisse zum bundesweiten Negativbegriff werden.
Auch hier tragen alle demokratischen Fraktionen eine gemeinsame Verantwortung. Natürlich kann es kein dauerhafter Zustand sein, eine geschäftsführende Landesregierung zu haben. Darin sind wir uns alle einig. Das haben wir auch aus dem Munde des Ministerpräsidenten gehört. Das Ziel ist, in der gegenwärtigen Lage nach manchen harten Kämpfen, Wahlkämpfen, aber auch Parlamentsschlachten in diesem Haus, alte Vorbehalte abzubauen und neue Bereitschaft zur Zusammenarbeit zu entwickeln und zu praktizieren.