Alles bleibt so, wie es war, und doch wird jetzt alles ganz anders.Zu dem,was ich hier sage,zu dem Oberbegriff,den ich gewählt habe, gehört natürlich auch die Feststellung, dass wir eine weitere Fraktion im Hessischen Landtag haben.Als junger Mann Anfang der Siebzigerjahre mit Politik konfrontiert, war ich fasziniert von einem Spruch, den die Friedrich-Naumann-Stiftung, unsere Stiftung für die Freiheit, auf einem großen Plakat verbreitet hat. Die Friedrich-Naumann-Stiftung hat folgenden Satz von Voltaire plakatiert:
Sie haben eine zu der meinigen diametral andere Auffassung, aber ich werde alles dafür tun, dass Sie diese Auffassung vertreten können.
Werte Kolleginnen und Kollegen der LINKEN, der neuen Fraktion in diesem Hause,dieser Gedanke von Voltaire ist unsere Marschroute. Das heißt, wenn irgendjemand – das wird ja mit allen extremen Parteien überall so geübt – meint, man müsse im parlamentarischen Raum einen anderen ausgrenzen, so antworten wir ihm, wie wir es von Beginn an getan haben, mit einem Nein. Die LINKE ist gewählt, und deshalb hat sie das gleiche Recht wie jede andere Fraktion in diesem Hause, ernst und wahrgenommen und mit Positionen, z. B. im Präsidium, ausgestattet zu werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von den LINKEN, ich sage Ihnen aber – ohne Stollen, aber mit der Kraft der Worte –: Wir wollen einen freiheitlichen Staat,
wir wollen Demokratie und soziale Marktwirtschaft; wir wollen keine gelenkte Demokratie, und wir wollen keine geplante Wirtschaft. Das werden wir in jeder Debatte mit Ihnen streitig ausführen – aber im Stil von Voltaire.
Ich darf Ihnen abschließend sagen, dass ich in der konstituierenden Sitzung der 17. Legislaturperiode mit Stolz als Vorsitzender der hessischen FDP, als Vorsitzender der Fraktion der Liberalen in diesem Hause hier vorne stehe, weil wir jetzt eine Fraktion mit einer Stärke von elf Persönlichkeiten sind und weil wir zum ersten Mal in der Geschichte des Hessischen Landtags eine stärkere Fraktion als die GRÜNEN bilden. Das macht mich, das macht uns stolz. Das macht uns selbstbewusst. Das macht uns aber nicht arrogant, sondern bereit zu Gesprächen über Inhalte, zum Streit über Inhalte in der Hoffnung, dass Ministerpräsident Roland Koch dieses Land nicht fünf Jahre lang geschäftsführend regieren muss, sondern dass es im Spätsommer oder im Frühjahr nächsten Jahres eine stabile Regierung gibt. Wir werden uns jedenfalls gerne an einer solchen Regierung beteiligen. – Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Das Wort hat nun der Vorsitzende der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Herr Kollege AlWazir.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich, dem Anlass angemessen, Bemerkungen zu der Situation einer geschäftsführenden Regierung mache, möchte ich in aller Freundschaft zwei Korrekturen an den Ausführungen des Kollegen Hahn anbringen. Nach meiner Erinnerung waren die Liberalen in der 11. Wahlperiode zahlenmäßig stärker im Landtag vertreten als die GRÜNEN. Das währte allerdings nur eine Periode.
(Florian Rentsch (FDP):An dieser Stelle lassen wir uns gerne korrigieren! – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Stelle ich unstreitig!)
Zweitens.Über die Stollen müssen wir noch einmal reden. Es kommt nämlich nicht unbedingt darauf an, ohne Stollen zu spielen,sondern darauf,auf die Blutgrätsche zu verzichten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist kein Geheimnis: Wir von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hätten uns einen anderen Verlauf dieses Tages gewünscht. Es ist auch kein Geheimnis, Herr Ministerpräsident, dass wir von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN uns gewünscht hätten,dass heute auf diesen Bänken eine neue Regierung Platz nehmen und Sie, Herr Koch, nicht mehr als Ministerpräsident das Wort ergreifen würden. Wir sind für einen Politikwechsel angetreten, und zu einem Politikwechsel gehört normalerweise auch ein Regierungswechsel. Zu dem kommt es heute nicht. Wir bedauern das ausdrücklich.Woran das lag, muss ich hier niemandem erklären.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben ein schwieriges Wahlergebnis. Wir haben als Abgeordnete eine besondere Verantwortung – und die haben alle 110 Abgeordneten.
Wir haben eine besondere Situation, nämlich eine geschäftsführende Regierung. Und das ist nicht normal. Der geschäftsführende Ministerpräsident hat darauf hingewiesen, dass es 1982 schon einmal eine solche Situation gab. Auch damals hing dies damit zusammen, dass eine neue Fraktion in den Hessischen Landtag eingezogen ist, nämlich die GRÜNEN. Dazu zwei Bemerkungen.
Wenn eine neue Fraktion in ein Parlament einzieht, dann hat dies immer auch mit einem Versäumnis der bisherigen zu tun – völlig wertfrei festgestellt. Wenn es solche Versäumnisse nicht gegeben hätte, hätten die Wählerinnen und Wähler nicht das Bedürfnis gehabt, eine neue Fraktion in ein Parlament zu schicken. Ob eine neue Fraktion allerdings dauerhaft Bestandteil von Landespolitik wird, ist nicht entschieden, sondern entscheidet sich nur über die nächste und vielleicht übernächste Landtagswahl hinweg. Ob dies so sein wird, wird die Zukunft zeigen.
Wir als GRÜNE haben ausdrücklich gesagt: Wir reden mit allen im Hessischen Landtag vertretenen Fraktionen. Das heißt ausdrücklich, wir grenzen nicht aus. Das heißt aber nicht, dass wir auf Auseinandersetzung in der Sache verzichten werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Ankündigung des Herrn Ministerpräsidenten,bei bestimmten Entscheidungen das Gespräch mit Fraktionsvorsitzenden zu suchen, die hier im Landtag vertreten sind, und dabei eine Fraktion außen vor zu lassen – darüber sollten wir alle gemeinsam noch einmal nachdenken, ob dies der Weisheit letzter Schluss ist. Ich glaube, die Auseinandersetzung in der Sache gelingt am allerbesten, wenn man formal alle gleich behandelt.
Ich lege zweitens Wert darauf, dass es natürlich so ist, dass eine geschäftsführende Regierung nicht endlos amtieren sollte,auch wenn die Verfassungslage theoretisch die volle Legislaturperiode erlaubt.Aber ich stelle ebenso fest,dass auch 1982 und 1983 Hessen nicht untergegangen ist, auch wenn – ich wiederhole das – wir uns diese Situation nicht gewünscht haben.Wir werden auf am heutigen Tage nicht absehbare Zeit mit diesem Zustand leben müssen.
Ich stelle ausdrücklich fest – wenn ich auf die Bürgerinnen und Bürger blicke, die uns heute zuschauen, und wenn ich die Journalistinnen und Journalisten sehe,die uns heute in besonders großer Zahl beobachten –, dass Koalitionsspekulationen in der Öffentlichkeit natürlich immer unglaublich spannend sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, am Ende ist es aber in der Politik nicht nur entscheidend, wer mit wem, sondern am Ende ist die Frage entscheidend, was gemacht wird.
Insofern wird es eine neue Herausforderung sein. Wir werden uns nämlich, alle 110 hier – wobei wir das schon immer gemacht haben –, aber auch die Journalistinnen und Journalisten und mit ihnen die Öffentlichkeit, nicht mehr nur anschauen müssen, wer einen Antrag eingebracht hat, sondern vielleicht auch, was darin steht.
(Allgemeine Heiterkeit – Beifall bei dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN,der FDP,der SPD,der LIN- KEN und bei Abgeordneten der CDU)
Es ist erstaunlich, dass das etwas Besonderes sein soll. Liebe Kolleginnen und Kollegen, deswegen werden wir uns in dieser Phase, die jetzt kommt, als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Hessischen Landtag strikt an dem orientieren, was in der Sache nottut.
Wir sind nicht ohne Grund für einen Politikwechsel angetreten. Deswegen hat es auch einen Grund, dass am heutigen ersten Tag der Legislaturperiode in drei Bereichen von uns schon Anträge eingebracht sind, nämlich in der Frage, wie eine dringend nötige Neubestimmung der hessischen Bildungspolitik aussieht – dieser Antrag von uns liegt bereits vor –, und dass es als einen der ersten Punkte hier eine parlamentarische Debatte über die Frage geben wird, ob Studieren in Hessen weiterhin Geld kostet.Auch dieser Antrag, in diesem Fall gemeinsam mit den Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, liegt vor.
Herr Kollege Hahn, ich gehe ausdrücklich auf das ein, was Sie gesagt haben: Wir als GRÜNE werden immer Wert darauf legen, dass auch die Gegenfinanzierung gesichert ist. Wir haben das in unserem Modell zu den Studiengebühren auch getan.
Einen dritten Bereich will ich nennen. Wir glauben, dass es an der Zeit ist, die Energiewende endlich ernst zu nehmen.Auch zu diesem Punkt liegt bereits ein Antrag unserer Fraktion vor.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben eine besondere Verantwortung.Wir laden alle 110 Abgeordneten ein,mit uns über die Sache zu reden.Ich weiß,dass wir unter besonderer Beobachtung stehen. Aber ich sage noch einmal: Die Sache ist am Ende entscheidend.
Wenn ich sehe, wer mich heute Morgen schon alles angesprochen hat und wie viele diverse Kurzmitteilungen ich auf meinem Mobiltelefon über die Frage erhalten habe, ob die Tatsache, dass ich eine Krawatte trage, irgendetwas mit Koalitionsspekulationen zu tun habe,
kann ich Ihnen sagen: Ich habe schon bei der letzten konstituierenden Sitzung eine Krawatte getragen.
sondern – die Kollegen Fraktionsvorsitzenden der 16. Wahlperiode wissen das – ich trage auch jedes Jahr am 1. Dezember anlässlich des Verfassungstages eine Krawatte.
Was ich damit sagen will, ist: Es ist wichtig, dass man nicht aus jeder Kleinigkeit schon versucht, einen riesigen Luftballon aufzublasen. Deswegen eine herzliche Einladung an alle: Die Drucksachen des Hessischen Landtags, der Inhalt von Gesetzentwürfen, der Inhalt von Anträgen werden etwas sein, was glücklicherweise in den nächsten Wochen und Monaten auf besondere Aufmerksamkeit stoßen wird. Ich will das, was uns jetzt bevorsteht, wirklich
nicht zum Modell erklären. Aber wir haben uns vorgenommen, im Interesse der Sache das Beste daraus zu machen.
Herr Ministerpräsident, ich stelle ausdrücklich fest, dass die Verfassungslage Ihnen gebietet, die laufenden Geschäfte der Landesregierung fortzuführen.Wir empfehlen auch im Interesse der Sache etwas, was vielleicht auch für Sie – wenn ich mir die letzte Wahlperiode betrachte, und die Ministerinnen und Minister sind dieselben aus der letzten Wahlperiode – neu ist: Zurückhaltung. Das heißt nicht, dass Sie nicht das tun müssen, was die Sache gebietet. Aber ich glaube, dass, wenn wir wirklich an der Sache orientiert und verantwortungsvoll im Interesse der Bürgerinnen und Bürger unsere Rolle spielen,Zurückhaltung ein Wert ist, den wir uns hier alle, inklusive der geschäftsführenden Landesregierung, auferlegen sollten.
Um es so herum zu sagen: Herr Ministerpräsident, auch ich habe die Debatte vom 1. Dezember 1982 nachgelesen. Sie sind der Geschäftsführer, und wir alle im Parlament sind der Vorstand. Und das funktioniert nur, wenn man nicht gegenseitig versucht, sich ständig ein Bein zu stellen.
Wir nehmen Sie bei Ihrem Wort, dass Sie der freundliche Helfer des Parlaments sein wollen. Vielleicht sehen Sie mir es nach: Nach den Erfahrungen, die ich hier in den letzten Jahren gemacht habe, steht da noch die Probe aufs Exempel an. Aber auch für uns sage ich: Wer denkt, jetzt steht die Stunde des gegenseitigen Blockierens an, der irrt. Ich glaube, das würde am Ende uns allen schaden.
Ich will noch einen allerletzten Satz sagen. Wir müssen uns jetzt vergegenwärtigen – das gilt ebenfalls für alle 110 Abgeordneten –, dass nicht mehr jeder Gesetzentwurf und jeder Antrag, der hier eingebracht wird, entweder automatisch beschlossen oder automatisch nicht beschlossen wird.Das ist für alle Seiten etwas Neues.Das bedeutet auch, man sollte hier keine Anträge nach dem Motto „Ich habe hier einmal ein Plakat ins Schaufenster gehängt“, einbringen, sondern man muss sich immer vergegenwärtigen, es könnte sein, dass der Antrag eine Mehrheit erhält.
Was das für uns alle an besonderer Verantwortung mit sich bringt, das werden wir in den nächsten Monaten leider austesten müssen. Aber wir wollen das Beste daraus machen. – Vielen herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Al-Wazir. – Als Nächstem erteile ich dem Vorsitzenden der LINKEN, Herrn van Ooyen, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident, meinen Damen und Herren! Ich weiß, wir sind neu in diesem neuen Landtag. Tarek Al-Wazir hat schon darauf hingewiesen, dass es dafür einen Grund gibt, dass eine neue Partei in diesen Landtag eingetreten ist. Das hängt damit zusammen, dass wir andere Themen, andere Inhalte, andere Schwerpunkte gesetzt haben, die bisher im Landtag nicht vertreten waren.