Protokoll der Sitzung vom 04.06.2008

Die vereinbarte Redezeit beträgt zehn Minuten. Erste Wortmeldung, Frau Ypsilanti,Vorsitzende der SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir haben einen Aufschwung in diesem Land. Die Arbeitslosenzahlen gehen zurück, und die Wirtschaft wächst. Politik hat auch die Aufgabe, denen einen Anteil am Aufschwung zu gewähren, die diesen Aufschwung mit erarbeitet haben, die den Gürtel die ganze Zeit enger geschnallt haben und die jetzt davon bedroht sind, in prekären Arbeitsverhältnissen zu landen.

(Beifall bei der SPD)

Unser Ziel bleibt die Vollbeschäftigung.Unser Ziel bleibt, gute Arbeitsverhältnisse zu schaffen.Wer den ganzen Tag arbeiten muss, der soll von dem, was er verdient, leben können.

(Beifall bei der SPD)

Diesen gesellschaftlichen Auftrag nehmen die CDU und die geschäftsführende Landesregierung nicht wahr. Sie verweigern sich immer noch der Einführung gesetzlicher Mindestlöhne. Stattdessen werden tarifvertragliche Regelungen empfohlen. Wie Sie mit tarifvertraglichen Regelungen umgehen, haben wir im letzten Jahr erfahren. Sie haben den Gewerkschaften jahrelang verweigert, Tarifverträge auf Augenhöhe zu verhandeln. Sie haben nach Gutsherrenart per Gesetz über die Höhe der Entlohnung entschieden. Sie haben sich erst jetzt und erst unter dem Druck einer anderen parlamentarischen Mehrheit dazu aufraffen können, Tarifverträge für die Angestellten im öffentlichen Dienst abzuschließen. Meine Damen und Herren von der CDU und von der geschäftsführenden Landesregierung, gehen Sie aber davon aus, dass die Angestellten dieses Landes genau das sehr wohl zur Kenntnis genommen haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir freuen uns natürlich über diese Lohnerhöhung, aber die Weigerung der geschäftsführenden Landesregierung, trotz eines Beschlusses des Landtags in die Tarifgemeinschaft der Länder einzutreten, macht deutlich, dass für die CDU Tarifverträge keine Bausteine unserer sozialen Ordnung sind.

(Michael Boddenberg (CDU): Quatsch!)

Die Wendigkeit der geschäftsführenden Landesregierung, die wir auch hier immer öfter vor Augen geführt bekommen, zeigt sich natürlich in allen Richtungen. Wenn wir die Energiepolitik betrachten, dann warten wir jeden Tag darauf, dass der Ministerpräsident mit Turnschuhen hier ins Parlament kommt.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Aber es gibt auch die Kehrseite der Medaille.

(Zuruf des Ministers Stefan Grüttner)

Wenn Sie irgendwann so öko sind, dass Sie wissen, was ein Flotzmaul ist, dann reden wir wieder darüber.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Minister Stefan Grüttner: Ich hätte es gewusst!)

Die Kehrseite der Medaille konnten wir in der vorletzten Woche im Bundesrat miterleben. Wir erinnern uns, dass die Landesregierung jahrelang eine Verweigerungshaltung zeigte, was die Frage der Tariftreue anging. Dann haben wir erlebt, dass im Wahlkampfjahr kurzfristig doch ein Gesetz zur Tariftreue vorgelegt wurde. Sogar die Gewerkschaften waren überrascht. Die Landesregierung hat aber die erstbeste Gelegenheit ergriffen, dieses Gesetz durch die Hintertür wieder abzuschaffen. Meine Damen und Herren von der CDU, das ist keine nachhaltige Politik.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wie sollen wir es sonst verstehen, dass die geschäftsführende Landesregierung die Bundesratsinitiative des Landes Rheinland-Pfalz abgelehnt hat, die bestehenden Regeln zur Tariftreue in den Ländern, also auch die hessischen, europafest zu machen? Sie nehmen damit in Kauf, dass auch künftig auf hessischen Baustellen Dumpinglöhne gezahlt werden und dass die Tariftreue der Unternehmen dabei auf der Strecke bleibt.Auf ein kurzfristiges sozialpolitisches Wahlkampfhoch folgt also das gewohnte Gerechtigkeitstief der CDU.

(Beifall bei der SPD)

So geht man eben nicht mit der Würde der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer um. Sie von der CDU nehmen übrigens auch Ihre Verantwortung gegenüber den Unternehmen nicht wahr, die keine Dumpinglöhne bezahlen wollen, die aber, wenn es kein Tariftreuegesetz gibt,Angst haben müssen, im Vergleich mit anderen Unternehmen nicht mehr wettbewerbsfähig zu sein.

(Beifall bei der SPD)

Wir unterstützen den Abschluss starker Tarifverträge, die einen gerechten Lohn, einen gerechten Anteil an dem Erwirtschafteten festschreiben. Wir wissen mittlerweile, wie die Realität aussieht.Die Realität darf man hier nicht ausblenden. Wir wissen, dass es mittlerweile tarifvertraglich festgelegte Löhne gibt, die eben nicht leisten, was sie leisten sollen, dass nämlich die Menschen, die den ganzen Tag arbeiten, von ihrem Lohn leben können. Die Realität ist, dass heute Dumpinglöhne für Tätigkeiten gezahlt werden, die eigentlich als ordentliche Arbeit gelten. Wir wissen auch, dass das nicht nur niedrig Qualifizierte, sondern mittlerweile auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer trifft, die eine gute Ausbildung haben. Die machen inzwischen 60 % der Betroffenen aus.

Die Billiglöhne haben mittlerweile auch Tätigkeitsfelder wie z. B. das Fahren von Linienbussen oder Montagearbeiten erreicht. Realität ist, dass sich die Niedriglöhne immer weiter ausbreiten. Realität ist auch, dass wir mittlerweile 783.000 Beschäftigte in Hessen haben, die zwar vollzeiterwerbstätig sind, aber ein Einkommen haben, das nicht zum Leben ausreicht, und die deshalb Transferleistungen vom Staat erhalten. Meine Damen und Herren, wahr ist auch, dass ein Viertel aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Niedriglohnsektor arbeitet. Darauf muss die Politik eine Antwort geben.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Herr Boddenberg, die Antwort, die Sie nach wie vor geben, reicht uns nicht aus. Ihre Antwort ist, dass diejenigen, die von ihrer Erwerbsarbeit nicht leben können, eben Transferleistungen vom Staat erhalten müssen.Wir sagen, dass die Staatskassen nicht dazu da sind, Dumpinglöhne zu subventionieren.

(Beifall bei der SPD)

Um auch das klarzustellen: Wer den ganzen Tag arbeitet, muss nicht nur sich selbst, sondern auch seine Familie von dem Lohn für diese Arbeit ernähren können. Es geht nicht nur um Essen und Trinken, sondern übrigens auch um die Teilhabe arbeitender Menschen am sozialen und kulturellen Leben in diesem Land.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb brauchen wir Regeln. Wir brauchen Regeln, damit die Gesellschaft in diesem Teil zusammenbleiben kann. Wir brauchen Regeln, die dafür sorgen, dass sich nicht die einen auf Kosten der anderen bereichern. Wir brauchen auch verbindliche Regeln dafür, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Unsere Antwort ist: Dort, wo es Tarifparteien gibt, die Löhne und Mindestlöhne aushandeln, sollen diese Vorrang haben.Deshalb fordern wir die Landesregierung auf, die Initiative zur Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu unterstützen.Aber dort, wo das nicht möglich ist, müssen wir über gesetzliche Mindestlöhne reden.

(Beifall bei der SPD)

Vordringlich und vorrangig gilt das mittlerweile für die Leiharbeitsbranche. Meine Damen und Herren von der CDU, auch da setzen Sie sich noch heftig zur Wehr. Wir nehmen zur Kenntnis – das müssen auch Sie zur Kenntnis nehmen –,dass die Leiharbeitsfirmen,die ihre Mitarbeiter ordentlich entlohnen möchten, einen gesetzlichen Mindestlohn haben wollen. Die wehren sich überhaupt nicht dagegen. Das sollten auch Sie zur Kenntnis nehmen.

Der Standort Hessen ist auf gute, auf hochwertige Arbeit von gut motivierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern angewiesen. Aber ein Hochleistungsland muss meines Erachtens auch ein Hochlohnland sein. Ansonsten verspielen wir auch an dieser Stelle ein Stück unserer Zukunft.

Wir müssen uns der Leiharbeit zuwenden, weil sie mittlerweile leider ein Instrument zur Einführung von Dumpinglöhnen geworden ist.Wir haben in den letzten Jahren eine Zunahme der Leiharbeitsverhältnisse um 60 % feststellen können – mit steigender Tendenz.

Die Leiharbeit hatte einmal einen anderen Sinn. Die Leiharbeit diente den Unternehmen dazu, ihre Auftrags

spitzen abzuarbeiten. Die Leiharbeit hatte auch den Sinn, Langzeitarbeitslose an feste Arbeit heranzuführen.

Was ist passiert? Kleine Unternehmen mit bis zu zehn Beschäftigten nutzen die Leiharbeit so gut wie gar nicht. Aber in der Hälfte der Großunternehmen mit mehr als 5.000 Angestellten kommt Leiharbeit vor. Da die Großbetriebe bei der Abarbeitung ihrer Auftragsspitzen mit vielen Mitarbeitern viel flexibler sind, liegt die Annahme nahe, dass die Leiharbeit nicht so sehr zur Flexibilisierung der Arbeit eingesetzt wird, sondern eher zur Lohnsenkung dient.Das haben übrigens auch Untersuchungen des DGB ergeben.

Das gilt auch für den individuellen Klebeeffekt von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die als Leiharbeitnehmerinnen bzw. -arbeitnehmer eingestellt worden sind. Die Hälfte der Betriebe – nur die Hälfte – übernimmt gerade einmal 5 % der Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer.

Ich glaube, die Leiharbeit, wie sie heute gehandhabt wird, ist eine Möglichkeit, durch die Hintertür Billiglöhne in Branchen einzuführen, die eigentlich noch gute, tarifvertraglich abgesicherte Arbeitsverhältnisse haben. Durch die zunehmende Umwandlung von normalen Arbeitsverhältnissen in Leiharbeitsverhältnisse wächst natürlich auch der Druck auf die Stammbelegschaften. Wir wissen, dass schon viele Stammbelegschaften durch Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer ausgetauscht worden sind.

Frau Kollegin Ypsilanti, ich darf Sie bitten, zum Schluss Ihrer Rede zu kommen.

Deshalb fordern wir die Landesregierung auf, eine Bundesratsinitiative zu ergreifen,die drei Punkte beinhalten muss:Erstens.Nach einer Einarbeitungszeit muss es in einem Betrieb für Leiharbeitnehmer und Stammbelegschaft den gleichen Lohn für die gleiche Arbeit geben.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Zweitens. Die maximale Verleihzeit und der prozentuale Anteil an der Gesamtbelegschaft müssen begrenzt werden.

Drittens. Die Leiharbeitsbranche muss in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen werden.

Die Leiharbeiter brauchen Schutz. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer brauchen Schutz. Die Unternehmen, die die Arbeit ihrer Mitarbeiter gut bezahlen wollen, brauchen Schutz. Natürlich brauchen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Schutz vor Billig- und Dumpinglöhnen. Deshalb bleibt dieser Punkt auf der Tagesordnung. Dieses Land hat nämlich nicht nur eine Verantwortung für die hessischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern es hat auch eine Verantwortung gegenüber dem Bund.

Daraus werden wir Sie nicht entlassen. Sie suchen offensichtlich nach einem neuen christdemokratischen Programm. Ich kann Ihnen nur empfehlen, auf die CDA zu hören, die genau diesen Vorschlag der Einführung von Mindestlöhnen macht.Wir bleiben dabei:

Frau Kollegin Ypsilanti, ich darf Sie jetzt noch einmal bitten, zum Schluss Ihrer Rede zu kommen, und zwar zügig.

Wir werden hier immer wieder darüber reden.

(Anhaltender Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Ypsilanti. – Die nächste Rednerin ist Frau Kollegin Müller-Klepper für die CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit diesem Antrag versucht die SPD, ihr Lieblingsthema Mindestlohn zu beleben, um von ihrem handwerklichen Dilettantismus der letzten Monate und ihrer Regierungsunfähigkeit abzulenken.