Protokoll der Sitzung vom 27.08.2008

Nun kommen wir zu dem Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt. Dieses Urteil beklagt die fehlende Integrationsleistung der Eltern. Dort steht, die wirtschaftliche und gesellschaftliche Integration sei eben gerade nicht gelungen. Es erläutert aber auch, dass die mangelnden Sprachkenntnisse und die mangelnde Vertrautheit mit den türkischen Verhältnissen den Kindern – so das Urteil

keine Lebensperspektiven in der Türkei bieten. Der Umstand, dass die Kinder nicht die türkische Amtssprache beherrschen, führt am Ende dazu – so das Ergebnis des Verwaltungsgerichts –, dass ein Aufenthaltsrecht für die Kinder, und über das Aufenthaltsrecht der Kinder für die Mutter, in Deutschland gegeben sein soll.

Das Gericht sagt aber auch, das habe eine so grundsätzliche Bedeutung, dass die Zulassung der Berufung im Urteil ausdrücklich niedergelegt ist. Deswegen kommen wir zu der Auffassung,dass wir diese Berufung,weil das Urteil eine grundsätzliche Bedeutung hat und es dann eben auch über viele andere Fälle eine Entscheidung getroffen hat, abwarten müssen. Es ist aus rechtlichen Gründen gerade nicht möglich, die Familie zurückzuholen und gleichzeitig die Berufung durchzuführen.

Wir sind der Auffassung, dass wir das Gerichtsurteil des VGH abwarten müssen und sollten, weil es von grundsätzlicher Bedeutung für diese Fragen ist. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Nächste Wortmeldung, Herr Abg. Degen für die Fraktion der SPD.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte Ihnen das Petitum noch einmal in Erinnerung rufen. Es geht dabei ausdrücklich darum, dass wir als Ausschuss anerkennen,dass diese Grundsatzentscheidung getroffen werden soll, dass aber dennoch aus humanitären Gründen der Familie – Familie heißt hier: Mutter und Kinder – die Möglichkeit gegeben werden soll, nach Deutschland zurückzukehren.

Ich sage deshalb „Mutter und Kinder“, weil der straffällig gewordene Vater längst nicht mehr mit berücksichtigt wird. Zur Erinnerung: Die Abschiebung fand bereits im Februar 2007 statt. Seitdem ist die Familie einem Prozess der Hoffnung und der Enttäuschung ausgeliefert. Ein zeitnahes Handeln ist längst überfällig.

Die Abschiebekosten wurden aufgebracht, eine Verpflichtungserklärung des Helferkreises liegt längst vor, der Lebensunterhalt der Mutter und der Kinder ist gesichert, auch eine Wohnung und ein Arbeitsplatz wurden organisiert. Frau Kazan selbst hat sich von ihrem Ehemann getrennt und durchaus einiges bewegt, um eine Wiedereinreise möglich zu machen. Sie hat dementsprechend guten Willen bekundet.

Während dieser ganzen Zeit wurden Hoffnungen immer wieder zunichte gemacht.Ich erinnere z.B.nur daran,dass im Juli letzten Jahres nach längerer Überlegung der Landrat des Main-Kinzig-Kreises bereit war, der Wiedereinreise zuzustimmen, nachdem zuvor vom Regierungspräsidium die Entscheidung in seine Hände gelegt wurde. Nachdem sich der Landrat zu dieser Entscheidung durchgerungen hatte, kam das Veto aus dem Innenministerium, eben doch nicht zuzustimmen.

Im März 2008 gab es neue Hoffnung für die Familie. Das besagte Verwaltungsgerichtsurteil bezeichnete die Kinder als faktische Inländer und hat die hohe Integrationsleistung der Kinder anerkannt. Dann kam wieder der Schlag, die Berufung wurde eingelegt, das Verfahren läuft noch

immer und wird in naher Zukunft nicht abgeschlossen sein.

Es geht dabei vor allem um die Lebensperspektiven der Kinder.Das will ich noch einmal betonen,das habe ich bereits während der Debatte im Mai-Plenum gesagt. Die Kinder sprechen kein Türkisch, sie können keine türkische Schule besuchen. Sie sind keine Deutschen, sie dürfen dementsprechend nicht die Deutsche Schule in Istanbul besuchen. Ihnen werden Lebensperspektiven geraubt und die Schulbildung vorenthalten.

Im Wortbeitrag meines Vorredners ist angeklungen, dass seit 1993 durchaus eine lange Zeit vergangen ist und der Familie die Gelegenheit gegeben wurde, sich zu integrieren. Ob man das jetzt positiv oder negativ sehen will, will ich dahingestellt lassen.Wir sollten aber den gleichen Fehler nicht noch einmal machen, jetzt wieder Zeit verstreichen lassen und immer wieder durch weitere Verfahren, durch weiteres Überlegen und Abwarten die Familie, vor allem die Kinder, in der Türkei der Situation ausgeliefert lassen, bis sich das irgendwann von selbst erledigt und sie in Deutschland den Anschluss nicht mehr finden werden.

Meine Damen und Herren, die SPD-Fraktion hat diese Petition zur Berücksichtigung empfohlen.Wir werden der Empfehlung selbstverständlich zustimmen. Holen wir die Familie endlich nach Hause. – Danke schön.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Das Wort hat nun Herr Abg. Rock für die Fraktion der FDP.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Auch ich will ein paar Worte zu der Petition bzw.zur Familie Kazan sagen. Die Abgeordneten der FDP im Petitionsausschuss haben sich in der Sondersitzung des Ausschusses am 31. Juli dafür ausgesprochen, dass Frau Kazan und ihren Kindern eine Rückkehr nach Deutschland für einen zunächst begrenzten Zeitraum ermöglicht wird.

(Beifall bei der FDP, der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Den Kindern der Familie Kazan wurde durch Gerichtsurteil des VG Frankfurt das Recht auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen zuerkannt. Das Land Hessen hat hiergegen Berufung eingelegt. Bereits in der letzten Debatte im Plenum zu diesem Thema hat die FDP dargelegt, dass sie die Urteilsbegründung für sehr nachfragefähig hält. Es bleibt abzuwarten, welches Urteil im Berufungsverfahren ergehen wird. Sollte das Land Hessen im Berufungsverfahren scheitern, wird das für alle ausländischen Familien in Hessen, die nach dem Aufenthaltsgesetz ausreisepflichtig sind, aber aufgrund ihres langen Aufenthalts hier geborene und gut integrierte Kinder haben, zu Aufenthaltserlaubnissen führen. Das wäre ein Präzedenzfall, der sehr große Auswirkungen hätte.

Da nicht auszuschließen ist, dass die Familie Kazan auf diesem Wege doch noch ein Aufenthaltsrecht erhält, wäre es aus humanitären Aspekten aus unserer Sicht notwendig, der Familie Kazan, gerade den Kindern, zu ermöglichen, bis zum Abschluss des Gerichtsverfahrens weiterhin die deutsche Schule zu besuchen. Die Familie, be

sonders die Kinder, sind der türkischen Sprache in Wort und Schrift nicht hinreichend mächtig,um in das türkische Schulsystem integriert zu werden. Sie hätten später wieder Probleme, den Anschluss in Deutschland zu finden.

Das Land Hessen sollte hier im Interesse der betroffenen Kinder großzügig sein und dem vorläufigen Gerichtsurteil folgen. Es vergibt sich unserer Ansicht nach nichts dabei, für die Dauer des Berufungsverfahrens den Kindern den Schulbesuch zu ermöglichen, zumal der Lebensunterhalt – das haben wir hier mehrmals gehört – der Familie gesichert ist. Die Kinder sollten nach unserer Sicht nicht unter den juristischen Mühlsteinen leiden müssen. Darum werden wir der Beschlussempfehlung zu dieser Petition zustimmen.

(Beifall bei der FDP, der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Nächste Wortmeldung,Frau Abg.Cárdenas,Fraktion DIE LINKE.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich denke, es ist in der Debatte alles zu dem Fall Kazan gesagt worden, zu den humanitären Aspekten des Falls Kazan. Einen Punkt möchte ich ergänzen. Ich war in der Debatte im Petitionsausschuss dabei, als auch Herr Bouffier da war. Wir haben dort auch argumentiert, dass natürlich das Gerichtsurteil für die Kinder und die Mutter auch hier abzuwarten sein könnte, dass es eine unbillige Härte wäre, sie so lange dort zu lassen, wenn die Kinder dort nicht in die Schule gehen können, usw.

Ich habe in der Aktuellen Stunde vor einigen Monaten zu dem Fall Kazan ausgeführt – das möchte ich kurz zitieren –: Auch an diesem Punkt ist wieder einmal aufzuzeigen,

dass ein Regierungswechsel und folglich ein anderer Innenminister für betroffene Familien eine andere Politik umgesetzt hätte. Ein Innenminister, der nicht bereit ist, einen Asylstopp, den die Legislative beschlossen hat, umzusetzen, ist nicht hinnehmbar. Ein Innenminister, der Beschlüsse der Exekutive nicht respektiert,

ebenso wenig.

Inzwischen haben wir andere Punkte, die dazugekommen sind. Das sind die Rückkehr in die TdL und auch das Petitionsverfahren, das er an sich ziehen möchte.

Ich möchte ganz dringend bitten, dass wir als gesamtes Haus – vier Fraktionen haben sich schon hinter die Familie Kazan und hinter den Beschluss des Petitionsausschusses gestellt – den Innenminister auffordern, seine Aktivitäten im Fall Kazan zurückzunehmen. – Danke.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN)

Das Wort hat der hessische Innenminister Bouffier.

Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Ich kann das Anliegen, das jetzt von vier Fraktionen vorgetragen wurde,menschlich sehr gut nachvollziehen.Ich weiß auch, was es bedeutet, wenn erstmals in über neuneinhalb Jahren, so wie es sich wohl abzeichnet, das Parlament eine Berücksichtigungsempfehlung abgibt. Das hat Gewicht.

Aber eines ist auch klar: Das kann alles nichts an meiner Verantwortung ändern. Es bleibt in der Zuständigkeit des zuständigen Ministers, und es bleibt meine Pflicht, nach Recht und Gesetz zu entscheiden und nicht willkürlich. – Den letzten Beitrag will ich nicht näher kommentieren. – Das muss jeder Minister.

Wir haben einen Fall, der außergewöhnliche Facetten hat. Vor eineinhalb Jahren hat der Main-Kinzig-Kreis diese Familie nach einem langen Verfahren abgeschoben. Die Mutter ist mit den Kindern in Istanbul.Der Vater befindet sich, wie ich höre, auch irgendwo in der Türkei. Das Ehepaar Kazan ist noch verheiratet, wahrscheinlich getrennt, aber verheiratet. Das hat ausländerrechtlich große Bedeutung, wie alle Insider wissen.

Die Eltern sind, wie auch das Verwaltungsgericht in Frankfurt festgestellt hat, nachweislich nicht integriert, beide nicht. Beide sind straffällig gewesen. Das sind Gesichtspunkte, die jedenfalls aus meiner Sicht eine schlichte, einfache Antwort verbieten.

Jetzt haben wir eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt, und Herr Kollege Beuth hat darauf hingewiesen, dass das Gericht selbst die Berufung sozusagen auf den Teller gelegt hat. Was hat das Verwaltungsgericht Frankfurt eigentlich entschieden? Das ist für mich der schwierigste Punkt in der ganzen Sache. Es hat im Urteil gesagt: Die Eltern sind nicht integriert, und auch sonst gibt es manche Fragwürdigkeit. Es hat aber gesagt, die Kinder sind hier integriert gewesen, und sie werden sich dort im Zweifel nicht integrieren können. Deshalb überrage, einfach formuliert, das Recht der Kinder alles andere.

Das kann man so sehen. Es ist aber eine totale Abkehr von der gesamten Rechtsprechung, die es bisher in Deutschland gegeben hat.

(Lothar Quanz (SPD): Aber vielleicht ein guter Weg!)

Herr Kollege Vizepräsident, wenn Sie sagen: „vielleicht ein guter Weg“, dann will ich mit Ihnen gemeinsam über Folgendes nachdenken: Wenn wir nicht ununterbrochen willkürlich entscheiden wollen,mal so,mal so,je nachdem, wer vielleicht mehr Öffentlichkeit findet, dann müssen wir zur Kenntnis nehmen, ob wir grundsätzlich das Verhalten der Eltern vergessen müssen, wenn das Recht der Kinder alles überragt.

Wir haben Gesetze, bei denen das Verhalten der Eltern zu dem Ergebnis führt, dass sie auf keinen Fall zurück können. Das ist die Gesetzeslage. Das wird ernsthaft niemand bestreiten wollen.

Für mich ist viel schwieriger:Wenn es richtig sein soll – ich habe Ihnen das letzte Mal dargelegt, dass ich glaube, dass wir hier eine höchstrichterliche Entscheidung brauchen –, dass, von der Situation der Kinder abgeleitet, alles andere zurücktritt, dann kann das nicht nur für die Familie Kazan gelten. Dann möchte ich gerne auch die Frage erörtern: Was machen wir mit denen, die auch kein Aufenthaltsrecht haben und bei denen wir immer wieder diesen

schwierigen Weg der Abschiebung wählen? Denn in der Masse aller Fälle sind Kinder betroffen. Es sind in aller Regel Familien mit Kindern.

Ich lege größten Wert darauf, dass wir es uns nicht so einfach machen, wenn wir diesen Weg gehen, auch wenn Sie, Herr Kollege, sagen, das könnte ein kluger Weg sein. Wer diesen Weg geht,der kann nicht am Mittwoch im Falle Kazan so herum und am Donnerstag im Falle einer anderen Familie andersherum entscheiden. Deshalb hat die Angelegenheit außerordentlich schwierige Facetten.

Deshalb werden Sie auch verstehen, dass das gar nichts ist,was man mit großer Emotionalität – die ich menschlich verstehe, die mir hier aber nicht hilft – oder mit Schnellschüssen erledigt. Ich sehe, das will ich auch würdigen, die außergewöhnliche Unterstützungsleistung der Unterstützergruppe. Das weiß ich zu schätzen. Das ändert zunächst einmal juristisch nicht viel, aber es ist sicher in die Überlegungen einzubeziehen.

Deshalb werde ich, wenn Sie als Parlament so entscheiden, wie sich das andeutet, dieses Votum sehr ernst nehmen. Ich werde mir mit allen Mitarbeitern insbesondere die Frage der Konsequenzen einer solchen Entscheidung noch einmal sehr genau vornehmen. Ich werde mich auch mit der Unterstützergruppe treffen. Das haben wir schon

einmal gemacht. Wir haben einen Termin vereinbart. Ich werde dann so entscheiden, wie ich glaube, dass ich es nach bestem Wissen und Gewissen tun kann, und werde dann den Landtag darüber unterrichten.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister. Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Ich lasse über diese Petition abstimmen. Wer der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses zustimmen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Bei Zustimmung durch die Fraktionen der SPD, der FDP, der GRÜNEN und der LINKEN und bei Ablehnung durch die Fraktion der CDU sowie bei einer Enthaltung wird diese Petition der Landesregierung zur Berücksichtigung überwiesen.