Protokoll der Sitzung vom 28.08.2008

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dabei geht es nicht darum, die repräsentative Demokratie anzutasten. Diese Regierungsform hat sich mehr als bewährt.Wir wären als Hessischer Landtag mehr als schlecht beraten, wenn wir den Ausbau der direkten Demokratie mit einer in aller Regel doch ziemlich billigen und von allen möglichen Hintergedanken befallenen Fundamentalkritk an der repräsentativen Demokratie verbinden würden. Nein, darum geht es nicht. Es muss bei den Versuchen, die demokratischen Mechanismen zu reformieren, um Optimierung gehen, um Zugewinn an Legitimität, an Transparenz und um besseres Regieren überhaupt.

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind davon überzeugt, dass der partizipative Staat der bessere, ja durchaus auch im Wettbewerb der überlegene Staat sein wird.Auch das wird man in Zeiten einmal sagen dürfen, in denen es zum guten Ton gehört, von Standortkonkurrenz, von Wettbewerbsföderalismus und dergleichen mehr zu reden.

Deshalb und nicht aus einem Misstrauen gegen die bestehenden Institutionen heraus wird die SPD-Fraktion alle Versuche, die Hessische Verfassung als demokratische Verfassung weiterzuentwickeln, konstruktiv aufgreifen. Wir sehen deshalb den Ausschussberatungen der heute vorgelegten Gesetzentwürfe gerne entgegen. Wir hoffen, dass sie sich zu einem wichtigen Element der Erneuerung entwickeln werden, die in Hessen jetzt ansteht.

Natürlich sind Einzelfragen, wie die Details eines Ausführungsgesetzes, praktikablere Quoren, die Frage nach Einwohnern und anderes mehr, diskussionswürdig. Hier und da wird man auch kontrovers zu diskutieren haben. Dies ist bei innovativen Projekten der Normsetzung ganz normal. Jeder, der einen solchen Vorschlag macht, wird darum wissen, gleich ob es sich um Verfassungspolitik, Energiewende oder andere wesentliche Themen des Aufbruchs handelt.

Wir denken, dass diese Fragen ebenso wie das Gesamtkonzept zunächst im Ausschuss gründlich und auf der Grundlage einer Anhörung beraten werden müssen. Wir würden es uns sehr wünschen, wenn es gerade bei dieser Thematik zu einem breiten Konsens im Landtag kommen würde und nicht wieder Pakete aufleben, die mehr Demokratie geben und das absolute Votum der hessischen Bevölkerung bei Verfassungsfragen schleifen wollen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Verfassung ist ein besonderer Stoff. In unserer sehr pluralen Welt ist es nur schwer möglich, allgemeinen Konsens zu stiften. Wir Hessinnen und Hessen können im Moment davon ein Lied singen. Es hat in jüngster Zeit Versuche gegeben, dies durch einen Rekurs auf eine vorgebliche Leitkultur zu leisten. Sie sind, wie man weiß, kläglich gescheitert.

Ebenso ist das Zeitalter der umfassenden Ideologien perdu. Der eine oder andere hat es zwar noch nicht gemerkt und erregt sich nach alter Väter Unsitte, aber außer schwankenden Gestalten ist in diesem Bereich nichts Integrierendes mehr auf dem Markt. Summa summarum: Außer der Verfassung bleibt uns nicht viel, auf das wir uns gemeinsam beziehen können.

Jürgen Habermas – ich denke, Jürgen Habermas kann man in diesem Haus noch zitieren – hat auch in diesem Punkt recht:

Sie ist das Kern- und Herzstück der Institutionen, und hier ist ein ganz besonders sorgsamer Umgang angezeigt.

Die zwei Jahrzehnte lang geführte Debatte darüber, was die Gesellschaft der Vielfalt noch zusammenhält, hat uns dies allen vor Augen geführt.

(Beifall bei der SPD)

Es wäre also schön,wenn sich in dem Verfahren,das heute beginnt, doch noch ein Konsens finden ließe. Ich sage hier ganz deutlich: Parteipolitisches Profilierungsranking sollte in den basalen normativen Grundlagen unserer Gesellschaftsordnung seine Grenzen finden. In Hessen haben jeweilige Landtagsmehrheiten in aller Regel davon abgesehen, das Volk mit hoch kontroversen Änderungsvorschlägen zu konfrontieren. Dies gehört zur guten Staatspraxis in unserem Land.

Auch das will ich nicht verhehlen: Wir haben in diesem Zusammenhang sehr wohl registriert, dass diejenigen, die einst einmal über die absolute Mehrheit verfügten, diese nicht dazu genutzt haben, die Kontroverse in der Enquetekommission zu majorisieren, was immer die Gründe für diese praktizierte Vernunft gewesen sein mögen. Das sage ich offen als hessische Staatsbürgerin.

(Beifall bei der SPD – Axel Wintermeyer (CDU): Wir sind eben vernünftig!)

Deshalb werden wir erst recht dafür werben, dass eine gemeinsame Lösung in Sachen Weiterentwicklung der Volksgesetzgebung zustande kommt. Eine solche Weiterentwicklung steht an. Es ist unsere Pflicht, uns um eine gute Lösung zu kümmern. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Pauly-Bender. – Das Wort für die Landesregierung erhält Herr Innenminister Volker Bouffier.

Frau Präsidentin, meine Damen, meine Herren! Bei solchen Grundfragen, die hier diskutiert werden, möchte die Regierung nicht zurückstehen. Um aber den Kolleginnen und Kollegen noch einen Rest von Mittagspause zu gönnen, gestatten Sie mir zwei kurze Bemerkungen.

Zunächst will ich meine Zurückhaltung gegenüber einer Ausweitung plebiszitärer Elemente nicht verhehlen. Andererseits gibt es eine Reihe von Ansätzen, die ich durchaus für erwägenswert halte.

Aus der Sicht der Landesregierung ist es wichtig – ich greife das auf, was Frau Kollegin Dr. Pauly-Bender gerade gesagt hat –, dass man, wenn man an Verfassungsänderungen herangeht,diese mit einem möglichst breiten Konsens vornehmen soll. Es ist im Übrigen Staatspraxis, dass das zunächst Angelegenheit des Landtags ist. Die Landesregierung wird die Erörterung in den Ausschüssen, vor allen Dingen im Hauptausschuss, intensiv begleiten, sodass Sie mir bitte nachsehen, dass ich zu Einzelheiten jetzt nicht Stellung nehme. Wenn Sie das allerdings wünschen, kann ich das gerne tun.

Frau Präsidentin, Sie hatten mich gebeten, es kurz zu machen. Ich will mich daran halten. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP sowie bei Abge- ordneten der SPD)

Nur der Korrektheit halber:Sie hatten selber den Wunsch, dass es kurz wird.

Meine Damen und Herren, es ist vorgeschlagen, die eingebrachten Gesetzentwürfe nach Abhaltung der ersten Lesung zur Vorbereitung der zweiten Lesung sowohl an den Hauptausschuss,federführend,als auch an den Innenausschuss, beteiligt, zu überweisen. – Wir verfahren so und treten nun in die Mittagspause ein.

Wir fangen um 14.15 Uhr wieder an. Guten Appetit.

(Unterbrechung von 13.34 bis 14.21 Uhr)

Meine Damen und Herren,ich eröffne die Sitzung wieder. Wir fahren fort mit der Wiederwahl des Hessischen Datenschutzbeauftragten.

Lassen Sie mich aber vor Aufruf des Tagesordnungspunktes 3 an den ersten hessischen und ebenso weltweit ersten Datenschutzbeauftragten erinnern. Es geht um Willi Birkelbach, der vor wenigen Wochen, am 17. Juli dieses Jahres, im Alter von 95 Jahren in Frankfurt am Main verstorben ist.

1913 wurde Willi Birkelbach in Frankfurt am Main als Sohn eines Fabrikarbeiters geboren. Er legte 1932 an der Oberrealschule in Frankfurt das Abitur ab. Nach Abschluss seinereine Lehre als Außenhandelskaufmann arbeitete erund arbeitetet in diesem Beruf und als Fremd

sprachenkorrespondent für verschiedene Firmen, unter anderem für die Hochtief AG.

Bereits als 17-Jähriger war Birkelbach 1930 Mitglied der SPD geworden. Er engagierte sich früh im Kampf gegen die NS-Diktatur. Aufgrund seiner illegalen Arbeit für die Sozialistische Arbeiterpartei (SAP) seit 1934 wurde er 1938 von der Gestapo verhaftet und zu einer Zuchthausstrafe verurteilt.

1942 wurde Willi Birkelbach in das berüchtigte Wehrmachtsstrafbataillon 999 eingezogen und kam 1944 in Albanien in Kriegsgefangenschaft. Nach seiner Rückkehr 1946 arbeitete er in seinem erlernten Beruf. 1947/48 war Willi Birkelbach Leiter der Gewerkschaftsschule des DGB Hessen in Oberursel.

Willi Birkelbach gehörte dem Deutschen Bundestag seit dessen erster Wahlperiode von 1949 bis 1964 an. Neben seiner Mitgliedschaft im Bundestag war er von 1952 bis 1964 Mitglied des Europaparlamentes und bekleidete dort das Amt des Fraktionsvorsitzenden der Sozialistischen Fraktion von 1956 bis 1964.

Zum 1. Oktober 1964 wurde er vom damaligen Ministerpräsidenten Georg August Zinn als Staatssekretär zum Chef der Hessischen Staatskanzlei berufen und wirkte in diesem Amt bis 1969. Nach der Verabschiedung des weltweit ersten Hessischen Datenschutzgesetzes durch den Hessischen Landtag am 30.09.1970 wurde Willi Birkelbach 1971 zum ersten Hessischen Datenschutzbeauftragten berufen. Er wirkte in diesem Amt bis 1974. Er hat mit seiner Persönlichkeit diesem Amt seine bis heute außerordentliche Prägung verliehen.

Sein vielfältiger Einsatz für Hessen, für die Bundesrepublik Deutschland und für Europa wurde unter anderem mit der Wilhelm-Leuschner-Medaille gewürdigt, mit dem Großen Bundesverdienstkreuz und der Willy-Brandt-Plakette der SPD. Darüber hinaus war er Honorary Commander of the Most Excellent Order of the British Empire.

Meine Damen und Herren, ich glaube, im Zusammenhang mit dem, was wir jetzt tun müssen, war es richtig und gut, an Willi Birkelbach zu erinnern, der wie gesagt, im Datenschutzbereich mit Hessen zusammen Zeichen gesetzt hat. – Ich danke herzlich für Ihre Aufmerksamkeit diesbezüglich.

(Allgemeiner Beifall)

Somit rufe ich jetzt Tagesordnungspunkt 3 auf:

Wahl des Hessischen Datenschutzbeauftragten

Nach § 21 Abs. 1 des Hessischen Datenschutzgesetzes schlägt die Landesregierung dem Hessischen Landtag den Datenschutzbeauftragten für die Dauer der 17. Wahlperiode zur Wahl vor. Eine Wiederwahl ist nach § 21 Abs. 4 des Hessischen Datenschutzgesetzes zulässig.

Mir liegt der Wahlvorschlag Drucks. 17/361 mit der Nominierung von Herrn Prof. Dr. Michael Ronellenfitsch zum Hessischen Datenschutzbeauftragten mit Wirkung für die Dauer der 17. Wahlperiode vor. Weitere Vorschläge werden nicht gemacht.

Meine Damen und Herren, wenn Sie nichts dagegen haben, schlage ich Ihnen vor, über diesen Wahlvorschlag per Akklamation abzustimmen. – Das wird akzeptiert.

Wer dem Wahlvorschlag Drucks. 17/361 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Dann stelle ich

fest, dass Herr Prof. Dr. Ronellenfitsch mit Wirkung für die Dauer der 17. Wahlperiode zum Hessischen Datenschutzbeauftragten wiedergewählt ist.

(Allgemeiner Beifall – Präsident Norbert Kart- mann und Prof. Dr. Michael Ronellenfitsch treten an das Rednerpult.)

Die Regie stimmt. Hier steht: Herr Prof. Dr. Ronellenfitsch betritt den Plenarsaal. Das hat geklappt.

(Heiterkeit)

Herr Prof. Ronellenfitsch, ich frage Sie: Nehmen Sie die Wahl an?

Prof. Dr. Michael Ronellenfitsch:

Ich nehme die Wahl an.