Protokoll der Sitzung vom 28.08.2008

In einer solchen Situation ist es besonders wichtig, dass das Vertrauen in unsere Verfassungs- und Staatsorgane gegeben und deren Integrität unbestritten ist. Herr Kollege Schaus, das gilt insbesondere für unsere Sicherheitsorgane.

Die Integrität wird gerade dann untergraben, wenn die ordnungsgemäße und rechtmäßige Amtsführung bestritten wird. Meine Damen und Herren, das ist im Innenausschuss des Hessischen Landtags durch die Unterstellung geschehen, das Landesamt für Verfassungsschutz habe vor dem Anschlag auf das 13-jährige Mädchen im Schwalm-Eder-Kreis mehr gewusst, aber pflichtwidrig nichts gemacht. Das ist der Vorwurf, den Herr Schaus erhoben hat.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Herr Schaus soll hier vorne hinkommen!)

Das Landesamt habe mehr gewusst, aber pflichtwidrig nichts gemacht. Es habe offenkundige Hinweise nicht bearbeitet. – Herr Kollege van Ooyen, es ist falsch, was Sie hier vorgetragen haben. Die besorgniserregende Situation im Schwalm-Eder-Kreis war bekannt, hier geht es aber um einen anderen Punkt. Hier geht es darum, dass offenkundige – so ist es im Innenausschuss formuliert worden – Hinweise nicht bearbeitet worden seien. – Den Beweis für diese Aussage sind Sie schuldig geblieben. Das ist nicht akzeptabel, darüber streiten wir an dieser Stelle.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Die FDP-Fraktion hat es zu Recht aufgegriffen. Dieser Vorwurf, der nicht bewiesen werden kann, kommt nicht von irgendwem. Dieser unbewiesene Vorwurf kommt von einem Repräsentanten eines Verfassungsorgans des Landes Hessen, dem Vizepräsidenten des Hessischen Landtags, Hermann Schaus. Das ist der unsägliche Vorgang, den wir hier beklagen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Herr Kollege Schaus, dieses Verhalten untergräbt die Autorität und die Integrität des Amtes des Vizepräsidenten.Deswegen ist auch die CDU-Fraktion der Auffassung, dass Sie als Vizepräsident dieses Landtags untragbar sind.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Ich möchte für die CDU-Fraktion feststellen, dass das Landesamt für Verfassungsschutz eine unverzichtbare Arbeit im Interesse der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unseres Landes im Sinne der wehrhaften Demokratie leistet.An dieser Stelle sind sich in diesem Haus zumindest vier Fraktionen einig. Dies gilt in alle Richtungen, ob Linksextremismus, ob Rechtsextremismus, ob Ausländerextremismus, ob Terrorismus, ob organisierte Kriminalität. Es handelt sich um einen Einsatz für Demokratie, für Freiheit, für Menschen- und Bürgerrechte, für Rechtsstaatlichkeit sowie für Meinungs- und Pressefreiheit, die auch für Sie gelten. Das Landesamt für Verfassungsschutz kämpft auch für Ihre Meinungsfreiheit. Das ist in der vorangegangenen Debatte schon deutlich geworden. Das ist gut und richtig in unserer Gesellschaft.

Für diese Werte, die unser Land als demokratischen Rechtsstaat ausmachen, arbeiten das Landesamt für Verfassungsschutz und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie haben es nicht verdient, in der von Ihnen gewählten Form angegriffen zu werden. Sie sind als Vizepräsident untragbar.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Herr Schaus soll sich hier vorne hinstellen und entschuldigen!)

Herzlichen Dank. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Rudolph das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, die Debatte zu dem vorherigen Tagesordnungspunkt hat die Position der SPD deutlich gemacht: Wir sind weder auf dem rechten noch auf dem linken Auge blind.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen wird auch dieser erneute Versuch von Ihnen, etwas zu konstruieren, misslingen. Worum geht es? Wir hatten eine Sitzung des Innenausschusses, in der der Abg. Schaus Ausführungen zum Verfassungsschutz gemacht hat. Diese Ausführungen teile ich – Frau Kollegin Sorge hat es auch schon ausgeführt – nicht.Es kam zu einer sinngemäßen Aussage, der Verfassungsschutz habe Hinweise auf diesen Vorfall im Schwalm-Eder-Kreis gehabt und nicht reagiert. Der Innenminister hat dies erkannt und gefordert, Ross und Reiter zu nennen. Das kam nicht, sondern ein leichtes Zurückrudern.

Was bleibt? Das sage ich an dieser Stelle sehr deutlich: Wenn es so wäre, wie Herr Schaus behauptet hat, wäre es ein politischer Skandal erster Ordnung. Es hätte Konsequenzen haben müssen. Die hätten wir alle eingefordert.

(Beifall bei der SPD, der CDU und der FDP)

Herr Schaus, da das offenkundig nicht der Fall ist, müssen Sie und auch DIE LINKE Ihr Verhältnis zum Verfassungsschutz klären. Auch das ist eine zentrale Frage, die natürlich geklärt werden muss.Vielleicht haben Sie an der einen oder anderen Stelle einen Tunnelblick. Der Verfassungsschutz hat bestimmte Aufgaben. Er ist politisch in der Bewertung und Diskussion nicht sakrosankt. Das ist, glaube ich, relativ unstrittig.Auch das ist das Wesen einer Demokratie. Das unterscheidet uns von anderen Staatsund Gesellschaftsformen.

(Beifall bei der SPD, der CDU, der FDP und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN)

Deswegen haben Sie mehr als dringenden Diskussionsund Beratungsbedarf.

Die Aufgaben des Verfassungsschutzes haben sich auch geändert. Es bleiben insbesondere die Herausforderungen des Terrorismus, da müssen wir gemeinsam als Demokraten wehrhaft sein. Der schreckliche Vorfall in Schwalmstadt wird uns nachher noch beschäftigen. Wir müssen wachsam sein. Herr Irmer, weil Sie vorhin immer dazwischengerufen haben, und Herr Koch, Sie haben es eben in Richtung der LINKEN gesagt – weil ich sagte, wir sind weder links noch rechts blind –, wir müssen gemeinsam darauf aufpassen.Herr Irmer hat Vorträge vor rechtsextremen Studentenverbindungen gehalten, er hat die Bundesjustizministerin auf eine Stufe mit Straftätern gestellt. Auch das haben wir zum Anlass genommen, zu sagen, auch das gehört sich nicht. Herr Koch, da erwarte ich künftig von Ihnen, wenn Sie das von anderen einfordern,

dass Sie bei Ihren eigenen Leuten die gleiche Messlatte anwenden.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Wenn jemand eine Vorbildfunktion hat, ist das auch ein bildungspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion. Es gibt nachher einen Antrag der LINKEN zum Thema Rechtsextremismus. Ich will das gerne an dieser Stelle tun und der Mutter unser Mitgefühl für den brutalen und menschenverachtenden Anschlag von Schwalmstadt aussprechen. Es gibt einen Antrag der LINKEN, diese Aktivitäten zu verurteilen. Dazu liegen wiederum Änderungsanträge vor.

In einer solchen Debatte müssen wir uns auch mit den Parteien und Fraktionen auseinandersetzen. Mein Kollege Schmitt hat es eben schon angedeutet. Herr Koch, ich glaube nicht, dass der Kreuzzug, den Sie, die FDP und auch die CSU in Bayern gegen DIE LINKE führen, dazu führen wird, dass die LINKEN politisch in der Versenkung verschwinden.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Im Moment ist es relativ klar.Wir merken das bei Umfragen und Wahlen, wir bekommen das zu spüren.Aber auch nach der letzten Landtagswahl gab es sehr seriöse Umfragen und Untersuchungen.Herr Koch,auch aus dem Lager von CDU-Wählern haben die LINKEN Stimmen bekommen.

(Zuruf von der CDU: 17.000!)

Deshalb rate ich uns zur gemeinsamen politischen Auseinandersetzung.

(Dr.Christean Wagner (Lahntal) (CDU):Sie haben ja recht, aber muss man dann mit denen zusammengehen?)

Aber klar ist auch – und das will ich deutlich machen –, es gibt Klärungsbedarf, und das, was Herr Schaus im Innenausschuss getan hat, findet nicht unsere Zustimmung. Er hat die Gelegenheit, dazu etwas zu sagen. Der Verfassungsschutz ist ein demokratisch legimitiertes Organ. Ich teile auch nicht Ihre Auffassung, nur weil die LINKEN nicht in der Kontrollkommission sind, sei das undemokratisch oder nicht in Ordnung. Das teile ich ausdrücklich nicht.

(Beifall bei der CDU und der FDP sowie bei Abge- ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir sind in der Lage, zu differenzieren. Was Sarah Sorge zur Funktion des Vizepräsidenten gesagt hat, sollten wir in der Tat im Ältestenrat diskutieren. Da gehört es hin, wenn Sie dieser Meinung sind.

Das, was Sie als Abgeordneter gesagt haben, ist das andere.Wir halten das für falsch.Wir haben eine klare Positionierung, und wir sollten das trennen. Die politische Auseinandersetzung müssen wir dagegen hier führen. Da haben Sie Klärungsbedarf. Sie müssen aber auch vom pawlowschen Reflex herunterkommen und dürfen nicht meinen, mit den Parolen von vor 20 Jahren lösen Sie die politischen Diskussionen in diesem Land.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Von heute!)

Wir als Sozialdemokraten können selbstbewusst – das zeigt unsere Geschichte, und Norbert Schmitt hat das

trefflich dargestellt – in diese Diskussion gehen. Sie ist hart, aber sie ist im Interesse einer wehrhaften Demokratie notwendig. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Herzlichen Dank, Herr Kollege Rudolph. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Staatsminister Bouffier das Wort.

Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Ich hatte in der öffentlichen Sitzung des Innenausschusses schon Gelegenheit, mich zu äußern. Ich will das heute vor dem Landtag ausdrücklich noch einmal tun. Ich möchte zunächst ausdrücklich feststellen, dass unser Mitgefühl dem verletzten Mädchen und seinen Angehörigen gehört.Wenigstens das muss noch klar sein: das dass Mitgefühl und die staatliche Verpflichtung, Täter zu ermitteln und ihrer Strafe zuzuführen, grundsätzlich gelten. Denn die Opfer haben Anspruch auf unseren gemeinsamen Respekt.

(Lebhafter Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe mich vor allem deshalb gemeldet, weil der Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE, Herr van Ooyen, gesprochen hat. Wir streiten ganz offenkundig nicht über das verabscheuenswürdige Verbrechen, weder über die Tatsache noch über die Beurteilung, dass es verabscheuungswürdig ist.Wir streiten nicht – jedenfalls nicht mit mir – über die besorgniserregenden Tendenzen und rechtextremistischen Anzeichen, die wir auch im Schwalm-EderKreis haben, über die wir auch in den Gremien berichtet haben.

Ich streite aber und lasse den Versuch von Ihnen,Herr van Ooyen, nicht stehen, immer dann, wenn es eng wird, zu täuschen und zu tarnen. Wir haben vorhin gesehen: Das machen Sie jetzt wieder.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Das ist wirklich wahr!)

Sie haben versucht, das alles zusammenzurühren und zu sagen: Aber da gab es immer schon Hinweise auf rechtsextremistische Dinge. – Das bestreitet niemand. Als verantwortlicher Minister muss ich heute noch einmal deutlich machen, worum es hier entscheidend geht: Wenn durch Ihren Sprecher im Innenausschuss, der auch die Funktion des Vizepräsidenten des Hessischen Landtags wahrnimmt – das ist zunächst eine Parlamentsangelegenheit –, in öffentlicher Sitzung erklärt wird, „dass der Hessische Verfassungsschutz mehr wusste, offensichtlich mehr wusste und das nicht zu Konsequenzen und zu einer entsprechenden vorbereitenden, präventiven Unterstützung (der Gefährdeten) geführt hat“, dann ist das nichts anderes als die Instrumentalisierung eines schlimmen Verbrechens, verbunden mit der Behauptung: Ihr wusstet etwas, aber ihr habt bewusst nichts unternommen, um das Mädchen zu schützen.

Ich habe in der Ausschusssitzung sofort gesagt: Entweder nennen Sie Ross und Reiter, oder ich bin nicht bereit, auf diese Ebene weiter zu verhandeln.– Ich sage es ganz deutlich: Diejenigen, die diesen Dienst unter großem persönlichen Einsatz und gelegentlich auch großer persönlicher Bedrückung leisten, haben es verdient, dass dieser Land

tag sich nicht nur zum Verfassungsschutz bekennt. Sie haben auch verdient, dass jeder Versuch einer so perfiden Konstruktion deutlich zurückgewiesen wird.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP – Bei- fall bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Kollege Banzer hat es gestern sehr auf den Punkt gebracht. Sie sind mit den meisten Dingen noch nicht fertig. Weder die Rote Hilfe haben Sie klar gekriegt,weil Sie sich bewusst zu ihr bekennen.Als es gemerkt wurde,haben Sie schnell gesagt, wir hätten sie noch gar nicht eingeladen. – Was gibt das für eine Logik?

Als Herr Schaus erwischt wurde, hat er gesagt: Na ja, irgendwie. – Jetzt sage ich ganz deutlich, und ich habe bis zum Schluss dieser Debatte gewartet:Wenn ein Vizepräsident dieses Landtags, wenn ein Abgeordneter, der vom Volk hierher gewählt wurde, nicht einmal jetzt die Kraft und den Mut aufbringt, zu sagen, dass das, was er gemacht hat, falsch war und er es bedauert, dann denkt er ganz offensichtlich immer noch so. Wenn Ihre Fraktion das auch noch deckt, dann ist bei Ihnen ganz offenkundig immer noch nicht klar, wo die Grenze verläuft.