Protokoll der Sitzung vom 28.08.2008

Wir sollten aufhören,Rechtsextremismus und Linksextremismus gleichzusetzen. Beide schaden der Demokratie, aber es sind unterschiedliche Ansätze. Das macht es nicht besser. Aber wir müssen uns mit beiden unterschiedlich auseinandersetzen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Deswegen hören Sie auf mit der permanenten Gleichsetzung.

Es gibt viele gute Beispiele. Herr Greulich, warum Sie – –

(Florian Rentsch (FDP): Greilich!)

Was habe ich gesagt? Dann bitte ich um Korrektur. – Herr Kollege Greilich, Sie haben den einen oder anderen Ton hineingebracht, auch in der Diskussion im Innenausschuss, der dieser ernsten Debatte nicht angemessen ist. Ich komme aus dem Kreis,in dem der Überfall passiert ist. Da macht man sich als Politiker natürlich Gedanken, was man richtig und was man falsch gemacht hat.Es wird nicht mehr reichen, Resolutionen zu verfassen, dass wir gegen Gewalt und gegen Rechtsextremismus sind, sondern wir müssen gemeinsam auch eine Auseinandersetzung in den Köpfen führen. Deswegen wünsche ich mir von dem Hessischen Landtag ein klares Signal gegen diese Art, wie Rechtsextreme mit anderen umgehen. Ein 13-jähriges unschuldiges Mädchen, das eine andere politische Auffassung hat, malträtieren und fast zu Tode prügeln – das hat eine neue Qualität. Und das muss uns nachdenklich machen: Reicht das, was wir bisher gemacht haben, aus, oder müssen wir gemeinsam andere Instrumente anwenden? Darum werbe ich an dieser Stelle.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und der LINKEN – Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Es gibt gute Sachen in Hessen.Wir haben regionale Beratungsteams wie die Jugendbegegnungsstätte Anne Frank in Frankfurt. Das ist ein Beispiel. Die müssen finanziell weiter unterstützt werden. Es gibt die Ausstiegshilfe Rechtsextremismus in Hessen beim Landeskriminalamt. Es gibt die Aktivitäten des Hessischen Jugendrings, der zusammengeschlossenen Organisationen, die eine Menge machen.All dies sind wichtige Bausteine im Mosaik.Aber vielleicht reicht das alles nicht mehr aus.

Ich habe den Eindruck, wir müssen in die Köpfe der Menschen vordringen, um zu verhindern, dass sich rechtextremes Gedankengut verbreitet. Hierzu sind alle Demokraten aufgerufen. Es reicht auch nicht, nur wegzuschauen, auch wenn das leider eine Tendenz ist. Die Freien Kräfte sind im Schwalm-Eder-Kreis leider stark verankert. Da müssen die Kommunen Geld in die Hand nehmen. Die Bürger müssen aber auch den Mumm haben, zu sagen: Wir lassen uns das nicht gefallen, wir gehen dagegen vor.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN – Beifall bei Ab- geordneten der CDU)

Ich will es nicht zu pathetisch machen. Gerhard Schröder hat vor vielen Jahren bei einer Großdemo – ich glaube, es war in Berlin – vom Aufstand der Anständigen gesprochen. Das gilt dann für alle. Wir werden es nicht alleine mit Mitteln des Staates schaffen.Das ist die neue Qualität. Das nehme ich von dem Überfall mit. Die Vernetzung in die Schulen muss besser erfolgen.Alle staatlichen Behörden müssen zusammenarbeiten.Wir brauchen Polizei, wir brauchen Verfassungsschutz, wir brauchen die alle, damit

solche schrecklichen Vorkommnisse nicht wieder vorkommen.

Ich glaube,eines sollte uns an dieser Stelle verbinden,eine Lehre aus der Geschichte der Nazidiktatur: Eine Demokratie muss wehrhaft sein. Daran sollten wir gemeinsam arbeiten. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU, der FDP und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Rudolph. – Der nächste Redner ist Herr Kollege Al-Wazir für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte im Vorfeld der Debatte gehofft, dass bestimmte Sachen nicht eintreten und dass man es wenigstens an diesem Punkt einmal lassen kann,

(Zuruf von der SPD:Tja!)

politische Taktik zu betreiben. Ich verstehe, dass hier eine aufgeregte politische Situation herrscht. Aber ich finde schon, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein Unterschied, mit Verlaub, ob eine Fraktion wirre Leute zu einer Stellungnahme im Hessischen Landtag bittet oder ob ein Kind fast totgeschlagen wird.

(Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Ich hatte gehofft, aber es war offensichtlich nicht möglich. Ich finde, das, was im Schwalm-Eder-Kreis passiert ist, zeigt – das muss uns alle aufschrecken –, dass wir in diesem Land ein Rechtsextremismusproblem haben, und nicht erst seit Kurzem, sondern seit Längerem und nicht nur irgendwo anders, sondern auch in Hessen. Das ist hier ganz besonders deutlich geworden.

Ich finde, dass es spätestens jetzt für alle an der Zeit wäre, das einzusehen. Ich kann mich erinnern, es ist jetzt schon acht Jahre her, dass Benno Hafeneger von der Uni Marburg seine Untersuchung veröffentlicht hat. Dort ging es darum, wie es mit rechtsextremistischen Tendenzen, und zwar völlig unorganisiert, in bestimmten Bereichen aussieht, vor allem bei männlichen Jugendlichen in ländlichen Räumen, vor allem in Nord- und Mittelhessen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben ein Problem. Ich finde es ausdrücklich richtig, dass die Leute, die dort im organisierten oder auch nicht organisierten Neonazismus unterwegs sind, mit allen Mitteln, die Strafverfolgungsbehörden,die Polizei und Justiz haben,verfolgt werden, dass in solchen Bereichen mit der vollen Härte, die das Gesetz hergibt, reagiert wird.

Ich sage ausdrücklich: Es geht diesen Leuten genau darum, das Gewaltmonopol des Staates in diesen Bereichen außer Kraft zu setzen. Deswegen müssen wir mit allen Mitteln dafür sorgen, dass das Gewaltmonopol des Staates durchgesetzt wird und Menschen vor Gewalttaten geschützt werden.

(Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Beifall bei Abgeordneten der CDU)

An diesem Punkt ist es natürlich so, dass wir uns überlegen müssen, mit welchen Mitteln das geschehen kann. Da müssen sich alle hier überlegen, ob ihre Haltung beispielsweise zum Verfassungsschutz stringent ist. Denn wenn wir da ein Problem haben, muss auch jemand hingucken. Dass man mit diesen Erkenntnissen etwas machen muss, ist auch völlig klar.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, insofern ist in diesem Bereich nicht alles in Ordnung.Wir haben sinkende Zahlen in der Statistik der rechtsextremistischen Straftaten. Wir haben bei Gewalttaten ein etwas anderes Bild. Liebe Kolleginnen und Kollegen, daher dürfen wir uns nicht zurücklehnen und sagen, Hessen hat im Vergleich zu Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern eine niedrigere statistischere Belastung. Es ist, mit Verlaub, dem 13jährigen Mädchen, das fast zu Tode geprügelt wurde, ziemlich egal, wie das in der Statistik aussieht.

(Beifall der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE))

Wir haben in Hessen ein Problem, und dieses Problem müssen wir angehen. Jeder Fall ist einer zu viel, selbst wenn es woanders noch mehr sind.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und der LINKEN)

Ich warne auch davor, zu glauben, dass das ein Problem ist, das nur mit Polizei und Justiz in den Griff zu bekommen ist. Stattdessen müssen wir uns überlegen, was in der Schule passieren muss. Wir müssen uns überlegen, was in der Jugendarbeit passieren muss. Wir müssen uns überlegen, dass am Ende genau diesem Problem nur zu begegnen ist, wenn diese Leute, die so etwas versuchen, auf den geballten Widerstand der Bevölkerung in ihrer überwältigenden Mehrheit treffen. Das bedeutet Zivilcourage. Da hilft mir keine Polizei. Das bedeutet wirklich Zivilcourage, und das bedeutet auch, dass wir uns überlegen müssen, wie wir z. B. Bürgermeister, Jugendarbeiter oder Lehrer, die merken, sie haben ein Problem, unterstützen können, wie wir ihnen helfen können, die richtigen Gegenmaßnahmen einzuleiten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der CDU, der SPD und der LINKEN)

Herr Kollege Al-Wazir, Sie müssen zum Schluss Ihrer Rede kommen.

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Insofern haben wir alle miteinander viel zu tun. Ich sehe die Anträge, die auf dem Tisch liegen. Frau Kollegin Schott hat den Wortlaut des Antrags der LINKEN vorgetragen. Gegen diesen Wortlaut spricht nichts.Gegen den Antrag der SPD spricht nichts, und gegen den Antrag von CDU und FDP spricht bis auf einen kleinen Punkt – Stichwort: so tun, als sei alles in Ordnung – auch nichts.

Deswegen werden wir GRÜNE allen Anträgen, bis auf diesen kleinen Punkt, unsere Zustimmung geben, weil es hier wirklich kleinkariert wäre, zu sagen: Der Antrag ist von den Falschen gestellt,deshalb lehnen wir ihn ab.– Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Al-Wazir. – Für die Landesregierung hat Herr Innenminister Bouffier das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Zu dem verabscheuungswürdigen Verbrechen gegenüber dem Mädchen habe ich bereits vorhin Stellung genommen. Das will ich jetzt nicht noch einmal tun, sondern das nur in Erinnerung rufen.

Herr Kollege Al-Wazir hat am Schluss darauf hingewiesen,dass das, worum es hier geht, wahrscheinlich nicht nur mit Polizei, Justiz, etc. bekämpft werden kann. Ich will dem ausdrücklich beipflichten.Wenn wir die Debatte, die wir hier gelegentlich geführt haben, zurückverfolgen, muss man sagen, dass wir uns immer einig waren, dass jegliche Form des Extremismus entschieden bekämpft werden muss – mit den Mitteln des Staates, die wir zur Verfügung haben, aber vor allen Dingen, indem wir Flagge zeigen und versuchen, die Köpfe dieser Menschen zu erreichen, die dafür gelegentlich anfällig sind.Wir waren dabei nicht ohne Erfolg. So schlimm dieser Vorfall auch ist, warne ich aber davor, einen solchen Vorfall mit dem Ganzen gleichzusetzen. Ich will auch darauf verzichten, die Debatte, die wir vorhin geführt haben, zu wiederholen.

Frau Abg. Schott, Sie haben eben im Grunde genommen noch einmal ausdrücklich das gemacht, was ich vorhin im Zusammenhang mit dem Verhalten des Abg. Schaus gegeißelt habe. Als der Abg. Greilich Ihnen eben vorwarf, dass Sie erneut den Versuch unternommen haben, hier vorzutragen, man hätte dies verhindern können, wenn man denn nur gewollt hätte, haben Sie genickt.

(Marjana Schott (DIE LINKE): Ich nicke auch jetzt!)

Jetzt nicken Sie wieder. Sehen Sie. – Ich bedauere das sehr. Denn es gibt ganz offenkundig keine Brücken bis zu Ihnen. Sie müssen doch begreifen, dass es einen Unterschied macht,festzustellen,dass wir alle uns an allen Fronten sehr bemühen müssen, wie wir solchem Treiben generell ein Ende machen können und dem erfolgreich entgegentreten können, und Ihrem Vorwurf, den Sie jetzt zum vierten Mal wiederholt haben, hier sei bewusst und willentlich durch staatliche Organe nicht so gehandelt worden, wie man hätte handeln müssen.

(Marjana Schott (DIE LINKE): Das habe ich nicht gesagt! Ich habe gesagt, es wäre zu verhindern gewesen! Ich habe nicht gesagt „bewusst und willentlich“! Und ich verwehre mich dagegen, das gesagt zu haben! – Willi van Ooyen (DIE LINKE):Grundgesetz Art. 139!)

Das ist genau das,was Sie immer wieder tun.Deshalb sage ich es Ihnen mit aller Deutlichkeit: Es wird jedenfalls mit dieser Landesregierung und Ihnen keine Gemeinsamkeit geben können. Die Gemeinsamkeit der Demokraten erfordert auch eine gemeinsame Grundlage für diese Demokratie. Ich bleibe dabei: Wer solche Vorwürfe erhebt, der muss Ross und Reiter nennen.Das haben Sie nicht getan. Nach allem, was mir bekannt ist, können Sie dies auch nicht.

Ich will ausdrücklich die Gelegenheit nutzen, mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des hessischen Verfassungsschutzes zu bedanken, aber auch – das wurde noch nicht erwähnt – bei der hessischen Polizei, die sich gerade dem Rechtsextremismus und seiner Bekämpfung in außergewöhnlicher Weise widmet.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Unsere Projekte wie z. B. IKARus oder das Beratungsnetzwerk Mobile Intervention gegen Rechtsextremismus sind Dinge, die in der hessischen Polizei und dem hessischen Verfassungsschutz entwickelt wurden – nicht auf irgendwelchen Kongressen oder von irgendwelchen Betroffenheitsadressen, sondern das ist von dort gekommen. Ich bin dankbar dafür und begrüße das. Ich unterstütze das seit Jahren. Daraus können Sie entnehmen, dass es nicht noch der Anstöße irgendwelcher Art bedarf, dass diese Behörden das sehr ernst nehmen. Das tun sie seit Jahren. Sie sind hoch engagiert. Ich kann nur meine Anerkennung dafür aussprechen.

(Beifall bei der CDU, der FDP und bei Abgeordne- ten der SPD)

Die Kollegen Beuth und Greilich haben dazu einiges vorgetragen. Das will ich nicht wiederholen. Ich will das ausdrücklich begrüßen und mich dafür bedanken. Aber ich will auch einmal auf Folgendes hinweisen: Es ist schon richtig, dass das eine Daueraufgabe ist und dass wir das auch nicht relativieren dürfen. Jeder Vorfall ist einer zu viel. Aber wahr ist auch, dass wir in Hessen sehr erfolgreich gegen diese Umtriebe angegangen sind. Das sind nicht einmal statistische Ausreißer. Wenn Sie sich das anschauen, sehen Sie, dass wir seit Jahren, was den Bereich des Gewaltrechtsextremismus angeht, wenn man die Einwohnerzahl berücksichtigt, immer auf dem letzten Platz aller Länder der Bundesrepublik Deutschland sind. Das ist ein Erfolg.

Herr Minister, gestatten Sie mir den kurzen Hinweis, dass die Redezeit für die Fraktionen abgelaufen ist.

Frau Präsidentin, ich komme gleich zum Schluss. – Das ist ein großer Erfolg unserer Arbeit. Darauf sollten wir stolz sein, und das dürfen wir nicht kleinreden.Aber das ist natürlich auch keine Begründung dafür, sich jetzt zurückzulehnen. Ich darf mir erlauben, Sie auf Folgendes hinzuweisen.Wenn ich die Halbjahreszahlen für 2008 anschaue – bei aller Zurückhaltung –, dann stelle ich fest, wir haben bei den rechtsextremistisch motivierten Straftaten in der Bundesrepublik Deutschland eine zweistellige Steigerung,während es in Hessen ein zweistelliger Rückgang ist. Ich will das alles nicht überbewerten. Aber wir befinden uns in einer guten Verfassung.