Wir brauchen nicht nur den gesetzlichen Mindestlohn. Wir brauchen auch eine Begrenzung der Leiharbeit, und wir müssen dafür sorgen, dass Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer nach der Einarbeitung genauso bezahlt werden wie die Stammbelegschaften, und müssen damit den schwarzen Schafen unter den Arbeitgebern Einhalt gebieten.
Meine Damen und Herren, bei diesen sozialpolitisch wichtigen Punkten, nämlich Mindestlöhnen und fairen Arbeitsbedingungen für gute Arbeit, sind sich drei Fraktionen hier sehr einig.
Ich komme zu dem dritten Punkt, der Ihnen bei der Reform sehr wichtig war, nämlich der Frage der Organisation. Sie haben von Anfang an sehr dogmatisch auf das Optionsmodell gesetzt, auch heute wieder. Ich sage Ihnen das Gleiche, was ich Ihnen in jeder Diskussion gesagt habe:Wir haben in Hessen sehr gute kommunale Arbeitsvermittlungen, wir haben sehr erfolgreich arbeitende Kreise, z. B. den Main-Kinzig-Kreis, den Sie immer anführen – er wird sozialdemokratisch regiert, das merkt man –, oder die Stadt Wiesbaden. Da ist der zuständige Sozialdezernent auch Sozialdemokrat.
Ich will die anderen gar nicht nennen, die es hervorragend machen. Aber ich sage Ihnen, unabhängig von der Organisationsform, das ist doch alles Blabla. Es sind genau die Kreise und Städte erfolgreich, die schon zuvor gute Arbeitsmarktpolitik gemacht haben, ob sie dann Optionskommunen oder Argen sind. Leider gibt es auch viele, die es eben nicht so gut können. Ich will das mehr als unrühmliche Beispiel der Bergstraße nicht weiter ausführen.
Wichtig ist, dass die Akteure vor Ort gute Arbeit leisten, dass sie gut vernetzt sind.Es ist kontraproduktiv,wenn die Landesregierung das immer Gleiche behauptet, die einen seien besser als die anderen. Frau Lautenschläger, im Übrigen fallen Ihnen auch die eigenen Statistiken auf die Füße. Sie haben einen Bericht vom 12. September 2008 gegeben,der auf Seite 16 einen Überblick enthält.Danach ist der Rückgang der Arbeitslosigkeit in Hessen im August gegenüber dem Vorjahr 15,3 % – sehr erfolgreich.
Im Rechtskreis SGB III beträgt er 24 %, im Rechtskreis SGB II, also bei den Langzeitarbeitslosen, nur 11 %. Diese unterschiedlichen Entwicklungen haben wir überall. Sie belegen, dass es für Langzeitarbeitslose eben schwieriger ist, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.
Vergleicht man Arbeitsgemeinschaften und Optionskommunen, so ergibt sich ein deutlicher Vorteil für die Arbeitsgemeinschaften. Dort sinkt die Arbeitslosigkeit gegenüber dem Vorjahr um 12,5 %. Bei den Optionskommunen sind es lediglich 8,6 %. Deshalb sage ich Ihnen: Es kann gar nicht so schlecht sein, wenn die Akteure am Arbeitsmarkt, Arbeitsagentur und Kommune, gemeinsam am Problem arbeiten und an einem Strang ziehen.
Frau Lautenschläger, es ist auch gut, dass Sie dann nicht mehr Sozialministerin sind, damit diese einäugige Politik aufhört.
Für uns gilt nach wie vor, dass es gut und schlecht funktionierende Arbeitsgemeinschaften und gut und schlecht funktionierende Optionskommunen gibt. Eines steht fest,
und das will ich hier auch sagen: Dem Zentralismus der Arbeitsagentur muss man entgegentreten. Das werden wir auch tun. Gerade in Bezug auf § 16 Abs. 2 sage ich Ihnen – darüber haben wir vor der Sommerpause ausführlich diskutiert, das müssen wir heute nicht tun – nur so viel: Die Rüge des Bundesrechnungshofs kann ein Bundesminister nicht so einfach wegwischen, wie Sie das hier tun.
Meine Damen und Herren, ich komme zurück. Es war immerhin eine Regierungserklärung, die erste Regierungserklärung einer Sozialministerin. Deswegen möchte ich gerne Bilanz Ihrer Politik ziehen, Frau Lautenschläger, und zwar Ihrer Politik in Hessen. Sie haben in Ihrer Amtszeit vieles getan und sich dabei nicht mit Ruhm bekleckert. Sozialpolitisch waren die Jahre letztlich ein Desaster.
Ich erinnere an die „Operation sichere Zukunft“, die schon vom Namen her blasphemisch wirkt, vor allem auf die Menschen, die diese unsoziale Suppe auslöffeln mussten.
Ich erinnere mich sehr genau – das ist so ähnlich wie mit dem 11. September; da wissen auch alle Menschen, wo sie gerade waren, als diese Schreckensnachricht kam – an die Gesichter der Caritas-Vertreter, mit denen wir ein Gespräch über die allgemeine Sozialpolitik hatten. Da war ungläubiges Entsetzten in den Gesichtern ob der Tatsache, dass eine Regierung ohne vorherige Ankündigung der sozialen Infrastruktur im Lande derartig den Krotzen rumdreht und den Garaus gemacht hat.
(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Unmöglicher Vergleich! – Michael Boddenberg (CDU): Geschmacklos ist das! Aber das passt ja!)
Diese unrühmliche Aktion hat viele Träger von sozialen Einrichtungen betroffen, und zwar frei-gemeinnützige Träger, kommunale Träger, Frauenhäuser, Drogenberatung, Schuldnerberatung, Erziehungsberatung, Familienbildung – die Liste der Nullstellungen ist endlos.
Sie sind immer die Ersten, die nach schärferen Gesetzen oder Überwachung rufen, wenn es z. B. um einen schrecklichen Fall von Kindesmisshandlung geht. Aber Sie selbst haben Erziehungsberatungsstellen, Familienbildungsstätten und solchen Einrichtungen komplett die Mittel entzogen. Ich sage Ihnen: Sie handeln wie der Brandstifter, der nach der Feuerwehr ruft. Dieser Punkt wird unrühmlichst in die hessische Geschichte eingehen. Sie können sich von den Folgen nicht verabschieden.
Meine Damen und Herren, Sie haben bezüglich der Ausweitung der Arbeitszeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf 42 Stunden eine unrühmliche Führung innerhalb der Bundesländer übernommen. Die Schließung vieler Dienststellen hat dazu geführt, dass gerade teilzeitbeschäftigte junge Mütter entweder ihren Arbeitsplatz aufgeben oder überlange Arbeitswege hinnehmen mussten. Also hören Sie auf mit irgendwelchen Parolen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei wichtig; denn immer da, wo politisches Handeln gefragt ist, sind diese Parolen gekommen, aber das Handeln ging dagegen.
Meine Damen und Herren, Sie sind aus der Tarifgemeinschaft der Länder ausgetreten. Sie haben in Hessen ein Lohndiktat von 2,4 % gemacht. Ich kann nur sagen: Das ist eine Bilanz, die sich „sehen lassen kann“.
Die Aufzählung der Heldentaten ist nicht vollständig.Wir kommen zur Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten. Frau Lautenschläger, auch hier hat es Sie absolut nicht interessiert, dass junge Frauen im Zweifel bis 24 Uhr arbeiten müssen und wie sie dann nach Hause kommen. Alle in der Anhörung vorgetragenen Bedenken, z. B. der Kirchen, wurden weggewischt. Jetzt schreibt Herr Grüttner einen, wie ich finde, sehr scheinheiligen Brief, dass man doch nicht gewollt habe, dass am Karfreitag in der Nacht noch ein Feuerwerk ist. – Das hätten Sie wissen können; das wurde nämlich genau in der Anhörung vorgetragen.
Ein weiterer Punkt ist die Kinderbetreuung. Das ist ein Feld, in dem Sie sich gerne als führend bezeichnen. Hier gilt: Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.
(Axel Wintermeyer (CDU): Machen Sie so etwas? – Michael Boddenberg (CDU): Ist das das Ergebnis Ihrer Rede?)
Sie sagen, Sie lägen im Ländervergleich ganz vorne, aber Sie rechnen in Ihre Statistiken jeden Platz in der Tagespflege voll ein, wohl wissend, dass es manchmal nur um ein paar Stunden Betreuung, und das auch nur manchmal, an ein paar einzelnen Tagen in der Woche geht. Fakt ist, dass Sie die Kommunen beim Ausbau der Kinderbetreuung weitgehend alleine gelassen haben. Über den Betriebskostenzuschuss in Höhe von 50 Millionen c haben wir hier mehrfach diskutiert.
Meine Damen und Herren, ich glaube, die Zeit ist reif für einen Neustart in der Sozialpolitik. Fünf Jahre nach dem Kahlschlag muss Hessen sozialpolitisch wieder stark gemacht werden. Wir brauchen einen Regierungswechsel, um den Politikwechsel hin zu einer wirkungsvollen Landessozialpolitik endlich möglich zu machen.
Hessen braucht Investitionen in Prävention, in Beratungsleistungen, in akute Hilfen, und das werden wir tun. Wir werden ein verlässliches Sozialbudget mit einem festen Finanzrahmen einführen und den von Ihnen geschliffenen Einrichtungen wieder Hilfen des Landes, und zwar originäre Hilfen des Landes, für die notwendigen Aufgaben geben.
Die Bekämpfung der Kinderarmut haben Sie vorhin stiefmütterlich behandelt. Dieser Punkt wird ganz oben auf der Agenda der nächsten Zeit stehen.Wir werden uns für einen eigenen Kinderregelsatz einsetzen, der genau die Bedarfe berücksichtigt, die Kinder haben. Zumindest aber muss der Regelsatz für die Kinder schnell erhöht werden.
Hier spreche ich die zusätzlichen Töpfe für das Mittagessen, Nothilfetöpfe – hier ein Topf und da ein Topf – an. Aber strukturelle Probleme, und das Problem der Kinderarmut ist ein dringendes und schlimmes strukturelles Problem, müssen strukturell gelöst werden und nicht mit einem Flickenteppich.
Ich denke an meine Nachbarstadt Bad Homburg. Dort ist in Zukunft der Besuch eines Kindergartenganztagsplatzes frei. Alle Kinder bekommen ein Mittagessen für 1 c. In Frankfurt gibt es einen Essenszuschuss, aber die dürfen keinen Antrag bei Ihrem Nothilfefonds stellen. Andere Kommunen sind so pleite, dass sie sich weder das eine noch das andere jemals leisten können. – Das ist keine Landessozialpolitik.
Ein weiteres wichtiges Feld der Sozialpolitik ist die Behindertenpolitik. Es wird uns in dieser Plenarwoche gelingen, dass das betreute Wohnen beim Landeswohlfahrtsverband bleibt und dass nicht nach Kassenlage gearbeitet wird. Es besteht Handlungsbedarf beim Gleichstellungsgesetz für Behinderte. Wir wollen, dass Barrierefreiheit nicht nur bei Landesbehörden, sondern auch bei Kommunen die Regel ist.
Ein weiteres Feld – das sagte ich bereits – ist die Kinderbetreuung. Der Betriebskostenzuschuss wird sozusagen durch einen Stufenplan ersetzt.Wir werden nicht alle Versäumnisse Ihrer Regierung aufholen können. Aber wir stellen uns der Aufgabe. Eine gute Bildungspolitik in der Kindertagesstätte, eine gute Bildungspolitik in der Schule sind die beste Prävention vor Armut, die wir überhaupt machen können.
Wir werden in der Arbeitsmarktpolitik die Scheuklappen der jetzigen Regierung absetzen und alle gleichermaßen fördern und vernetzen.Wir werden die Arbeitsmarktprogramme des Landes bündeln, evaluieren und dann zielgerichtet neu einsetzen.
Das Land Hessen wird sich ganz klar für einen gesetzlichen Mindestlohn positionieren. Es darf keine Hungerlöhne und keine Dumpinglöhne geben. Es wird eine Bundesratsinitiative für gesetzliche Mindestlöhne geben.
Natürlich. Herr Boddenberg, da Sie mit allen Geldern in den vergangenen Jahren so umgegangen sind, wird man mit Umschichtungen arbeiten müssen. Das ist schon jetzt klar. Sie haben den Haushalt in der Tat an die Wand gefahren. Das ist leider Ihre Bilanz.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Michael Boddenberg (CDU): Lächerlich, Frau Kollegin! Aber Sie wissen dazu auch nicht viel zu sagen!)
Wir brauchen in Hessen einen Ausbildungspakt, der diesen Namen auch verdient; denn ich finde es unerträglich, dass Altbewerberinnen und Altbewerber nach wie vor auf der Straße stehen, obwohl sich die Konjunktur Gott sei Dank belebt und viele Firmen, die früher nicht ausgebildet haben, jetzt froh wären, wenn sie es getan und jungen Menschen eine Chance gegeben hätten.
Wir brauchen einen Neustart in der Seniorenpolitik. Wir werden das Heimgesetz novellieren.Wir werden den Ausbau der Pflegestützpunkte schnell vorantreiben. Nachdem die bisherige Landesregierung Hessen sozialpolitisch dermaßen ruiniert, die soziale Infrastruktur komplett und schwer beschädigt, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern des Landes finanzielle Einbußen in nicht unerheblicher Höhe zugemutet, die Kinderbetreuung nicht in den notwendigen großen Schritten ausgebaut und in den Wahlkämpfen insbesondere Bürgerinnen und Bürger ausländischer Herkunft stigmatisiert und in empörender Weise ausgegrenzt hat, wird dieser Neustart umso wichtiger.
Wir setzen auf Prävention, vor allem bei Kindern und Jugendlichen, und wir wollen gleiche Bildungschancen für alle Kinder. Es kann nicht sein, dass arme Kinder inzwi
Kurzum: Die Paarung Hessen und Sozialpolitik soll und wird wieder einen positiven, an den Bedürfnissen und an den Rechten der Menschen orientieren Klang bekommen – einen guten Klang, wie es ihn früher in Hessen gab. Das haben die Frauen und Männer in diesem Lande nach mehr als sieben und mehr als kargen Jahren eindeutig verdient. Die Zeit der CDU ist abgelaufen. Die Zeit ist reif für die soziale Moderne.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch von mir zunächst Glückwünsche an die Ministerin.
Ich muss auf zwei, drei Dinge Bezug nehmen, die Frau Fuhrmann hier erklärt hat.Frau Fuhrmann,Sie haben sich sehr weit aus dem Fenster gelehnt. Sie müssen sich darüber im Klaren sein,dass vieles von dem,was Sie heute vorgetragen haben, auch davon abhängig ist, ob Sie den kurzen Sprint, den Sie als SPD angetreten haben, zu Ende führen oder nicht. Das werden wir in aller Ruhe beobachten und dann sehen, ob Sie wirklich dort ankommen, wo Sie hinwollen.