Protokoll der Sitzung vom 23.09.2008

Bedingt durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Arbeitsgemeinschaften haben wir heute die Suche nach einer neuen Organisationsform. Zwei Fragen sind ganz wesentlich:Welche Organisationslösung ermöglicht die beste Arbeit für und mit den Arbeitsuchenden, und welche Form bietet die beste Grundlage für die individuellen und nachhaltigen Integrationswege für die Menschen in Hessen? Das sind immerhin 450.000 Menschen in 218.000 Haushalten, die derzeit Leistungen nach dem SGB II beziehen.

Meiner Meinung nach ist das Modell, das von Bundesminister Scholz vorgeschlagen wird, die sogenannten kooperativen Jobcenter, überhaupt nicht geeignet: denn im Grunde genommen handelt es sich um ein Bundesmodell getrennter Trägerschaft, das die Kommunen an den Katzentisch verweist. Ich habe bereits dargestellt, wie wichtig die Kooperation gerade mit den Angeboten der Kommune ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Demonstrativer Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Unstreitig ist doch auch, dass sich das Prinzip der Hilfe aus einer Hand bewährt hat. Nur so ist die optimale Verknüpfung arbeitsmarktpolitischer, sozialpolitischer und bildungspolitischer Ansätze möglich, die angesichts der häufig vielfältigen Problemlagen der betroffenen Menschen erforderlich sind. Das scholzsche Modell genügt diesem Anspruch nicht.Da macht wieder jeder seines,und es drohen neue Verschiebebahnhöfe. Das wird es mit uns GRÜNEN nicht geben.

Die Integration und soziale Teilhabe von Arbeitsuchenden und in Bedarfsgemeinschaften lebenden Menschen und der nachhaltige Abbau der Arbeitslosigkeit stellen nach wie vor die zentrale gesellschaftliche Aufgabe in der Bundesrepublik dar. Die Politik muss willens und in der Lage sein, auch die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die beste Lösung zur Bewältigung dieser Aufgaben zu schaffen. Darum sprechen wir GRÜNE uns für eine gezielte Änderung der Verfassung aus.

Wir begrüßen, dass die Arbeits- und Sozialminister der Länder auf ihrer Sonderkonferenz zur Neuorganisation des Sozialgesetzbuches II vom 14. Juli 2008 einstimmig und im Einvernehmen mit dem Bundesarbeitsministerium eine Verfassungsänderung zur Absicherung der gemeinsamen Aufgabenwahrnehmung durch Bundesagentur und Landkreise bzw. Städte bei gleichzeitiger Absicherung des Optionsmodells beschlossen haben.

Meine Damen und Herren, es ist offensichtlich, dass es kein Patentrezept für alle Kommunen gibt. Wir müssen Platz für Unterschiede schaffen. Nur so kommen wir zu einer verlässlichen und guten Trägerstruktur, die individuelle und nachhaltige Unterstützung der betroffenen Menschen gewährleistet. Nur darauf kommt es am Ende an.

Mit dem Einbringen eines eigenen Gesetzesantrags torpediert aber die geschäftsführende CDU-Landesregierung den gemeinsamen Beschluss und prescht vor, ohne sich mit dem Bund und den Ländern abgestimmt zu ha

ben. Das Ergebnis dieser Initiative ist in jedem Fall, dass die ohnehin politisch aufgeladene und durchaus komplexe und für viele Außenstehende kaum noch nachvollziehbare Diskussion in ein kontroverses Gesetzgebungsverfahren führt, wo Bund und Hessen miteinander konkurrieren. Meine Damen und Herren, das finde ich keine besonders günstige Lösung.

Dieses Vorhaben wird die Legitimität der am Ende gefundenen Regelung eher beschädigen. Deswegen wäre Hessen sicher besser beraten gewesen, seine Vorstellungen in die Beratung der Vorschläge des Bundes einzubringen, als allein mit einem eigenen Vorschlag um die Ecke zu kommen.

Weiterhin ist in dem Vorschlag die Begrenzung der Zahl der Optionskommunen auf 69 zu kritisieren.Wir GRÜNE wollen, dass jede Kommune in Zukunft für sich entscheiden kann, welches die beste Konstruktion zur Betreuung der Bürgerinnen und Bürger in ihrem Zuständigkeitsbereich ist. Letztendlich wird durch die Ewigkeitsgarantie für die bereits zugelassenen 69 Optionskommunen in einem neuen Artikel des Grundgesetzes der Wettbewerb um die besten Angebote für Langzeitarbeitslose erheblich eingeschränkt.

Doch wie auch in den Debatten der vergangenen Jahre weisen wir GRÜNE darauf hin: Man kann ein Gesetz machen, man kann eine Verfassungsänderung initiieren – das ist das eine. Schlussendlich kommt es aber immer auf die Inhalte an.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ist es!)

Deswegen sagen wir: Es kann nach unserer Meinung ein Weiter-so mit Hartz IV nicht mehr geben. Die Chance muss so genutzt werden, um aus den Erfahrungen zu lernen.

(Beifall des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE) – Florian Rentsch (FDP): Dass die LINKE klatscht, müsste den GRÜNEN zu denken geben!)

Hier ist gerade das Land Hessen gefordert. Es fängt damit an, dass es immer richtig ist, darüber nachzudenken, ob Gesetze richtig sind.Wenn wir uns erinnern, haben wir in der letzten Sitzung dieses Landtages mit großer Einstimmigkeit die Einschränkung von Maßnahmen durch Herrn Scholz abgelehnt. Man muss auch über geltende Gesetze nachdenken. Deswegen ist es notwendig, sich genau anzuschauen, wie sich die Situation in Hessen entwickelt.

Wir haben bislang immer noch nicht – das ist eine der abstrusesten Angelegenheiten – verlässliche Zahlen, um die Arbeit der Optionskommunen mit den Jobcentern, wo Kommunen und Arbeitsagentur zusammenwirken, zu vergleichen.

Für viele ist es ein kleiner Punkt, aber ich finde ihn sehr wichtig. Besonders ärgerlich ist, dass es keine validen Daten in den Optionskommunen zur Situation schwerbehinderter langzeitarbeitsloser Menschen gibt. Wir wissen, dass es sich um einen Bereich handelt, wo Menschen sehr schwer in den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln sind, wo besondere Hilfen erforderlich sind. Wenn die Optionskommunen nicht in der Lage sind, hierzu entsprechende Statistiken zu liefern, ist das auch ein Armutszeugnis für die Arbeitsmarktpolitik der CDU in diesem Land.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir sollten auch nicht verschweigen, dass die Zahlen der hessischen Optionskommunen nicht ganz so gut sind, wie die Landesregierung immer vorgibt. So wies der Leiter der Regionaldirektion Hessen zu Beginn des Jahres darauf hin,dass Hessen im Rechtskreis des Sozialgesetzbuchs II nicht den Bundesdurchschnitt erreicht.

Hier ein paar Zahlen.Im Vergleich von Dezember 2007 zu Dezember 2008 hat sich die Zahl der Arbeitslosen in hessischen Optionskommunen um 15,5 % verringert. Das hört sich erst einmal ganz gut an.

Bei den hessischen Arbeitsgemeinschaften betrug diese Verringerung 16,9 %, in Westdeutschland insgesamt ging die Zahl der Arbeitslosen hingegen um 18,2 % zurück.

Da zeigt sich doch, dass gerade in Hessen einige selbstkritische Worte der Ministerin zu erwarten gewesen wären, wenn man die Arbeitsmarktpolitik zum Hauptthema einer Regierungserklärung macht.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir GRÜNE haben die Stärkung der kommunalen Jobcenter und der kommunalen Arbeitsmarktpolitik immer gewollt. Gerade Langzeitarbeitslose brauchen individuelle Förderansätze und einen überschaubaren Arbeitsmarkt. Dies ist aber auch in der Konstruktion einer Arbeitsgemeinschaft möglich.

Im Gegensatz zur Hessischen Landesregierung akzeptieren wir jede kommunale Entscheidung, z. B. für Arbeitsgemeinschaften, und werden dafür sorgen, dass künftig alle Kommunen, unabhängig von der gewählten Trägerschaft, die gleiche finanzielle und ideelle Unterstützung durch das Land erhalten.

Meine Damen und Herren, die Verknüpfung der arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Ansätze hat sich bewährt. Das soll auch in Zukunft so sein. Wir wollen nicht, dass Menschen wieder von Amt zu Amt laufen, um Hilfe zu erhalten. Sie sollen Leistung und Hilfe aus einer Hand und aus einem Guss erhalten, und das wollen wir auch organisatorisch fördern.

Lassen Sie mich noch Folgendes zur Bundesagentur sagen: Das operative Geschäft darf keinem Durchgriff einer Zentrale in Nürnberg oder sonst wo unterliegen. Selbstverständlich kann man vor Ort autonomer, effektiver und effizienter entscheiden, was der Einzelne und die Einzelne brauchen. Dazu gehören neben lokalen Entscheidungskompetenzen und Vernetzung auch die dezentrale Personal-, Organisations- und Budgethoheit.

Dafür braucht man Gestaltungsfreiheit vor Ort, flexible Instrumente. Meine Damen und Herren, jede Kommune weiß sehr viel besser, welche Angebote es in der Kommune gibt, die den langzeitarbeitslosen Menschen tatsächlich helfen und sie tatsächlich stärken. Das weiß man in Nürnberg nicht, und das wird man dort auch nie wissen.

Zielsetzung aller Angebote und Maßnahmen muss es doch sein, Langzeitarbeitslosen dauerhaft ein eigenständiges und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.

Deswegen wollen wir den Einfluss der kommunalen Seite gegenüber dem Status quo weiter stärken. Um den Arbeitslosen diesen Ansatz auch wirklich nahezubringen, halten wir eine stärkere Kooperation auch mit anderen Hilfesystemen, z. B. der Jugendhilfe und der Schuldnerberatung, für zwingend erforderlich. Die sozialpolitische Kompetenz der Kommunen ist nicht zu ersetzen und muss

deswegen Teil einer Arbeitsmarktpolitik sein, die wir im Sinne der betroffenen Menschen haben möchten.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Meine Damen und Herren, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist und bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deshalb darf sich der Bund nicht aus seiner Verantwortung entlassen oder entlassen werden. Nur er kann den Rahmen für günstige Arbeitsmarktbedingungen schaffen. Nur er verfügt über die notwendigen finanziellen Ressourcen für Leistungen und Hilfen. Die finanziellen Lasten, die durch die hohe Arbeitslosigkeit verursacht werden, dürfen nicht auf Kommunen und Länder abgeschoben werden.

Aber auch die Landespolitik steht in der Verantwortung. Arbeitsmarktpolitik muss ganzheitlich betrachtet werden. Die verschiedenen Politikfelder müssen im Zusammenhang gesehen werden.

Dazu sind viele Schritte nötig, und es reicht nicht aus, auf die Arbeitsmarktreform zu verweisen, so wichtig diese auch ist. Lassen Sie mich deswegen auf einige Punkte eingehen, die ich für zentral halte, um hier zu einer wirklichen Verbesserung zu kommen.

Um die strukturelle Arbeitslosigkeit abzubauen, muss vor allem die Qualifikation der Arbeitsuchenden verbessert werden. Deswegen müssen wir unsere Investitionen in Bildung und Ausbildung weiter erhöhen. Das ist und bleibt eine drängende Aufgabe, die Staat und Wirtschaft gemeinsam lösen müssen.

In Deutschland arbeiten inzwischen 6,5 Millionen Beschäftigte für Niedriglöhne. Weit über eine halbe Million sozialversicherungspflichtig Beschäftigte sind auf ergänzende Arbeitslosengeld-II-Zahlungen angewiesen, und es wird geschätzt, dass es noch viele weitere gibt, die aus verschiedenen Gründen diese Angebote nicht wahrnehmen.

Längst ist die Diskussion um die Rahmenbedingungen von Arbeitsverhältnissen zu einer Gerechtigkeitsfrage geworden. Viele Menschen sehen durch die immer weiter auseinanderklaffende Einkommensschere zwischen Arm und Reich den sozialen Frieden bedroht. Deswegen ist es überfällig, die Arbeitsbedingungen der Menschen im Niedriglohnsektor zu verbessern.

Dazu gehört das vom Landtag bereits beschlossene Vergabegesetz. Es muss endlich Rechtskraft erlangen, denn damit soll durchgesetzt werden, was viele Menschen schon für selbstverständlich halten: dass nämlich Unternehmen nur dann an Ausschreibungen öffentlicher Aufträge teilnehmen dürfen, wenn sie auch Tariflöhne zahlen.

Meine Damen und Herren, dass es überhaupt so lange dauert, bis eine solche Selbstverständlichkeit umgesetzt wird, ist schon ein Skandal.

Möglichst rasch brauchen wir flächendeckende Mindestlöhne; regionale und Branchenspezifika können dabei berücksichtigt und festgelegt werden. Dafür schlagen wir eine Kommission nach englischem Vorbild vor.

Der Kollege Rock ist schon auf die Zeitarbeitsfirmen eingegangen. Aber ich rate ihm dringend, sich einmal anzuschauen, wie die Zeitarbeit in anderen europäischen Ländern geregelt ist. Dann würden Sie diesen Vergleich eher scheuen.

(Michael Boddenberg (CDU): 99 % sind im Tarifvertrag!)

Da helfen die Zahlen nämlich nicht weiter. Meine Damen und Herren, worum es geht, ist doch, dass die Zeitarbeitenden in den Unternehmen nicht in Konkurrenz stehen, weil sie billiger sind – sondern wir müssen regeln, dass die Entlohnung nach drei Monaten in einem solchen Betrieb entsprechend der der Stammbelegschaft erfolgt. Damit kann sichergestellt werden, dass hier nicht Sozialabbau durch die Hintertür erfolgt.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Auch in der Landespolitik brauchen wir Impulse für eine grundsätzliche Neuorientierung der Ausbildungs- und Arbeitsmarktprogramme. Sie müssen an die kommunalen Maßnahmen angepasst werden. Meine Damen und Herren, gerade für Jugendliche ist sehr viel zu tun, und viele Programme laufen nebeneinander her. Hier ist auf landespolitischer Ebene noch vieles zu regeln.

Für Jugendliche wollen wir früher eine berufliche Perspektive unterstützen. Wir schlagen vor, dass in Hauptund Berufsschulen ab Klasse 5 ein individuelles Fallmanagement erfolgt, das die Schülerinnen und Schüler tatsächlich auf einen vernünftigen Weg in die Arbeit und Ausbildung unterstützt. Meine Damen und Herren, wir fordern einen sozialen Arbeitsmarkt als Alternative zu 1-c-Jobs. Es ist doch klar, dass wir es mit einer ganzen Reihe von Menschen zu tun haben, die eindeutig mittelund langfristig nicht in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden können. Wir brauchen einen sozialen Arbeitsmarkt, der gerade diesen Menschen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse verschaffen kann.

(Beifall der Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Marjana Schott und Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Das sind sicher nicht 25.000,aber ich denke,das ist ein Bereich, bei dem man wirklich agieren muss.

(Michael Boddenberg (CDU): Wie viele 1-c-Jobs haben wir denn in Hessen?)