Protokoll der Sitzung vom 25.09.2008

Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn... eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird.

Das bedeutet umgekehrt, Schulen in freier Trägerschaft, die über sozial selektierende Zugangsmechanismen verfügen, sind nicht zugelassen. Ich zitiere aus dem letzten diesbezüglichen Urteil des Bundesverfassungsgerichts:

Die Privatschule muss allgemein zugänglich sein, zwar nicht in dem Sinne, dass sie wie die öffentliche Schule jeden Schüler bei Erfüllung allgemeiner Voraussetzungen aufnehmen muss, wohl aber in

dem Sinne, dass sie grundsätzlich ohne Rücksicht auf deren Wirtschaftslage besucht werden kann.

Festzuhalten bleibt, dass Art. 7 Abs. 4 Satz 3 des Grundgesetzes

als verbindliche Verfassungsnorm dazu zwingt, die Ersatzschulgenehmigung zu versagen oder aufzuheben, wenn überhöhte Schulgelder eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern auch nur fördern würden.

Ich kann daher nur fragen: Wie anders denn als Verfassungsbruch im Bereich der Grundrechte soll es zu bezeichnen sein, wenn die Landesregierung beispielsweise der offen profitorientiert arbeitenden Phorms-Schule in Frankfurt, die von der Phorms Management Aktiengesellschaft betrieben wird und Schulgelder zwischen 230 und 990 c monatlich erhebt, die Zulassung erteilt? Wohlgemerkt, das ist eine Schule, die Schulgelder von mindestens 230 c und damit in einer Höhe erhebt,die den HartzIV-Regelsatz von Kindern deutlich übersteigt, womit genau das forciert wird, was das Grundgesetz verbietet: eine Standes- und Plutokratenschule.

(Beifall bei der LINKEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Nicht zu fassen!)

Hier muss der Landtag endlich initiativ werden, um die Verfassung zu schützen. Mit Bildungsansprüchen dürfen nicht länger Geschäfte gemacht werden.Auch Träger von als gemeinnützig anerkannten Ersatzschulen wie die AGFS, also die Arbeitsgemeinschaft der Schulen in freier Trägerschaft, beginnen, sich übrigens inzwischen von der Profitmacherei in gewinnorientiert arbeitenden Privatschulen zu distanzieren. Dies zeigt auch die heutige Pressemitteilung der Waldorfschulen. Ich bedanke mich ausdrücklich bei Herrn Handwerk, dass er dies dort so deutlich formuliert hat.

Wir dürfen hier nichts verwischen, indem wir nur allgemein von Privatschulen reden, wie es in dem Antrag der FDP der Fall ist, und alle über den gleichen Leisten brechen. Daher werden wir im Ausschuss darauf hinwirken, zu anderen, differenzierteren Begrifflichkeiten zu kommen.

(Mark Weinmeister (CDU): Und die wären?)

Auf der Tagung der GEW in der letzten Woche zur Grundschule,zu der Sie,Herr Kollege Irmer,wie Frau Habermann schon gesagt hat,als einziger bildungspolitischer Sprecher nicht erschienen sind – Herr Irmer, ich habe mir überlegt, dass ich Ihnen nächstens anbiete, Sie in meinem kleinen roten Mini mitzunehmen, damit Sie auch wirklich einen Parkplatz bekommen – –

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Ich wusste gar nicht, dass Sie Sehnsucht nach mir haben! Aber ich fahre lieber selbst, da weiß ich, wo ich hinkomme!)

Auf dieser GEW-Tagung äußerte sich auch eine Lehrerin folgendermaßen. Sie bekannte, zu einer privaten Schule gewechselt zu sein, weil das öffentliche Schulwesen ihrer Meinung nach seinem Bildungsauftrag inzwischen nicht mehr gerecht wird. Sie bekam dafür viel Beifall von den anwesenden Lehrerinnen und Lehrern.

Genau das ist der Knackpunkt. Im Augenblick profitieren private Schulen vom desolaten Zustand des öffentlichen Schulwesens. Sie profitieren davon, dass die Klassen viel zu groß sind, dass keine Stunden für individuelle Förderung zur Verfügung stehen, dass Kinder mit schlechten Noten sitzen bleiben oder abgeschult werden.

Wir sagen, Bildung ist ein Menschenrecht. Auf ein Menschenrecht müssen alle gleichermaßen zugreifen können. Das geht nicht, wenn Schulgeld gezahlt werden muss, d. h. nur Eltern, die es sich leisten können, dem desolaten öffentlichen Schulwesen den Rücken kehren und sich eine Schule für ihr Kind auswählen können, die ihrer Vorstellung von guter Bildung entspricht.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Wieso ist das öffentliche Schulwesen desolat? Das ist eine Diffamierung aller GEW-Lehrer!)

Ich habe die GEW-Lehrer nicht diffamiert. – Die Konsequenz ist: Je schlechter die Rahmenbedingungen in öffentlichen Schulen werden, je mehr das Schulsystem kaputtgespart wird, umso mehr boomen die Privatschulen – wir haben gehört, es gibt einen Zuwachs von 3,2 % –, umso eher schicken Eltern, die es sich leisten können, ihre Kinder auf private Schulen. Manche verschulden sich sogar dafür.

So weit ist der Boom erklärbar. Mit diesem Boom der Privatschulen wird aber wiederum das öffentliche Schulwesen direkt geschwächt. Extreme Konsequenzen sehen wir übrigens in den ostdeutschen Ländern. Öffentliche Schulen haben nicht die Lobby, über die Privatschulen manchmal verfügen. Öffentliche Schulen suchen händeringend nach Eltern, die bereit sind, als Elternvertreter Verantwortung zu übernehmen, nach Sponsoren, die besondere Vorhaben der Schulen finanzieren, dies umso mehr, wenn es sich um Schulen in strukturschwachen Gebieten handelt.

Zur Verdeutlichung möchte ich Ihnen wieder einmal von Dietzenbach erzählen, der liebenswerten, aber von vielen sozialen Problemen geschüttelten Kommune im Kreis Offenbach, in der ich lebe. Nach einer Waldorfschule mit Kindergarten will sich nun auch eine Montessori-Grundschule plus Kindergarten bei uns ansiedeln. Der CDUBürgermeister begrüßte die Ansiedlung und stellte der Schule einen hohen zinsfreien Kredit zur Verfügung. Ich persönlich schätze die pädagogischen Leitideen von Maria Montessori sehr.Aber diese Ansiedlung wird die Spaltung der Schullandschaft in Dietzenbach weiter vorantreiben.

(Zurufe von der CDU: Ei, ei, ei!)

Wir haben jetzt schon Grundschulen, in denen über 90 % der Kinder einen Migrationshintergrund haben oder aus bildungsfernen Familien kommen.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das wollen Sie doch politisch! – Florian Rentsch (FDP): Es ist doch nicht Ihre Entscheidung, wo die Eltern ihre Kinder hingeben!)

Dadurch ist für die Mehrzahl der Kinder deutlich mehr individuelle Förderung nötig, um ihnen die gleichen Chancen zu sichern. Die sieben öffentlichen Grundschulen befürchten mit Recht, dass die sowieso schon fragile soziale Mischung in der Schülerschaft noch homogener wird,dass z. B. gut situierte, bildungsnahe Familien sich aus den öffentlichen Schulen weiter zurückziehen und in die neuen privaten Schulen gehen. Die Spaltung in arme und reiche Wohnviertel wird weiter vorangetrieben. Das müssten auch Sie ernst nehmen. Damit entwickeln sich auch die Bildungschancen der Kinder auseinander.

Aber in Art. 7 Abs. 4 des Grundgesetzes steht etwas ganz anderes, nämlich dass die Genehmigung nur dann zu erteilen ist,wenn „eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen... nicht gefördert wird“. Dieses wichtige

Prinzip ist unseres Erachtens bei Weitem nicht erfüllt. Es gibt zwar eine ganze Reihe von Privatschulen, die einen kleinen Teil der Plätze für Schülerinnen und Schüler vorsehen, die ein reduziertes Schulgeld zu zahlen haben oder denen ein Stipendium gewährt wird.Aber das führt leider immer noch nicht dazu, dass unsere Gesellschaft in den Privatschulen abgebildet werden würde.Das wird von vielen Schulen in privater Trägerschaft selbst so gesehen und von vielen auch gar nicht angestrebt. Manche Privatschulen umgeben sich lieber mit elitärem Flair.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Haben Sie etwas gegen Eliten?)

Warum können wir eigentlich eine so starke Hinwendung zu den Privatschulen verzeichnen? Eltern entscheiden sich doch nicht für eine Privatschule,die sie auch noch viel Geld kostet, weil sie privat geführte Schulen besser finden, sondern weil dort bessere Bedingungen angeboten werden. Das ist nachvollziehbar. Aber wir wollen keine schleichende Privatisierung des gesamten Bildungswesens. Daher können wir nicht zustimmen, den Privatschulen bessere Bedingungen zu geben.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU):Aha!)

Besonders unter den Bedingungen knapper Kassen müssen alle verfügbaren zusätzlichen Mittel in das öffentliche Bildungswesen fließen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein gutes Zeichen, wenn, wie gestern im Familienausschuss des Bundestages geschehen, abgelehnt wird, schon in einem Bundesgesetz die Förderung gewinnorientierter Anbieter vorzusehen. Hessen sollte ein Zeichen dahin gehend setzen, dass es dem sogenannten Trend, wie er von von der Leyen für den Kitabereich konstatiert wurde, auch privat-gewerbliche Anbieter finanziell zu fördern, eindeutig entgegentritt.

(Beifall bei der LINKEN)

Hessen sollte, wie schon vier andere Bundesländer vor ihm, grundsätzlich im Bildungsbereich privat-gewerbliche Träger aus der Förderung ausschließen.

Die Position unserer Fraktion fasse ich wie folgt zusammen:

Erstens. Es ist wichtig, zwischen Privatschulen, die als gemeinnützig anerkannt sind, und solchen mit Gewinnabsicht zu unterscheiden. Letztere müssen in ihrem Einfluss auf das öffentliche Bildungswesen entschieden zurückgedrängt werden.

Zweitens. Schulen in privater Trägerschaft dürfen sich nicht in Konkurrenz zum öffentlichen Bildungssystem stellen oder dieses schwächen.

Drittens. Auf allen Ebenen, also auf Landes-, Kreis- und kommunaler Ebene, muss geprüft werden, ob die Einrichtung von Schulen in freier Trägerschaft das Gleichgewicht im derzeitigen öffentlichen Schulsystem eher stört oder tatsächlich eine sinnvolle Ergänzung darstellt.

Viertens. Privatschulen können einen wichtigen Beitrag zur innovativen Veränderung im Bildungssystem leisten. Sie sind darüber hinaus vor allem dort wichtig, wo sie inhaltlich ein ergänzendes Angebot zum öffentlichen Bildungswesen anbieten.

Fünftens. Der Landtag hat in erster Linie die Qualität des öffentlichen Bildungssystems im Land zu garantieren oder, zurzeit richtiger, herzustellen. Und er hat die Mittel dafür bereitzustellen. Das ist unsere vorrangige gemeinsame Aufgabe.

Frau Kollegin Henzler, aufgrund dieser grundsätzlichen Positionen unterstützen wir den Antrag der FDP, eine Anhörung durchzuführen. Wir möchten aber dann im Ausschuss darauf drängen, zu präzisieren, welche Art von Privatschulen der Landtag zu unterstützen gedenkt. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU):Viel erzählt und vorgelesen,aber nicht konkret geworden!)

Vielen Dank, Frau Kollegin Cárdenas. – Zur Kurzintervention erhält Frau Kollegin Henzler das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kollegin Cárdenas,das,was Sie hier vorgetragen haben, hat genau das bestätigt und unterstützt, was ich eingangs in meiner Rede gesagt habe.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Dass eine Privatschule namens Phorms als eine Aktiengesellschaft organisiert ist, ist für Sie natürlich vom Grundsatz her schon gleich ein rotes Tuch.

(Florian Rentsch (FDP): Böse, böse!)

Sie beschäftigen sich nicht einmal mit den Inhalten dieser Schule.Diese Schule erhebt Schulgeld,abhängig vom Einkommen der Eltern. Diese Schule beachtet, dass sehr viele verschiedene Eltern mit sehr vielen verschiedenen Einkommen ihre Kinder zu dieser Schule schicken. Sollte diese Schule dann trotzdem noch Gewinne machen, dann investiert sie sie in die Schule und hat damit noch mehr Chancen, Kinder aufzunehmen, deren Eltern keinen so hohen Beitrag zahlen können. Das zum einen.

Zum Zweiten haben Sie heute eine Zensur in der Zulassung privater Schulen fertiggebracht. Sie geben die pädagogischen Inhalte vor, wenn sie zugelassen werden will. Und dann darf die Schule auch entsprechend gefördert werden. So was Ähnliches hatten wir schon einmal, dass nämlich nur d i e mehr bekommen haben, deren pädagogische Konzepte der Regierung gepasst haben. Sie geben vor, wie die Schule aufgebaut sein muss. Sie geben vor, wo diese Schulen überhaupt errichtet werden dürfen. Sie geben vor, welche Art von Schule das sein muss, und Sie geben vor,dass sie auf gar keinen Fall in irgendeiner Form in Wettbewerb zu den staatlichen Schulen treten dürfen.Damit machen Sie das Privatschulwesen und das Schulwesen in freier Trägerschaft in diesem Land kaputt.

(Beifall bei der FDP – Zuruf von der FDP: Das ist doch die Absicht!)

Vielen Dank, Frau Kollegin Henzler. – Für die Fraktion der GRÜNEN erhält der Abg.Wagner das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich stelle fest, dass es beim Thema Schulen in freier Trägerschaft einen ganz breiten Konsens in diesem Landtag gibt. Die CDU

spricht sich für diese Schulen aus, die FDP spricht sich für diese Schulen aus, die SPD spricht sich für diese Schulen aus, wir GRÜNEN selbstverständlich auch, und auch die Rede der LINKEN habe ich so verstanden, dass sie auf einem guten Weg ist.