Protokoll der Sitzung vom 09.04.2008

Wählen heißt, unterscheiden zu können zwischen verschiedenen politischen Inhalten und Zielen.Ich bin davon überzeugt,nur das motiviert die Menschen zur politischen Teilhabe und im Endeffekt auch dazu, zur Wahl zu gehen.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU):Ausgrenzen einer Großen Koalition!)

Meine Damen und Herren, wir werden also unsere zentralen Vorhaben für einen Politikwechsel in Hessen als Landtagsinitiativen einbringen und dafür um Mehrheiten ringen. Wir werden begründen, warum diese für die soziale, für die wirtschaftliche und für die ökologische Zukunft Hessens geboten sind. Selbst erteilte Freisprüche der Landesregierung für vorhandene Missstände und Fehlentwicklungen werden wir nicht zulassen. Ich freue mich darauf, jetzt im parlamentarischen Rahmen den inhaltlichen Dialog mit Ihnen aufzunehmen.

Wir werden auch Anträge stellen – ich sage das auch –, die die Verordnungspraxis der Landesregierung und deren Abstimmungsverhalten im Bundesrat betreffen. Eine geschäftsführende Landesregierung hat meiner Meinung nach auch dafür nur ein eingeschränktes Mandat, das sie nicht gegen eine festgestellte Landtagsmehrheit in Anspruch nehmen kann.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LINKEN)

Meine Damen und Herren, wir wissen, dass eine bloße Parlamentsmehrheit für politische Willenserklärungen und Gesetze kein vollwertiger Ersatz für ein Regierungs

mandat sind.Trotzdem haben für uns die Realisierung unseres politischen Programms durch Landtagsmehrheiten und das Ziel einer Regierungsbildung unter sozialdemokratischer Führung Vorrang vor dem Ruf nach Neuwahlen – um auch das klar zu sagen.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU) – Günter Rudolph (SPD): Herr Wagner, Hochmut kommt vor dem Fall! – Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Die Wählerinnen und Wähler haben uns einen Auftrag erteilt, und keine Partei sollte sich auf Brechts Satire vom 17. Juni zurückziehen, wonach es einfacher wäre, die Regierung löse das Volk auf und wähle ein anderes. So einfach sollten wir es uns nicht machen.So einfach wollen wir nicht vorgehen. Deshalb steht für uns die inhaltliche Arbeit im Vordergrund.

(Frank Gotthardt (CDU): Wenn bei Ihnen Fraktionsmitglieder widersprechen, fordern Sie den Rücktritt! – Weitere Zurufe)

Ich sage es ganz klar: Natürlich haben sich die Umfragezahlen anders entwickelt. Niemand sollte im Moment Neuwahlen anstreben. Wir tun das nicht, und wir wollen das auch nicht, weil wir glauben, dass wir unsere Inhalte hier einbringen können. Ich sage an dieser Stelle aber auch klipp und klar: Wir haben auch keine Angst davor, weil unsere Themen nach wie vor richtig sind.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt eine Mehrheit in diesem Land, in diesem Landtag, die wieder ein tolerantes und weltoffenes Hessen will und die weiß, dass unser Land seine menschliche Lebensqualität nur so erhalten und globalisierungsfähig bleiben kann. Es gibt eine Mehrheit, die nicht die gesamte Wirtschaft einem weiteren Konzentrationsprozess ausliefern will und die weiß, dass es deshalb bei der Stärkung regionaler Wirtschaftskraft und des Mittelstandes einen neuen landespolitischen Schwerpunkt geben muss. Es gibt eine Mehrheit, die tatsächlich gleiche Bildungschancen ohne willkürliche Frühauslese will und die weiß, dass dafür die Studiengebühren aufgehoben werden müssen, eine G-8Reform durchgesetzt werden muss und Ganztagsschulen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie eingeführt werden müssen. Es gibt eine Mehrheit, die mehr soziale Gerechtigkeit nicht nur für sich selbst will und die will, dass sich Hessen für gesetzliche Mindestlöhne einsetzt und die weiß, dass das soziale Netz neu geknüpft werden muss und neue Initiativen für die Gleichberechtigung der Geschlechter ergriffen werden müssen.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt eine Mehrheit, die dauerhaft gesicherte und umweltfreundliche Energieversorgung will und die weiß, dass dafür ein schneller und umfassender Wechsel zu erneuerbaren Energien vollzogen werden muss. Wir haben uns sehr gefreut, dass Sie in diese Richtung denken.

(Michael Boddenberg (CDU): Das ist nicht nur heute, Frau Kollegin!)

Das und anderes mehr ist der Politikwechsel zu einer sozialen Moderne. Meine Damen und Herren, das ist unser Wählerauftrag, und das ist die Zukunft Hessens.

(Beifall bei der SPD)

Bei aller Notwendigkeit, sich der Zukunft zuzuwenden, dürfen die Versäumnisse der letzten Jahre nicht unter den Teppich gekehrt werden, zumal sich aus diesen Versäum

nissen zu einem Teil die Notwendigkeit für einen Politikwechsel begründet.

Herr Koch, Sie haben gesagt, wir würden die Landesregierung piesacken wollen. Ich sage Ihnen: Das haben Sie uns fälschlicherweise in den Mund gelegt.

(Michael Boddenberg (CDU): Prima!)

Sie haben gleich noch nachgelegt, dass wir Ihnen nur den Rasen zertrampeln wollen, wenn wir schon nicht mitspielen wollen.

(Zurufe der Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU) und Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Meine Damen und Herren, ich habe mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass selbst Herr Rüssmann sich von Ihnen falsch verstanden gefühlt hat.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und bei Abge- ordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Ministerpräsidenten Roland Koch)

Erlauben Sie mir an dieser Stelle einen weiteren Exkurs. Meine Damen und Herren,zum Spiel:Nicht meine Mannschaft hat Spieler vom Feld gestellt bekommen, sondern es war Ihre Mannschaft, die Spieler vom Feld gestellt bekommen hat.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LIN- KEN)

Meine Damen und Herren, Herr Koch, zweitens sollten Sie vielleicht zur Kenntnis nehmen, dass Sie hier keine Heimspiele mehr haben, sondern das werden Auswärtsspiele werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sagen Sie einmal etwas zur Zukunft des Landes!)

Drittens. Bei Rüssmann hat etwas geklingelt.

(Michael Boddenberg (CDU): Kennen Sie den?)

Herr Metz, ich gehe davon aus, dass das Beispiel eher von Ihnen kam, weil Herr Rüssmann Schalke-04-Spieler war.

(Ministerpräsident Koch: Richtig gut!)

Er war ein guter Spieler. Man hat zu ihm auch „Knochenbrecher“ gesagt.

(Heiterkeit – Michael Boddenberg (CDU): Filigraner Verteidiger war er nicht!)

Was noch viel spannender ist – Herr Metz, ich weiß nicht, ob Sie das wissen,ob Sie sich das Beispiel dann ausgesucht hätten –: Rolf Rüssmann war einer der Hauptangeklagten im Bundesliga-Bestechungsskandal und wurde 1973 rechtskräftig verurteilt.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was noch interessanter ist: Herr Koch, eben dieser Rüssmann war beim entscheidenden verschobenen Spiel Schalke gegen Bielefeld – 0 : 1 – mit von der Partie.Wegen diesem Geschiebe sind die Offenbacher Kickers abgestiegen. Lieber Tarek, das solltest du nicht vergessen.

(Zurufe von der SPD: Ui! – Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Minister Stefan Grüttner: Und Waldemar Klein gibt den Koffer nach Berlin!)

Ein bisschen Spaß muss auch sein.

(Axel Wintermeyer (CDU):Sagen Sie einmal etwas zur Zukunft! – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Ein bisschen Ernst jetzt! – Unruhe)

Meine Damen und Herren, wenn ich mir das Werben von Herrn Koch zu Jamaika anschaue, fällt mir ein ganz anderes Zitat ein, nämlich das von Andi Möller. Andi Möller wurde gefragt, wo er demnächst spielt. Da hat er gesagt: „Madrid, Mailand – egal, Hauptsache Italien.“ – So viel zu Jamaika.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und bei Abge- ordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Norbert Schmitt (SPD): Hauptsache Jamaika!)

Meine Damen und Herren, ich kann festhalten: Anhand des Fußballs lassen sich die tatsächlichen gesellschaftlichen Verhältnisse manchmal gut aufklären.

Meine Damen und Herren, nein, keine Nadelstiche, sondern wir werden die politische Nagelprobe für diese Inhalte im Landtag machen und in konkrete Gesetze, Anträge und andere Initiativen leiten.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sagen Sie einmal etwas zum Inhalt!)

Sie haben in Ihrer Regierungserklärung von vier verschiedenen Ebenen gesprochen. Die erste Ebene war die des gesetzgebenden Handelns. Da sind Sie auf 50 Gesetze gekommen. Herr Koch, das sind meistens die Gesetze, die turnusgemäß anstehen, weil Sie ihre Geltungsdauer begrenzt haben. Ich kann Ihnen versprechen: Vieles davon wird Routine sein.Trotzdem werden wir uns jedes Gesetz daraufhin anschauen, ob es noch einmal neu so verabschiedet werden kann. Das ist klar.

(Beifall bei der SPD)

Die zweite Ebene war die der Zukunftsprojekte ohne Gesetzgebungsbedarf. Da habe ich bei Ihnen eigentlich nur drei konkrete Vorschläge herausgehört. Dazu sage ich das, was ich bereits am Samstag gesagt habe: Wir werden alle Initiativen der Landesregierung mit großer Offenheit prüfen und werden dann sehen, ob es an manchen Stellen Verbesserungen oder Änderungsvorschläge geben kann.

Die dritte Ebene ist allerdings die Ebene, bei der es spannend wird: Das sind die Entscheidungen von grundsätzlicher landespolitischer Bedeutung. Ich gehe davon aus, dass wir an dieser Stelle den größten Diskussionsbedarf im Parlament haben werden.