Protokoll der Sitzung vom 14.05.2008

Denn die große Mehrheit sieht sich nicht als reine Brotverdiener, sondern als Erzieher der Kinder. Noch können oder wollen viele Väter diese neue Haltung mit den Anforderungen des Erwerbslebens in Einklang bringen. Vor diesem Hintergrund ist Familienfreundlichkeit in der Arbeitswelt eine Voraussetzung für Partnerschaft und für die Chancengleichheit von Männern und Frauen.

Es vollzieht sich eine Trendwende, die auch durch die Intensivierung der öffentlichen Diskussion angestoßen ist. Der Unternehmensmonitor Familienfreundlichkeit des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigt:Von 2003 bis 2006 hat die Familienfreundlichkeit der deutschen Wirtschaft deutlich zugenommen. In Hessen wie im gesamten Bundesgebiet sehen drei Viertel der Führungskräfte Familienfreundlichkeit als ein Thema der Zukunftssicherung für ihr Unternehmen.

Es vollzieht sich eine „stille Revolution“,wie Gisela Erler, Direktorin der europäischen Work-Life-Balance-Konferenz sagt.

Sie vollzieht sich zu einem denkbar günstigen Moment und ist, was bei Revolutionen selten genug der Fall ist, im Interesse beider Seiten: hier die Frauen, die den Beruf ausüben wollen, und die Männer, die auch Väter sein wollen – und dort die Unternehmen, die auf gut ausgebildete Frauen,die der Kinder wegen zu Hause bleiben,nicht verzichten können. Dass wir auf einen Fachkräftemangel zusteuern, erhöht den Veränderungsdruck. Denn viele Bewerber, explizit weibliche, fragen heute danach, was Firmen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf tun.

Mittlerweile hat sich eine breite Palette von Maßnahmen entwickelt: von Modellen der Arbeitszeitgestaltung über Telearbeit bis hin zur Kinderbetreuung. Die Politik muss hier Partner der Wirtschaft sein. Sie muss diese Maßnahmen anstoßen und unterstützen.

Die Landesregierung ist hier mit vielen Initiativen bei der Sache, wie dem Wettbewerb „Familienfreundlicher Betrieb“ und den Familienservicestellen. Mit Modellen der alternierenden Telearbeit, Ferienbetreuungsangeboten und Eltern-Kind-Arbeitszimmern wird sie ihrer Vorbildfunktion gerecht – auch dadurch, dass sie sich dem Audit Beruf und Familie unterzieht.

Meine Damen und Herren,das hört sich alles gut an.Aber wo sind die Schwachstellen? Die VhU-Studie gibt ein kla

res Signal: Den Führungskräften fehlt es insgesamt nicht an betrieblichen Instrumenten – mit Ausnahme der Kinderbetreuung. Es wird ein Ausbau für alle Altersgruppen für erforderlich gehalten: für Kinder unter drei Jahren, für Kinder im Kindergartenalter und für Schulkinder. Die Kinderbetreuung wird noch zu wenig an den Erwerbsalltag angepasst.Zwei Drittel der Beschäftigten mit Kindern sagen, dass es ihnen wichtig ist, dass der Arbeitgeber bei der Suche nach einer geeigneten Betreuung hilft.

Diese Erwartungshaltung aber wird nicht erfüllt. Das erscheint auf den ersten Blick nicht nachvollziehbar. Denn Betreuungslücken wirken sich meist auf den betrieblichen Alltag aus. Hier hat die betriebliche Kinderbetreuung ganz besondere Vorteile. Sie kann am Bedarf des Unternehmens ausgerichtet werden.

58% der Führungskräfte sagen, qualifizierte Fachkräfte sind dann einfacher zu gewinnen. 94 % sagen, die Motivation der Beschäftigten wird dadurch deutlich erhöht. Kinderbetreuung reduziert die Fehlzeiten eines berufstätigen Elternteils um durchschnittlich 1,5 Fehltage im Jahr. Einstellungs- und Einarbeitungskosten werden reduziert, der Wiedereinstieg nach der Familienphase erleichtert. Empirische Studien belegen unter dem Strich den schon vorhin genannten Betrag: eine 25-prozentige Rendite auch bei betrieblicher Kinderbetreuung.

Es gibt viele Möglichkeiten der Umsetzung. Sie reichen vom klassischen Betriebskindergarten über Betreuungszuschüsse bis zu Belegplätzen. Innovative Lösungen ergeben sich durch die Kooperation von Unternehmen mit anderen Firmen oder Partnern aus anderen gesellschaftlichen Bereichen.

Doch die Betriebe halten sich zurück. Im Jahr 2006 boten nur 3,5 % der deutschen Unternehmen betriebliche Kinderbetreuung an.Welches sind die Gründe dafür?

Noch im Jahr 2003 sagten im Unternehmensmonitor die meisten Unternehmen, Kinderbetreuung sei keine betriebliche Aufgabe, sondern die Pflicht von Ländern und Kommunen.

Wie die aktuelle Befragung aus dem Jahr 2006 zeigt, hat sich das mittlerweile geändert. Jetzt sehen viele in der Kinderbetreuung das, was sie wirklich ist: eine wertvolle Ergänzung zur öffentlichen Infrastruktur, die in besonderer Weise hilft, die Betreuungszeiten der Kinder und die Arbeitszeiten der Eltern aufeinander abzustimmen.

Dennoch hat sich dieser Sinneswandel noch nicht ausgewirkt. Entscheidend für dieses zögerliche Engagement dürften Hürden sein, die in der Unternehmensstruktur liegen. Die Abhängigkeit von der Unternehmensgröße ist bei den Angeboten der Kinderbetreuung sehr hoch. Ein Zitat aus der VhU-Studie: „Diese Unternehmen sind sehr groß, wir sind dafür zu klein.“

In Hessen gibt es, wenn ich richtig recherchiert habe, 50 Betriebskindergärten, fast alle von Großunternehmen.

(Florian Rentsch (FDP): Das muss sich ändern!)

Ein Betriebskindergarten bindet langfristig Mittel, hat je nach Modell relativ hohe investive und Betriebskosten und braucht eine dauerhafte Belegung. Das kann ein kleineres Unternehmen kaum stemmen. Die Größenordnung eines Unternehmens schränkt also dessen Möglichkeiten ein.

Dieser Erkenntnis muss die Politik durch neue Rahmenbedingungen Rechnung tragen, damit Kinderbetreuung auch für mittlere und kleine Unternehmen eine Option

wird. Das wollen wir in Hessen ermöglichen. Denn Hessen ist ein Land des Mittelstandes. 99,7 % der Unternehmer gehören ihm an, er stellt 64 % der Arbeitsplätze. Es gilt, Schützenhilfe zu geben, damit die Bereitschaft der Betriebe in Handeln umgewandelt und dieser Prozess durch neue Fördermöglichkeiten beschleunigt wird, die den Mittelstand ansprechen.

Deshalb schlagen wir vor, die Unterstützung der Kinderbetreuungsangebote von kleinen und mittleren Unternehmen in den hessischen Katalog der Förderung mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds aufzunehmen, aus dem bis zum Jahr 2013 insgesamt 186 Millionen c für beschäftigungsfördernde Maßnahmen fließen.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sehr gut!)

So kann ein Programm geschneidert werden,das hilft,diesen Wettbewerbsnachteil des Mittelstandes auszugleichen, indem betriebsübergreifend in Verbundlösungen zusammengearbeitet wird.

Bisher gibt es in Hessen nur wenige betriebsübergreifende Einrichtungen. Bei meiner Recherche bin ich auf drei gestoßen: Fluggiland, gemeinsam von Fraport, Lufthansa und Siemens betrieben;die Kinder-Arche,ebenfalls von Fraport, Sanofi-Aventis und Infraserv betrieben; und die Waschbären für Kinder von Firmenangehörigen des Industrieparks Frankfurt.

Wir wollen, dass sich betriebliche Kinderbetreuung auch für die kleinen und mittleren Unternehmen in Hessen auszahlt. Denn, um kein falsches Bild aufkommen zu lassen, gerade sie sind in besonderer Weise mit Familiensinn ausgestattet. Meist sind sie selbst Familienunternehmen. Sie kennen die Lebenssituation ihrer Mitarbeiter,nehmen Anteil, helfen unbürokratisch und haben es aufgrund der Überschaubarkeit und der kurzen Entscheidungswege leichter als Großbetriebe, geeignete Lösungen zu erarbeiten und umzusetzen.Aber bei der Schaffung verlässlicher Strukturen in der Kinderbetreuung sind sie gegenüber Großunternehmen im Nachteil.

Kürzlich hat der Bund ein Förderprogramm zum Ausbau der betrieblichen Kinderbetreuung gestartet. Es richtet sich an Unternehmen mit bis zu 1.000 Beschäftigten und fördert die Einrichtung von neuen betrieblichen Kinderbetreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren zwei Jahre lang.

Erster Vizepräsident Lothar Quanz:

Frau Kollegin!

Ja. – Mit dem hessischen Programm wollen wir einen Akzent setzen und über dieses Bundesprogramm hinausgehen: Es soll für regelmäßige Betreuung der verschiedenen Altersgruppen gelten, und es soll auch besonderem, situationsspezifischem Betreuungsbedarf in Notfallsituationen gerecht werden. Auch die kleinen und mittleren Unternehmen sollen ihren Beitrag zu einer zeitlich flexiblen, sensiblen und passgenauen Betreuungslandschaft in Hessen leisten können. Es sollen viele Angebote entstehen, denn auch hier gilt: Sozial ist, was Arbeit schafft.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Erster Vizepräsident Lothar Quanz:

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. Ihre Redezeit ist um.

Bessere Möglichkeiten für die Erwerbstätigkeit von Müttern und Vätern vermindern Armutsrisiken.Andere Länder wie Frankreich und in Skandinavien zeigen: Ein gutes Kinderbetreuungsangebot führt nicht nur zu einer hohen Erwerbsquote, sondern auch dazu, dass mehr Kinder geboren werden. Deshalb sollten wir diesen Weg gehen.

(Beifall bei der CDU)

Erster Vizepräsident Lothar Quanz:

Danke sehr,Frau Müller-Klepper.– Für die SPD-Fraktion wird nun Herr Kollege Merz den Dringlichen Antrag begründen.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Wir wollen die Frau Fuhrmann sehen!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Kollegin Müller-Klepper, ich muss gestehen, dass ich sowohl bei der ersten wie auch bei der mehrmaligen Lektüre Ihres Antrags sowohl hinsichtlich des Inhalts als auch der Begründung ein wenig ratlos zurückgeblieben bin.

Das hat sich durch Ihren Beitrag nicht wesentlich geändert. Sie haben sehr wortreich, völlig zu Recht und unstreitig – insofern haben Sie eine ziemliche Menge offener Türen eingerannt – die Notwendigkeit einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, insbesondere für Frauen, sowie einer frauen- und familienfreundlichen Gestaltung der Arbeitswelt beschworen.Was Ihr Antrag aber tatsächlich sagt, bleibt sehr deutlich hinter dem zurück, was Sie hier als Notwendigkeit skizziert haben.

Ich hatte ein bisschen den Eindruck, und dieser hat sich hier bestätigt, dass der Antrag nach dem Prinzip des „Laubsäge-Interviews“ gestellt worden ist. Der Begriff „Laubsäge-Interview“ stammt von dem deutschen Kabarettisten Wolfgang Neuss aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren. Dieser beschreibt ein Vorgehen nach dem Motto: Sagen Sie mir, was ich Sie fragen soll, denn dann fällt es Ihnen leichter, zu antworten. – Man hatte ein bisschen den Eindruck, dass Sie der Landesregierung eine Frage stellen wollten, die diese eigentlich bereits beantwortet hat.

Was Sie mit Ihrem Antrag tatsächlich beantragen wollen und was Sie vorgegeben haben, geprüft zu haben, ist, wie eine stärkere Förderung betriebsübergreifender Kindertagesstätten realisiert werden kann und ob dafür aus dem Europäischen Sozialfonds entsprechende Mittel abgerufen werden können. Diese Frage wurde im Grunde beantwortet,denn Sie haben selbst auf das ESF-finanzierte Programm der betrieblich unterstützten Kinderbetreuung hingewiesen. Die Förderfibel liegt vor. Sie haben das auch in Ihrer Begründung erwähnt. Dies ist in der Tat ein Programm, das den Ausbau von Betreuungsplätzen für unter Dreijährige vorsieht. Es geht aber nicht, wie Sie das ausgeführt haben, in erster Linie um betriebsnahe oder betriebliche Kinderbetreuungsplätze, sondern im Zentrum der Überlegungen steht vor allen Dingen die Kooperation

mit bestehenden Einrichtungen – sei es mit den Einrichtungen der Kommunen oder freier Träger.

Das ist eine Richtung, in die wir uns in erster Linie bewegen wollen. Daher haben wir unseren Dringlichen Antrag derart formuliert. Das schließt nicht aus, dass auch kleine und mittlere Unternehmen betriebsnahe oder betriebliche Einrichtungen schaffen – über Vereine, die von den Betrieben gebildet werden, wie dies auch bei den Großbetrieben der Fall ist. Das wird nicht ausgeschlossen. Wir glauben aber nicht,dass dies in Bezug auf den Ausbau der betrieblichen oder betrieblich unterstützten Kinderbetreuung der Königsweg ist. Aus Ihren Äußerungen schien schon wieder sehr deutlich hervor, dass das der Weg ist, den Sie favorisieren. – Das ist der erste Punkt.

Nun zum zweiten Punkt. Da Sie mit Ihren Vorstellungen aufgrund des Förderprogramms davon ausgehen – ich weiß nicht, von welchem Programm Sie noch gesprochen haben, da ich bisher nur das ESF-finanzierte Programm zur betrieblich unterstützten Kinderbetreuung kenne, aber das werden wir vielleicht während der Ausschussberatung klären können –,all das machen zu können,was sowohl die Frage der über Dreijährigen als auch die Laufzeit angeht, sprich: das, was über die zwei Jahre hinausgeht, sage ich Ihnen: Sie würden die Mittel nur noch weiter verteilen und ausdünnen, als es derzeit bereits der Fall ist.

Denn mit diesem Programm stehen bis zum Jahre 2011 – also für vier Jahre – 50 Millionen c zur Verfügung. Das heißt, es stehen für ein Jahr bundesweit 12,5 Millionen c zur Verfügung. Das bedeutet für Hessen – ich kann schlecht rechnen, aber ich gehe davon aus, wenn es denn gut ginge – rund 1 Million c. Daher wird man, wenn man den Förderrahmen noch ausweiten will, nicht sehr viel weiterkommen.Folglich müsste sich das Land mit eigenen finanziellen Mitteln – ich betone: mit eigenen Mitteln – in die Finanzierung einbringen. Wenn das der Fall ist, dann muss man sich in der Tat ein paar mehr Gedanken über die inhaltliche Ausgestaltung dessen machen,was man haben will.

Dazu möchte ich im Folgenden ein paar Bemerkungen machen, weil die Frage aufgeworfen wird, wie wir mit unserem eigenen Geld umgehen. Daher muss auch gesagt werden, welchen Stellenwert eigentlich die betrieblich unterstützte Kinderbetreuung angesichts der Sicherung, des Ausbaus, der Qualitätsentwicklung, der Flexibilisierung des gesamten Systems der Betreuung,der Förderung von Kindern sowie der Entlastung von Familien,vor allem der Frauen, hat. Das ist sozusagen die zentrale Frage, die wir uns zu stellen haben. Daher sind Ihr Antrag, seine Begründung sowie Ihre heutige Rede ein bisschen unscharf geblieben. Das muss ich an dieser Stelle sagen.

Wenn wir über das Geld des Landes reden, dann können wir uns nicht nach dem Motto herauslavieren: Der Antrag schadet nicht, also können wir das machen. – Das ist ein Verfahren, welches ich häufig anwende, weil man damit viel Zeit sparen kann. Aber hier geht es in der Tat um Geld, das ausgegeben werden soll, und es soll vernünftig ausgegeben werden.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,ich möchte nun zu dieser Fragestellung,die ich für angemessen halte und die auch beantwortet werden muss – zwar nicht heute, aber bis zur Abstimmung über die vorliegenden Anträge –, kommen. Wir haben es bei der Kindertagesstättenentwicklung mit vier Zielhorizonten zu tun:

Erstens. Das sind der quantitative Ausbau und die Sicherung eines flächendeckenden Angebots an Betreuungsplätzen, vor allem für die unter Dreijährigen. Zum anderen geht es um die Ganztagsplätze bzw. um den Ausbau von Betreuungsplätzen mit Mittagsbetreuung sowie Mittagessen, was ein zentraler Punkt ist – sicherlich auch aus Sicht der Frauen.

Zweitens.Wir haben es mit der Sicherung eines qualitativ hochwertigen Angebots in den ländlichen Regionen zu tun, und es geht um die Vernetzung der Einrichtungen mit ihrem sozialen und institutionellen Umfeld, im Sinne dessen, was wir in der letzten Plenarrunde unter dem Stichwort „Familienzentrum“ diskutiert haben.Das ist die Aufgabe der Verankerung der Kindertagesstätten im Zentrum des jeweiligen Gemeinwesens sowie im Zentrum eines auf das Gemeinwesen bezogenen Beratungs- und Hilfesystems.

(Beifall bei der SPD)