Protokoll der Sitzung vom 08.03.2012

Bereits heute haben wir bei der Vollstreckung und der Anordnung des Arrests sehr flexible Möglichkeiten des Einwirkens auf jugendliche Straftäter. Die überwiegenden Stimmen der Praxis – und da frage ich mich, mit wem Sie sich unterhalten, Herr Rentsch – bestätigen genau das Umgekehrte dessen, was Sie gesagt haben, nämlich dass das bestehende Sanktionensystem, das wir heute durch das Jugendstrafrecht haben und das von dem Erziehungs

gedanken geprägt ist, völlig ausreichend und flexibel ist, um auf jugendliche Straftäter angemessen zu reagieren.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Das hat auch nichts mit der Qualität der begangenen Delikte, etwa der Gewaltproblematik, zu tun.

Meine Damen und Herren, über eines müssen wir uns allerdings auch klar sein. Patentrezepte gibt es nicht. Allerdings ist es wichtig, gerade Delikte des Jugendstrafrechts schnell aufzuklären, einen konsequenten Zugriff zu nehmen und mit den flexiblen pädagogischen Mitteln des Jugendstrafrechts angemessen und einzelfallbezogen zu reagieren.

Herr Rentsch, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie einen in der Tat positiven Ansatz erwähnt haben, nämlich die Häuser des Jugendrechtes. Ich bin sehr dankbar dafür, dass diese Initiative der SPD, die wir im Jahr 2007 ergriffen haben, von den Mehrheitsfraktionen aufgegriffen wurde. Das ist in der Tat ein sehr guter Ansatz.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Herr Rentsch, ich möchte aber auch noch an einer anderen Stelle Wasser in den Wein gießen, den Sie dem Hessischen Landtag eben in Ihrer Rede präsentiert haben. Es muss uns doch alle nachdenklich machen, dass die Rückfallquote nach verbüßtem Jugendarrest 70 % beträgt.

Wie sieht denn die Realität aus? – Viele Täter haben bis zur Verhängung einer Jugendstrafe, auch zur Bewährung, in der Regel bereits mehrere Straftaten hinter sich. Das können mehrere Arreste sein. Das ist dann aber eben auch ohne Erfolg gewesen.

(Marius Weiß (SPD): Genau so ist es! Das weiß er auch!)

Herr Rentsch, auch das müssten Sie wissen: Wenn es aus erzieherischen Gründen notwendig ist, kann auch heute bei einem jugendlichen Ersttäter Jugendstrafe ohne Bewährung verhängt werden. Die Verhängung der Bewährungsstrafe bietet heute schon die Möglichkeit, neben der Bewährungsstrafe entsprechende Auflagen und Weisungen zu erteilen.

Da wäre es natürlich hilfreich, wenn die Landesregierung die Bewährungshilfe nicht personell schleifen würde. Die Bewährungshelfer haben immer mehr Probanden zu betreuen. Die Zahl der zu betreuenden Probanden durch die Bewährungshilfe ist in den letzten Jahren immer weiter angestiegen. Heute beträgt das Verhältnis über 80 Probanden pro Bewährungshelfer.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Barbara Cárde- nas (DIE LINKE))

Anstatt hier politischen Klamauk zu produzieren, wäre es hilfreich, wenn Sie in Hessen Ihre eigenen Hausaufgaben machen würden. Das gilt auch hinsichtlich der Vollstreckung des Arrestes. Sie sind es, die die Jugendarrestanstalt in Friedberg schließen, obwohl dort hervorragende Arbeit geleistet wird. Diese Anstalt wurde im Jahre 2008 mit Mitteln in Höhe von 600.000 € umgebaut.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Günter Ru- dolph (SPD): So ist es! Das ist die Wahrheit!)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassen. Eine wirkungsvolle Bekämpfung der Jugendkriminalität braucht keine neuen Instrumente. Vielmehr braucht sie wirkungsvolle präventive Maßnahmen, wie z. B. die

Schaffung von Ganztagsangeboten, die Stärkung frühkindlicher Bildung, die Stärkung der Schulsozialarbeit und die verstärkte Förderung offener Jugendhilfeeinrichtungen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss Ihrer Rede kommen.

Ich möchte Sie daran erinnern, dass Sie es waren, die die Mittel für die Jugendstraffälligenhilfe um 260.000 € gekürzt haben. Herr Justizminister Hahn, ich muss Ihnen aber zugestehen: Mit wirklich sinnvollen präventiven Maßnahmen kann man weniger Klamauk machen.

(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall der Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) und Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Vielen Dank. – Das Wort hat Herr Abg. Dr. Jürgens für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der FDP gehen offenbar nicht nur die Wähler, sondern auch ein bisschen die Themen aus. Das zeigt das Thema Ihrer Aktuellen Stunde.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Was ist geschehen? – Am Sonntag hat die Koalitionsrunde in Berlin die bessere finanzielle Ausstattung der Stiftung Warentest und den Warnschussarrest für Jugendliche beschlossen. Die Koalition hält das für den Beweis ihrer eigenen Handlungsfähigkeit. Alle anderen halten das für den Beweis ziemlicher Armseligkeit. Denn wenn angesichts drängender Probleme im Gesundheitssystem, bei der Pflegeversicherung, beim Mindestlohn, bei der Energiewende, bei der Vorratsdatenspeicherung, dem ActaAbkommen usw. nur Beschlüsse zur Stiftung Warentest und zum Warnschussarrest herauskommen, bleibt zu fragen: Wie armselig ist das eigentlich?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Damit nicht genug. Am Tag darauf, am Montag, reklamiert die FDP in Hessen diese Armseligkeit für sich. „Hessen setzt auf klare Kante beim Rechtsstaat...“, so nennt sie den Titel ihrer Aktuellen Stunde. Da werden dann schon einmal Bundeszuständigkeit und Landeskompetenz verwechselt. Meines Wissens führt nicht Hessen, sondern der Bund den Warnschussarrest ein.

Was ist denn am Sonntag so Spektakuläres passiert? – Da wurde bestätigt, dass das, was im Koalitionsvertrag schon vereinbart ist, gelten soll. Da steht nämlich – ich zitiere –:

... bei Straftaten Jugendlicher und Heranwachsender werden wir den Warnschussarrest... einführen.

So haben das CDU, CSU und FDP vereinbart.

Ich stelle fest: Für die hessische FDP ist die Ankündigung, sich einmal an einen geschlossenen Vertrag halten zu wollen, bereits hinreichender Anlass, hier den Antrag auf eine Aktuelle Stunde zu stellen. – Die Armseligkeit setzt sich fort.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Besonders interessant ist natürlich, dass ausgerechnet die FDP diese Aktuelle Stunde beantragt hat, nicht etwa die CDU. Sie haben es beide vereinbart. Aber die CDU war schon immer für den Warnschussarrest. Die FDP auf Bundesebene war da immer eher skeptisch. Diese Skepsis hat nach wie vor insbesondere die Bundesjustizministerin, die der FDP angehört. Mit ihrer aktuellen Jubelstunde pro Warnschussarrest setzt die hessische FDP also auch das Mobbing gegen die eigene Ministerin fort.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das folgt dem Ziel des Möchtegernnachfolgers Hahn, Frau Leutheusser-Schnarrenberger ein zweites Mal aus dem Amt zu mobben. Der Wechsel der ehemaligen Rechtsstaatpartei FDP zur Law-and-Order-Partei und das Bejubeln des Sieges gegen die eigene Ministerin sind der eigentlich interessante Aspekt an dieser Aktuellen Stunde.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Der Warnschussarrest wird bereits seit mehr als zehn Jahren diskutiert. Die Fachleute warnen und sind überwiegend skeptisch. Ich habe das einmal nachgeschaut. Die Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen, DVJJ, hat schon im Jahr 2006 in einer Stellungnahme darauf hingewiesen, dass die Rückfallhäufigkeit bei Arresten und bei Jugendstrafen ohne Bewährung deutlich höher als bei Jugendstrafen mit Bewährung liegt. Das heißt, Jugendstrafen mit Bewährung haben die höchs te Abschreckungswirkung. Deswegen ist die Behauptung, die Jugendlichen würden eine Verurteilung mit Bewährung für einen Freispruch zweiter Klasse halten, gegenwärtig ohne hinreichende Bestätigung.

(Beifall der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Sie haben das auch wahrgenommen: Aktuell hat der Deutsche Richterbund darauf hingewiesen, dass die meisten, die zu Jugendstrafe verurteilt werden, bereits einen oder mehrere Arreste hinter sich haben. Auch hier kann man mit Fug und Recht an der Abschreckungswirkung zweifeln.

Immerhin: Abschließend wird sich erst beurteilen lassen, wie sinnvoll oder wenig sinnvoll die Maßnahme ist, wenn der Gesetzentwurf vorgelegt wird. Wir werden die Aussagen sehr genau prüfen, uns das anschauen und es beurteilen, wenn es so weit ist. Wenn wirklich etwas vorliegt, werden wir entscheiden, wie wir damit umgehen.

Alle Fachleute sagen das, das kann man eigentlich auch mit den Händen greifen. Das eigentlich Entscheidende im Jugendstrafrecht ist, dass die Strafe der Tat möglichst zeitnah folgt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie der Abg. Nancy Faeser (SPD), Frank Sürmann und Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))

Alle wissen, dass bei vielen Jugendlichen allein durch Zeitablauf der Zusammenhang zwischen der Tat und der nachfolgenden Strafe verloren geht. Das geschieht, wenn die Zeit, die dazwischen liegt, zu lange ist.

Hier liegt natürlich die eigentliche Verantwortung des Landes. Zur Verkürzung der Strafverfahren haben Sie in den letzten Jahren praktisch nichts getan.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Jetzt wollen Sie in der Justiz noch 350 bis 400 Stellen streichen. Natürlich wissen wir nicht, wie viele Stellen die Jugendstrafverfahren betreffen werden. Aber dass das nicht zu einer Beschleunigung, sondern eher zu einer Verzögerung beitragen wird, ist doch mit Händen zu greifen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Hofmann hat das schon erwähnt: Im Herbst dieses Jahres wollen Sie eine der zwei Jugendarrestanstalten, nämlich die in Friedberg mit 60 Plätzen, schließen. Falls der Warnschussarrest tatsächlich einmal von den Jugendgerichten verhängt wird, wie wollen Sie denn dann eigentlich noch gewährleisten, dass dieser zeitnah vollstreckt werden kann? Spätestens da entlarvt sich Ihre aktuelle Jubelstunde endgültig. Sie zeigen beim Rechtsstaat nicht klare Kante, sonder nur dicke Lippe. Das braucht kein Mensch. Deswegen braucht auch kein Mensch die FDP. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das musste einmal gesagt werden!)

Herr Dr. Jürgens, vielen Dank. – Das Wort hat Herr Abg. Dr. Wilken für die Fraktion DIE LINKE.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt bring es bitte einmal fertig, dass es keinen Ältestenrat gibt! – Gegenruf des Abg. Florian Rentsch (FDP) – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), zu Florian Rentsch (FDP) gewandt: Ach Florian, das ist nicht einmal ein Frosch, das ist eine Kaulquappe!)