Andreas Jürgens
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Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir leben in Zeiten, in denen wir erleben, dass ein Leuchtturm der Landesregierung nach dem anderen erlischt. Dazu gehört auch die teilprivatisierte JVA Hünfeld. Ich erinnere mich noch daran, was Herr Dr. Wagner damals als Justizminister angekündigt hat: Es wäre 660.000 € preiswerter. – Es ist jetzt schon ein paar Tage her, als wir von der Landregierung einmal einen Kostenvergleich bekommen haben. Da waren es gerade noch 180.000 €, die das preiswerter war. Das Ganze wurde dadurch erkauft, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der privaten Firma rund 1 Million € weniger verdienen, als sie im öffentlichen Dienst verdienen würden. Das ist wahrlich kein Erfolgsmodell.
Deswegen sollten Sie sich in dieser Frage auch einmal an Baden-Württemberg orientieren. Der dortige Justizminister hat entschieden, dass der dortige Vertrag für die teilprivatisierte Anstalt Offenburg nach Auslaufen nicht verlängert wird. Auch Bayern hat sich inzwischen nach einigen Überlegungen gegen die Teilprivatisierung entschieden. In Sachsen-Anhalt stellt man gerade fest, welche Schwierigkeiten man sich einhandelt, wenn man langfristige Verträge eingeht. In diesem Fall geht es um die Errichtung einer Justizvollzugsanstalt in Public-PrivatePartnerschaft. All das ist kein Erfolgsrezept und sollte deswegen aus unserer Sicht aufgegeben werden.
Herr Präsident, erlauben Sie vielleicht, dass ich den Rest meiner Redezeit auf ein paar Sätze in eigener Angelegenheit verwende.
Viele von Ihnen haben es schon mitbekommen und mich auch darauf angesprochen, dass ich mich als Erster Beigeordneter beim Landeswohlfahrtsverband beworben habe. Wie es so ist: Wer kandidiert, läuft Gefahr, gewählt zu werden oder auch nicht. Das weiß man nach geheimer Abstimmung immer erst, wenn ausgezählt und das Ergebnis verkündet ist. Deswegen werde ich mich hüten, irgendwelche Ergebnisse vorwegzunehmen. Leute, die sich
schon in Amt und Würden gefühlt haben, haben da teilweise schlechte Erfahrungen gemacht.
Wir haben eine neue Koalitionsvereinbarung im LWV, die inzwischen von den Parteigremien genehmigt worden ist. Der Wahlvorbereitungsausschuss hat mich zur Wahl empfohlen. Deswegen ist die Möglichkeit nicht ganz fernliegend, dass ich tatsächlich gewählt werde. Für diesen Fall wäre das hier meine letzte Rede im Hessischen Landtag. Ich lege Wert auf die Feststellung, dass dies nichts damit zu tun hat, dass ich mich in Ihrem Kreis nicht mehr wohlfühle und deswegen etwa eine neue Herausforderung suche. Ich bin jetzt seit etwas mehr als neun Jahren Abgeordneter, bin es immer gerne gewesen, bin es mit Leib und Seele gewesen. Ich bin vielleicht auch das eine oder andere Mal ein bisschen über das Ziel hinausgeschossen. Aber ich glaube, alles in allem habe ich es ganz vernünftig gemacht – und hätte es auch gern weitergemacht, wenn nicht eine noch interessantere Herausforderung auf mich zugekommen wäre.
Die Möglichkeit, gestaltend in dem Bereich tätig zu sein, der mir, wie Sie wissen, besonders am Herzen liegt, nämlich die hessische Behindertenhilfe, und das auch noch mit Dienstsitz in Kassel, meiner Heimatstadt, tun zu können, war so herausfordernd, dass ich mich dem nicht verweigern konnte. Ich habe mich also beworben, und es kann sein, wie gesagt, dass ich heute das letzte Mal im Plenum des Landtags rede. Für diesen Fall wünsche ich Ihnen allen viel Glück und viel Erfolg. Das mit dem Erfolg bezieht sich bei den politischen Mitbewerbern natürlich ganz besonders auf den persönlichen und privaten Bereich.
Im Übrigen: Benehmt euch gut, haltet euch anständig, dass mir keine Klagen kommen, und tschüs.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die UN-Behindertenrechtskonvention, die dieser Tage seit drei Jahren in Deutschland gilt, setzt weltweit neue Maßstäbe für ein menschenrechtliches Verständnis von Behinderung. Sie fordert an verschiedenen Stellen die Achtung der dem Menschen innewohnenden Würde, seiner individuellen Autonomie einschließlich der Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen, auch für Menschen mit Behinderungen. Ihnen soll die volle und wirksame Teilhabe an der
Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft ermöglicht werden. Grundlage dafür sind die Achtung der Unterschiedlichkeit von Menschen mit Behinderungen und die Akzeptanz dieser Menschen als Teil der menschlichen Vielfalt und der Menschheit.
So weit die generelle Regelung. Sie ist umzusetzen und Realität werden zu lassen. Wir wissen alle, das ist leichter gesagt als getan.
Menschen mit Behinderungen erleben oft, dass andere ausschließlich ihre Behinderung wahrnehmen. Aber niemand ist ein Leben lang nur behindert, im Sinne von ausschließlich behindert. Menschen mit Behinderungen sind auch Schüler, Auszubildende, Arbeitnehmer oder sonstige Berufstätige. Sie sind Kinder, Geschwister, Eltern, vielleicht auch irgendwann einmal Großeltern. Sie sind Konsumenten, Verbraucher, Vertragspartner und Kunden. Sie interessieren sich vielleicht für Kultur, für Sport, haben Hobbys oder hätten vielleicht gerne welche, schauen Fernsehen, hören Radio, nutzen das Internet, oder auch nicht. Sie verreisen gerne oder bleiben lieber zu Hause. Sie sind mobil mit dem Auto, dem ÖPNV, dem Rollstuhl oder zu Fuß, vielleicht aber auch gar nicht.
Sie haben aber, mit anderen Worten, wie alle anderen auch in ihrem Leben verschiedene Rollen und unterschiedliche Lebenssituationen. Sie müssen hierbei grundsätzlich so behandelt werden wie nicht behinderte Schüler, Arbeitnehmer, Konsumenten, Kunden, Zuschauer oder Reisende auch, unbeschadet der notwendigen Hilfe, die sie dabei gegebenenfalls brauchen. Nicht mehr, allerdings auch nicht weniger bedeutet Inklusion, wie sie die UN-Behindertenrechtskonvention vorsieht.
Wir haben in Hessen in der gleichberechtigten Teilhabe gerade einen Rückschlag erlitten. Sie haben gestern die bisher geltende Verpflichtung, Gaststätten so weit wie möglich in barrierefreien Räumen zu betreiben, schlicht abgeschafft. Sie können im Landtag wohlfeile Anträge beschließen, wenn Sie aber gleichzeitig Teilhabechancen abbauen, ist das insgesamt natürlich nicht glaubwürdig.
Meine Damen und Herren, jeder von uns nimmt im Leben immer wieder neue Rollen ein, meistens mehrere gleichzeitig. Wir alle sind wechselnden Lebenssituationen ausgesetzt, die wir mal besser und mal weniger gut bewältigen. Niemand ist in allen seinen Rollen gleich zufrieden. Niemand von uns wird allen Anforderungen gleich gut gerecht. Niemand ist in allen Lebenslagen gleich gut aufgelegt. Niemand ist allen Wechselfällen des Lebens gleich gut gewachsen. Mit anderen Worten: Niemand kann alles.
Aber es gibt auch niemanden, der gar nichts kann, immer hilflos ist und nichts vom Leben will. Alle Menschen haben Ziele, Träume und bestimmte Vorstellungen von ihrem Leben. Manche können sie selbst formulieren und haben die Kraft und die Fähigkeit, sie umzusetzen. Andere können sie gar nicht oder nur schwer äußern und nur mit Hilfe anderer verwirklichen. Dies darf kein Grund sein, ihnen das Recht auf Selbstbestimmung abzusprechen und ihnen ein Leben in Sonderwelten vorzuschreiben. Das ist eine der Kernaussagen der Behindertenrechtskonvention.
Von diesem Ziel einer wirklichen Inklusion – da sind wir uns alle einig – sind wir noch ziemlich weit entfernt. Zu Recht weisen CDU und FDP in ihrem Antrag auf die große Bedeutung der Teilhabe am Arbeitsleben hin. Man könnte noch andere wichtige Bereiche ergänzen, wie z. B. kulturelle Teilhabe, inklusive Sozialräume, diskriminierungsfreie Begegnung, eine effektive Gesundheitsversorgung und vieles mehr. Ich will mich nicht über die Hitliste streiten, das Arbeitsleben ist wichtig.
Das Risiko behinderter Kinder, nach dem inklusiven Kindergarten auf eine Förderschule statt auf die Regelschule verwiesen zu werden, ist in Hessen teilweise größer als anderswo. Daran ändert die Landesregierung nichts. Wir haben vorhin darüber diskutiert.
Sind die Kinder erst einmal auf der Förderschule, ist der spätere Weg in die Werkstatt für behinderte Menschen – das lehrt die Erfahrung – leider vorgezeichnet. Diesen Automatismus zu durchbrechen, Herr Utter hat zu Recht darauf hingewiesen, ist ein berechtigtes Anliegen der Initiative Inklusion, die im Antrag von CDU und FDP zu Recht gelobt wird. Besser wäre es allerdings, den Weg in die Sackgasse erst gar nicht anzutreten und bereits in der Schule durch Inklusion den breiteren Fächer aller Möglichkeiten aufzumachen.
Ihrem Antrag können wir – deswegen bitte ich auch um getrennte Abstimmung – in den Ziffern 1 und 2 zustimmen. Das Programm zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen in der Landesverwaltung wurde vor vielen, vielen Jahren von Rot-Grün gestartet und seitdem von jeder Landesregierung fortgesetzt. Das ist gut und richtig und im Übrigen auch erfolgreich. Das sollte so weitergehen.
Den Ziffern 2 und 3 können wir allerdings nicht zustimmen. Wir werden uns enthalten. Ich habe es schon gesagt, die Initiative Inklusion ist in ihrer Zielrichtung ohne Weiteres zu begrüßen. Wenn Sie allerdings so tun, als handele es sich um eine Initiative der Landesregierung, dann ist das, wie Sie wissen, falsch.
Ich komme zum Schluss. – Es ist eine Initiative des Bundes. Die Landesregierung leitet nur weiter, was aus Berlin kommt. Da schmücken Sie sich mit fremden Federn, deswegen werden wir uns enthalten.
Ablehnen werden wir Ziffer 5. Der Minister hat einmal angekündigt, der Aktionsplan aus Hessen werde besser als der aus Rheinland-Pfalz. Tatsächlich ist er schlechter geworden. Dem können wir also nicht zustimmen. – Danke schön.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der FDP gehen offenbar nicht nur die Wähler, sondern auch ein bisschen die Themen aus. Das zeigt das Thema Ihrer Aktuellen Stunde.
Was ist geschehen? – Am Sonntag hat die Koalitionsrunde in Berlin die bessere finanzielle Ausstattung der Stiftung Warentest und den Warnschussarrest für Jugendliche beschlossen. Die Koalition hält das für den Beweis ihrer eigenen Handlungsfähigkeit. Alle anderen halten das für den Beweis ziemlicher Armseligkeit. Denn wenn angesichts drängender Probleme im Gesundheitssystem, bei der Pflegeversicherung, beim Mindestlohn, bei der Energiewende, bei der Vorratsdatenspeicherung, dem ActaAbkommen usw. nur Beschlüsse zur Stiftung Warentest und zum Warnschussarrest herauskommen, bleibt zu fragen: Wie armselig ist das eigentlich?
Damit nicht genug. Am Tag darauf, am Montag, reklamiert die FDP in Hessen diese Armseligkeit für sich. „Hessen setzt auf klare Kante beim Rechtsstaat...“, so nennt sie den Titel ihrer Aktuellen Stunde. Da werden dann schon einmal Bundeszuständigkeit und Landeskompetenz verwechselt. Meines Wissens führt nicht Hessen, sondern der Bund den Warnschussarrest ein.
Was ist denn am Sonntag so Spektakuläres passiert? – Da wurde bestätigt, dass das, was im Koalitionsvertrag schon vereinbart ist, gelten soll. Da steht nämlich – ich zitiere –:
... bei Straftaten Jugendlicher und Heranwachsender werden wir den Warnschussarrest... einführen.
So haben das CDU, CSU und FDP vereinbart.
Ich stelle fest: Für die hessische FDP ist die Ankündigung, sich einmal an einen geschlossenen Vertrag halten zu wollen, bereits hinreichender Anlass, hier den Antrag auf eine Aktuelle Stunde zu stellen. – Die Armseligkeit setzt sich fort.
Besonders interessant ist natürlich, dass ausgerechnet die FDP diese Aktuelle Stunde beantragt hat, nicht etwa die CDU. Sie haben es beide vereinbart. Aber die CDU war schon immer für den Warnschussarrest. Die FDP auf Bundesebene war da immer eher skeptisch. Diese Skepsis hat nach wie vor insbesondere die Bundesjustizministerin, die der FDP angehört. Mit ihrer aktuellen Jubelstunde pro Warnschussarrest setzt die hessische FDP also auch das Mobbing gegen die eigene Ministerin fort.
Das folgt dem Ziel des Möchtegernnachfolgers Hahn, Frau Leutheusser-Schnarrenberger ein zweites Mal aus dem Amt zu mobben. Der Wechsel der ehemaligen Rechtsstaatpartei FDP zur Law-and-Order-Partei und das Bejubeln des Sieges gegen die eigene Ministerin sind der eigentlich interessante Aspekt an dieser Aktuellen Stunde.
Der Warnschussarrest wird bereits seit mehr als zehn Jahren diskutiert. Die Fachleute warnen und sind überwiegend skeptisch. Ich habe das einmal nachgeschaut. Die Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen, DVJJ, hat schon im Jahr 2006 in einer Stellungnahme darauf hingewiesen, dass die Rückfallhäufigkeit bei Arresten und bei Jugendstrafen ohne Bewährung deutlich höher als bei Jugendstrafen mit Bewährung liegt. Das heißt, Jugendstrafen mit Bewährung haben die höchs te Abschreckungswirkung. Deswegen ist die Behauptung, die Jugendlichen würden eine Verurteilung mit Bewährung für einen Freispruch zweiter Klasse halten, gegenwärtig ohne hinreichende Bestätigung.
Sie haben das auch wahrgenommen: Aktuell hat der Deutsche Richterbund darauf hingewiesen, dass die meisten, die zu Jugendstrafe verurteilt werden, bereits einen oder mehrere Arreste hinter sich haben. Auch hier kann man mit Fug und Recht an der Abschreckungswirkung zweifeln.
Immerhin: Abschließend wird sich erst beurteilen lassen, wie sinnvoll oder wenig sinnvoll die Maßnahme ist, wenn der Gesetzentwurf vorgelegt wird. Wir werden die Aussagen sehr genau prüfen, uns das anschauen und es beurteilen, wenn es so weit ist. Wenn wirklich etwas vorliegt, werden wir entscheiden, wie wir damit umgehen.
Alle Fachleute sagen das, das kann man eigentlich auch mit den Händen greifen. Das eigentlich Entscheidende im Jugendstrafrecht ist, dass die Strafe der Tat möglichst zeitnah folgt.
Alle wissen, dass bei vielen Jugendlichen allein durch Zeitablauf der Zusammenhang zwischen der Tat und der nachfolgenden Strafe verloren geht. Das geschieht, wenn die Zeit, die dazwischen liegt, zu lange ist.
Hier liegt natürlich die eigentliche Verantwortung des Landes. Zur Verkürzung der Strafverfahren haben Sie in den letzten Jahren praktisch nichts getan.
Jetzt wollen Sie in der Justiz noch 350 bis 400 Stellen streichen. Natürlich wissen wir nicht, wie viele Stellen die Jugendstrafverfahren betreffen werden. Aber dass das nicht zu einer Beschleunigung, sondern eher zu einer Verzögerung beitragen wird, ist doch mit Händen zu greifen.
Frau Hofmann hat das schon erwähnt: Im Herbst dieses Jahres wollen Sie eine der zwei Jugendarrestanstalten, nämlich die in Friedberg mit 60 Plätzen, schließen. Falls der Warnschussarrest tatsächlich einmal von den Jugendgerichten verhängt wird, wie wollen Sie denn dann eigentlich noch gewährleisten, dass dieser zeitnah vollstreckt werden kann? Spätestens da entlarvt sich Ihre aktuelle Jubelstunde endgültig. Sie zeigen beim Rechtsstaat nicht klare Kante, sonder nur dicke Lippe. Das braucht kein Mensch. Deswegen braucht auch kein Mensch die FDP. – Danke schön.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe während der zweiten Lesung zum Gesetzentwurf der Koalition gesagt, er sei unvollständig, unsystematisch und unübersichtlich. Wir haben gerade in der Berichterstattung gehört, dass er in dritter Lesung auch nicht besser geworden ist. Deswegen könnte ich noch weitere Unwörter hinzufügen: Er ist auch undurchdacht, unüberlegt, uninspiriert, undurchführbar, unordentlich gemacht, untragbar – mit anderen Worten: unmöglich, ungenügend, unterirdisch.
Herr Minister Grüttner hat kürzlich zu einem Gesetzentwurf der SPD gesagt, es sei der schlechteste Gesetzentwurf gewesen, den er je gelesen habe. Das kann nur dann stimmen, wenn er den Gesetzentwurf, den wir jetzt behandeln, nicht gelesen und zur Kenntnis genommen hat;
denn der ist mit Sicherheit der mit Abstand schlechteste, den wir hier je vorliegen hatten.
Meine Damen und Herren von FDP und CDU, ich bleibe dabei: Sie wissen selbst nicht, was Sie eigentlich regeln wollen und was Sie tatsächlich geregelt haben. Sie haben keine Ahnung, was Sie mit diesem Machwerk eigentlich denjenigen zumuten, die das Gesetz ausführen sollen – den Behörden, den Einrichtungsträgern, den Kostenträgern und natürlich vor allem den betroffenen Menschen,
die eigentlich einen Anspruch darauf hätten, dass ihr Lebensumfeld in vernünftiger Form geregelt wird. Dieses Flickwerk in Paragrafenform gehört eigentlich in die Mülltonne und nicht ins „Gesetz- und Verordnungsblatt“, so viel steht fest.
Sie erweisen den vielen Menschen einen Bärendienst. Der heutige Tag ist deshalb ein schlechter Tag für pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen. Es ist ein schlechter Tag für ältere und behinderte Menschen mit Hilfebedarf und diejenigen, die ihnen die notwendige Hilfe leisten wollen.
Ich will die aus meiner Sicht wichtigsten Unsinnigkeiten kurz in Erinnerung rufen. Erstens. Der Anmeldungsbereich ist weiterhin unklar. Fallen Einrichtungen der Behindertenhilfe, Rehabilitationseinrichtungen oder Internate von Förderschulen unter das Gesetz oder nicht? Das ergibt sich weder aus dem Wortlaut noch aus der Begründung.
Zweitens. Wer Betreiber einer Einrichtung ist, ist ebenfalls vielfach unklar. Wenn in einer Einrichtung der Vermieter von Wohnraum und der Erbringer von Dienstleistungen nicht personenidentisch sind, wer ist dann Betreiber – Vermieter oder Anbieter? Beim Einsatz von vermittelten Pflegekräften: Wer ist Betreiber – der Vermittler oder die vermittelte Pflegekraft? Oder bei einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft: Wer ist da eigentlich Betreiber – der Vermieter, die Dienste, die dort im Einsatz sind, oder gar die Betroffenen selbst, die ihren Alltag selbstbestimmt gestalten? Wen also treffen die Betreiberpflichten wie Anmeldung und sonstige Geschichten? – Das ist völlig offen, völlig ungeregelt.
Drittens. Es ist weiterhin offen, welche Kompetenzen die Heimaufsichtsbehörden eigentlich haben – vor allem, ob, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Befugnissen anlassbezogene Prüfungen eigentlich stattfinden dürfen, vor allem, ob diese nur bei stationären Einrichtungen oder auch bei ambulanten Diensten in Betracht kommen. Sie wissen ja nicht einmal, was Sie politisch wollen. Wir haben das in der zweiten Lesung ausführlich besprochen. Sie wissen deswegen auch nicht, warum es eigentlich so chaotisch in Ihren Entwurf gelangt ist.
Viertens. Gerichtlich genehmigte freiheitsentziehende Maßnahmen sollen – so steht es in Ihrem Entwurf – „auf das notwendige Maß“ beschränkt werden. In der Anhörung haben wir aber gehört, dass die Einrichtungen überhaupt keinen Gestaltungsspielraum haben, weil die Gerichte oder notfalls die Betreuer festlegen, wie die Unterbringung durchzuführen ist.
Fünftens. In mindestens zwei Stellen Ihres Gesetzentwurfs taucht ein „Einrichtungsfürsprecher“ auf, der an verschiedenen Stellen beteiligt werden soll. Einen Einrichtungsfürsprecher gibt es in Ihrem Gesetzentwurf aber überhaupt nicht. Der ist dort gar nicht vorgesehen.
Sechstens. Mein letztes Beispiel. In § 15 stellen Sie Qualitätsanforderungen für betreute Wohngruppen auf. In Abs. 3 heißt es, das Gesetz finde auf das Zusammenwohnen von Personen, die besondere persönliche Beziehungen zueinander haben, keine Anwendung.
Nun stellen Sie sich einmal vor, ein Mann und eine Frau – jeweils mit Downsyndrom – arbeiten in einer Werkstatt für behinderte Menschen und wohnen gemeinsam in der gleichen Wohnung. Wollen Sie wirklich untersuchen, ob zwischen ihnen besondere persönliche Beziehungen be
stehen? Wie wollen Sie das beurteilen? Ob beide die gleiche Butterdose benutzen oder zwei haben? Oder wie groß der Abstand zwischen den Betten ist? Wenn die Betten nebeneinander stehen, bleibt die Heimaufsicht weg, und wenn sie in unterschiedlichen Zimmern stehen, kommt sie angelaufen? Das kann doch wirklich nicht Ihr Ernst sein.
In der Kürze der Zeit mein Fazit: Wir können natürlich einem solchen Unsinn in Paragrafenform nicht unsere Zustimmung geben. Wir werden ihn auch in dritter Lesung ablehnen.
Nun hat die SPD-Fraktion – das ist die einzige wirkliche Neuerung in der dritten Lesung – einen Änderungsantrag eingebracht, den wir allerdings aus unserer Sicht ebenfalls für untauglich halten und deswegen auch ablehnen werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die SPD-Fraktion bei Annahme ihres Änderungsantrages dem Gesetzentwurf von CDU und FDP ansonsten zustimmen würde.
Es ist eigentlich der Sinn von Änderungsanträgen, einen Gesetzentwurf, den man für unzureichend hält, so zu ändern, dass man ihn dann für zustimmungsfähig hält. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die große Streichung des § 8, die Sie vorgeschlagen haben, ansonsten den Gesetzentwurf für Sie zustimmungsfähig machen würde.
In diesem § 8 werden übrigens die Betreiber der Einrichtungen und Dienste „verpflichtet, auch gegenüber ihren Beschäftigten, Maßnahmen zu treffen, um für eine gewaltfreie und menschenwürdige Pflege... Sorge zu tragen“. Ausgerechnet diese Vorschrift gehört aus unserer Sicht eher zu den wenigen, die wir für akzeptabel halten.
Den Vorwurf, der in der Anhörung verbreitet wurde, damit würden alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter Generalverdacht gestellt, teilen wir nicht. Den Grundsatz einer gewaltfreien und menschenwürdigen Pflege zu betonen, ist aus unserer Sicht so selbstverständlich, dass er auch an exponierter Stelle des Gesetzes stehen kann, ohne dass sich alle Pflegenden angegriffen fühlen sollten. Deswegen können wir den Änderungsantrag der SPDFraktion nicht mittragen.
Allerdings werden wir ihrem eigenen Gesetzentwurf zustimmen, den wir aus unserer Sicht für wesentlich durchdachter, systematischer und vollständiger halten als den der Regierungsfraktionen und deswegen als zustimmungsfähig ansehen. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich bin den Kollegen Dr. Wilken und Herrn Decker dankbar, dass sie ein bisschen Aufklärung darüber gebracht haben, was mit diesem Antrag gemeint war. Mir ging es in der Tat so wie Herrn Kollegen Utter. Ich habe die ganze Zeit überlegt, was eigentlich Zielrichtung dieses Antrags ist und was damit verfolgt werden soll.
In der Überschrift steht in der Tat: Regelbedarfsstufe 3 unverzüglich abschaffen. – Das würde bedeuten, dass die volljährigen und minderjährigen Angehörigen einer Bedarfsgemeinschaft plötzlich auf Null stünden, also gar nichts mehr bekämen, wenn die Regelbedarfsstufe 3 abgeschafft würde. Ganz abgesehen davon heißt es dann: „Die Landesregierung wird gebeten, darauf hinzuwirken, dass eine Überprüfung der Regelbedarfsstufe durch die Bundesregierung zeitnah erfolgt.“
Es geht also nicht um die Abschaffung, das ist eine gewisse Differenz. Dann steht aber: „Novellierung des SGB XII zur Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe“. Nun befinden wir uns bei der Regelbedarfsstufe im Bereich der Hilfe zum Lebensunterhalt. Was das wiederum mit der Eingliederungshilfe zu tun hat, hat sich mir bisher nicht erschlossen. In der Begründung geht es dann um die Menschen mit Behinderungen ab dem 25. Lebensjahr. Das bedeutet: Es handelt sich nicht um alle Personen, die die Regelbedarfsstufe 3 bekommen, sondern nur einen Teil davon.
Nun habe ich von Herrn Decker gehört, dass es angeblich so sein soll, dass die 25-jährigen nicht behinderten Angehörigen einer Bedarfsgruppe nicht den Regelbedarf der Stufe 3, sondern der Stufe 1 erhalten. Das konnte ich bisher dem mir zur Verfügung stehenden Gesetzestext nicht entnehmen.
Aber wenn es so sein sollte, dann wäre eine Ungleichbehandlung aufgrund einer Behinderung auch aus meiner Sicht natürlich ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot im Grundgesetz. Das ist relativ offensichtlich und mit Händen zu greifen.
Wenn es keine anderen Anknüpfungspunkte für diese Regelung als die Frage der Behinderung gibt, dann ist das, glaube ich, eindeutig; denn zu konstruieren, dass behinderte Menschen grundsätzlich anders leben, von ihren Eltern anders unterhalten werden als nicht behinderte, ist eine Fiktion und wäre eine Ungleichbehandlung, die in der Tat mit dem Grundgesetz nichts zu tun hätte.
Wir werden uns im Ausschuss intensiv damit befassen müssen, was konkret gemeint ist. Es geht ja noch ein bisschen weiter. Es gibt im Kontext des SGB II die Regelbedarfsstufe 3. Bei Menschen mit Behinderung geht es vielfach auch um Erwerbsunfähige, die wiederum die Grundsicherung für Erwerbsunfähige und im Alter erhalten können. Auch hier gibt es eine Regelbedarfsstufe 3, die ein bisschen anders formuliert ist als die im SGB II. Wir müssen also genau herausfinden, um was es da eigentlich geht, welche Zielrichtung dabei eingeschlagen wird. Wenn es darum geht, Benachteiligungen für Menschen mit Behinderung zu beseitigen, bin ich auf jeden Fall dabei, keine Frage.
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf von CDU und FDP, über den wir heute in zweiter Lesung verhandeln, ist auch nach der zweiten umfangreichen Nachbesserung, die Sie vorgenommen haben, unvollständig, unsystematisch und unübersichtlich.
Murks bleibt eben Murks, auch wenn mehrfach daran herumgemurkst wird.
Ich habe in der ersten Lesung auf erhebliche Mängel des Gesetzentwurfs hingewiesen. Sie haben bereits – das war ungewöhnlich genug – vor der Anhörung einen umfangreichen Änderungskatalog vorgelegt,
dabei ein paar besonders krasse Fehler beseitigt, aber auch neue hineingeschrieben. Wir haben dann die Anhörung gehabt, wo Ihr Gesetzentwurf in der Luft zerrissen wurde. Danach brauchten Sie fünf weitere Monate, um ihn ein erneutes Mal zu verschlimmbessern. Es gilt, was ich auch in der ersten Lesung gesagt habe: Sie brauchen am meisten Zeit und legen uns den größten Mist vor. Das ist das Ergebnis.
Es gab von Anfang an einen Streitpunkt, das war die Einbeziehung von ambulanten Diensten in den Geltungsbereich des Gesetzes. Ich hatte auf Einladung des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste im Sommer letzten Jahres ein Gespräch bei einer Pflegestation in Pfungstadt. Anwesend waren auch Herr Dr. Bartelt für die CDU- und Herr Mick für die FDP-Fraktion. Es ging natürlich um den Gesetzentwurf, und es ging vor allem auch um den Änderungsantrag, der damals schon eingebracht war, wie gesagt, vor der Anhörung.
Auf Nachfragen erklärte der eine von beiden, nunmehr sei klargestellt, dass ambulante Dienste keinesfalls geprüft würden. Der andere sagte, es sei klargestellt, dass ambulante Dienste geprüft werden könnten. Ich weiß nicht mehr, wer welche Position vertreten hat. Wahr
scheinlich wissen sie es selbst nicht mehr. Das Problem war: Sie wussten selbst nicht, was im eigenen Gesetzentwurf steht. Dieser Eindruck hat sich bis heute fortgesetzt. Sie wissen selbst nicht, um was es eigentlich geht.
Das zeigt sich an der denkwürdigen Diskussion, die wir in der letzten Ausschusssitzung hatten. Wir haben verschiedene Fragen zu dem erneuten Änderungsantrag gestellt, was denn mit einzelnen Änderungen gemeint sei, was nunmehr gelten solle. Das Erschreckende war, dass kein einziger der anwesenden Abgeordneten der Koalition eine dieser Fragen beantworten konnte – weder falsch noch richtig, sondern überhaupt nicht beantworten konnte.
Ich nehme einmal einen Satz. In § 16 Abs. 1 soll es nach Ihrer erneuten Änderung heißen:
Einrichtungen nach § 2 Abs. 1 Nr. 1
das sind stationäre Einrichtungen –
sind in regelmäßigen Abständen durch die Behörde zu prüfen;
so gut, so klar, so richtig; aber dann kommt ein Halbsatz –
anlassbezogene Prüfungen bleiben unberührt.
Auf die schlichte Frage, ob damit anlassbezogene Prüfungen nicht nur bei den stationären Einrichtungen in Halbsatz 1, sondern auch bei den ambulanten Diensten möglich sein sollten, die ja Bestandteil des Gesetzentwurfs sind, wusste niemand aus der Koalition eine Antwort.
Doch. – Auf die Frage, wo denn die anlassbezogenen Prüfungen, die nach Ihrer Vorschrift unberührt bleiben sollen, ihrerseits geregelt sind – sonst könnten sie nicht unberührt bleiben –, gab es wiederum keine Antwort. Es gibt auch keine Regelung im gesamten Landesrecht und schon gar nicht in Ihrem Gesetzentwurf.
Dann macht der Minister noch den allerdings untauglichen Versuch, zu begründen, in § 4 stehe dies. Wenn man sich § 4 anschaut, sieht man Regelungen zu Anregungen, Hinweisen und Beschwerden über Einrichtungen und die allgemeine Regelung, dass die Behörde verpflichtet sei, den Beschwerden unverzüglich nachzugehen. Da steht nichts von Prüfungen und gar keine Ermächtigung, einzelne Einrichtungen oder Büroräume von Diensten oder sonst irgendetwas zu betreten. Im Ergebnis ist nach Ihrem Gesetzentwurf vollkommen offen, ob, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Befugnissen anlassbezogene Prüfungen von wem, wo und wie überhaupt wahrgenommen werden können. Das ist völlig unklar.
Diese grenzenlose Ahnungslosigkeit der Mehrheitsfraktionen, die in dieser Ausschusssitzung offenbar geworden ist, lässt sich an verschiedenen Beispielen weiter fortsetzen. Sie wollen z. B. hineinschreiben, dass gerichtlich genehmigte freiheitsentziehende Maßnahmen „auf das notwendige Maß“ beschränkt werden sollen. In der Anhörung ist Ihnen gesagt worden, die Einrichtungen haben gar keinen Gestaltungsspielraum, weil die unterbringen
den Gerichte oder die Betreuer das Maß der freiheitsentziehenden Maßnahmen bestimmen. Da gibt es gar keinen Gestaltungsspielraum. Gleichwohl schreiben Sie das hinein.
An zwei Stellen erwähnen Sie in Ihrem Gesetzentwurf einen Einrichtungsfürsprecher. Den gibt es nach Ihrem eigenen Gesetzentwurf aber gar nicht.
Sie verwenden den Begriff des Betreibers. Aber wer ist eigentlich Betreiber? Das ist in vielen Fällen zweifelhaft. Wenn in einer Einrichtung der Vermieter von Wohnraum und der Erbringer von Pflegeleistungen nicht personenidentisch ist, wer ist Betreiber? – Schweigen in Ihrem Gesetz.
Wen treffen beim Einsatz von vermittelten Pflegekräften die Betreiberpflichten, den Vermittler oder die Pflegeperson? – Schweigen im Gesetz.
Wer ist Betreiber einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft? Sie schreiben ausdrücklich hinein: Eine ambulant betreute Wohngemeinschaft fällt in den Geltungsbereich des Gesetzes. – Sie definieren dann: Eine ambulant betreute Wohngemeinschaft liegt vor,
wenn die Bewohnerinnen und Bewohner in der Lage sind, ihre Lebens- und Haushaltsführung weitgehend selbstbestimmt zu gestalten, und die erbrachten Betreuungsleistungen nicht auf die ständige Anwesenheit des Betreuungspersonals ausgerichtet sind.
Wer ist denn dann Betreiber, der Vermieter oder die Dienste, die dort im Einsatz sind, oder vielleicht sogar die Betroffenen selbst, die die Dienste in Anspruch nehmen?
Überlegen Sie sich: Wenn Sie mit Ihrer Familie in einer Wohngemeinschaft leben und eine Haushaltshilfe in Anspruch nehmen, wen bezeichnen Sie dann als Betreiber? Das wäre eine vergleichbare Situation. Die gibt es nicht. Kurt Tucholsky hat einmal sinngemäß gesagt: Erst verstehen sie nicht, um was es geht, und dann drücken sie es auch noch schlecht aus. – Genau das ist bei Ihrem Gesetzentwurf der Fall.
Da stellen Sie z. B. in § 15 Qualitätsanforderungen für betreute Wohngruppen auf. In Abs. 3 heißt es dann, das Gesetz finde auf das „Zusammenwohnen von Personen, die besondere persönliche... Beziehungen zueinander“ haben, keine Anwendung. So weit, so gut.
Man stelle sich vor, eine Frau und ein Mann, jeweils mit Downsyndrom, leben gemeinsam in einer Wohnung, beide arbeiten in einer Werkstatt für behinderte Menschen – ein Beispiel, das es häufig gibt. Wie wollen Sie dann untersuchen, ob zwischen ihnen besondere persönliche Beziehungen bestehen? Wollen Sie nachgucken, ob es zwei Butterdosen gibt oder nur eine? Wollen Sie dann, wenn die Betten in unterschiedlichen Zimmern stehen, sagen, es gibt keine persönliche Beziehung, da geht die Heimaufsicht hin, und wenn sie in einem Zimmer stehen, bleibt sie weg? Das ist doch absurd. So etwas können Sie doch nicht ernst meinen.
Das Grundproblem bei der Thematik ist: Sie haben den ganzen Themenkomplex gedanklich nicht mit der notwendigen Tiefe durchdrungen. Sie haben keinen Plan von dem, was Sie regeln wollen. Sie wissen in vielen Punkten nicht einmal selbst, was Sie geregelt haben, wie Sie es regeln wollen.
Sie haben schon einen Titel gewählt, der irreführend ist: „Hessisches Gesetz über Betreuungs- und Pflegeleistungen“ soll es heißen, obwohl Sie gar keine Gesetzgebungskompetenz haben, Pflegeleistungen und Betreuungsleistungen zu regeln. Es geht um den institutionellen Rahmen, es geht um die Einrichtungen, innerhalb derer diese Dienste erbracht werden. Aber die Leistungen selbst sind entweder im BGB, im Pflege- und Betreuungsleistungsgesetz, im Sozialgesetzbuch oder wo auch immer geregelt, nicht in Ihrem Gesetz.
Wir können einem solchen Unsinn sicher nicht zustimmen. Wir werden dem Gesetzentwurf der SPD zustimmen, nicht weil wir glauben, dass er zu 100 % gelungen ist. Sie haben zwar nicht vom Bundesgesetz, aber ein bisschen von Rheinland-Pfalz abgeschrieben. Das ist durchaus legitim. Aber beim Abschreiben – das habe ich in der ersten Lesung schon gesagt – ist das eine oder andere nicht ganz richtig gelaufen.
Aber der Unterschied ist: Der Gesetzentwurf der Koalition muss von einer neuen Landesregierung komplett überarbeitet werden, es muss ein komplett neuer Gesetzentwurf gemacht werden. Der Gesetzentwurf der SPD wäre vielleicht in der einen oder anderen Richtung ein bisschen nachbesserungsbedürftig, insgesamt aber in sich logisch und schlüssig und deswegen eine gute Grundlage für die weitere Arbeit.
Was Sie den Betreibern und den Menschen, die pflegebedürftig und auf Hilfe angewiesen sind, mit diesem Gesetzentwurf zumuten – wenn Sie sich das in einer ruhigen Stunde vergegenwärtigten, dann könnten Sie das nicht verabschieden.
Herr Minister, können Sie uns noch sagen, wo in Hessen im Augenblick die dynamischste wirtschaftliche Entwicklung stattfindet – im Übrigen ganz ohne den Flughafen Kassel-Calden?
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich glaube, alle hier im Haus und auch darüber hinaus wollen die ITAusstattung der hessischen Justiz verbessern und weiterentwickeln. Natürlich ist eine moderne Justiz ohne die Nutzung von Informationstechnologien überhaupt nicht mehr vorstellbar.
Die Potenziale für einen weiteren IT-Einsatz sind auch noch längst nicht ausgeschöpft. Deshalb ist es vom Prinzip her selbstverständlich richtig und gut, die Kompetenz und die Aufgaben hierfür in einer Gemeinsamen IT-Stelle zu bündeln, die alle Gerichtsbarkeiten, die Staatsanwaltschaften und die Vollzugsanstalten bedient.
In dem vorliegenden Gesetzentwurf hat allerdings die Landesregierung – besser gesagt: der Justizminister – wieder einmal nicht beachtet, dass die Justiz keine Behörde wie jede andere ist, sondern – das gilt zumindest bezogen auf die Gerichte – die dritte Gewalt im Staat. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gilt aber die Gewaltenteilung auch für den jeweiligen Verwaltungsunterbau.
Bisher wurde dieses Trennungsgebot eingehalten, weil bisher die Gemeinsame IT-Stelle, abgekürzt GIT, eine eigenständige, von der Justiz selbst getragene Behörde war, genauer gesagt: von den jeweiligen Gerichtspräsidenten getragen. Jetzt soll die GIT eine eigenständige Landesoberbehörde unter Aufsicht des Justizministers werden, in der Verantwortungen also von der dritten zur zweiten Gewalt hinüberwandern.
Frau Hofmann hat es schon gesagt: In der Anhörung wurden erhebliche Zweifel geäußert, ob diese Konstruktion tatsächlich mit der Gewaltenteilung noch vereinbar ist.
Zwar ist eine IT-Kontrollkommission vorgesehen, aber auch die kann diese Zweifel eigentlich nicht beseitigen. Denn dort sind zwar Vertreter der jeweiligen Richterräte vorgesehen, doch die IT-Kontrollkommission hat lediglich die Aufgabe, an Überprüfungen zum Schutz vor unbefugten Zugriffen durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der HZD mitzuwirken. Es geht also sozusagen um Einzelfallüberprüfungen. Die entscheidenden Fragen, etwa des Datenschutzes, der Gestaltung der Datenverarbeitung, der Zugriffsmöglichkeiten und der allgemeinen Vorkehrungen gegen Missbrauch, sind gerade nicht Aufgaben der IT-Kontrollkommissionen. Deswegen kann ihre Errichtung auch die verfassungsrechtlichen Bedenken nicht beseitigen.
Es hatte im Vorfeld des Gesetzentwurfs zu der Gestaltung der alten GIT bereits Klagen von Richterinnen und Richtern gegen die Übertragung der technischen Umsetzung auf die HZD gegeben. Durch diese Gestaltung lässt sich nämlich nicht vermeiden, dass von außen – das sind technische Notwendigkeiten, die nicht beseitigt werden können –, von der HZD, grundsätzlich auf gerichtsinterne Dokumente bis hin zu vertraulichen Voten und Notizen über Kammerberatungen, Vorarbeiten für Urteile etc. zugegriffen wird, wenn, wie allgemein üblich, sie auf den entsprechenden Servern gespeichert sind.
Der Dienstgerichtshof beim Oberlandesgericht hat hierzu im Übrigen eine Entscheidung getroffen. Ich darf einmal den Tenor vorlesen:
Es wird festgestellt, dass die Überlassung der Verwaltung des EDV-Netzes der hessischen Justiz für den Rechtsprechungsbereich an die... (HZD) unzulässig ist, solange nicht die Art der Behandlung von Dokumenten des richterlichen Entscheidungsprozesses durch die HZD für den Rechtspflegebereich durch Verwaltungsvorschriften seitens des Ministeriums der Justiz konkret festgelegt und deren Einhaltung durch den Minister der Justiz im gleichberechtigten Zusammenwirken mit gewählten Vertretern der Richter überprüft werden kann.
Das ist der Tenor. Das heißt, eine Übertragung an die HZD ist unzulässig, wenn nicht bestimmte Voraussetzungen vorliegen. Diese Entscheidung wurde übrigens später durch das Richterdienstgericht beim Bundesgerichtshof bestätigt, ist also rechtskräftig.
Der Dienstgerichtshof hatte ausgeführt, man sollte konkret regeln, dass auf richterliche Dokumente nur Zugriff genommen werden darf, wenn dies für den EDV-Netzbetrieb notwendig ist, z. B. bei Reparaturen, dass eine Weiterleitung solcher Dokumente immer unzulässig ist, dass auch Metadaten wie Zeit der Erstellung oder Autor nicht weitergegeben werden dürfen usw. usf.
Jetzt legen Sie uns nach dieser Entscheidung hier einen Gesetzentwurf vor, in dem solche Sicherungsmaßnahmen, die der Dienstgerichtshof im Einzelnen beschrieben hat, nicht einmal erwähnt, geschweige denn geregelt sind. Die bisherige GIT war auf der Grundlage von Verwaltungsvorschriften errichtet worden. Deshalb sah der Dienstgerichtshof auch die Regelung von Verwaltungsvorschriften als ausreichend für die Datensicherung an. Wenn Sie jetzt eine gesetzliche Grundlage schaffen, ist es naheliegend, diese Dinge ins Gesetz hineinzuschreiben.
Es wäre nach meiner Beurteilung sogar denkbar, dass die Landesregierung ermächtigt wird, dies durch Rechtsverordnung zu regeln. Aber das haben Sie nicht getan. Sie haben ganz allgemein hineingeschrieben: Die Landesregierung kann regeln, was sie regeln will. – Aber dass sie gerade diese vom Dienstgerichtshof vorgenommenen Verpflichtungen zum Datenschutz regeln muss, das ist nicht Bestandteil Ihres Gesetzentwurfs.
Deswegen trägt Ihr Gesetzentwurf den Makel des offensichtlichen Rechtsverstoßes, weil er den Vorgaben des Dienstgerichtshofs nicht entspricht.
In der Anhörung haben die Richterorganisationen bereits angekündigt, dass sie das Gesetz wiederum angreifen werden, diesmal wahrscheinlich vor dem Staatsgerichtshof oder vor dem Bundesverfassungsgericht. Sie werden dann die Verantwortung dafür tragen, wenn das Gesetz tatsächlich beanstandet wird, was ich persönlich für sehr wahrscheinlich halte.
Einem offensichtlich unzulänglichen Gesetzentwurf kann meine Fraktion selbstverständlich nicht zustimmen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bei der Anhörung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf wurde von den Sachverständigen weniger darüber geredet, was in Ihrem eher unspektakulären Entwurf steht, als vielmehr darüber, was alles fehlt. Wir haben aktuell vom Hessischen Städte- und Gemeindebund – er hat uns angeschrieben – erhebliche Kritik an der vorgesehenen Regelung zur Kostenerstattung in § 28 gehört.
In der Praxis gibt es offensichtlich erhebliche Unterschiede. Wie es immer ist, geht es um die Kosten, die eine Gemeinde der anderen zu erstatten hat, z. B. wenn ein Kind in der einen Gemeinde wohnt und in der anderen den Kindergarten besucht. Wie es immer ist: Für den, der es bezahlen muss, ist es zu viel, und für den, der es bekommt, ist es zu wenig. Wir meinen, hier müssen die Kommunen selbst zu tragfähigen und möglichst einvernehmlichen Lösungen kommen.
Allerdings kann das aus unserer Sicht nicht bedeuten, dass der Herr Minister einfach zuschaut und nichts macht.
Wieder einmal war es die Opposition, die durch eine Kleine Anfrage überhaupt erst eine gewisse Faktengrundlage geschaffen hat. Jetzt kommt es darauf an, dass der Herr Minister den Diskussionsprozess mit den Vertretern der Gemeinden fördert und nicht, wie bisher, in Untätigkeit verharrt.
Ich habe schon gesagt, das Wichtigste an dem Gesetzentwurf ist eigentlich das, was nicht drinsteht. Aus unserer Sicht ist ein wesentliches Versäumnis die mangelnde Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Es war schon bemerkenswert: Am Vormittag des 1. Dezember präsentierte Minister Grüttner in Bad Nauheim den Entwurf eines hessischen Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Ich habe ihn mitgebracht. Dort findet sich auf Seite 29 folgender bemerkenswerter Satz, den ich hier zitieren möchte:
Seit Geltung der UN-Behindertenrechtskonvention werden in Hessen die in diesem Zeitraum erarbeiteten Gesetzentwürfe auch im Hinblick auf ihre Konformität mit der Konvention überprüft.
So weit, so gut. Nach der Konvention ist Hessen schließlich dazu verpflichtet. Es geht dann weiter:
Auch bei der Novellierung anderer Gesetze (Ge- setzentwurf zur Änderung des Hessischen Kinder- und Jugendhilfegesetzbuches)... wird geprüft, inwiefern Anpassungen oder Neufassungen von Landesnormen an die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention erforderlich sind.
Das verkündete der Minister am 1. Dezember 2011 vormittags. Am 1. Dezember 2011 nachmittags, also an dem gleichen Tag, wird genau dieser Gesetzentwurf, der hier zur Überprüfung angekündigt wurde, im Sozialpolitischen Ausschuss behandelt. Dabei stellten wir natürlich fest: Der Entwurf des Herrn Ministers Grüttner enthält keinerlei Anpassung an die UN-Behindertenrechtskonvention.
Das wollte meine Fraktion dann mit einem Änderungsantrag korrigieren. Wir haben mit dem Änderungsantrag vorgeschlagen, die Inklusion in die Zielsetzung des Gesetzes und in die Aufgaben der Einrichtungen aufzuneh
men. Außerdem wollten wir die Förderung der Einrichtungen an die Einhaltung der Barrierefreiheit binden. Das ist in der Regel die Voraussetzung für eine Inklusion. Das sollte zumindest als Regelprinzip mit Ausnahmemöglichkeiten dann gelten, wenn die Einhaltung z. B. aus topografischen oder baulichen Gründen nicht möglich ist.
Dieser Änderungsantrag meiner Fraktion wurde von der Mehrheit der Fraktionen der CDU und der FDP plötzlich abgelehnt. Das ist aus unserer Sicht völlig unverständlich. Denn in dem Entwurf des Aktionsplans heißt es in Bezug auf die Kindertagesstätten:
Alle Kinderbetreuungseinrichtungen (Krippen, Ki- tas, Horte etc.) müssen grundsätzlich dazu ausgerüstet werden, um alle Kinder der jeweiligen Altersgruppe aufnehmen zu können.
Das können Sie auf Seite 53 des Entwurfs des Aktionsplans nachlesen.
Am Vormittag wurden also Versprechen abgegeben, die am Nachmittag bereits gebrochen wurden. Den schönen Worten folgen keine Taten. Ein Minister, der seine eigenen Worte noch an demselben Tag durch seine eigenen Taten Lügen straft, ist wohl auch in der wendungsreichen schwarz-gelben Landesregierung ziemlich einmalig.
Die Mitglieder der Fraktionen der CDU und der FDP sind im Sozialpolitischen Ausschuss inzwischen ohnehin zum Prinzip der Fundamentalablehnung übergegangen. Was immer die Opposition vorschlägt, wird aus Prinzip abgelehnt, auch wenn es richtig ist. Dafür findet sich ein Beispiel in dem Entwurf des Aktionsplans.
Noch im September 2011 hat die Mehrheit einen Antrag meiner Fraktion zur Umsetzung umfassender Barrierefreiheit abgelehnt. Was schon damals völlig unverständlich war, wird inzwischen zur Farce. Denn der Minister schlägt jetzt im Aktionsplan das vor, was er noch vor einem Vierteljahr abgelehnt hat, nämlich z. B. die Einrichtung einer Fachstelle für Barrierefreiheit und die Vergabe einer Plakette für Barrierefreiheit. Beides sind Vorschläge, die er dankenswerterweise aus unserem Konzept übernommen hat. Aber dann wäre es eigentlich logisch gewesen, im September 2011 dem Antrag, der genau das beinhaltete, zuzustimmen.
Ich möchte zurückkommen auf den Bereich der Kinder und der Jugendlichen. Geradezu grotesk wird es hinsichtlich der Bildungspolitik. Der Entwurf des Aktionsplans behauptet – ich zitiere –:
Die Transformation der VN-BRK durch den Landesgesetzgeber erfolgt durch das neue Hessische Schulgesetz, das am 1. August 2011 in Kraft getreten ist.
Wir alle in diesem Haus wissen, dass die Inklusion mit dem neuen Schulgesetz gerade nicht umgesetzt wird. Dass die Schulpolitik dieser Landesregierung von den Menschen als grottenschlecht angesehen wird, hat seine Ursache sicherlich auch in diesem Punkt.
Herr Grüttner, Sie haben eine Frist bis Ende Januar 2012 gesetzt, um Änderungsvorschläge zum Entwurf des Aktionsplans zu machen. Sie sollten die Frist verlängern – –
Bis Ende Januar 2012, das habe ich gesagt.
Von mir aus auch bis Ende Februar 2012. Das ist egal.
Ich finde, Sie sollten die Frist bis Ende 2013 verlängern. Denn dann kann die neue Landesregierung, die Anfang 2014 gebildet werden wird, einen Aktionsplan vorlegen, der diesen Namen verdient. Denn Sie können es nicht, und Sie wollen es nicht. – Danke schön.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir beschäftigen uns heute erneut mit einer Fragestellung, mit der sich wahrscheinlich die meisten der Kollegen lieber nicht beschäftigen würden, vielleicht mit Ausnahme von dem Kollegen Rentsch, dem neuen selbst ernannten Fachmann für dissoziale Persönlichkeitsstörungen.
Aber wir müssen uns damit beschäftigen. Wir können dem nicht aus dem Wege gehen. Das Therapieunterbringungsgesetz des Bundes ist – das kann man durchaus sagen, und da stimme ich vielem zu, was Herr Dr. Wilken gesagt hat – durchaus missglückt. Das haben uns übrigens auch die Sachverständigen bestätigt, die wir in der Anhörung hatten. Und sie waren gleichzeitig nahezu voll des Mitleids, dass wir als hessische Landtagsabgeordnete gezwungen sind, ein solches Gesetz umzusetzen. Aber das sind wir nun mal.
Wir haben nicht zu beurteilen, ob dieses Gesetz gut, richtig oder sonst irgendetwas ist. Es hat den Weg in das Bundesgesetzblatt gefunden und ist damit geltendes Recht. Ob wir es wollen oder nicht, wir müssen es umsetzen. Für meine Fraktion war ein Aspekt von entscheidender Bedeutung – das räume ich ein –, dem sich eine Opposition, die anstrebt, in die Regierung zu kommen, immer stellen muss. Herr Wilken, das ist eine Fragestellung, die Sie wahrscheinlich nicht interessiert, seit Sie im Laufe des letzten Jahres aus der letzten Regierung, an der Sie noch beteiligt waren, abgewählt wurden.
Aber wir müssen uns dem stellen, weil wir schon in die Regierung streben. Deswegen haben wir uns natürlich gefragt, wie wir uns eigentlich entschieden hätten, wenn wir jetzt aktuell an Regierung und Landtagsmehrheit beteiligt wären. Das Ergebnis ist relativ eindeutig. Auch wir hätten es nicht wesentlich anders machen können. Auch wir wären nicht aus Begeisterung, sondern weil wir gezwungen sind, das Bundesrecht umzusetzen, gezwungen gewesen, ein solches Gesetz zu erlassen. Deswegen werden wir heute auch zustimmen.
Es ist nicht in unserer Hand, zu entscheiden, ob das ThUG tatsächlich gegen die Verfassung verstößt. Wir haben nicht zu entscheiden, ob es gegen die Menschenrechtskonvention verstößt; das hat der Europäische Menschenrechtsgerichtshof zu entscheiden. Wir haben auch nicht zu entscheiden, ob es mangels Genauigkeit nicht angewandt werden kann. Und wir haben schon gar nicht zu entscheiden, ob in einem Einzelfall seine Voraussetzungen vorliegen und deswegen ein Gericht eine Einweisung eines Insassen beschließt.
Aber wenn ein Gericht zu diesem Ergebnis kommen sollte, es ist alles in Ordnung mit dem ThUG, und ein betreffender Täter eingewiesen wird, dann müssen wir eine Einrichtung vorhalten. Wir müssen die gesetzliche Grundlage dafür schaffen, sonst sind wir dafür verantwortlich, dass ein Beschluss eines unabhängigen Gerichts nicht umgesetzt werden kann, und das kann nicht sein. Deswegen müssen wir – nicht aus Begeisterung, sondern weil wir, der Not gehorchend, die Notwendigkeit sehen – dem zustimmen.
Wir vermeiden mit der geplanten Einrichtung in Gießen – das „feste Haus“ auf dem weitläufigen Gelände der psychiatrischen Kliniken, es soll ja in eine entsprechende Einrichtung umgestaltet werden – auch das Problem, das andere Bundesländer haben. Wir werden nicht Personal neu einstellen müssen, sondern der benachbarte Maßregelvollzug wird festlegen, welche Ärzte, welche Therapeuten, welches Pflegepersonal im Falle eines Falles zur Verfügung stehen, um dort einspringen zu können, wenn tatsächlich ein Insasse kommt. Wir haben also zunächst kei
nen weiteren Personalaufwand, sind aber gewappnet, falls der Fall eintritt, den niemand von uns gern haben möchte, dass nämlich tatsächlich ein solcher Insasse kommt. Ich hoffe, wie wahrscheinlich die meisten von uns, dass dieser Fall niemals eintreten wird. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Einzelplan 05 zeigt bereits in seinem Vorwort einen Justizminister, dessen Glaubwürdigkeitsfaktor bei null angekommen ist.
Ich erwähne erneut, was ich schon mehrfach zitiert habe. In der Debatte zu den Gerichtsschließungen hat er zu seinem Gesetzentwurf eine noch angeblich einfache Alternative genannt:
Entweder es gibt weniger Standorte und viele Richter und Folgepersonal, oder es gibt mehr Standorte und erheblich weniger Richter und Folgepersonal.
Herr Justizminister, in der Folgezeit und im Einzelplan 05 machen Sie aber klar, dass Sie damit die Öffentlichkeit und die Justiz schlicht getäuscht haben. Sie wollen nicht Entweder-oder, Sie wollen sowohl eine Schließung von Gerichten als auch eine Reduzierung von Personal.
Sie haben angekündigt, bis zum Jahr 2016 350 bis 400 Stellen abzubauen. Erst ringen Sie einzelnen Gerichtsbarkeiten mit dem Versprechen, es werde gerade kein Personal abgebaut, die Zustimmung zu den Gerichtsschließungen ab, um kurz danach – im September wurde der Haushaltsplanentwurf vorgelegt – die eigenen Versprechen Lügen zu strafen und einen umfassenden Personalabbau anzukündigen.
Meine Damen und Herren, diejenigen, die im Rechts- und Integrationsausschuss Mitglied sind, haben bei der Anhörung zu den Gerichtsschließungen mitbekommen, mit welcher Ablehnung, geradezu Verachtung, die Organisationen der Justizbediensteten über den Justizminister reden. Niemals zuvor hat ein Justizminister seinen Ruf in der Justiz so schnell und so nachhaltig ruiniert wie JörgUwe Hahn.
Herr Hahn, verglichen mit Ihnen ist der sprichwörtliche Wendehals ein Muster an Beständigkeit.
Meine Damen und Herren, die Personalausstattung der Justiz, die Anzahl der Stellen ebenso wie ihre Verteilung innerhalb der Justiz, ist immer ein erheblicher Streitpunkt. Deswegen wurden in den letzten Jahren viel Kraft und viel Zeit darauf verwandt, mit PEBB§Y eine rationale Grundlage für die Personalbesetzung zu finden. Für diejenigen, die nicht ständig damit befasst sind: Das ist die Abkürzung für Personalbedarfsberechnungssystem.
In umfangreichen bundesweiten Erhebungen über mehrere Jahre wurde ermittelt, welcher Personaleinsatz für welchen Arbeitsanfall eigentlich notwendig ist. Mit weiterem erheblichen Aufwand wurden diese Ergebnisse an hessische Verhältnisse angepasst. Das Ergebnis war immer: Die Justiz in Hessen ist unterbesetzt. Es fehlen Stellen für Richterinnen und Richter ebenso wie Stellen für richterliches Personal. – Sie wollen dieses Problem nicht beseitigen, sie wollen es noch verschärfen.
Wenn man das auf die ordentliche Gerichtsbarkeit herunterrechnet – dort sollen 45 Richterstellen und 170 Stellen im mittleren und einfachen Dienst wegfallen, obwohl nach den PEBB§Y-Zahlen eine 111-prozentige Belastung besteht –, dann müsste das Personal eigentlich um 11 % aufgestockt werden.
Das Problem daran ist, dass wir einen Justizminister haben, der keine Vorstellung von den Besonderheiten der Justiz hat. Wir reden nicht über eine x-beliebige Behörde wie jede andere, sondern über die dritte Gewalt. Die Unabhängigkeit der Justiz, die Rechtsweggarantie der Verfassung, die Gleichheit vor dem Gesetz oder – einfacher ausgedrückt – der Wunsch nach einer gerechten Gesellschaft erfordern eben auch eine angemessene Personalausstattung der Justiz. Das müsste der Maßstab sein, und nicht eine Personalkürzung mit dem Rasenmäher.
Selbst wenn man die Auffassung vertritt, dass auch die Justiz Einsparungen hinnehmen muss, dann muss man als Berechnungsmaßstab den eigentlich notwendigen Personalbedarf und nicht den Istzustand, der schon einen Mangel darstellt, zur Grundlage nehmen. Das ist deswegen ärgerlich, weil Sie reale Einsparmöglichkeiten – Frau Hofmann hat bereits darauf hingewiesen – im Personalbereich nicht nutzen.
Seit mehreren Jahren, spätestens aber im letzten Jahr, hatte ich in den Haushaltsdebatten darauf hingewiesen, dass wir beim Verwaltungsgerichtshof ohne Qualitätsverlust, allein aufgrund der rückgängigen Eingangszahlen, mindestens einen Senat einsparen könnten. Der erste Schritt dazu wäre, eine Vorsitzendenstelle nicht wieder zu besetzen und zu streichen. Jetzt lesen wir im Stellenbesetzungsplan, es soll weiterhin zwölf Vorsitzendenstellen, also die gleiche Anzahl von Senaten, geben, nicht einmal mit einem kw-Vermerk versehen. Das heißt, sie sind auch nicht künftig wegfallend. Bei den Indianern zu sparen und die Häuptlinge ungeschoren zu lassen, das ist und bleibt auch in diesem Falle ungerecht.
Herr Justizminister, ich bin auch gespannt, wie Sie die Stellenstreichungen im Justizvollzug umsetzen wollen. Herr Honka hat darauf hingewiesen, welche Stellenmehrbesetzungen es in den letzten Jahren gegeben hat. Es soll sie auch in diesem Jahr wieder geben. Warum planen Sie denn eigentlich, 65 dieser Stellen wieder zu streichen, wenn Sie vorher behauptet haben, sie würden gebraucht? Das macht überhaupt keinen Sinn. Es ist doch mit Händen zu greifen. Wir haben zwar einen Rückgang an Gefangenenzahlen, aber ob auf einer Station 20, 25 oder 30, oder was weiß ich wie viele Gefangene sind, sie muss immer personell besetzt sein. Es muss immer mindestens ein Beamter anwesend sein, unabhängig von der Anzahl der Gefangenen – außer, Sie ziehen in Erwägung, eine weitere Vollzugsanstalt zu streichen. Das sollten Sie aber dann auch offen sagen. Sie sollten den Mitarbeiterinnern und
Mitarbeitern reinen Wein einschenken. – Egal, was Sie sagen, glauben würde Ihnen sowieso keiner mehr.
Okay. – Es gibt noch eine ganze Reihe von Einsparmaßnahmen und Effizienzsteigerungen, die wir vorgeschlagen haben. Wir haben immer wieder gesagt, wir brauchen die drei E: Einsparung, Effizienzsteigerung, Einnahmeverbesserungen.
Man könnte Registergerichte zusammenlegen, man könnte die elektronische Aufenthaltsüberwachung, die elektronische Fußfessel, für weit mehr Dinge einsetzen, als Sie das geplant haben. Man könnte Aufgaben der Rechtspflege auf die Serviceeinheiten verlagern, und man könnte die seit Langem unveränderten Gerichtsgebühren maßvoll anheben. Wir haben ausgerechnet, allein eine Anhebung um 5 % würde einen Mehrbetrag von rund 15 Millionen € ergeben, also fast so viel, wie Sie mit den Stelleneinsparungen einsparen wollen.
Es gibt andere Wege, die man gehen kann, ohne die Funktionsfähigkeit der Justiz zu gefährden. – Danke schön.
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen ist nach wie vor von außerordentlich großer Bedeutung für die Behindertenhilfe in Deutschland und in Hessen, obwohl sie Bestandteil der Sozialhilfe und damit eines nachrangigen sozialen Sicherungssystems ist. Die Eingliederungshilfe ist für Menschen, die mit einer Behinderung geboren wurden oder durch Unfall oder Krankheit in frühen Jahren eine solche erworben haben, nach wie vor unverzichtbar. Die Eingliederungshilfe wirkt präventiv, rehabilitativ und inklusiv, wenn sie richtig umgesetzt wird. Es ist ihre Aufgabe, eine drohende Behinderung zu verhüten bzw. eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und Menschen mit Behinderungen in die Gesellschaft einzugliedern. So lautet der allgemeine Auftrag. Deswegen ist sie von außerordentlich großer Bedeutung.
Seit Langem ist eigentlich völlig unumstritten, dass die Eingliederungshilfe reformiert werden muss. Von den Betroffenen und ihren Angehörigen wird schon seit Langem die Forderung erhoben, dass sie aus der einkommens- und
vermögensabhängigen Sozialhilfe herausgelöst und durch ein Leistungsgesetz für Menschen mit Behinderungen ersetzt werden soll. Das Forum behinderter Juristinnen und Juristen, dem anzugehören ich die Ehre habe, hat kürzlich einen viel beachteten Entwurf für ein Teilhabeleistungsgesetz der Öffentlichkeit vorgestellt, in dem die Eingliederungshilfe – nach den Vorstellungen des Forums – aufgehen soll. Jetzt hat die Landesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der LINKEN einem solchen Vorhaben bedauerlicherweise ein weiteres Mal eine Absage erteilt – aus meiner Sicht völlig unverständlich; denn nur ein solches Teilhabeleistungsgesetz wäre aus meiner Sicht geeignet, die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention tatsächlich umzusetzen, und ist deshalb dringend erforderlich.
Nun teilt uns die Landesregierung auf die Fragen der LINKEN mit, dass die Aufwendungen für die Eingliederungshilfe in Hessen von 2000 bis 2007 um etwa 25 % gestiegen seien. Das ist natürlich eine Zahl, die so, allein in den Raum gestellt, wenig aussagekräftig ist, wenn nicht zugleich mitgeteilt wird, wie viele Menschen mit Behinderungen jeweils Leistungen bezogen haben. Die jährliche Steigerung der Ausgaben für die Eingliederungshilfe hängt nämlich ganz entscheidend mit der gestiegenen Anzahl der betroffenen Menschen zusammen. Ich habe mir einmal die Zahlen des Landeswohlfahrtsverbands herausgesucht. Danach bezogen im Jahr 2005 43.470 behinderte Menschen Leistungen der Eingliederungshilfe – soweit der Landeswohlfahrtsverband zuständig ist –, im Jahr 2011 sind es bereits 51.700 Menschen, und im Jahr 2012 rechnet man mit 53.100 Menschen. Das ist eine Steigerung um 22 % innerhalb von sechs Jahren. Seit 1981 haben sich bei allen überörtlichen Sozialhilfeträgern die Fallzahlen verdoppelt.
Auch Menschen mit Behinderungen werden natürlich inzwischen älter. In Hessen sind zwei Drittel der Menschen mit Behinderungen, die vom Landeswohlfahrtsverband Leistungen bekommen, älter als 40 Jahre. 41 % sind zwischen 51 und 65 Jahre alt. Die höchste Steigerungsrate in den letzten Jahren – und wahrscheinlich auch in den Folgejahren – gibt es übrigens bei Menschen mit seelischen Behinderungen. Psychische Beeinträchtigungen nehmen in dieser Gesellschaft dramatisch zu, und immer mehr betroffene Menschen sind für lange Zeit oder gar auf Dauer auf eine Unterstützung im Rahmen der Eingliederungshilfe angewiesen.
In Hessen gibt es übrigens im Vergleich zu anderen Bundesländern eine gewisse Spezialität. In Hessen beteiligt sich das Land nämlich fast überhaupt nicht an den Aufwendungen der Eingliederungshilfe für Behinderte, sondern überlässt diese insgesamt den Kommunen. Diese sind entweder als örtliche Träger der Sozialhilfe zuständig – dann müssen sie sowieso zahlen –, oder sie bezahlen über die Verbandsumlage zum Landeswohlfahrtsverband die Aufwendungen, die dieser in der Eingliederungshilfe hat. Das, was das Land über den Kommunalen Finanzausgleich zum Haushalt des Landeswohlfahrtsverbands beisteuert, ist nicht einmal ausreichend, um das Landesblindengeld zu tragen. Für die Eingliederungshilfe bleibt da überhaupt nichts mehr übrig. Das heißt, die Eingliederungshilfe wird in Hessen komplett von den Kommunen bezahlt, auch wenn sie vom Landeswohlfahrtsverband ausgegeben wird.
Übrigens: Es ist dem Landeswohlfahrtsverband gelungen, durch konsequentes Umsteuern den Anteil der Menschen, die ambulante Hilfen bekommen, gegenüber dem Anteil der Menschen mit stationärer Versorgung deutlich zu steigern. Das finde ich ein ganz wichtiges Qualitätsmerkmal: von 36 % im Jahr 2005 auf immerhin 46 % im Jahr 2010.
Die ambulante Hilfe ist in der Regel menschenwürdiger, weil sie inklusiver ist, und sie ist eben oft auch die preiswertere Hilfe. Das ist der Grund, weshalb beim Landeswohlfahrtsverband die durchschnittlichen Ausgaben pro Fall in den letzten Jahren sogar gesunken sind und der Ausgabenanstieg dadurch geringer ausfiel als in den anderen Bundesländern. Mehr Geld bedeutet nicht immer bessere Hilfe, und passgenaue Unterstützung kann kostengünstiger sein. Übrigens: Den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen und die Hilfe genau danach auszurichten, was der Mensch braucht, nicht danach, ob die Institution richtig finanziert ist, ist kein Sparkonzept, sondern ein menschenwürdiges Konzept, das den Menschen und nicht die Institution in den Mittelpunkt stellt. Frau Schott, das als „Sparkonzept“ zu diskreditieren, finde ich in höchstem Maße fragwürdig.
Ein Leben in Stolz und Würde, selbstbestimmt und gleichberechtigt, ist nämlich im wahrsten Sinne des Worts unbezahlbar und kann nicht in Euro und Cent bemessen werden.
Als die Arbeits- und Sozialministerkonferenz – Frau Schott hat es erwähnt – erstmals ihre Vorstellungen für eine Neuordnung der Eingliederungshilfe vorstellte, waren die Behindertenorganisationen eigentlich positiv überrascht. Alle Vorschläge davor – es gab ja immer wieder Vorstöße der BAG, der Vereinigung der Sozialhilfeträger auf überörtlicher Ebene – waren in der Tat nur durch Einsparziele motiviert. Die ASMK griff dagegen langjährige Forderungen der Menschen mit Behinderungen und ihrer Organisationen auf, tatsächlich den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, nicht mehr die Institution. Dieser personenzentrierte Ansatz ist vergleichsweise einfach zu formulieren, aber schwer, schwer umzusetzen. Wir stehen aber dazu und halten ihn für richtig. Passgenaue Hilfen können nur erbracht werden, wenn der einzelne Mensch mit seinen individuellen Bedürfnissen im Vordergrund steht – statt der Träger von Angeboten, die ihre Leistungen verkaufen wollen, so gut oder so schlecht diese auch sein mögen.
Die LINKE diskreditiert – ich habe es so verstanden – in ihrer Großen Anfrage diesen Ansatz als Leistungsabbau und als Sparmaßnahme. Sie sind offenbar weiterhin der paternalistischen Vorstellung verhaftet, wenn es der Institution gut geht, dann geht es auch den behinderten Menschen gut. Diese Auffassung teilt meine Fraktion ausdrücklich nicht.
Sie tun ja so, als wären die Werkstätten für Menschen mit Behinderungen die höchstmögliche Form der Eingliederung in die Gesellschaft. Auch das finden wir nicht. Die Integration behinderter Menschen wird nicht durch die Integration der Werkstatt in das örtliche Gewerbegebiet vollendet. Für uns sind die Werkstätten nach wie vor notwendige Übel – wobei ich beide Wörter betone. Sie sind notwendig; völlig richtig. Frau Schott hat auf die Zahlen hingewiesen und darauf, dass nicht alle sofort ins Arbeitsleben eingegliedert werden. Es fehlen vielfach Alternativen. Menschen mit Behinderungen wollen schließlich auch eine sinnvolle Beschäftigung geboten bekommen.
Aber ein Übel sind die Werkstätten auch, weil sie ein Sondersystem darstellen und damit die Ausgrenzung behinderter Menschen symbolisieren. Das ist nun einmal so; darüber kann man nicht hinwegsehen. Dass die ASMK ausdrücklich Alternativen zu den Werkstätten entwickeln will, ist aus unserer Sicht gut.
Die Kritik an der ASMK macht sich auch weniger an den Grundsätzen und Zielen fest, sondern eher an deren zögerlicher Umsetzung: viele schöne Worte, aber wenige Taten. Die Lippen werden gespitzt, aber es wird nicht gepfiffen. Immerhin sind seit der ersten Beschlussfassung im November 2007 fast vier Jahre vergangen, ohne dass es zu sichtbaren Veränderungen gekommen wäre.
Ein Beispiel hierfür ist: Alle Ministerinnen und Minister waren sich einig, dass jungen Menschen mit Behinderungen beim Übergang von der Schule in den Beruf früher als bisher Hilfestellungen gegeben werden sollen, um einen automatischen Übergang von der Schule in die Werkstatt zu verhindern und Alternativen dafür zu finden. Doch erst in diesem Schuljahr – 2011/2012 – soll an einem Modellstandort in Hessen eine Initiative zur Inklusion starten. Das Vorschlagspapier dazu datiert schon aus dem Jahr 2008. Wir hätten uns eine schnellere Umsetzung gewünscht.
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Wir warten jetzt auf die Vorlage des Aktionsplans zur Umsetzung der UNBehindertenrechtskonvention. Ich bin gespannt auf das, was dort drinsteht. Ich sehe diesem Aktionsplan mit großem Interesse entgegen, habe aber auf der Grundlage der bisherigen Erfahrungen mit dieser Landesregierung die größten Befürchtungen, dass er uns nicht zufriedenstellen wird und dass wir uns in diesem Landtag nicht nur über das Thema Eingliederungshilfe, sondern auch über das Thema „Situation der behinderten Menschen in unserer Gesellschaft insgesamt und die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention“ bald wieder werden unterhalten müssen. – Danke schön.
Frau Schott, das Problem ist doch, dass Sie das eine gegen das andere ausspielen. Sie tun so, als ob jede Alternative zu den Werkstätten eine Verschlechterung wäre. Natürlich wissen auch wir, dass es nicht einfach ist, Menschen mit den unterschiedlichsten Behinderungen in der Wirtschaft unterzubringen. Aber es gibt verschiedene Möglichkeiten. Es gibt Integrationsbetriebe, die unterstützte Beschäftigung und viele andere Maßnahmen, die aktiv verfolgt werden müssen.
Wenn versucht wird, auf diesem Wege Alternativen zur Beschäftigung in einer Werkstatt zu entwickeln, finde ich das nicht falsch. Ich finde das richtig. Nicht jede Änderung an der gegenwärtigen Situation der Werkstätten bedeutet eine Verschlechterung für Menschen mit Behinderungen. Sie kann auch – das hoffe ich – eine deutliche Verbesserung sein. Daran arbeiten wir.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das Therapieunterbringungsgesetz des Bundes, kurz ThUG genannt, ist ein durchaus merkwürdiges Konstrukt. Auf der einen Seite soll es Strafrecht sein, weil sonst keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes existieren würde. Es darf aber andererseits auch kein richtiges Strafrecht sein, weil man dann in Konflikt mit dem Rückwirkungsverbot gerät. Das Verbot einer nachträglichen Strafe für eine Tat, die bereits abgeurteilt worden ist, war der wesentliche Aspekt, weshalb der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Regelung der nachträglichen Sicherungsverwahrung in Deutschland für unvereinbar mit der Europäischen Menschenrechtskonvention erklärt hat.
Es geht bei den Personen, die nach dem ThUG untergebracht werden sollen, nicht um psychisch kranke Menschen, die durch ihre psychische Krankheit an der Einsicht des Unrechts der Tat gehindert waren und deswegen schuldlos oder nur beschränkt schuldfähig gewesen sind, sondern es geht hier durchaus um Täter, die voll schuldfähig waren, die genau wussten, was sie taten, die genau wussten, was sie ihren Opfern antaten. Jedenfalls hat das zuständige Gericht das jeweils so erkannt. Deshalb sind sie auch nicht in den Maßregelvollzug gekommen, wo in Deutschland psychisch Kranke landen, sondern im Strafvollzug und später in der Sicherungsverwahrung.
Aber es muss sich bei der Regelung im ThUG auch um psychisch beeinträchtigte Menschen handeln, weil nämlich nur dann die Unterbringung EU-rechtskonform wäre. Deshalb wurde in das Gesetz der etwas konturlose Begriff der „psychischen Störung“ übernommen, von dem eigentlich keiner so genau weiß, was damit gemeint ist.
In der Begründung des Bundesgesetzes wird erwähnt, das seien spezifische Störungen der Persönlichkeit, des Verhaltens, der Sexualpräferenz, der Impuls- oder Triebkontrolle. Das kann alles und nichts sein. Soziale Abweichungen sollen allerdings nicht ausreichen. Diese psychische Störung muss zugleich den Schluss zulassen – Herr Bartelt hat es erwähnt –, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit der Täter das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung einer anderen Person erheblich beeinträchtigen wird, also eine neue Straftat begehen wird.
Wir hatten eine längere Diskussion mit dem Landeswohlfahrtsverband und den Vitos-Kliniken, die sich lange dagegen gewehrt haben, die Trägerschaft einer Einrichtung für den genannten Personenkreis zu übernehmen. Im Übrigen hat sich auch der Sozialminister, im Ergebnis erfolglos, einige Zeit dagegen gewehrt, dass eigentlich der Justizminister die Verantwortung für diesen Täterkreis übernehmen sollte.
Wichtigste Begründung vonseiten der Vitos-Einrichtungen und des Landeswohlfahrtsverbandes war immer, dass es sich dabei gerade nicht um Personen handelt, die mit therapeutischen Maßnahmen, die Vitos im Maßregelvollzug zur Verfügung stehen, erreicht werden können. Viele sind therapieresistent oder haben sich jedenfalls so gegeben. Eine Verwahrung ohne Therapie wäre aber wiederum zweifellos nicht in Übereinstimmung mit den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.
Im Ergebnis ist es also völlig offen, ob jemals ein Antrag auf Unterbringung nach dem ThUG gestellt werden wird. Es ist völlig offen, ob jemals ein Gericht die Voraussetzungen für gegeben erachten wird. Es ist völlig offen, ob
das Gesetz überhaupt durch die Gesetzgebungskompetenz des Bundes gedeckt ist. Ebenso völlig offen ist es, ob das Gesetz mit seinen unklaren Regelungen dem Bestimmtheitsgebot für strafrechtliche Regelungen überhaupt genügt.
Dennoch wollen wir heute dem ThUG ein HAGThUG beiseitestellen, nämlich ein Hessisches Ausführungsgesetz mit der Abkürzung HAGThUG.
Ich sage aber auch gleich: Wir haben gar keine andere Wahl, als genau dies zu tun. Denn all diese offenen Fragen zu klären, liegt nicht in unserer Hand. Das entscheiden andere. Vor allem entscheiden das unabhängige Gerichte.
Nicht auszudenken aber, was passieren würde, wenn es tatsächlich einen Antrag auf Therapieunterbringung gäbe, wenn es tatsächlich ein Gericht gäbe, das die Voraussetzungen für hinreichend bestimmt hält, wenn es tatsächlich eine Entscheidung geben sollte, dass jemand von diesen gefährlichen Tätern in eine Therapieunterbringung gebracht werden soll – und das Ganze nur daran scheitert, dass wir in Hessen eine solche Einrichtung nicht geschaffen haben.
Ich kann mir die Schlagzeilen der Boulevardpresse schon vorstellen: „Gefährlicher Täter in Freiheit, weil Hessen untätig blieb“. Vermutlich würde das von denjenigen, die Schlagzeilen produzieren, noch wesentlich drastischer formuliert – und dabei hätten sie in diesem Fall sogar recht. Wir müssen eine solche Therapieeinrichtung schaffen, um der Situation zu begegnen, dass möglicherweise tatsächlich einmal eine solche Unterbringung von einem Gericht beschlossen wird.
Wir müssen – da kommen wir gar nicht umhin – die Rechtsgrundlage für eine gesetzeskonforme Einrichtung schaffen. Wir müssen auch bestimmen, wer den Unterbringungsantrag stellen kann. Das gibt uns das Bundesgesetz vor.
Inzwischen haben der Landeswohlfahrtsverband und die Vitos GmbH – natürlich nicht freudig erregt, sondern eher der Not gehorchend – eingewilligt, die Trägerschaft für eine ThUG-Einrichtung zu übernehmen. Nach meinen Informationen wird die Vitos GmbH dazu eine eigene Tochtergesellschaft gründen; in deren Namen soll übrigens der Name „Vitos“ nicht vorkommen. Es ist verständlich, dass man mit einer solchen Einrichtung einen guten Namen nicht begründen, sondern eher beschädigen kann und man das deswegen anders nennen sollte. Wo diese Einrichtung im Übrigen erfolgen soll, das ist – nach meinen Informationen – eher in Gießen als in Haina.
Wir werden auch darüber diskutieren müssen, ob die gewählte Konstruktion mit der Letztverantwortung bei einem privaten Träger eigentlich der hoheitlichen Aufgabe gerecht wird. Beim Thema Maßregelvollzug haben wir schon mehrfach über diese Problematik gesprochen.