Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie sehr herzlich. Ich begrüße auch sehr herzlich die zahlreichen Besucherinnen und Besucher auf der Tribüne.
Wir sind beschlussfähig,aber nicht vollzählig.Noch immer sind einige Kollegen im Krankenstand. Vizepräsident Frank Lortz, der traditionsgemäß die Sitzung am Donnerstag eröffnet, fehlt heute auch. Statt seiner darf ich das heute tun. Alle guten Wünsche gelten den Kranken, insbesondere Frank Lortz und den anderen.
Zur Tagesordnung. Es sind noch eine Menge Punkte offen: 20, 25 bis 31, 34, 35, 39, 40, 42, 43, 45, 46, 50 bis 52, 55 bis 57, 61, 64, 66, 74 bis 78, 84 bis 86, 88, 90, 91 sowie 93 bis 99. Das wird also noch ein langer Tag für uns.
Eingegangen und auf den Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend das Grundgesetz gilt ohne Wenn und Aber, Drucks. 18/1707. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird dieser Dringliche Entschließungsantrag Tagesordnungspunkt 101 und kann nach Tagesordnungspunkt 74, also nach der Aktuellen Stunde zu diesem Thema, aufgerufen und ohne Aussprache zur Abstimmung gestellt werden. – Das wird so gemacht.
Außerdem ist ein Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP betreffend Urteil des VGH Kassel sachkundig prüfen, Drucks. 18/1708, eingegangen. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird dieser Dringliche Entschließungsantrag Tagesordnungspunkt 102 und kann gemeinsam mit den Tagesordnungspunkten 75 und 76 aufgerufen und ohne Aussprache zur Abstimmung gestellt werden.– Auch das ist so beschlossen.
Zum Ablauf des heutigen Tages. Wir tagen ohne Mittagspause bis zur Erledigung der Tagesordnung.Wir beginnen mit den Anträgen für eine Aktuelle Stunde, mit den Tagesordnungspunkten 74 bis 78. Die Redezeit beträgt jeweils 5 Minuten je Fraktion. Danach wird über die entsprechend zugeteilten Entschließungsanträge abgestimmt.
Meine Damen und Herren, ich darf darauf hinweisen, dass Herr Ministerpräsident Koch heute Nachmittag ab ca. 16 Uhr fehlen wird. Ebenfalls entschuldigt fehlen Frau Staatsministerin Henzler, Herr Staatsminister Weimar, Herr Staatsminister Posch heute Nachmittag sowie einige unserer Kolleginnen und Kollegen.
Antrag der Fraktion der FDP betreffend eine Aktuelle Stunde (Minarett-Verbot mit dem Grundgesetz unverein- bar – Ängste der Bevölkerung auch in Hessen sind ernst zu nehmen) – Drucks. 18/1662 –
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Am vorvergangenen Sonntag haben sich in der Schweiz knapp 58 %
der Bürgerinnen und Bürger in einem Volksentscheid dafür ausgesprochen, den Bau von Minaretten durch die schweizerische Verfassung zu verbieten. Diese Entscheidung hat auch hierzulande eine Diskussion über Religionsfreiheit und Integrationspolitik ausgelöst. Dies haben wir zum Anlass für die heutige Aktuelle Stunde genommen.
Lassen Sie mich gleich zu Beginn klarstellen, dass wir als FDP-Fraktion diese Entscheidung in der Schweiz außerordentlich bedauert haben. Wir stehen ohne Wenn und Aber zur Religionsfreiheit als einem unserer höchsten Verfassungsgüter,auf die sich alle Menschen berufen können und damit natürlich auch der Islam als ein Teil unserer Gesellschaft.
Zu dieser Religionsfreiheit gehört natürlich auch der Bau von entsprechenden Gebäuden zur Ausübung dieser Religion. Dazu stehen wir ohne Wenn und Aber. Die Entscheidung muss uns aber auch alle wachrütteln, weil sie uns verdeutlicht, dass wir bei der Integrationspolitik nicht vergessen dürfen, die sogenannte einheimische Bevölkerung mitzunehmen und mit einzubinden.
Viele Menschen haben nun einmal Sorgen und Ängste angesichts der gesellschaftlichen, kulturellen und demografischen Veränderungen, denen sich unsere Gesellschaft gegenübersieht. Diese Sorgen müssen wir natürlich ernst nehmen.
Die Kolleginnen und Kollegen der SPD und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN begleiten diese Aktuelle Stunde mit Entschließungsanträgen. In diesen Anträgen bekennen Sie sich richtigerweise zur Religionsfreiheit. Das können wir auch alles unterschreiben. Dieser Punkt kommt uns in Ihren Anträgen aber nicht klar genug zum Ausdruck: Wir müssen die Sorgen der Menschen ernst nehmen. Wir müssen diesen Sorgen begegnen, wenn wir in diesem Land ein Klima schaffen wollen, in dem sich alle Menschen wohlfühlen und in dem alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft gut miteinander leben können.
Eine wesentliche Anstrengung einer zukunftsgerichteten Integrationspolitik muss deshalb darin bestehen, die Bevölkerung aufzuklären und zu informieren. Dazu gehört vor allem,dass wir die Menschen zusammenbringen;denn nur durch das gegenseitige Kennenlernen können Ängste, Vorurteile und auch Fremdenfeindlichkeit abgebaut werden. Wir brauchen eine neue Kultur des Miteinanders in unserem Land. Die Entscheidung in der Schweiz hat einmal mehr gezeigt, dass der Schwung in der hessischen Integrationspolitik beibehalten und weiter ausgebaut werden muss.
Anhand des Wortlautes der verschiedenen Entschließungsanträge stelle ich einen großen Konsens bei dieser Frage fest. Ich rege an, diese Entschließungsanträge im Ausschuss noch einmal gemeinsam zu diskutieren. Vielleicht kommen wir dabei zu einer gemeinsamen Linie.
Lassen Sie mich abschließend sagen: Wir brauchen eine Integrationspolitik in diesem Land mit Maß und Mitte, die allen Menschen gerecht wird, und zwar so, wie sie von der Hessischen Landesregierung vertreten und umgesetzt wird. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Uns liegt in diesem Plenum eine Beschlussempfehlung vor, aus der hervorgeht, dass der Hessische Landtag feststellt, dass die Angelegenheit Flucht und Vertreibung eine Bundesangelegenheit sei und dass sich der Hessische Landtag damit nicht befassen müsse. Vor diesem Hintergrund kann man sehr wohl die Frage stellen, weshalb wir uns mit einem Plebiszit zu einem Minarett-Verbot in einem Land beschäftigen, das noch nicht einmal der Europäischen Union angehört.
Ich will – im Gegensatz zu Ihnen – hier gar keinen Anstand machen und ohne Frage zugestehen, dass es sehr viel Anlass gibt, sich mit dem Volksbegehren in der Schweiz zu beschäftigen und daraus Konsequenzen zu ziehen. Herr Kollege Mick, ich glaube aber nicht, dass die Konsequenz die ist, die Sie in Ihrem Antrag beschreiben, dass nämlich die Schweizer Minarett-Entscheidung eine Fortsetzung der nachhaltigen Integrationspolitik in Hessen erforderlich macht. Eine nachhaltige Integrationspolitik in Hessen ist so oder so erforderlich. Sie muss wegen der Bedingungen in unserem eigenen Land, in der Bundesrepublik, in Hessen gemacht werden, und das ist ganz unabhängig von der Frage, welches Ergebnis die Volksabstimmung in der Schweiz gebracht hat.
Die aufgeworfenen Fragen sind gleichwohl sehr grundsätzlicher Natur. Die Entscheidung der Schweizer fordert dazu auf, über das Verhältnis von Demokratie und Rechtsstaat, über das Verhältnis von Plebiszit und Demokratie nachzudenken; denn es ist deutlich geworden, dass durch Plebiszite Grundrechte ausgehebelt werden können, wenn es keine rechtsstaatlichen Sicherungen gibt. Dies ist ein Zustand, der natürlich nicht hingenommen werden darf. Heribert Prantl hat in einem Kommentar in der „Süddeutschen Zeitung“ am Montag dieser Woche geschrieben:
an den Grundfesten dieser Verfassung, weil es im Namen der Mehrheit eine Minderheit kujoniert und sie der Rechte beraubt, die diese braucht, um als Minderheit in der Mehrheit zu leben.
Demokratie ist mehr als blanke Statistik, mehr als eine Abstimmungsprozedur; sie ist eine Wertegemeinschaft. Demokratie ist eine Gemeinschaft, die ihre Mitglieder achtet und schützt. Demokratische Entscheidungen sind nicht automatisch rechtsstaatliche Entscheidungen,sie stehen nicht – kraft Mehrheit – automatisch auf dem Boden der Verfassung.
Dies ist eine der Lehren, die man in der Tat aus dem schändlichen Ergebnis der Minarett-Abstimmung in der Schweiz ziehen kann. Demokratie und Rechtsstaat gehören zusammen. Die Demokratie darf den Rechtsstaat nicht aushebeln, schon gar nicht den Kernbereich der Menschen- und Grundrechte. Auf der anderen Seite wird der Rechtsstaat nur unter den Bedingungen einer politischen Demokratie nachhaltig geschützt werden können.
Das gilt auch und gerade für das hier in Rede stehende Grundrecht der Glaubensfreiheit. Die Auseinandersetzung um die Glaubensfreiheit ist einer der historischen Ausgangspunkte der Debatte über die Menschen- und Grundrechte, über die Gedanken- und Meinungsfreiheit. Zu diesen Grundrechten gehört eben nicht nur, wie es in der Frühphase der Debatte der Fall war, dass man seine Gedanken im stillen Kämmerlein äußert – wie es im Lied heißt:„Ich denke,was ich will...doch alles in der Still’,und wie es sich schicket“ –, sondern auch, dass man seinen Glauben und seine Meinung öffentlich zeigen und demonstrieren kann.
Zu dieser Freiheit der öffentlichen Ausübung des Glaubens gehört ohne Frage auch der Bau von Kirchen und Gotteshäusern. Dazu gehört zudem das Tragen von Kopftüchern oder anderer Zeichen religiöser Zugehörigkeit. Dazu gehört außerdem – vor dem Hintergrund der aus der Religionsfreiheit zu schlussfolgernden Gleichbehandlung aller Religionen durch den Staat – ein islamischer Religionsunterricht.
All dies gehört in den Kontext der Glaubensfreiheit und der freien Glaubensausübung.Alles, was wir tun oder lassen, hat sich daran zu orientieren. Dazu gehört auch die Frage des Ernstnehmens von Sorgen und Ängsten in der Bevölkerung. Ein Beispiel: In der Schweiz stehen vier Minarette; davon steht kein einziges in einem der Kantone, die diesem Volksbegehren mehrheitlich zugestimmt haben. Man wird nicht sagen können, dass vier Minarette eine Bedrohung der schweizerischen Identität sind.In den Kantonen, die dem Verbot zugestimmt haben, ist der Anteil der ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger im Verhältnis deutlich geringer als in den Kantonen, die sich mehrheitlich gegen ein Verbot ausgesprochen haben. Mit anderen Worten: Die Sorgen und Ängste in der Bevölkerung scheinen in keinem Verhältnis, jedenfalls in keinem vernünftigen Verhältnis, zu der realen Konfrontation, der realen Begegnung mit den Andersgläubigen zu stehen.
(Leif Blum (FDP): Gott sei Dank! – Gegenruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN):Wieso „Gott sei Dank“?)
Ich will damit sagen, dass man Ängste nur am konkreten Beispiel ernst nehmen kann, wie es bei der Auseinandersetzung um den Bau der Moschee in Hausen geschehen ist.Da haben alle politischen Kräfte in der Stadt Frankfurt sehr vernünftig zusammengearbeitet. Das ist der Punkt, an dem man arbeiten muss. Ansonsten gilt es, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit mit allen Mitteln und
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass in der für ihre Demokratie so berühmten Schweiz am 29. November dieses Jahres fast 58 % der Wahlberechtigten gegen den Bau von Minaretten gestimmt haben, hat europaweit für Aufmerksamkeit und – sicher zu Recht – auch für Empörung gesorgt. Es hat aber auch eine Diskussion wieder angestoßen, die aus meiner Sicht viel zu lange tabuisiert war. Herr Kollege Merz,eines kann man aber nicht machen,nämlich plebiszitäre Elemente immer nur dann gutzuheißen,wenn sie die eigene Meinung stützen.
Wenn man dieses Prinzip anerkennt, dann generell. Wir sollten uns aber gar nicht so lange bei formalen Aspekten aufhalten, sondern einmal die Frage erörtern, wie ein solches Votum, wie wir es in der Schweiz erlebt haben, in Deutschland ausgefallen wäre. Noch viel interessanter ist die Frage, wie und warum solche Voten zustande kommen.