Die Abwrackprämie war sicherlich ein Beispiel dafür, dass es nicht in allen Punkten richtig war. Aber Deutschland wäre ohne die richtigen Entscheidungen der Großen Koalition sicherlich nicht so gut durch die Krise gekommen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Sie gehen permanent auf Distanz!)
Herr Wagner, jetzt sind Sie dran. Jetzt sagen Sie mir: Wo ist die Leistung von Schwarz-Gelb seit 2009, die an irgendeinem Punkt zum jetzigen Erfolg von Deutschland beigetragen hat? Sie sind dran. Nennen Sie mir eine.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zurufe der Abg. Peter Beuth und Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))
Was war das? War das die Senkung der Hotelsteuer? Glauben Sie, deswegen steht Deutschland so gut da? Insofern lohnt ein Blick zurück. Ich will von Ihnen gerne eine Antwort auf die Frage haben, was die Leistung von Schwarz-Gelb auf Bundesebene seit 2009 war, die zur jetzigen Situation beigetragen hat.
Ich finde es spannend, wenn Sie sagen: „Die Verkehrsinfrastruktur von Schwarz-Gelb in Hessen war es.“ Ich stelle fest: Die A 44 besteht aus 4,4 km in der Mitte des Werra-Meißner-Kreises. Das kann es nicht gewesen sein.
Die A 49 endet weiterhin bei Bischhausen im SchwalmEder-Kreis. Das kann es nicht gewesen sein. Der Flughafen Kassel-Calden hat jetzt – hurra – acht Flüge im gesamten Jahr 2013.
Der Flughafenausbau im Rhein-Main-Gebiet, hoch umstritten. Aber ich stelle fest: Die Lufthansa kündigt den Abbau von Tausenden Stellen an. LSG, die Servicetochter der Lufthansa, kündigt den Abbau von Hunderten Stellen an. Das kann es nicht gewesen sein.
Ich glaube sogar – Herr Rentsch, Sie haben gesagt, das sei die Stärke von Hessen –, dass die Tatsache, dass wir im Rhein-Main-Gebiet den Flughafen haben und dass wir die Banken und die Finanzwirtschaft haben, einen Teil der Trägheit hessischer Wirtschaftspolitik hervorgerufen hat, dass man nämlich genau nicht auf die Zukunft schaut und sich nicht überlegt, was wir jetzt tun müssen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP) – Wolfgang Greilich (FDP): Absoluter Realitätsverlust!)
Deswegen finde ich es dramatisch, dass wir hier in keiner Rede, weder von Schwarz noch von Gelb, noch von der Landesregierung, etwas zu der Frage gehört haben, was die Wissensgesellschaft der Zukunft bedeutet, was die Kreativwirtschaft für die Zukunft dieses Standortes bedeuten kann: Fehlanzeige. Was regionale Wirtschaftskreisläufe bedeuten können: Fehlanzeige.
Wenn wir über die Energiewende reden: Ja, ich mache mir große Sorgen. Wir haben nämlich ein Jahr nach der Energiewende eine völlig ratlose Bundesregierung. Wenn Sie sich einmal anschauen, was diese Landesregierung ein Jahr danach real vorzuweisen hat,
müssen wir auch hier feststellen: Fehlanzeige. Das heißt, Schwarz-Gelb kann Energiewende nicht. Und deswegen müssen wir uns wirklich Sorgen um die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Deutschland machen.
Insofern wäre es schön, wenn wir eine wirkliche wirtschaftspolitische Debatte führen könnten. Nur ist das, was wir hier von Schwarz-Gelb und von der Landesregierung gehört haben, das Gegenteil von zukunftsweisender Wirtschaftspolitik.
Vielen Dank, Herr Al-Wazir. – Als Nächste hat sich Frau Kollegin Wissler für die Fraktion DIE LINKE zu Wort gemeldet.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil Herr Al-Wazir zu meiner größeren Überraschung eben ein Plädoyer für die Agenda 2010 gehalten hat.
Das hat schon lange keiner mehr aus den rot-grünen Reihen gemacht. Ich hatte dies immer darauf zurückgeführt, dass die Scham angesichts der Agenda 2010 und ihrer fatalen Folgen innerhalb des rot-grünen Lagers zu Recht zu groß ist. Jetzt haben Sie sich hingestellt und gesagt, die Agenda 2010 sei der Ausgangspunkt einer guten wirtschaftlichen Entwicklung Hessens und Deutschlands.
Das will ich hier nicht so stehen lassen, dem will ich klar widersprechen. Ich finde, dass die Agenda 2010 gerade ein Ausgangspunkt der Probleme ist, die wir heute in Europa haben.
Die Agenda 2010 hat dazu geführt, dass eine Lohnsenkungspolitik umgesetzt wurde, um eine aggressive Exportstrategie zu verfolgen. Ich glaube, es liegt auf der Hand und dürfte sich mittlerweile auch herumgesprochen haben, dass Exportüberschüsse des einen Landes immer Leistungsbilanzdefizite eines anderen Landes bedeuten. Wenn dies innerhalb einer gemeinsamen Währungszone vonstattengeht, führt das natürlich zu Problemen und zu Ungleichgewichten. Deshalb kann man die griechische oder die spanische Krise ohne die aggressive deutsche Exportstrategie überhaupt nicht diskutieren. Genau diese Niedriglohnpolitik hat die anderen Länder unter Druck gesetzt und dafür gesorgt, dass es eine einseitige Orientierung in Richtung der Exporte gab und die Binnennachfrage geschwächt wurde.
Deswegen finde ich, Herr Kollege Al-Wazir, dass Sie sich schon entscheiden müssen, ob Sie sich hierhin stellen und die Leiharbeit und ihre Auswirkungen kritisieren oder ob Sie die Agenda 2010 verteidigen.
Nein, die Agenda 2010 ist nicht nur nicht perfekt, sondern das ist doch der Kern der Agenda 2010: Die Leiharbeit und die Niedriglöhne sind doch kein Kollateralschaden der Agenda 2010, sondern das ist doch der Mittelpunkt.
Wenn Sie sagen, das sei Unsinn, Herr Rudolph, möchte ich Sie daran erinnern, dass es der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder war, der wörtlich gesagt hat, es sei das Ziel, in Deutschland einen Niedriglohnsektor zu schaffen. – Dass Sie das heute nicht mehr hören wollen, kann ich mir gut vorstellen. An Ihrer Stelle ginge es mir auch so. Aber es war gerade Gerhard Schröder, der in seiner Agenda-Rede erklärt hat, Modernisierung nach innen bedeute Emanzipation nach außen.
Das heißt, die ganze Strategie, in Deutschland die Löhne zu drücken – durch die Einführung von Hartz IV, was die Rutschbahn für die Löhne doch überhaupt erst in Gang
gesetzt hat, die Liberalisierung der Leiharbeit, die zu Zeiten des Wirtschaftswunders jahrzehntelang nicht liberalisiert wurde, die Ausweitung der Minijobs, die prekäre Beschäftigung –, all das ging zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland. Sie wissen ganz genau, dass der DGB, die deutschen Gewerkschaften Sie damals davor gewarnt haben, derartige arbeitsmarktpolitische Reformen in die Wege zu leiten, weil sie genau vor dem gewarnt haben, was Sie jetzt mit Krokodilstränen beklagen, meine Damen und Herren.
Der DGB hat genau davor gewarnt, dass Ihre Arbeitsmarktreformen und die Hartz-Gesetze zu sinkenden Löhnen führen und dass Arbeitnehmerrechte ausgehebelt würden. Deswegen bin ich schon sehr verwundert, wenn Sie hier ein Plädoyer dafür halten, dass die Agenda 2010 der Ausgangspunkt für eine wirtschaftliche Entwicklung sei.
Das Fatale ist natürlich, dass jetzt in Form des Fiskalpakts versucht wird, genau diese Agenda 2010, diese grundfalsche Politik gegen eine Mehrheit der Menschen, auf Gesamteuropa zu übertragen. Deswegen finde ich es auch so fatal, dass SPD und GRÜNE diesem Fiskalpakt zustimmen, statt klar zu sagen, dass wir nicht diesen Fiskalpakt brauchen, sondern Wachstumsprogramme und Beschäftigungsprogramme. Wir dürfen Wirtschaften nicht weiter dazu zwingen, sich kaputt zu machen.
Deshalb – wir werden ja mit Ihrer Genossin Herta Däubler-Gmelin gemeinsam vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Fiskalpakt klagen –
bin ich auf jeden Fall sehr gespannt, was dabei herauskommen wird. Was hier faktisch passiert, ist natürlich eine völlige Entmachtung von Parlamenten. Diese Kritik haben Sie auch in Ihren eigenen Reihen gehört. Herr Al-Wazir, eine Entscheidung von 40 zu 37 auf Ihrem Länderrat ist nicht gerade ein eindrucksvolles Votum für den Fiskalpakt. Ich finde es gut, dass es so viele Menschen bei den GRÜNEN gibt, die diese grundfalsche Politik ablehnen.
Das Problem ist doch, dass wir damit auch alle Gestaltungsspielräume für soziale Politik sowie für linkssoziale Projekte durch diese Politik völlig kaputt machen und beschneiden.
Deswegen kann ich nur appellieren: Ich hoffe, dass genug Abgeordnete aus den Reihen von SPD und GRÜNEN
diesem Fiskalpakt am Freitag im Bundestag nicht zustimmen werden. Es bedeutet, Agenda-2010-Politik auf die Länder der Europäischen Union zu übertragen. Die sozialen Folgen, die die Agenda 2010 für die Entwicklung der
Armut in Deutschland hatte, sollten uns wirklich davon abhalten, diese Strategie auf ganz Europa zu übertragen.