(Beifall bei der FDP und der CDU – Demonstrati- ver Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Zurufe von der SPD)
(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Müller und Rock zeigen, dass bei der FDP wirtschaftlich nichts dahinter ist! – Zurufe von der SPD)
Hallo, ich wüsste nicht, dass ich irgendwem von Ihnen das Wort erteilt hätte. Ich darf um mehr Ruhe bitten. – Frau Waschke, Sie haben das Wort für die SPD-Fraktion.
Okay, und jetzt darf ich. – Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Agenda 2010 ist angesprochen worden. Ich möchte an dieser Stelle für meine Fraktion sagen: Klar steht die SPD zur Agenda 2010.
Die rot-grüne Bundesregierung hat sie unter Schröder auf den Weg gebracht. Was es bedeutet, keine Arbeitsmarktreformen auf den Weg gebracht zu haben, das kann man jeden Tag in der Zeitung lesen. Die Arbeitslosenzahlen in unseren europäischen Nachbarländern wünsche ich uns in Deutschland nicht.
Herr Kollege Reif, wir verlassen den Pfad der Agenda 2010 nicht. Aber im Gegensatz zu Ihnen sind wir selbstkritisch. Wir erkennen Probleme, wenn es Probleme gibt.
Deswegen kämpfen wir dafür, dass die Bereiche, wo es schiefläuft und nachgebessert werden muss, auch nachgebessert werden. Das Problem, das wir in Berlin im Bundesrat und im Bundestag haben, ist, dass wir gegen eine schwarz-gelbe Blockadepolitik ankämpfen müssen. Das wird sich hoffentlich bald ändern.
Meine Damen und Herren, was wir hier im Lande Hessen zu tun haben, das ist, Landespolitik zu machen. Wir müssen das regeln, was wir hier in Hessen regeln können. Ich habe vorhin gesagt: Wir brauchen ein ordentliches Vergabegesetz, und wir müssen Förderprogramme des Landes Hessen an Leiharbeiterquoten binden.
Der Kollege Reif hat darauf abgestellt, dass man sich in den einzelnen Landkreisen in Hessen umschauen möge, wer wo regiert und welche Arbeitsmarktzahlen und welche Entwicklungen dort vonstattengehen. Herr Kollege Reif, ich möchte das gerne tun. Ich komme aus dem Landkreis Fulda, der leider Gottes seit 60 Jahren mit absoluter CDU-Mehrheit regiert wird.
Wir arbeiten unverdrossen weiter daran, dass sich das in Fulda ändert. Das kann ich Ihnen versichern.
Ich komme gleich dazu, Herr Kollege Reif. Hören Sie mir doch erst einmal zu. – Diese Region Fulda wird als sogenannte Powerregion propagiert. Ich sage Ihnen ein paar Zahlen: 26,2 % der in Vollzeit beschäftigten Mitarbeiter in Fulda arbeiten im Niedriglohnsektor – ich habe Ihnen vorhin die Zahlen für Hessen genannt.
Wir haben eine Leiharbeiterquote von 4,6 %. Das ist mehr als doppelt so hoch wie der hessische Durchschnitt. Das heißt, jeder vierte Arbeitnehmer im Landkreis und in der Stadt Fulda arbeitet im Niedriglohnsektor. Das ist ein Spitzenwert für Hessen – in einem absolut CDU-regierten Kreis. Ich will das nur noch einmal sagen.
Die Zahl der Leiharbeiter im Landkreis Fulda ist zwischen 2005 und 2010 um 65 % gestiegen. Jetzt noch eine letzte Zahl, die ich interessant finde. Das ist der sogenannte Medianlohn. Er beträgt in Fulda 2.387 €, in Hessen insgesamt 2.867 €, in Kassel 2.792 €. So viel zum Thema, wer wo und erfolgreich regiert. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Waschke. – Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Aussprache zum Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP betreffend Wirtschaftsstandort Hessen ist stark – in Hessen haben so viele Menschen wie nie zuvor einen Arbeitsplatz.
Es ist beantragt, direkt über den Antrag abzustimmen. Wer zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – CDU und FDP. Wer ist dagegen? – Die übrigen drei Fraktionen sind dagegen. Damit ist der Antrag mit Mehrheit angenommen.
Ich darf zum nächsten Tagesordnungspunkt überleiten. Das ist der Setzpunkt der SPD-Fraktion, Tagesordnungspunkt 37:
Antrag der Abg. Dr. Spies, Merz, Decker, Müller (Schwalmstadt) (SPD) und Fraktion betreffend Kindertagesstättenfinanzierung verbessern – Konnexität respektieren – Betreuungsgeld verhindern – Drucks. 18/5840 –
Dringlicher Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend „Betreuungsgeld“ verhindern und frühkindliche Bildung stärken – Drucks. 18/5876 –
Die Redezeit beträgt zehn Minuten pro Fraktion. Herr Kollege Merz von der SPD-Fraktion, Sie haben sich zuerst zu Wort gemeldet.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es war eben viel von angeblichen Erfolgsbilanzen die Rede. Es ist in dieser Debatte zu reden über ein vollständiges politisches und juristisches Debakel, über einen vollendeten politischen Wortbruch und über einen vereitelten Rechtsbruch.
Es ist zu reden über das Scheitern der Landesregierung bei dem Versuch, den Kommunen ein weiteres Mal Lasten aufzubürden, ohne ihnen die dafür erforderlichen Mittel vollständig und in angemessener Frist zur Verfügung zu
stellen. Es ist zu reden über das Scheitern der Landesregierung bei dem dreisten Versuch, das Konnexitätsprinzip so auszuhebeln und zu unterminieren, dass ein Potemkinsches Dorf dagegen eine grundsolide Konstruktion gewesen wäre. Und es ist zu reden über die Frage, welche Rolle das Land beim Ausbau, bei der Qualitätsverbesserung und bei der dauerhaften Finanzierung der frühkindlichen Bildung spielen müsste und welche Rolle es unter dieser Landesregierung bedauerlicherweise spielt.
Meine Damen und Herren, wir müssen, um zu bewerten, was hier vorgegangen ist, einen Blick auf die Vorgeschichte werfen.
Erster Schritt. Nach langem Hin und Her erlässt das Land eine Neufassung der Verordnung über die Mindestvoraussetzungen für den Betrieb von Kindertagesstätten mit dem Eckpunkt einer Erhöhung der Personalschlüssel in den Einrichtungen und Gruppen. Praktisch gleichzeitig beginnt der lange und elendige Streit über die Konsequenzen aus dieser Verordnung, der jetzt zu einem verfassungsrechtlichen Ende gebracht werden musste.
Zweiter Schritt. Nach einem Hin und Her, nach vielfältigem Druck aus den Kommunen und auch der Opposition hier im Landtag erklärt der damalige Familienminister Banzer – der ein zu guter Jurist ist und wahrscheinlich auch zu lange verantwortlicher Kommunalpolitiker war, um zu einem anderen Urteil kommen zu können –, erklärt also Herr Banzer, was sowieso offensichtlich ist, dass nämlich durch die MVO selbstverständlich Konnexität ausgelöst wird.
Dritter Schritt. Gleichzeitig entwickelt sich eine ziemlich seltsame Debatte um ein Moratorium, um ein Aussetzen der MVO, das dann auch vollzogen wird. Und parallel dazu geht die elende Finanzierungsdebatte weiter mit dem Ergebnis, dass die Konnexität infrage gestellt, schließlich verneint wird, der Minister Banzer, dessen Wort gebrochen wurde, gehen musste und dass das politische und juristische Desaster für die Landesregierung und die Regierungskoalition seinen fatalen Lauf nimmt.
Meine Damen und Herren, im Ergebnis wurde bestritten, dass es überhaupt eine grundsätzliche Verpflichtung des Landes zur Kostenerstattung für die durch die MVO notwendigerweise entstehenden höheren Personalkosten bei den Kommunen und den freien Trägern gibt. Bestritten wurde insbesondere, dass es gegenüber den Kommunen und den freien Trägern, die bereits vor Erlass und Inkrafttreten der MVO eine bessere Personalausstattung erreicht hatten, überhaupt irgendeine Verpflichtung geben könne, sei es nur eine politische oder moralische. Das tatsächliche Ergebnis der ganzen Übung war auch entsprechend kläglich:
Erstens. Ein erheblicher Teil der Träger hat nach dem Willen der Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen überhaupt keine Erstattung bekommen.
Zweitens. Der Rest der Kommunen und der freien Träger hat ohne Anerkennung irgendeiner rechtlichen Verpflichtung, gewissermaßen gnadenhalber, und mit erheblicher Verzögerung einen sehr kläglichen Teil der Mehraufwendungen erstattet bekommen. Das Land wendet dafür gerade einmal 40 Millionen € im Jahr auf.
Drittens. Dass das materiell keine angemessene Erstattung sein kann, erhellt schon allein die Tatsache, dass
durch die MVO eine Steigerung des Personaleinsatzes um 15 bis 20 % notwendig geworden ist. Die Kommunen haben mit Mehrkosten in Höhe von 260 Millionen € gerechnet. Man muss das in dieser Höhe nicht teilen. Aber diese 40 Millionen € sind kläglich unangemessen und stellen im Ergebnis nichts anderes als ein sozial- und bildungspolitisches Almosen dar – was sie ihrem inneren Wesen nach auch sind –, ein Almosen, das gnädigerweise durch die Landesregierung an Kommunen verteilt wird, die ihrer gesellschaftlichen und politischen Verpflichtung gegenüber Eltern nachkommen.
Dass dieses also – sage ich, und sagen wir – kläglich unangemessen ist, das erkennt der berühmte Blinde mit dem Krückstock. Das Land, das sich vor der Landtagswahl 2008 und unter dem Druck einer wach und rebellisch gewordenen Öffentlichkeit genötigt gesehen hatte, bei den Personalstandards etwas zu tun, weil die realen Verhältnisse so waren und nach wie vor so sind, dass mit den alten Standards eine zukunftsfähige und eine zukunftsbefähigende frühkindliche Bildung nicht zu haben war und nicht zu haben ist – dieses Land wollte und will bis heute nicht zusätzliches Geld für die dauerhafte Finanzierung genau dieser frühkindlichen Bildung zur Verfügung stellen, jedenfalls kein eigenes Geld.
Das war so bei der MVO. Das wird sich jetzt ändern müssen. Das war so bei der bisherigen Diskussion über das kommende oder auch nicht kommende Kinderfördergesetz, wo die Kernäußerung von Herrn Grüttner war, dass es kein zusätzliches Geld geben werde. Die Landesregierung verhält sich in dieser Frage wie der berühmte hessische Satz: Wann mer gewwe, gewwe mer gern, awwer mer gewwe nix.