Protokoll der Sitzung vom 27.06.2012

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Das ist bis dato die Haltung der Hessischen Landesregierung. Auch dies dürfte mit dem Urteil des Staatsgerichtshofs Makulatur geworden sein. Wir sind auch hier sehr gespannt, was uns die Koalition und die Regierung zu sagen haben werden. Alldem wurde nämlich mit dem einstimmigen Urteil des Staatsgerichtshofs ein Riegel vorgeschoben – Gott sei Dank. Weil hier schon einmal von guten Tagen die Rede war: Der 6. Juni 2012, der Tag des Urteils des Staatsgerichtshofs, war ein guter Tag für die Kommunen und die freien Träger, und er war vor allen Dingen ein guter Tag für die Eltern und für die Kinder in diesem Land.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, es geht hier nicht um eine abstrakte Rechtsfrage. Es geht hier auch nicht einfach um die Frage „rechte Tasche, linke Tasche“. Es geht nicht einfach um eine der üblichen und in der Tat unleidlichen Kompetenz- und Finanzierungsstreitigkeiten zwischen verschiedenen staatlichen Ebenen. Das alles könnte den Eltern, die einen Platz suchen, die verlässliche Öffnungszeiten brauchen, die ausreichendes und gut qualifiziertes Personal in den Einrichtungen erwarten, egal sein. Es ist aber nicht so, dass es den Eltern egal wäre.

Eltern und insgesamt die Öffentlichkeit wissen sehr gut, dass die gesamtgesellschaftliche Aufgabe des Ausbaus und der Qualitätsverbesserung der frühkindlichen Bildung ohne eine angemessene dauerhafte Finanzierung nicht zu haben ist. Und dies ist wiederum nicht ohne faire und verlässliche Verteilung der Lasten zwischen Bund,

Ländern und Kommunen zu haben. Eltern wissen sehr gut, dass die Kommunen diese Aufgabe allein nicht schaffen können und nicht schaffen werden. Und die Öffentlichkeit in ihrer Gesamtheit weiß das auch mehr als gut genug.

Hier also bei dieser Frage – dauerhafte verlässliche Finanzierung und faire Lastenverteilung zwischen den unterschiedlichen staatlichen Ebenen – liegt die große politische Gestaltungsaufgabe hinter der auch nicht kleinen Aufgabe des Ausbaus des U-3-Angebots. Bei beiden Aufgaben hat die Landesregierung in diesem Sinn ihre politische Pflicht nicht getan, mehr noch: Sie hat im Falle MVO ihr Wort und das Recht gebrochen, oder sie hat das Letztere versucht und das Erstere getan.

Sie hat beim U-3-Ausbau nur die Bundesmittel weitergeleitet und erst sehr spät zusätzlich 30 Millionen € aus Landesmitteln zur Verfügung gestellt. Vergleichen Sie das einmal damit, was beispielsweise das Land Bayern aus eigenen Landesmitteln für den U-3-Ausbau aufgewendet hat. Das ist ein unverdächtiger Vergleich.

Sie hält beim Anteil des Landes an den Betriebskosten für U-3-Plätze den letzten Platz unter den westdeutschen Flächenländern. Insgesamt ist der Betriebskostenanteil des Landes als eher kläglich zu bezeichnen. Auch das ist in vielen Debatten hier gesagt und herausgearbeitet worden. Daneben versucht die Landesregierung, sich mit immer neuen Modellversuchen und Anschubfinanzierungen und zeitlich befristeten Förderrichtlinien politisch über die Runden zu retten. Verlässliche Förderungspolitik und faire Lastenverteilung sehen deutlich anders aus und müssen deutlich anders aussehen.

Meine Damen und Herren, deswegen sind Umdenken und Umsteuern dringend erforderlich. Das Urteil des Staatsgerichtshofs muss unverzüglich dazu führen, dass mit den Kommunen und den freien Trägern darüber gesprochen wird, wann das Land endlich zu einer vollständigen Kompensation der entstandenen und entstehenden Kosten kommt. Dazu erwarten wir heute eine Erklärung der Regierung. Und es muss ein grundsätzliches Umsteuern in der Förderpolitik des Landes geben. Auch das, was bisher über die Grundlinien des Fördergesetzes bekannt geworden ist, kann so nicht stehen bleiben, weil es nicht nur kein Fortschritt, sondern teilweise sogar ein Rückschritt wäre.

(Beifall bei der SPD)

Auch dazu warten wir mit Spannung auf Aussagen der Regierung oder der Koalition, hinter der sich die Regierung bisher, allerdings erfolglos, versteckt hält. Ceterum censeo – man muss es immer wieder sagen, solange dieser Unfug auf der Tagesordnung steht –: Das Betreuungsgeld darf nicht kommen, weil es bildungs-, sozial-, familien-, arbeitsmarkt- und gleichstellungspolitisch falsch ist und zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine inakzeptable Verschwendung öffentlicher Mittel wäre,

(Beifall bei der SPD und des Abg. Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

weil dieses Geld für das große Ziel der Verbesserung der frühkindlichen Bildung nicht zur Verfügung stehen würde und so eine gerechte Verteilung der Lasten dafür in noch weitere Ferne rücken würde. Wir erwarten von der Landesregierung, dass sie sich dagegen einsetzt und dafür kämpft, dass dieses Geld für frühkindliche Bildung zur Verfügung gestellt wird – auch in Hessen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Einen Gedanken möchte ich zum Schluss meiner Rede noch äußern. Die SPD-Landtagsfraktion hat ihre Vorschläge zur Finanzierung auf den Tisch gelegt. Wir hatten und haben uns für die politische Anwendung des Konnexitätsprinzips verbürgt, das jetzt in seiner Gültigkeit bestätigt worden ist. Wir haben Zahlen für die Erhöhung des Anteils des Landes an den Betriebskosten der U-3-Betreuung und für die dauerhafte Finanzierung solcher Angelegenheiten wie etwa Maßnahmen nach dem Bildungsund Erziehungsplan und der Familienzentren genannt. Wir haben klare Vorstellungen hinsichtlich des Ausbaus der Ganztagsschulen.

Herr Merz, kommen Sie bitte zum Schluss Ihrer Rede.

Herr Präsident, ich komme zu meinen letzten Sätzen. – Auf all das warten wir bei der Landesregierung bisher vergeblich. Also warten die Menschen dieses Landes, und hier vor allem die Eltern, auf eine andere Landesregierung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Merz, vielen Dank. – Ich darf Frau Schott für die Fraktion DIE LINKE das Wort erteilen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es bedurfte des Zornes und des Mutes 39 hessischer Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die Landesregierung zu verklagen, um damit zu erzwingen, dass das Land die Aufstockung des Personals in den Kindertagesstätten nun endlich auch tatsächlich bezahlen muss. Diese 39 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister gehören der SPD, den GRÜNEN, aber auch der CDU und der FDP an. Daran sieht man: Die Not der Kommunen endet nicht an Parteigrenzen. Diese Landesregierung hat es geschafft, ihre eigenen Bürgermeister so weit gegen sich aufzubringen, dass sie die Regierung verklagt haben.

Das Trauerspiel der gebrochenen Versprechen der letzten Jahre in Bezug auf die Mindestverordnung möchte ich hier nicht noch einmal darlegen. Das haben wir eben sehr ausführlich gehört.

Es ist gut, dass der Staatsgerichtshof des Landes Hessen jetzt im Sinne der Kommunen und damit der Kinder entschieden hat. Eine Regierung, die von ihren Kommunen Leistungen einfordert und dieselben Kommunen dann, finanziell gesehen, im Regen stehen lässt, hat abgewirtschaftet.

Stellvertretend für die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die geklagt haben, möchte ich Aussagen des Herrn Fennel aus Hünfeld anführen, der davor warnte, dass sich das Land etwa angesichts des nun gerichtlich festgelegten Konnexitätsausgleichs durch einen Griff in den Kommunalen Finanzausgleich behelfen wolle. Damit

würden einseitig die finanzschwachen Kommunen belastet, denen das Land bereits durch die Kürzung in Höhe von 340 Millionen € in der Finanzausgleichsmasse große Einbußen zugemutet habe. Er sieht das Land in der Pflicht, diese eingegangenen Verpflichtungen aus originären Landesmitteln zu bestreiten. Dem kann man nur zustimmen.

(Beifall der Abg. Janine Wissler und Barbara Cár- denas (DIE LINKE))

Aber wie soll eine Landesregierung, die die Bundesregierung als Vorbild hat, eine vernünftige Familienpolitik machen? Erst hat die Bundesregierung einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab Vollendung des ers ten Lebensjahres geschaffen. Dann aber wurden weder die finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt, die dafür notwendig gewesen wären, noch ist das notwendige Personal vorhanden, um diesem Rechtsanspruch gerecht zu werden. Obendrein wird das Ganze dadurch getoppt, dass über 1 Milliarde € für das Betreuungsgeld verbrannt werden sollen.

Wir haben die Situation, dass über eine Frauenquote in den Chefetagen und über Fachkräftemangel diskutiert wird. Da erscheint einem das Betreuungsgeld wie ein Schlossgespenst, das seine endgültige Ruhestätte noch nicht gefunden hat.

(Beifall der Abg. Janine Wissler und Barbara Cár- denas (DIE LINKE))

Da wundert es keinen, dass die Arbeitgeberverbände und der Deutsche Gewerkschaftsbund in einer gemeinsamen Stellungnahme erklären, das Betreuungsgeld sei ein Rückschritt und gefährde wichtige Ziele der Arbeitsmarkt-, Bildungs- und Familienpolitik. Ferner wurde erklärt, es konterkariere die Anstrengungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Der geplante Zuschuss für die Eltern, die ihre Kinder nicht in eine Krippe schicken würden, würde den falschen Anreiz schaffen, sich aus dem Beruf zurückzuziehen, und sei auch nicht im Interesse derjenigen Kinder, die eine frühzeitige intensive Förderung benötigten. Da sind sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer dieses Landes einig.

Ich muss schon sagen: Es ist schon lange keiner Regierung mehr gelungen, beide gemeinsam gegen sich aufzubringen. Meinen Glückwunsch an Ihre Kolleginnen und Kollegen in Berlin. Aber vielleicht wollen ja diejenigen, die die Karre so weit in Dreck gefahren haben, auch nicht wiedergewählt werden.

Für 35 % aller Kinder sollten Betreuungsplätze geschaffen werden. Inzwischen ist längst klar, dass das deutlich zu wenige sind. Im städtischen Raum wird inzwischen angenommen, dass man 40 % bis 60 % braucht. Neben Räumlichkeiten fehlt es vor allem an qualifiziertem Personal. Das ist nicht nur deshalb so, weil zu wenige Erzieherinnen und Erzieher ausgebildet werden. Da sind wir schon einen Schritt weitergekommen.

Wir müssen uns verdeutlichen, dass ermittelt wurde, dass 20 % der Erzieherinnen und Erzieher ihre Arbeit nach dem ersten Berufsjahr verlassen und sich anderen Tätigkeitsfeldern zuwenden. Denn das Missverhältnis zwischen der hohen Verantwortung, die sie in ihrem Beruf tragen, und den Arbeitsbedingungen, insbesondere der schlechten Bezahlung, ist so, dass sie sich lieber irgendwo in einen Supermarkt stellen und die Regale einräumen. Das sollte uns doch zu denken geben.

(René Rock (FDP): Da wäre ich mir nicht so sicher! Ich glaube, viele gehen auch studieren!)

Für den Krippenausbau fehlen erhebliche finanzielle Mittel. Der Schwarze Peter wird zwischen dem Bund, den Ländern und den Kommunen umhergeschoben. Letztlich haben die Kommunen es auszubaden. Denn wenn die Eltern klagen, verklagen sie die Kommunen. So, wie es im Moment eingeschätzt wird, sind diese Klagen sehr aussichtsreich. Das heißt, die Kommunen müssen hier Mittel für Schadenersatz ausgeben, die deutlich besser angelegt wären, wenn man damit Betreuungsplätze schaffen könnte, anstatt den Eltern den Ausfall zu bezahlen.

Derzeit gibt es ca. 620.000 Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren in ganz Deutschland. 780.000 Plätze werden bis August 2013 benötigt. Es fehlen also etwa 160.000 Plätze. Die Städte und Gemeinden gehen sogar von noch mehr aus. Die Zahl muss man nicht unbedingt teilen. Es wird aber deutlich: Wir haben entschieden zu wenige Betreuungsplätze.

Wir haben als LINKE eine Große Anfrage an die Landesregierung gestellt, um festzustellen, wie die Situation in Hessen ist und wie sich die Beiträge dazu entwickeln. Seit über drei Monaten schafft es die Landesregierung nicht, diese Große Anfrage zu beantworten.

Ich frage mich tatsächlich, warum sie das nicht schafft. Ist es so schwierig, die Zahlen zu ermitteln, die zeigen, was Sie in Hessen erreicht oder nicht erreicht haben, oder haben Sie einfach Angst davor, dass mit den Antworten auf die Große Anfrage herauskommen könnte, dass die Situation in Wiesbaden, das Hortplätze abschafft, damit diese Kommune die U-3-Betreuung finanzieren kann, kein Einzelfall ist, sondern dass die Kommunen da flächendeckend ein Problem haben und an anderer Stelle der Kinderbetreuung sparen, um diese U-3-Betreuung sicherzustellen, zu der sie gesetzlich verpflichtet sind?

Die Wahlfreiheit der Eltern solle sichergestellt werden. Das ist eine der Begründungen für das Betreuungsgeld. Von echter Wahlfreiheit kann aber keine Rede sein. Wenn nicht genügend Betreuungsplätze da sind, gibt es keine Wahlfreiheit.

Andererseits schafft das Betreuungsgeld aber für die Familien, die sich für die Betreuung zu Hause entscheiden, auch keine echte Verbesserung. Wenn eine Familie auf das Einkommen angewiesen ist, sind 100 € oder 150 € keine Kompensation für das Einkommen.

(Beifall des Abg. Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wenn die Regierung dem Argument der Wahlfreiheit tatsächlich nachkommen wollte, dann müsste sie eine Leistung schaffen, die auch wirklich eine Kompensation für das Einkommen ist.

(Beifall der Abg. Janine Wissler und Barbara Cár- denas (DIE LINKE))

Es ist also weder auf die eine noch auf die andere Weise der Wahlfreiheit förderlich.

Tatsächlich wird es doch so sein, dass die Familien, die das traditionelle Modell ohnehin wählen – also die Frau bleibt zu Hause, und der Mann arbeitet; selten ist es umgekehrt –, 100 € mehr haben werden, und zwar unabhängig davon, ob sie die brauchen oder nicht. Da werden wir erhebliche Mitnahmeeffekte haben.

Familien mit geringem Einkommen, insbesondere mit geringem Einkommen der Frauen, werden sich sehr genau überlegen, ob sie jeden Monat Geld für die Kita in die Hand nehmen – ein Platz dort ist in vielen Fällen nicht gerade preiswert –, ob sie Fahrtkosten zum Arbeitsplatz und zur Kinderbetreuung haben wollen oder ob die Frau stattdessen zu Hause bleibt, auf ihre Erwerbstätigkeit verzichtet und die 100 € einnimmt. Da könnte sich manchmal eine wirtschaftliche Pattsituation ergeben. Diese wirtschaftliche Situation wird dann zum Argument, sich gegen die Pädagogik und gegen die Emanzipation zu entscheiden.

Wir erreichen damit, schwuppdiwupp Kinderbetreuungsplätze einzusparen. Das ist deutlich preiswerter. Das muss man schon zugeben. Emanzipatorische und pädagogische Argumente fallen aber auf diese Weise hinten herunter.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ist eigentlich noch jemand von den LINKEN da? Ach so, ja!)

Ich glaube nicht, dass ich meine eigenen Leute an der Stelle schlaureden muss. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie das verstanden haben. Aber ich glaube, auf der rechten Seite des Hauses besteht da noch erheblicher Bedarf. Es ist also eher traurig, dass dort nicht zugehört wird.

Frauen, die dem Arbeitsmarkt länger fernbleiben, haben es wesentlich schwerer, später wieder Arbeit zu finden. Die Qualifikationen entwerten sich in der Zwischenzeit. Das ist doch hinlänglich bekannt. Die eigenständige Altersversorgung wird erheblich geschmälert. Damit steigt die Gefahr der Altersarmut.

Darüber hinaus ist es längst wissenschaftlich erwiesen: Ein früher Krippenbesuch tut der Entwicklung der Kinder gut und ist nicht – wie wir früher geglaubt haben – schädlich und dergleichen mehr. Aber je besser die Einrichtung, desto besser ist es natürlich auch für die Kinder. Das heißt, je besser die Qualitätsstandards in den Einrichtungen, desto besser ist auch die Betreuung der Kinder. Das muss doch die Zielrichtung sein: dass wir eine gute Betreuung haben, dass die Einrichtungen auch baulich gut sind, dass die Räume für die Kinder Schallschutz haben. Wir wissen, es tut den Kindern gut und fördert das Lernen, wenn die Geräuschkulisse geringer ist. Die Gruppen müssen klein sein, damit sich die Kinder wohlfühlen, und es muss genügend viele Erzieherinnen und Erzieher geben.