Warum ist das für den Standort eine Riesengefahr? Was ist das Problem? Das Problem ist, dass Sie sagen „staufreies Hessen“ und dass Sie gleichzeitig dafür sorgen, dass die Leute bei 6 % Fahrpreiserhöhung nicht mehr in die S-Bahn gehen, nicht mehr mit der Straßenbahn fahren, sondern wieder ins Auto steigen.
Das Ergebnis wird sein, Herr Rentsch – falls es Sie interessiert –, dass wir in eine Situation kommen, dass wir in dem Jahr, in dem Frankfurt erstmals in seiner Geschichte wieder auf über 700.000 Einwohner kommt, in dem Darmstadt erstmals in seiner Geschichte auf über 150.000 Einwohner kommt, in dem Offenbach erstmals in seiner Geschichte auf über 120.000 Einwohner kommt, die Mobilität im Ballungsraum nicht mehr gewährleisten können. Sie können an Telematik schlicht machen, was Sie wollen – Sie werden, wenn Sie den ÖPNV nicht stärken, die Mobilität im Ballungsraum nicht gewährleisten können. Das ist ein Riesenproblem für den Wirtschaftsstandort Hessen. Mobilität braucht man, liebe Kolleginnen und Kollegen. Sie kann in einem solchen Gebiet nicht nur mit Individualverkehr abgewickelt werden.
Zweiter Punkt. Sie haben offensichtlich überhaupt nicht verstanden – oder Sie haben nicht zugehört –, was der Kollege Klose gesagt hat. Sie sagen, wir haben ein Riesenproblem im Bereich des Standortes, weil hier Leute verschwinden. Woran liegt denn das? Sie fragen: Wie kann man dazu kommen, zu sagen, man wolle in erneuerbare Energien investieren? – Haben Sie sich einmal den Ölpreis angeschaut? Haben Sie sich einmal angeschaut, wo die Benzinpreise sind? Haben Sie sich einmal angeschaut, was die chemische Industrie für ein Problem hat, die vor allem auf Öl als Grundstoff angewiesen ist? Haben Sie sich das alles einmal angeschaut?
Dann werden Sie feststellen, dass diejenigen, die „billig, billig, billig“ rufen, am Ende die Probleme von GM und Opel bekommen werden, und diejenigen, die sagen: „Wir wollen ressourcenschonend arbeiten“, am Ende da sind, wo der Volkswagenkonzern ist. Wer das nicht versteht, der setzt die Zukunft des Industrie- und Wirtschaftsstandortes Hessen und Deutschland aufs Spiel.
Am Ende werden diejenigen erfolgreich sein, die weniger verbrauchen. Am Ende werden diejenigen erfolgreich sein, die sparsam wirtschaften.
Diejenigen, die versuchen, das, was unweigerlich kommen wird, nämlich ein unglaublicher Anstieg an Ressourcenund Energiekosten, irgendwie zu verzögern – sie retten für viel Geld Strukturen, die nicht zu retten sind, vielleicht für drei, vier, fünf Jahre –, werden am Ende hinten dran sein.
Bei der Frage des EEG und der Energiekosten ist die Diskussion völlig irre geworden. Herr Rentsch, vielleicht sollten Sie noch einmal in Ihren Fachabteilungen nachfragen.
Es war die schwarz-gelbe Koalition in Berlin, die die Ausnahmen für das EEG für immer mehr Firmen gemacht hat, mit dem Ergebnis, dass die Privatpersonen immer mehr für das Erneuerbare-Energien-Gesetz zahlen müssen und diejenigen, die angeblich vom EEG vertrieben werden, überhaupt keine Umlage zahlen. Insofern, guten Morgen, Herr Rentsch.
Ich komme zum Schluss. – Die spannende Frage ist doch: Wer regiert hier eigentlich? Wer stellt denn den Wirtschaftsminister, und zwar sowohl auf der Bundesebene wie auch hier? Das heißt, wenn Sie sich darüber beklagen, dass der Netzausbau nicht vorankommt und dass es bei der Energiewende hapert, dann schauen Sie einmal in den Spiegel, Herr Kollege Rentsch.
Danke schön, Herr Kollege Al-Wazir. – Als nächster Redner hat sich Herr Kollege Grumbach von der SPD-Fraktion gemeldet. Bitte schön, Herr Grumbach, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Lassen Sie mich am Anfang für die freundliche Lehrstunde in Volkswirtschaft danken. Ich hoffe, die Kollegen von der CDU haben zugehört. Frau Wissler, das haben Sie gut gemacht. Es würde helfen, das noch mehrfach zu tun; denn in der Tat müssen wir die Frage „Marktwirtschaft versus Macht der Großunternehmen“ hier ausdiskutieren. Ein Teil der Debatte, die wir hier führen, dreht sich nämlich nicht um das Thema „Markt gegen Staat“, sondern darum, wie demokratisch gewählte Macht wieder über die Parlamente ausgeübt wird. Insofern ist es ganz gut, daran zu erinnern.
Zweitens. Herr Minister, es würde helfen, an der Stelle die Welt so zu lassen, wie sie ist. Die Industriepolitik ist ein Kernbestandteil sozialdemokratischer Politik. Die Industriepolitik ist allerdings kein Kernbestand rückwärtsgewandter Politik.
Rückwärtsgewandt ist das, was im Ruhrgebiet passiert ist – auch unter Sozialdemokraten –, nämlich überholte Industriestrukturen so lange zu stabilisieren, bis die Kosten für die Reparatur zu hoch geworden sind.
Deswegen haben wir in Hessen bei der Industriepolitik immer sehr bewusst über eine Transformationspolitik geredet, darüber, wie wir die bestehenden Strukturen so ertüchtigen können, dass sie auch in Zukunft funktionieren. Dazu gehört, dass sie mit weniger fossiler Energie auskommen. Dazu gehört, dass sie mit weniger Schadstoff ausstoß auskommen. Dazu gehört, dass sie Produkte herstellen, die mit den Anforderungen verträglich sind, die wir haben.
Ich finde das, was Sie aus der Koalitionsvereinbarung zitiert haben, ganz faszinierend. Den Text, den Sie daraus vorgelesen haben, könnte man in drei Teile teilen. Das ers te Drittel ist eine fast wörtliche Kopie der Absichtserklärungen der Bundesregierung zum Klimaschutz. In der Bundesregierung sind derzeit, mit Verlaub, weder Rote noch Grüne. Das zweite Drittel umfasst sozusagen zukunftsgewandte Teile, die in der Region ausgemacht werden. Beim dritten Drittel könnten wir ein bisschen darüber streiten, ob die Kompromisse zwischen Rot und Grün so sind, wie ich sie gerne hätte. Das sollte man dann auch so präzise auseinanderhalten.
Sie lösen die Debatte so auf, dass Sie sagen: Wer die Industrie daran hindert, „fortschrittlich“ zu produzieren, indem er z. B. mehr Klimaschutz fordert, ist industriefeindlich. – Das Gegenteil ist richtig. Wer die Industrie durch geeignete Rahmenbedingungen dazu anleitet, so zu produzieren, dass sie auch in 20 Jahren unter verschärften ökonomischen und ökologischen Bedingungen noch so produzieren kann, wie sie es heute tut, der betreibt Industriepolitik, der hütet kein Museum der Vergangenheit, wie Sie es hier tun.
Noch faszinierender waren Ihre Ausführungen zum Strompreis; denn Sie haben ständig Beispiele angeführt, bei denen Sie wissen müssten – wenn Sie es nicht wissen: im Ministerium sitzen Hunderte von Leuten, die es wissen, fragen Sie die einfach –, dass sich in der Frage, wer
welchen Strompreis bezahlt, Industrieunternehmen und Privathaushalte massiv unterscheiden. Kein Industrieunternehmen bezahlt so viel wie ein Privathaushalt. Zweitens sind auf Druck verschiedener Parteien – Ihre Partei war daran durchaus beteiligt – die ganz großen Stromverbraucher ausgenommen. Sie führen in dieser Frage eine Phantomdebatte, weil Sie hier die zu einem Problem machen, bei denen Sie selbst dafür gesorgt haben, dass sie nicht einmal unter einen Anpassungsdruck geraten sind, sondern weiterhin Energieverschwendung betreiben können, wie sie es die ganze Zeit getan haben. An der Stelle sollten Sie sich einmal ein bisschen hinterfragen.
Um es sehr kurz zu fassen: Es gibt zwei Möglichkeiten, Industriepolitik zu machen. Entweder schreibt man das fort, was in der Vergangenheit war – das ist eine Industriepolitik, die langfristig zu einer Deindustrialisierung führt, weil andere Länder, inzwischen sogar Ländern, die früher nicht einmal zu den Industrieländern gezählt worden sind, sehr viel schneller umstellen –, oder man macht eine Transformationspolitik, indem man erstens die Rahmenbedingungen so setzt, dass die Industriepolitik zukunftsfähig ist, und zweitens dafür sorgt, dass die Betroffenen dabei unterstützt werden. Darauf warten wir. Statt die zu beschimpfen, die solche Konzepte längst diskutiert haben, sollten Sie daran arbeiten, denn dafür sind Sie da, Herr Minister.
Vielen Dank, Herr Kollege Grumbach. – Als nächster Redner hat sich Kollege Reif von der CDU-Fraktion gemeldet. Bitte schön, Herr Kollege Reif.
Frau Vorsitzende, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, wir sind uns alle darüber einig, dass die Industriepolitik in einem Land wie Hessen eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass wir auch in Zukunft unseren Wohlstand halten. Dieser Wohlstand ist nicht auf Dienstleistungen aufgebaut. Dieser Wohlstand ist auf der Herstellung von Produkten und Gütern aufgebaut. Wir sehen am Beispiel Großbritannien, dem Mutterland der industriellen Entwicklung, was es bedeutet, wenn zu spät erkannt wird, dass die Industriepolitik die Grundlage für den Wohlstand dieses Landes ist. Großbritannien leidet heute darunter, dass es zwar eine dominierende Finanzindustrie, also eine Dienstleistungsindustrie, aber – bis auf einige Nobelsportwagenmarken – keine vernünftige produzierende Industrie mehr hat.
Deshalb sollten wir dankbar dafür sein, dass wir vernünftige, gut vernetzte industrielle Strukturen haben, die in unser Land eingebettet sind und es möglich machen, dass Produkte nicht nur hergestellt werden, sondern eine vernetzte Form der Produktion – mit Zulieferfirmen und Beteiligungsunternehmen, z. B. mittelständischen und handwerklichen Unternehmen – praktiziert wird, die dazu beiträgt, dass die industrielle Substanz erhalten bleibt.
Lassen Sie mich eine weitere Frage erörtern. Das muss natürlich in eine vernünftige Energiepolitik eingebettet sein. Dabei dürfen wir uns nicht isoliert betrachten. Seien wir doch vernünftig. Firmen – wie SGL – gehen weg, nicht deswegen, weil sie beim Strompreis privilegiert sind und dieser Strom zu billig ist, sondern deshalb, weil er immer noch zu teuer ist. Das Problem ist doch, dass sich diese Firmen in einem internationalen Wettbewerb orientieren und sich ihre Standorte aussuchen können. Sie brauchen doch gar nicht weit zu gehen. Sie gehen beispielsweise nach Frankreich in die Umgebung von Großkraftwerken – nicht nur von Kernkraftwerken –, wo die Energie zu einem Bruchteil dessen angeboten wird, was sie bei uns bezahlen müssen. Während solche Firmen, wie beispielsweise Buderus, in Deutschland einen Strompreis von 9 bis 11 Cent/kWh zahlen, bekommen sie in Frankreich – in der Nähe von Cattenom oder wo auch immer – einen Strompreis von 4,2 Cent/kWh. Das ist doch attraktiv. Das müssen wir sehen, wenn wir beurteilen wollen, wie sich die Energiepreise auf die Standortqualität und auf die Chancen auswirken, dass sich die Industrie bei uns auch weiterhin gut entwickeln kann.
(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Lassen Sie mich ein Weiteres erwähnen. Herr Al-Wazir, Sie haben zu Recht gesagt, dass große Industriezentren, aber auch Dienstleistungs- und Wirtschaftszentren in Südhessen einen Bevölkerungszuwachs haben: Frankfurt über 700.000 Menschen, Darmstadt 150.000 und Offenbach 120.000. Das liegt auch am öffentlichen Personennahverkehr; da gebe ich Ihnen zum Teil recht. In meiner Gegend – wir sind 100 km von Frankfurt und dem RheinMain-Gebiet entfernt – liegt es aber daran, dass wir vernünftige Straßen und Bahnlinien haben, damit die Leute von ihren Gehöften im Westerwald oder im Rothaargebirge nach Frankfurt herunterkommen können. Wenn man z. B. von Bottenhorn oder Driedorf im Westerwald zu einer Bahnlinie oder zu einer Autobahn kommen muss, nutzt einem der öffentliche Personennahverkehr nichts. Das ist das Problem. Bei uns leben etwa 1.500 Menschen, die täglich in das Rhein-Main-Gebiet pendeln. Wir müssen sie halten – im Interesse des Rhein-Main-Gebietes, aber auch im Interesse der ländlich strukturierten Gegenden. Das ist doch unser Ziel.
Das erreichen wir nicht allein mit dem Nahverkehr, sondern wir brauchen eine infrastrukturelle Kombination aus Nahverkehr, Straßenbau und Bahnlinien. Etwas anderes bleibt uns doch nicht übrig.
Das ist richtig. Aber wir beginnen doch, überall großzügige Park-and-ride-Systeme auszubauen. Dort, wo ich wohne, befindet sich 300 m neben dem Schwimmbad ein Park-and-ride-System mit ungefähr 150 bis 160 Plätzen. Diese sind jeden Morgen voll. Ich fahre ja jeden Morgen daran vorbei.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss etwas zu Schlecker sagen, weil es auch in unserer Diskussion immer wieder aufflammt. Schlecker ist ein bedauerliches Beispiel der sozialen Marktwirtschaft. Schlecker ist ein bedauerliches Beispiel dafür, dass die Marktwirtschaft auch die Rolle hat, die Schlechten von den Guten zu trennen.