Protokoll der Sitzung vom 28.06.2012

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:

Große Anfrage der Abg. Cárdenas, Schaus, Schott, van Ooyen, Dr. Wilken, Wissler (DIE LINKE) und Fraktion betreffend Ausmaß der aktuellen und künftigen Altersarmut in Hessen und Position der Landesregierung dazu – Drucks. 18/5417 zu Drucks. 18/4710 –

Die Redezeit beträgt 7,5 Minuten. Es beginnt Frau Kollegin Schott, DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! SPD und GRÜNE haben auch im Rentensektor einen skrupellosen Sozialabbau eingeleitet, CDU und FDP haben diesen unterstützt. Nach ca. zehn Jahren wird es Zeit für eine Bilanz. Die Antworten auf unsere Große Anfrage zeigen, dass auch in Hessen zunehmend Armut im Alter eintreten wird. Profiteure dieser Politik sind Finanzdienstleister wie Carsten Maschmeyer, der eng befreundet ist mit Figuren aus der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN. Profiteure sind Versicherungen und Banken.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Was soll das denn?)

Zuerst ein Blick auf die Bestandsrenten. Zwischen 1992 und 2000 gleichen die Zuwächse bei den Zahlbeträgen gerade einmal die Inflationsrate aus. Ab dem Jahr 2000 sinkt in Hessen die Höhe der gesetzlichen Renten, wenn die Inflation mitberücksichtigt wird.

(Vizepräsident Heinrich Heidel übernimmt den Vorsitz.)

Wie sieht nun die Entwicklung bei den Neurentnerinnen aus? Bekommen die Neurentner weniger als Altrentner? Berücksichtigt man neben der nominellen Entwicklung auch die Inflation, so ergibt sich bei den Neurenten ein realer Rückgang um ca. 17 % seit 2001. Bei den Neuzugängen zu den Erwerbsminderungsrenten beträgt der reale Rückgang sogar ca. 30 %.

Auch bei langjährig Versicherten sinkt das Rentenniveau, zumindest in Westdeutschland. Das wissen wir aus Zahlen der Deutschen Rentenversicherung. Für Hessen hatte die Landesregierung keine Zahlen. Wie sich die Zukunft entwickelt, kann man an den jetzigen Zahlen ablesen. Dafür braucht man keine Glaskugel. Auch hier konnte die Landesregierung für Hessen keine Zahlen vorlegen.

Wir haben aber dank einer Anfrage der LINKEN im Bundestag Zahlen für Westdeutschland. Ergebnis: Mit einer Ausnahme sinken die Rentenanwartschaften. Lediglich bei den jetzt 55-Jährigen ist das nicht so.

Welchen Aspekt wir auch heranziehen, es ist überall die gleiche Entwicklungsrichtung: Die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sinken. Das ist einer der Gründe dafür, weshalb DIE LINKE für einen Politikwechsel kämpft, und zwar nicht nur auf dem Gebiet der Rentenpolitik, sondern auch in der Arbeitsmarktpolitik.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Rentenkürzungen unter Rot-Grün waren und sind mit dem Ansinnen verbunden, die Erwerbstätigen privat vorsorgen zu lassen. Das wirft zwei Fragen auf: Verdienen die Menschen genug, damit sie vorsorgen können? Wenn ja, können sie es in ausreichendem Maß? – Beide Fragen hängen mit der Arbeitsmarktentwicklung zusammen. Seit SPD und GRÜNE auf Bundesebene den Arbeitsmarkt dereguliert haben, gilt: Arm trotz Arbeit hat die Breite des Arbeitsmarkts erfasst. – Da muss man nur in den Landessozialbericht schauen.

Nach Aussagen der Landesregierung auf unsere Fragen sorgen 45 % finanziell privat für das Alter vor. Das ist weniger als die Hälfte.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Mathematik Leistungskurs!)

Das schafft man auch mit Mathe Grundkurs. – Die anderen 55 % können nicht vorsorgen, schon gar nicht die, die es am dringendsten nötig hätten. Ob bei den 45 %, die private Vorsorge betreiben, diese ausreicht, will die Landesregierung gar nicht wissen. Jedenfalls lehnt sie es ab, das zu ermitteln. Das hat seine Gründe; denn die Profiteure der Rentenkürzungen sind, wie schon gesagt, Masch meyer, die Versicherungen und die Banken.

Vor wenigen Wochen hat Winfried Schmähl, einer der renommiertesten Rentenexperten der Bundesrepublik, genau das bestätigt:

Der in der deutschen Alterssicherungspolitik eingeschlagene Weg hat das Potenzial für eine gesellschaftspolitische Zeitbombe.... Zwar gelingt die Demontage der gesetzlichen Rentenversicherung, nicht aber das Schließen der Sicherungslücke.

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das hört sich aber sehr wissenschaftlich an!)

Schmähl fordert deshalb die Rückkehr zur Rente mit Lohnersatzfunktion, um die Teilhabe der Rentner an der wirtschaftlichen Entwicklung zu ermöglichen. Und weiter – noch einmal Zitat –:

Die Gesamtbelastung für die Privathaushalte würde dadurch nicht etwa steigen, sondern für sehr viele spürbar sinken, da kostenträchtige Privatvorsorge zur Kompensation der Lücke entfällt oder reduziert wird.

Genau für einen solchen Politikwechsel kämpft DIE LINKE – und das seit Jahren.

Ich habe heute Vormittag darauf hingewiesen, dass sich die Lebensdauer der Männer in den unteren Einkommensklassen durch die Agenda-2010-Politik verkürzt hat. Wenn es nicht zu einem umfassenden Wechsel in der Politik kommen sollte, wie ihn DIE LINKE anstrebt, steht zu befürchten, dass sich das Leben der Männer mit niedrigem Einkommen weiter verkürzen wird und dass von dieser Lebenszeitverkürzung auch die Frauen betroffen sein werden; denn von den Minijobs und den Niedriglohnentwicklungen sind vor allem Frauen betroffen.

Ein umfassender Politikwechsel ist deshalb nötig, weil im Alter die Lebensqualität nicht nur von der Höhe der Renten und den Lebensumständen im Alter abhängt. Im Alter ist die Lebensqualität Resultat aller Bedingungen im Laufe des gesamten Lebens. Eine gute Politik für Seniorinnen und Senioren besteht deshalb aus einer guten Bildungspolitik, Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, Gesundheitspolitik sowie einer guten Steuerpolitik. Auf all diesen Feldern brauchen wir einen Politikwechsel.

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe des Abg. Holger Bellino (CDU))

Wir brauchen ihn vor allem auch deshalb, damit in diesem Land wieder Politik für 90 % der Menschen und nicht nur für die oberen 10 % gemacht wird, so wie das in den letzten zwölf Jahren der Fall war.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Schott. – Als nächster Redner hat Herr Gerling für die CDU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sollten hier ein reales Bild über den Lebensstandard und über die soziale Sicherung der älteren Generation in unserem Land abgeben. Verehrte Frau Schott, Tatsache ist, im Großen und Ganzen geht es der älteren Generation, der Rentnergeneration gut. Das wird auch von niemandem ernsthaft bestritten.

(Zuruf von der CDU: Sehr richtig!)

Meine Damen und Herren, wir wissen aber auch – und das belegen die Zahlen aus der Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage zur Altersarmut –, dass dies nicht für alle gilt und dass 3 % der über 65-Jährigen in Hessen eine Grundsicherung im Alter erhalten. Auch ist die Armutsgefährdung bei Älteren in Hessen – das will ich hier positiv erwähnen – geringer als im Bundesdurchschnitt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Sie liegt bei den über 65-Jährigen bei 14,1 %, in Westdeutschland bei 14,4 % und bei der Gesamtbevölkerung aller Altersstufen bei 14,5 %. Ein höheres Armutsrisiko als die Älteren haben die Gruppen der jungen Erwachsenen, der Alleinerziehenden und der Migranten.

Meine Damen und Herren, wir dürfen dennoch zwei Dinge im Hinblick auf die zukünftige Armutsentwicklung in unserem Land nicht aus den Augen verlieren und müssen gegensteuern. Zum einen müssen wir davon ausgehen, dass wir künftig auch in der Gruppe der Älteren mit steigenden Zahlen rechnen müssen. Gründe dafür sind unterbrochene Erwerbsbiografien, Erwerbsbiografien durch Arbeitslosigkeit, Kindererziehung, Pflegezeiten sowie durch die in den letzten zehn Jahren erfolgte Zunahme des Niedriglohnsektors und von prekären Beschäftigungsverhältnissen

(Beifall des Abg. Torsten Warnecke (SPD))

wie Minijobs, Leiharbeit und befristeten Arbeitsverträgen. Deshalb müssen weitere Maßnahmen ergriffen werden, damit künftige Rentnergenerationen aufgrund dieser veränderten Erwerbsbiografien möglichst nicht in Altersarmut geraten.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich versuche, ein realistisches Bild zu zeichnen.

(Demonstrativer Beifall des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Zum anderen müssen wir uns um die Menschen kümmern, die bereits jetzt von Altersarmut betroffen sind.

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ist aktuell dabei, ein Reformpaket zur Bekämpfung der Altersarmut vorzulegen. Das zentrale Element dieses Reformpakets soll die Zuschussrente sein. Unser Grundsatz als CDU ist es immer gewesen: Wer altersbedingt aus dem Erwerbsleben ausscheidet und viele Jahre gearbeitet hat, dessen Lebensgrundlage muss durch eine auskömmliche Rente gesichert sein.

(Beifall bei der CDU)

Die Zuschussrente soll Menschen, die jahrzehntelang gearbeitet, aber nur wenig verdient haben und eine Niedrigrente beziehen, durch eine Aufstockung eine höhere

Rente ermöglichen. Zudem soll mit einer neuen Kombirente ein höherer Zuverdienst für Rentner ermöglicht werden. Auch bei der Erwerbsminderungsrente soll es eine Verbesserung geben.

Meine Damen und Herren, neben diesem geplanten Reformpaket sind bereits weitere Schritte unternommen worden, um die Gefahr der Altersarmut zu verringern. Grundsätzlich bleibt es aber unabdinglich für eine auskömmliche Altersrente, dass für die heutigen Arbeitnehmer genügend dauerhafte Arbeitsplätze mit gerechten und angemessenen Löhnen verfügbar sind.

(Beifall bei der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Arbeitsplätze und eine gute Wirtschaftspolitik sind die bes te Grundlage gegen Altersarmut und damit auch die beste Sozialpolitik für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes. Hier haben die Hessische Landesregierung und die Bundesregierung mit ihren Konjunkturprogrammen in schwierigen Zeiten viel erreicht. Derzeit haben wir, Gott sei Dank, unter 3 Millionen Arbeitslose. In Zeiten von Rot-Grün hatten wir bundesweit fast 5 Millionen Arbeitslose.

(Zuruf von der CDU: Hört, hört!)

Bei jedem Einzelnen, der einen Arbeitsplatz hat bzw. aus der Arbeitslosigkeit wieder in ein Beschäftigungsverhältnis kommt, verringert sich die Gefahr, im Alter in Armut zu geraten. Insbesondere – auch darauf will ich hinweisen – müssen wir eine eigenständige Alterssicherung bei Frauen im Blick behalten. Derzeit beziehen Frauen durchschnittlich um 59,6 % geringere Alterseinkommen als Männer. Grund dafür ist oftmals eine Unterbrechung des Berufs wegen Kindererziehungszeiten oder wegen Familienpflegezeiten.