Protokoll der Sitzung vom 06.09.2012

Das heißt, wir kommen im Grunde nicht darum herum, Jugendliche einzubeziehen, wenn wir ein solches Gesetz verabschieden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dazu zitiere ich einen Bekannten von mir, der das Phänomen ziemlich gut auf den Punkt bringt und von dem ich weiß, dass er ziemlich viel Alkohol getrunken hat und häufiger über das Limit gegangen ist.

(Zuruf des Ministers Michael Boddenberg)

Den Namen werde ich jetzt nicht sagen.

(René Rock (FDP): Von der Fraktion? – Horst Klee (CDU): Sitzt er hier?)

Er sagte:

Nee, dieses Verbot würde mich net davon abhalten. In den Staaten und Kanada ist dies längst schon Tagesordnung. Aber es ist eher lästig wie hilfreich. Wir

haben immer einen Weg gefunden, um Alkohol zu kriegen und zu trinken.

Dann schrieb er in einer weiteren Mail

(Minister Michael Boddenberg: Jetzt möchte ich ihn doch gerne kennenlernen!)

ich bekomme selten zwei Mails von ihm –:

Soll es dieses Verbot wirklich geben? Unterhaltet euch lieber mehr über Streetworker, soziale Einrichtungen und z. B. Breakdance, Tanzen oder Schauspiel zu lernen oder bringt soziale Projekte, um den Jugendlichen etwas zu bieten, was eben nicht nur Feiern und Trinken ist. Es muss eben nur etwas Cooles sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf des Abg. Peter Seyffardt (CDU))

An dieser Stelle sage ich: Verbote sind dermaßen uncool unter Jugendlichen, dass es wohl nicht überzeugt, wenn man dieses Gesetz auf den Weg bringt. Cooler ist es für Jugendliche vielmehr, Verbote zu brechen. Von daher könnte dieses Gesetz, wenn man Pech hat, die Problematik nur noch verschärfen, statt sie zu lösen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich denke, zudem muss man darauf hinweisen, dass wir im Grunde mit dem Jugendschutz eine Gesetzesregelung haben, die es verbietet, dass Alkohol an unter 18-Jährige vergeben wird. Ich denke, dass man auf härtere Kontrollen setzen sollte, damit über 18-Jährige zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie Alkohol an unter 18-Jährige herausgeben.

(Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))

Das heißt, ohne Kontrollen würde auch dieses Verkaufsverbot überhaupt nichts nutzen. Ich sehe noch nicht, wie diese Verkaufskontrollen in dem Maße durchgeführt werden können, dass sie tatsächlich effektiv wären.

Mir ist ein weiterer Punkt aufgefallen. Dieser Gesetzentwurf hat den ländlichen Raum wenig im Blick. Im ländlichen Raum gibt es ebenfalls Komasaufen, ebenfalls Alkoholprobleme, und es gibt auch Gewaltdelikte – aber mit dem Unterschied: Im ländlichen Raum gibt es weit weniger Tankstellen und noch weniger Läden, die noch dazu nach 22 Uhr offen haben. Das heißt, das Komasaufen, das dort stattfindet, wird völlig unabhängig von jeglichen Ladenöffnungszeiten durchgezogen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Daher gehe ich davon aus, dass wir dieses Thema heute nicht abschließend diskutiert haben werden und uns noch häufiger damit auseinandersetzen müssen. Ich hoffe, dass wir bei zukünftigen Diskussionen die Evaluation aus Baden-Württemberg mit im Blick haben, dass wir berücksichtigen, welche besonderen Herausforderungen der ländliche Raum mit sich bringt, dass wir berücksichtigen, was Jugendliche selbst davon überzeugen würde, nicht so viel zu saufen, und dass wir eventuell auch andere Problemgruppen berücksichtigen. Denn in der letzten Ausschusssitzung sagte die SPD: Der Gesetzentwurf richtet sich an alle, oder er ist eine Einschränkung für alle. – Aber ich sage: Die anderen Problemgruppen, die nicht Jugendliche sind, sondern die zwischen 50 und 55 Jahren oder zwischen 70 und 75 Jahren, gehören wirklich nicht zu der

Kaufgruppe, die morgens um 3 Uhr zu REWE läuft und sich eine Flasche Wodka kauft.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Das heißt, wenn man diese Gruppe tatsächlich erreichen möchte, muss man sich sowieso andere Konzepte überlegen. – In diesem Sinne vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Ich freue mich auf die Diskussion.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)

Nächste Rednerin ist Frau Abg. Schott, Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ein bisschen Humor tut uns gut. Aber eigentlich ist das Thema doch zu ernst dafür.

(Peter Seyffardt (CDU): Spaßbremse! – Zurufe von der CDU: Oi!)

Der unbestrittene Vorteil dieses Gesetzentwurfs ist, dass wir uns tatsächlich mit einem sehr ernsthaften Problem auseinandersetzen und dadurch, so hoffe ich immer, einen Erkenntnisgewinn haben.

Aber als ich vorhin Frau Klaff-Isselmann zugehört habe, habe ich gedacht: Das ist ein Beharren auf den Dingen, die wir schon haben und die wir gutreden. Es ist in Ordnung, dass man gute Dinge benennt. Aber sie reichen offensichtlich nicht aus. Also müssen wir uns noch ein paar Gedanken machen, was darüber hinaus passieren kann.

Was in der letzten Rede am Schluss nur angeklungen ist, möchte ich ein bisschen genauer ausführen. Dafür bombardiere ich Sie jetzt ein bisschen mit Zahlen. Es geht nämlich darum, wo wir die größten Zuwächse beim Alkoholmissbrauch haben. Das sind, prozentual gesehen gar nicht die jungen Menschen, sondern die älteren Menschen, also insbesondere Rentnerinnen und Rentner. In der Alterskohorte der 75- bis 80-Jährigen haben wir zwischen 2000 und 2010 einen Zuwachs um 270 %. An zweiter Stelle folgen mit 230 % die 80- bis 85-Jährigen. Erst dann folgen die 15- bis 20-Jährigen.

In den absoluten Zahlen ist der größte Zuwachs bei den jungen Leuten zu verzeichnen, weil sozusagen der Punkt, von dem aus gemessen wurde, bei den Älteren niedriger war. Wir haben also die höchsten Zuwachsraten bei den deutlich älteren Menschen zu verzeichnen und müssen uns überlegen, was es ist, das die Menschen dazu bringt, in einem solchen Ausmaß zu trinken.

Ich glaube, da muss man tatsächlich ansetzen. Hierbei ist es keine Lösung, zu sagen: Wir sperren ab einer bestimmten Uhrzeit den Alkoholladen oder die Getränkeabteilung bei REWE oder wo auch immer. – Vielmehr müssen wir herausfinden, was Menschen dazu bringt, sich derart sinnlos zu betrinken, dass sie anschließend im Krankenhaus behandelt werden müssen.

Programme, die junge Menschen stärken, sind an dieser Stelle sicher hilfreich; aber das allein ist es doch auch nicht. Wir müssen eine Analyse betreiben, warum der Alkoholmissbrauch in unserem Land in der Art und Weise

zunimmt, wie es in den letzten zehn Jahren der Fall gewesen ist. Wir brauchen eine ganz grundlegende Ursachenanalyse, und dazu müssen wir tatsächlich auch die Betroffenen fragen. Dann müssen wir überlegen, wie wir an dieser Stelle dagegen arbeiten können. – Ich habe dazu einiges an Fantasie, woran es liegen könnte. Aber solange es sich auf dieser Ebene bewegt, arbeiten und argumentieren wir nicht seriös.

Deswegen müssen wir genau schauen, was in den letzten zehn Jahren passiert ist und was sich in unserer Gesellschaft verändert hat. Wir wissen alle, dass es einen unheimlich zunehmenden Leistungsdruck gibt, der alle Menschen in allen Altersgruppen betrifft. Es gibt den Druck im Ausbildungs- und im Arbeitsbereich. Wir wissen, dass die psychischen Erkrankungen zunehmen. Offensichtlich gibt es auch etwas, was bei alten Menschen dazu führt, dass sie mehr trinken – auch hier kann man nur wieder fantasieren; vielleicht hat es etwas mit Vereinsamung oder mit Armut zu tun. Aber auch das müssen wir gründlich unterlegen und untersuchen, was es eigentlich genau ist.

Dann müssen wir gezielt an den Problemen unserer Gesellschaft arbeiten. Einige davon sind uns durchaus bekannt. Und wenn wir daran arbeiten, so kommen wir auch wieder von dieser Situation weg, dass sich Menschen ihr Leben nur noch im Suff vorstellen können.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist die Aufgabe, der wir eigentlich nachkommen müssen. Wir können durch Gesetze reglementieren, dass nicht mehr verkauft wird. Wir können Hilfestellungen leisten, indem wir Menschen andere Variationen anbieten, wie man mit Problemen umgehen kann. Aber vielleicht sollten wir eher an den Kern gehen, indem wir schauen, worin die Probleme der Menschen bestehen. Diese Probleme müssen wir angehen, wenn wir verhindern wollen, das immer mehr Menschen in unseren Krankenhäusern liegen, weil sie sich – ich sage es einmal ganz flapsig – die Birne weggesoffen haben und so betrunken sind, dass eine Behandlung notwendig ist, der Magen ausgepumpt werden muss und sie auf der Intensivstation landen.

Probleme hat diese Gesellschaft viele: Armut ist eines, Vereinsamung ist eines, Leistungsdruck ist eines – ich glaube, es kommen noch ein paar mehr hinzu. Diese müssen wir gründlich angehen, damit wir nicht weiter solche Steigerungen haben. Ich mag nämlich gar nicht daran denken, wie es aussieht, wenn man die aktuelle Situation auf die Zukunft rechnet. Ich glaube, daran mag niemand hier im Hause denken. Deswegen müssen wir alle ein Interesse daran haben, gemeinsam ernsthaft an dieser Problematik zu arbeiten.

Wir könnten diesen Gesetzentwurf jetzt ablehnen und das Ganze wieder in die Schublade zurücklegen. Damit tun wir aber niemandem in diesem Land einen Gefallen. Wir müssen an diesem Thema dranbleiben und Wege finden, wie wir es aufarbeiten und Veränderungen herbeiführen können, die auch tatsächlich Veränderungen sind statt nur Symptombekämpfungen. – Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort hat der Abg. Lenders für die Fraktion der FDP.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe irgendwann festgestellt, dass es in der Diskussion ziemlich durcheinandergeht. Mir ist langsam nicht mehr ganz klar, wen die SPD eigentlich mit diesem Gesetz erreichen wollte. Wir haben gerade viel Richtiges gehört, was zu alkoholkranken Menschen gesagt worden ist. Auf der anderen Seite wurden das Flatrate-Saufen und Komatrinken angeführt.

Meine Damen und Herren, Jugendliche, die Flatrate-Saufen betreiben oder sich ins Koma trinken, tun das in erster Linie nicht, weil sie alkoholkrank wären, sondern weil es ein Stück weit eine Modeerscheinung und „schick“ ist. Gerade das war wohl auch die Zielgruppe, die die SPD mit ihrem Gesetzentwurf gemeint hat; zumindest habe ich es so verstanden. Da bleibe ich bei meiner These, die ich auch schon erwähnt habe und die etwas Systematisches zeigt: Dieser Gesetzentwurf ist handwerklich falsch gemacht.

Wir haben eine Situation, die die SPD immer wieder – auch hier – in ihren Darstellungen zwar vielleicht richtig beschrieben hat, aber der Lösungsansatz ist nicht der richtige. Zwischen den Zeilen habe ich immer wieder herausgehört, dass es hier allgemein um die Gruppe derer geht, die über den normalen Konsum hinaus trinken, und dabei werden immer die Jugendlichen ins Auge gefasst.

Aber es geht doch gerade darum – und das sollte man hin und wieder betonen –, dass jugendliche Menschen bis 16 Jahre keine Möglichkeit haben, hochprozentigen Alkohol zu kaufen; es sei denn, jemand verstößt gegen geltendes Recht. Das ist bereits jetzt verboten. Es wird so getan, als ob die 14- und 15-Jährigen sich ohne Weiteres an der Tankstelle mit starkem Alkohol eindecken könnten. Das ist mitnichten der Fall.

Ich habe es schon früher gesagt: Mit diesem Gesetzentwurf zielen Sie auf den Straßenverkauf, vor allem im Einzelhandel – und der spielt dabei fast keine Rolle. Sie schießen mit diesem Gesetzentwurf vollkommen übers Ziel hinaus und treffen einen so großen Teil der Bevölkerung und eine wirtschaftlich so große und relevante Gruppe, dass die Verhältnismäßigkeit überhaupt nicht mehr gewahrt ist.

Die Vorredner haben es schon gesagt: Prävention statt Verbot. – Das ist auch der liberale Grundsatz. Dass nicht alle innerhalb der SPD so denken wie Herr Dr. Spies, erkennt man vielleicht daran, wenn wir uns mit einer am 9. Juli 2012 veröffentlichten Pressemitteilung beschäftigen, wenn es der Präsident gestattet. Diese stammt vom Kollegen Roth. Darin wird Frau Schröder zitiert – gemeint ist die Bundesfamilienministerin –:

Frau Schröder mimt die Super-Nanny, vergisst dabei aber, dass an Jugendliche unter 16 ohnehin kein Alkohol ausgeschenkt werden darf. Erst einmal muss hier strikter kontrolliert werden, bevor wir alle Straßenfeste, Sportveranstaltungen, Opern, Theater und Konzerte am Abend zu Jugend-Sperrgebieten umfunktionieren müssen.