Protokoll der Sitzung vom 27.09.2012

Das eine ist die Unabhängigkeit. Wir als Kultusministerium können diese Frage – Stand heute – noch nicht vollständig beurteilen; denn einer der Antragsteller hat sich eine neue Satzung gegeben und sieht in dieser Satzung eine neue Kommission für den Religionsunterricht vor, hat uns aber mitgeteilt, dass er diese Kommission noch nicht konstituieren konnte. Das heißt, wir als Genehmigungsbehörde können noch nicht absehen, ob die Mitglieder dieser Kommission die Voraussetzungen, die sich die Religionsgemeinschaft selbst gegeben hat – nämlich dass die Personen dieser Kommission unabhängig sowohl vom DITIBBundesverband in Köln sein müssen, wie sie auch keine Beamte irgendeines Staates, insbesondere nicht des türkischen Staates, sein dürfen –, erfüllen werden.

Das ist mit Stand heute nicht möglich. Man sollte den Antragstellern auch schlicht die Zeit lassen, diese Voraussetzungen zu erfüllen. Sie haben uns zugesagt, dies baldmöglichst tun zu wollen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Zweiter Punkt. Wir haben noch keine rechtsverbindlichen Aussagen zu den Curricula. Es gibt erste mündliche Andeutungen. Allein die Tatsache, dass hat einer der Antragsteller, nämlich DITIB, die zuständige Kommission noch gar nicht konstituiert, also auch noch keine rechtsverbindliche Willensbekundung bezüglich des Curriculums hat abgeben können, zeigt, dass wir auch hier noch warten müssen.

Es gibt bereits Andeutungen, je nachdem, wie die Gespräche zwischen den Antragstellern ausgehen, dass es noch Veränderungen am Entwurf des Curriculums geben kann. Wir werden uns dann anschauen müssen, wie umfangreich diese Änderungen gegebenenfalls sind und wie wir mit diesen Änderungen umzugehen haben.

Erst wenn diese rechtsverbindlichen Äußerungen der beiden Antragsteller vorliegen, haben wir die Möglichkeit, diese Prüfung zu Ende zu führen – das geht mit Stand heute nicht – und die Beteiligungsverfahren, z. B. die Beteiligung des Landeselternbeirats und andere, rechtskräftig durchzuführen, um am Ende das Curriculum als Rechtsverordnung in Kraft treten lassen zu können. Auch das ist heute noch nicht möglich.

Dritter Punkt. Dieser Punkt ist schon angesprochen worden, er darf aber nicht unterschätzt werden, nämlich die Mitgliederlisten. Wir sind mit den Antragstellern im Gespräch darüber, wie sie uns diejenigen Kinder nachweisen können, die als Kinder ihrer Mitglieder diesen Unterricht dann auch als versetzungsrelevantes Pflichtfach besuchen. Hier sind die Antragsteller unterschiedlich weit, haben aber auch noch einmal um Zeit gebeten, diese Listen zu vervollständigen.

Wir werden bei den Erstanmeldungen der kommenden Grundschüler und darüber hinaus in den fortlaufenden Jahren bei den Religionszugehörigkeiten diesen Bereich mit erfassen, um hier schon einmal gewappnet zu sein.

Wir haben uns auch schon im Vorgriff auf das, was möglicherweise kommen kann, um die Lehrerfortbildung gekümmert und uns darauf vorbereitet, ab November Qualifizierungsmaßnahmen durchzuführen, um sicherzustellen, dass zum Zeitpunkt der möglichen Einführung im nächsten Schuljahr auch qualifizierte Lehrerinnen und Lehrer

zur Verfügung stehen, die diesen Unterricht durchführen können.

Vierter Punkt. Dazu gehört auch, dass uns die beiden Antragsteller die von ihren zuständigen Kommissionen ausgearbeitete und für sie verbindliche Idschaza-Ordnung vorlegen. Das ist die Ordnung, nach der die Antragsteller die Lehrbefähigung für die Kolleginnen und Kollegen aussprechen, die in deutscher Sprache, nach dem dann rechtsverbindlich festgelegten Curriculum, Unterricht in unseren Schulen erteilen sollen.

(Zuruf der Abg. Mürvet Öztürk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So eine Idschaz-Ordnung gibt es bisher bei keinem der beiden Antragsteller. Wir haben mit beiden Antragstellern vereinbart, dass sie diese Idschaza-Ordnung zügig ausarbeiten und vorlegen. Wir haben gerade mit Blick auf den Beginn des kommenden Schuljahrs zum 01.08.2013 sehr darum gebeten.

Alle Voraussetzungen, die ich Ihnen eben genannt habe, von der Frage der Zusammensetzung der Kommission über die rechtsverbindliche Äußerung zum Curriculum, über die Frage der Mitgliederlisten bis hin zur IdschazaOrdnung, sind bis zum November dieses Jahres vorzulegen, damit wir nicht in Zeitverzug kommen. Genau so sind wir momentan mit den Antragstellern verblieben.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Frau Ministerin, ich will Sie darauf hinweisen, die vereinbarte Redezeit ist überschritten.

Ich komme zum Schluss. Ich glaube aber, dass gerade solche Details die Abgeordneten interessieren. Sonst würden wir die Debatte heute nicht führen.

Wir sind darauf vorbereitet, dass ernsthaft, dauerhaft und verfassungskonform zum 01.08.2013 an 25 Grundschulen dieses Landes bekenntnisorientierter islamischer Religionsunterricht eingeführt werden kann. Nach den geschätzten Mitgliederzahlen dürfte das zunächst einmal eine gut gegriffene Zahl sein. Wir werden parallel zum 01.08.2013 vorbereiten, dass wir an 25 weiteren Schulen Ethik mit dem Schwerpunkt Islam unterrichten können.

Aber, das sage ich jetzt sehr bewusst im Hinblick auf die Formulierungen der Anträge aus der Opposition: Dies ist nicht eine Frage des politischen Wollens, auch nicht von den GRÜNEN oder von der SPD. Es ist eine Frage der Erfüllung juristischer Voraussetzungen. Wir werden es sehr zügig, aber auch sorgfältig und damit verlässlich prüfen. Diesen Anspruch haben nicht nur die Antragsteller, sondern auch die Menschen in diesem Land.

Herr Merz, weil Sie es heute in der Debatte eingefordert haben und auch noch einmal durch Ihre Presseerklärung verkündet haben: Bei dieser sorgfältigen juristischen Prüfung werde ich mich auch von politischen Querschüssen der GRÜNEN oder der SPD nicht abhalten lassen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Schönen Dank, Frau Ministerin. – Herr Kollege Tipi hat zurückgezogen. Dann kommt als Nächster Herr Al-Wazir.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, wenn sich Architektur in der Geschwindigkeit Ihres Vorgehens entwickelt hätte, dann würden wir heute noch in Höhlen wohnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der FDP: Ah! – Alexander Bauer (CDU): Welches Bundesland ist denn schneller?)

Auf die Frage, welches Bundesland schneller ist, kann ich nur sagen: Es gibt kein westdeutsches Flächenland mehr, das kein Angebot hat, außer Hessen. Das hat einen Grund.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Minister Jörg-Uwe Hahn: Das stimmt doch gar nicht! – Weitere Zurufe von der CDU und der FDP)

Ich will in diesem Zusammenhang einfach noch einmal sagen: Das Grundproblem ist, dass die hessische CDUFraktion, jedenfalls in maßgeblichen Teilen, bis heute weder in der Formulierung Schäuble, Wulff, Merkel noch in der Formulierung Gauck glaubt, dass der Islam oder die Muslime zu Deutschland gehören. Das ist ihr Grundproblem.

Wenn man sich zurückerinnert – ich weiß das sehr genau, es sind auch noch Leute von damals hier: Frau Wolff ist noch hier und Frau Habermann –. Wir saßen am 12. September 2001, also vor elf Jahren, einen Tag nach dem 11. September 2001, im Integrationsbeirat des Landes Hessen zusammen und haben gesagt: Gerade jetzt brauchen wir ein Angebot für muslimische Schülerinnen und Schüler an hessischen Schulen. – Ich stelle fest, elf Jahre später gibt es dieses Angebot immer noch nicht.

Meine These lautet – dafür gibt es inzwischen auch Beweise, einer ist deswegen zurückgetreten –: weil maßgebliche Teile innerhalb der CDU-Fraktion dieses Angebot nicht wollen, völlig egal, ob es Religionsunterricht oder Religionskunde ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Dr. Walter Arnold (CDU): Völlig falsch!)

Wir haben bis zur Landtagswahl 2003 erlebt, dass in Hessen nichts passiert ist. Wir hatten dann fünf Jahre lang eine absolute CDU-Mehrheit. Manchmal hört man etwas von bestimmten Leuten. Ich habe damals gehört, dass der damalige Ministerpräsident Koch sich in stundenlangen Gesprächen mit den Professoren, die in Deutschland schon islamische Theologie lehren und in der Ausbildung von Religionslehrern sind, auseinandergesetzt hat. Er wusste, dass wir ein solches Angebot dringend brauchen. Ich weiß, dass Roland Koch sich am Ende nicht getraut hat, sich gegen die Irmers in der eigenen Fraktion durchzusetzen. Ergebnis: Es ist wieder nichts passiert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als dann im Jahr 2009 im Koalitionsvertrag von CDU und FDP stand: „Wir werden … prüfen“, haben viele gedacht,

das sei ein Durchbruch. Ich habe damals erwidert: Achtung, liebe Leute, manche suchen einen Ansprechpartner, weil sie einen finden wollen. Andere sagen, sie suchen einen Ansprechpartner, weil sie keinen finden wollen. – Das Ergebnis dreieinhalb Jahre später: Wir haben weiter kein Angebot.

Meine These ist: Ob das „islamischer Religionsunterricht“ oder „islamische Religionskunde“ genannt wird, ist 99,9 % der Eltern völlig egal. Wir brauchen im Interesse dieser Gesellschaft endlich ein Angebot, damit völlig klar ist: Der Islam gehört zu Deutschland, die muslimischen Kinder gehören zu Deutschland, und wir wollen dieses Unterrichtsangebot haben, damit sich auch in Deutschland die islamische Theologie entwickelt. Zu einer Theologie gehört nämlich auch der Zweifel, zur Freiheit des Glaubens gehört auch die Freiheit des Nichtglaubens. Genau diese Diskussionen will ich an hessischen Schulen und nicht mehr in den sprichwörtlichen Hinterhofmoscheen haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Irmer ist in dieser Frage ein Fundamentalist. Er sagt, ihm sei völlig egal, welche integrationspolitischen Notwendigkeiten wir haben.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Völliger Quatsch!)

Ihm ist völlig egal, was in der Verfassung steht. Er sagt: „Ich will das nicht.“

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Eine Frechheit! – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Was soll das? – Weitere Zurufe von der CDU)

Mit ihm, sagt er, gebe es so etwas nicht. Herr Irmer, insofern war Ihr Rücktritt natürlich konsequent.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Im Ergebnis hat damit aber ein Fundamentalist über die letzten elf Jahre den anderen Fundamentalisten Vorschub geleistet. Das ist das Problem, das wir in der Realität des Landes Hessen haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Holger Bellino (CDU): Ich würde an Ihrer Stelle die Wortwahl überprüfen! – Weitere Zurufe von der CDU)

Frau Kultusministerin, wenn man sich Ihren Antrag anschaut, wie vorsichtig er formuliert ist – „größtmögliche Sorgfalt“, „sorgfältige Prüfung“, „im Falle der Erteilung“ –, und wenn man genau zugehört hat, was Sie gerade gesagt haben, dann stellt man fest, dass heute nicht sicher ist, ob wir im nächsten Jahr ein Angebot haben werden. Ich behaupte weiterhin, dass große Teile der CDUFraktion suchen, um nicht zu finden. Genau das ist das Problem, mit dem wir es hier zu tun haben.

Selbst wenn es so kommt, wie Sie es sich vorstellen, werden im nächsten August, wenn die Schule beginnt, an 25 Schulen in Hessen vielleicht 300 Schülerinnen und Schüler diesen Unterricht bekommen; es gibt aber 50.000 Schülerinnen und Schüler in Hessen, die auf ein solches Angebot warten. Genau da liegt Ihr integrationspolitisches Versagen.

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Wir alle machen uns Gedanken über die Frage, wie es sein kann, dass die Salafisten einen so großen Zulauf haben, dass wir solche Prediger in den Innenstädten haben. Da ist die spannende Frage an uns alle, was wir in den letzten elf Jahren eigentlich getan haben, um dem etwas entgegenzusetzen. Ich muss feststellen: leider fast überhaupt nichts.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Al-Wazir. – Ich glaube, ich darf feststellen, dass wir uns alle auf dem Boden unserer Verfassung befinden. Das möchte ich von dieser Stelle aus sagen.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Hermann Schaus (DIE LINKE), an CDU und FDP gewandt: Jetzt habt ihr uns anerkannt! – Heiterkeit bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)