Protokoll der Sitzung vom 27.09.2012

Für die Mitglieder der FDP sage ich sehr deutlich: Es geht uns, den Mitgliedern der FDP, um eine gesteuerte Zuwanderung der Fachkräfte.

Sie müssen bitte zum Ende Ihrer Rede kommen.

Es geht um deren Einsickern in die sozialen Sicherungssysteme. Europaminister Jörg-Uwe Hahn und Wirtschaftsminister Florian Rentsch sowie die gesamte Landesregierung sind hier auf einem sehr guten Weg, um eine Zuzugsund Willkommenskultur in Hessen zu schaffen. Das werden wir nach besten Kräften unterstützen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Herr Kollege Lenders, vielen Dank. – Als nächster Redner hat sich Herr Kollege Decker von der SPD-Fraktion zu Wort gemeldet. Herr Kollege Decker, bitte schön, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Vorsitzende der Fachkräftekommission hat im Vorwort des Abschlussberichts auf zwei elementare Kernpunkte hingewiesen, um die es geht. Zum einen hat er darauf hingewiesen, dass Hessen kein Land mit Bodenschätzen ist. Das wissen wir. Unser wertvollstes Gut sind demnach die qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Zum anderen hat er darauf hingewiesen, dass diese unersetzliche Ressource zur Mangelware wird.

Er hat aber noch etwas gesagt, das der Landesregierung in den Ohren geklingelt haben muss. Er sagte nämlich, dass die Diskussion viel zu lange über das Ob und das Wann geführt wurde, anstatt über das gezielte Gegensteuern zu reden.

(Beifall bei der SPD)

Das heißt im Klartext: Sie haben wertvolle Zeit verstreichen lassen, anstatt frühzeitig zu handeln.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): So sind sie!)

Meine Damen und Herren, insofern ist der Abschlussbericht für Sie auch ein Weckruf, und zwar ein sehr lauter Weckruf.

Das soll jedoch keinesfalls den Inhalt und das Ergebnis der Arbeit der Kommission schmälern, auch aus unserer Sicht nicht. Das Gegenteil ist sogar der Fall: Wir sind für diese Arbeit ausgesprochen dankbar. Wir sind auch deswegen dankbar, weil sie die Vielfalt hinsichtlich der notwendigen Handlungsfelder zur Behebung des Mangels verdeutlicht. Der neue Wirtschaftsminister, Herr Rentsch, will uns seit Wochen erklären, dass das Anwerben ausländischer Fachkräfte das Allheilmittel gegen den Fachkräftemangel sei. Das ist es aber nicht.

(Beifall bei der SPD)

Die Kommission kommt, folgerichtig, zu dem Ergebnis, dass das nur einer der insgesamt sechs Bausteine ist. Sie kommt ausdrücklich zu dem Schluss, dass wir uns auch und vor allem um die Gewinnung unseres Potenzials im Inland kümmern müssen, um nichts anderes.

(Beifall bei der SPD)

Das bestätigt und bekräftigt voll und ganz das, was wir Ihnen im Plenum schon seit Jahr und Tag sagen und versuchen, Ihnen klarzumachen. Leider war das bisher erfolglos. Deshalb ist der Kommissionsbericht unserer Ansicht nach zugleich eine gnadenlose Aufzählung schwarz-gelber Versäumnisse der vergangenen Jahre. Das zieht sich wie ein roter Faden durch diesen Bericht, und zwar von der Seite 5 bis 48. Das geschieht nicht schon auf Seite 1, weil das nur das Deckblatt ist. Ansonsten ist das klar ersichtlich. Das geht bereits beim Inhaltsverzeichnis los.

Die Zeit für diese Aktuelle Stunde reicht leider Gottes nicht aus, um das alles hier fein säuberlich zu diskutieren. Wir werden das an anderer Stelle nachholen. Das darf ich Ihnen versprechen.

Ich will nur wenige Beispiele nennen. Es gibt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen qualifiziertem Schulabschluss, Berufsausbildung und Fachkräftemangel. Genau dazu schreibt Ihnen die Kommission ins Stammbuch, welche Hausaufgaben Sie zu erledigen haben. Sie haben nämlich die dringende Aufgabe, die Zahl der Schulabbrecher zu reduzieren.

(Beifall bei der SPD)

Außerdem rät man Ihnen dringend an, durch sinkende Schülerzahlen frei werdende Kapazitäten zu intensivieren und zur Betreuung benachteiligter Jugendlicher zu benutzen. Der Schulalltag in Hessen sieht leider vollständig anders aus.

Ein weiterer wichtiger Baustein ist die Beteiligung älterer, erfahrener Menschen. Dabei geht es aber nicht nur um den verstärkten Erhalt der Erwerbsfähigkeit und gezielte Weiterbildung. Es geht vor allem auch um nachhaltige Strategien zur Wiedereingliederung älterer Arbeitsloser. Wie wir alle wissen, ist an denen der Aufschwung vorbeigegangen. Anstatt sie zu fördern und zu qualifizieren, hat die Bundesarbeitsministerin die Mittel für die Eingliederung noch gekürzt. Das ist der falsche Weg. Hier brauchen wir gezielte Vermittlungsaktivitäten.

(Beifall bei der SPD)

Ich weiß eigentlich schon gar nicht mehr, wie oft und wie lange wir Ihnen in diesem Haus gesagt haben, dass nicht erwerbstätige oder geringfügig beschäftigte Frauen das größte Fachkräftereservoir in dieser Republik sind. Wann sind Sie endlich bereit, mit uns gemeinsam für eine echte Verbesserung bei der Vereinbarkeit und Familie und Beruf zu sorgen? Wann sind Sie endlich dazu bereit, den Ausbau der Betreuungsangebote wirklich voranzutreiben, anstatt den Kommunen dabei noch die Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Wann Sie endlich dazu bereit, in den Kindertagesstätten und vor allem in den Schulen umfassende Ganztagsbetreuung anzubieten?

(Beifall bei der SPD)

Damit würden Sie einen Wunsch Hunderttausender Frauen erfüllen. Aber offensichtlich geht das noch nicht.

Frau Präsidentin, lassen Sie mir bitte das Vergnügen, etwas aus dem Bericht zu zitieren. Ich zitiere:

Die Ausgestaltung … gesetzlicher Regelungen, wie beispielsweise des Betreuungsgeldes, sollte daraufhin überprüft werden, dass eine hemmende Wirkung auf das Fachkräfteangebot möglichst minimiert oder ausgeschlossen wird.

Meine Herren der FDP, seien Sie an der Stelle ausnahmsweise einmal wirklich hart wie Beton. Wenn Sie Zement und Eisen brauchen, wir können sofort liefern.

(Beifall bei der SPD – Lachen bei Abgeordneten der FDP)

Das Betreuungsgeld ist der völlig falsche Anreiz, wenn man Frauen wieder in das Berufsleben eingliedern will. Das weiß die Fachwelt inzwischen auch. Deswegen gibt es unter Ihnen auch heftigen Streit.

Unsere volle Unterstützung findet die Aussage der Kommission, dass Menschen mit Behinderung ein wichtiges Potenzial zur Sicherung des Fachkräftebedarfs sind, und zwar nicht nur aus sozialer Verpflichtung heraus, sondern auch aus wirtschaftlicher Sicht. Auch hier heißt die Forderung, nicht bei den Eingliederungshilfen zu kürzen, sondern Strategien zur Eingliederung arbeitsloser Menschen mit Behinderungen zu entwickeln und umzusetzen.

Meine Damen und Herren, zum Schluss möchte ich noch sagen: Sie haben nur noch ein Jahr Zeit. Machen Sie sich an die Arbeit, und beginnen Sie endlich, die Dinge umzusetzen.

(Holger Bellino (CDU): Es wird eine Verlängerung geben!)

Beginnen Sie endlich, die Dinge umzusetzen, sonst ist dieser Zug für Sie in Hessen auch abgefahren. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Decker, vielen Dank. – Als nächster Redner hat sich Herr Kollege Bocklet von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu Wort gemeldet. Herr Kollege, bitte schön, Sie haben das Wort.

(Holger Bellino (CDU): Wir werden in die Verlängerung gehen, und Sie bleiben auf der Ersatzbank!)

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Decker sprach zu Recht davon, dass dieser Bericht eigentlich ein Weckruf sein müsste. Herr Kollege, ich möchte es anders formulieren und dabei sogar noch einen Schritt weitergehen. Wer sich nach zwölf Jahren Regierungszeit immer noch attestieren lassen muss, dass Kinderbetreuungsplätze massiv fehlen und sich Tausende Jugendliche in Übergangsystemen ohne Abschluss befinden, dass die Wiedereingliederung der Arbeitslosen unglaublich verbesserungswürdig ist und dass Ältere unbedingt länger im Job gehalten werden müssen, der hat die Entwicklung jahrelang sträflich verschlafen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen komme ich zu dem Schluss, dass dieser Bericht wahrlich kein Anlass zur Euphorie ist. Wenn man die Perspektive darauf richtet, was in diesem Land alles zu tun ist, ist dieser Bericht der Expertenkommission vielmehr eine schallende Ohrfeige an die hessische Landespolitik wegen der Versäumnisse hinsichtlich des Fachkräftemangels. Herr Kollege Decker wird mir in dieser Frage recht geben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie der Abg. Norbert Schmitt und Brigitte Hofmey- er (SPD))

Ich will das gerne nochmals an einigen Punkten klarmachen.

Herr Lenders, im Oktober 2010 und im November 2011 haben Sie an diesem Pult dieselbe Sonntagsrede schon einmal gehalten. Es ist geradezu eine Beleidigung für die Sonntage, wenn man Ihre Reden zugrunde legt – das hat nicht einmal mehr den Wert einer Sonntagsrede.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben damals in einem Antrag eine Offensive gegen den Fachkräftemangel gefordert. In unserem Antrag ist exakt das aufgeführt, was dieser Bericht jetzt wieder aufführt: dass wir einen schnelleren Ausbau der Kinderbetreuung brauchen,

(Zuruf des Abg. Jürgen Lenders (FDP))

damit das mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie besser klappt; dass wir eine Verbesserung des Berufseingliederungssystems, des Berufsbildungssystems brauchen,

(Zuruf des Abg. Jürgen Lenders (FDP))

weil wir, Herr Lenders, unter Ihrer Regierung immer noch 26.000 Schülerinnen und Schüler im Warte-, im Übergangssystem haben. Bei der Wiedereingliederung haben wir festgestellt, dass wir immer noch einen unglaublich festen Satz von Menschen in Langzeitarbeitslosigkeit ha

ben, die nicht wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden. Wir haben festgestellt, dass wir über 1.000.000 Menschen im Job haben, die keine Ausbildung haben, keinen Berufsabschluss. Das ist das Problem der Aufstiegsqualifizierung.