Protokoll der Sitzung vom 14.05.2009

Hessen ist auch ein Land mit sehr gut funktionierenden reinen Oberstufenschulen. Da kommen manchmal Schüler von 20 bis 25 Schulen hin. Da brauchen Sie drei Jahre, so wie das auch die KMK vorsieht: ein Jahr Einführungsphase und zwei Jahre Qualifikationsphase. Deshalb können Sie da oben nicht verkürzen. Mit diesem Modell würden Sie schon einmal die beruflichen Gymnasien völlig kaputt machen, zum Nachteil der sehr vielen Kinder, die erst über die Hauptschule, dann über die Realschule zur Oberstufe kommen. Deshalb halte ich die dreijährige Regeloberstufe für richtig.

Wer gern nur zwei Jahre zur Schule gehen möchte, der kann erstens in der 11. Klasse ein Jahr überspringen. Zweitens kann er, wenn es ein sehr, sehr guter Schüler ist, einen einjährigen Auslandsaufenthalt machen.Die gibt es. Es gibt auch die Möglichkeit, vier Jahre lang in der Oberstufe zu sein, indem man z. B. ein Jahr wiederholt. Die Angebote, schneller oder langsamer zu sein, gibt es bereits jetzt. Deshalb braucht man eine gut strukturierte gymnasiale Oberstufe nicht von außen zu verändern,um da noch ein Chaos zu verursachen.

Wie wollen Sie denn bitte solche Modelle in gymnasialen Oberstufen mit 80 Schülern durchführen? Wir haben sehr, sehr viele Oberstufen, die weniger als 200 Schüler oder Jahrgangsbreiten mit weniger als 150 Schülern haben.Das können Sie im Regelfall unserer Oberstufen rein organisatorisch gar nicht machen.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sehr richtig!)

Deswegen können wir im Ausschuss gern weiterhin darüber reden. Ob wir eine Anhörung durchführen oder nicht, das entscheidet die Mehrheit dieses Parlaments.Trotzdem sind unsere Oberstufen, so wie sie jetzt organisiert sind, gut; und sie funktionieren auch gut. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Frau Staatsministerin Henzler. – Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Es ist vorgesehen, den Dringlichen Antrag der Fraktion der SPD betreffend Anhörung des Landtags zur Weiterentwicklung der gymnasialen Oberstufe und der Abiturprüfung dem Kulturpolittischen Ausschuss zur weiteren Beratung zuzuweisen. – So beschlossen, vielen Dank.

Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 13:

Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE betreffend Äußerungen des Hessischen Ministers der Justiz, für Integration und Europa zur Hessischen Verfassung und zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland – Drucks. 18/226 –

Herr Dr. Wilken hat sich zur Einbringung des Entschließungsantrags zu Wort gemeldet. Herr Dr. Wilken, es sind 7,5 Minuten Redezeit verabredet.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir bedauern natürlich, dass der Justizminister heute verhindert ist. Ich vertraue darauf, dass er unsere Beratung nachlesen wird oder dass Sie, Herr Kriszeleit, ihn informieren werden.

Herr Hahn hat als hessischer Justizminister einen Amtseid geleistet, die Verfassung „in demokratischem Geiste“ zu befolgen und zu verteidigen.

(Zuruf von der CDU: Zum Thema!)

Uns befremdet deshalb in hohem Maße, wenn sich der Herr Justizminister in einem Zeitungsinterview abfällig über die Hessische Verfassung äußert. Uns befremdet, wenn der Herr Justizminister in der Hessischen Verfassung verwurzelte Forderungen als „Blödsinn“ bezeichnet. Uns befremdet, wenn der Herr Justizminister die Wirtschaftsverfassung sinngemäß als unausgegorenes Zeug beschimpft. Und uns befremdet, wenn sich der Justizminister zu verfassungsrechtlichen Äußerungen hinreißen lässt, die ich nur noch als abstrus bezeichnen kann.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte dem Herrn Justizminister entgegenhalten und zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten:

Von allen Nachkriegsverfassungen ist die Hessische Verfassung das erste Staatsgrundgesetz, das den Wandel von der nur liberal-humanitären zur sozialhumanitären Ordnung vollzogen hat. Unverkennbar sind in der Wirtschaftsordnung bestimmte sozialistische Gedankengänge,die in der abstrakten Sozialisierung der Art. 38 und 39 und der konkreten Sozialisierung des Art. 41 ihren Niederschlag gefunden haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Zitat stammt nicht von mir. Es stammt auch von keinem anderen Mitglied unserer Partei. Es stammt von dem früheren hessischen Justizminister und Bundesverfassungsrichter Prof. Erwin Stein, CDU, der diese Bewertung der Wirtschaftsordnung in der Hessischen Verfassung im Jahr 1976 anlässlich des 30. Jahrestags der Hessischen Verfassung vorgenommen hat.Er hat in diesem Zusammenhang noch mehr gesagt. Ich zitiere nochmals:

Aus der Anerkennung der Würde und der Persönlichkeit des Menschen fordert die Hessische Verfassung eine gerechte Sozial- und Wirtschaftsordnung. Demgemäß wird als Wirtschaftsziel das Wohl der Allgemeinheit bestimmt und jeder Missbrauch wirtschaftlicher Freiheit untersagt.

Wenn ich das mit den Äußerungen des amtierenden Justizministers vergleiche, dann sieht man, dass sich nicht nur die Zeiten geändert haben, sondern offensichtlich auch die Qualität unserer hessischen Minister.

(Beifall bei der LINKEN)

Unerträglich wird es, wenn sich Herr Hahn als Justizminister zu der Behauptung versteigt, mit Blick auf das Grundgesetz sei die Vergesellschaftung von Betrieben nicht möglich. Er hat offenbar noch nie Art. 15 Grundgesetz gelesen. Richtig ist, dass diese Grundgesetzbestimmung den Regelungen der Hessischen Verfassung vorgeht. Aber sie lässt die Vergesellschaftung von Produktionsmitteln durch Überführung in Gemeineigentum ausdrücklich zu. Zur Erinnerung:Art. 15 Satz 1 Grundgesetz lautet:

Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.

Die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben damit bewusst die Option einer gemeinwirtschaftlichen und damit sozialistischen Wirtschaftsordnung ausdrücklich in das Grundgesetz aufgenommen.

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU: Oh! – Zuruf von der CDU: Der Sozialismus ist ge- scheitert!)

In manchen Ländern der Welt müsste einer Änderung der Wirtschaftsordnung, einer Änderung der Eigentumsverhältnisse, gemeinhin Revolution genannt, eine Änderung der Verfassung vorausgehen. Nicht so in Deutschland. Diese Änderung der Eigentumsverhältnisse und damit eine sozialistische Wirtschaftsordnung sind in unserem Grundgesetz und in unserer Hessischen Verfassung ausdrücklich vorgesehen.

(Beifall bei der LINKEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Der Sozialismus ist doch gescheitert!)

Herr Irmer, gerade heute bekommt diese Verfassungsbestimmung eine ganz neue Aktualität. Es wird offenkundig, dass der Kapitalismus an seiner eigenen Gier und der sich daraus ergebenden Überakkumulation zerbricht. Eine dauerhafte Lösung der Krise ist deshalb nur bei einer Veränderung der Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel überhaupt möglich. Ich wiederhole: Eine dauerhafte Lösung der Krise ist deshalb nur bei einer Veränderung der Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel überhaupt möglich. Art. 15 Grundgesetz eröffnet hierfür einen verfassungsgemäßen Weg.

(Beifall bei der LINKEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU):... rot lackierter Faschist! Kurt Schumacher hatte recht!)

Ich bitte, Herrn Irmer zu rügen. Er hat mich „rot lackierter Faschist“ genannt.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Ich habe gesagt: Kurt Schumacher hatte recht! – Gegenrufe von der LINKEN)

Es tut mir leid, ich habe das nicht gehört. Ich war gerade hier im Gespräch.Wir werden versuchen,das im Protokoll nachzulesen.Wenn es so war, würde ich es rügen.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Ich habe gesagt: Kurt Schumacher hatte recht!)

Noch einmal:Wir werden das im Protokoll nachlesen.

(Anhaltende Zurufe)

Ich bitte insgesamt um etwas Zurückhaltung, um dem Redner die Möglichkeit zu geben, dass ihn auch alle verstehen können.

Meine Damen und Herren – ich nehme mit dieser Anrede Herrn Irmer jetzt ausdrücklich aus –,

(Zuruf von der CDU: Uiuiui!)

wenn dem Herrn Justizminister, der unsere Verfassung zu schützen und zu verteidigen hat, diese meine Ausführungen nicht passen, dann kann er sein Amt als Justizminister nicht wahrnehmen und müsste zurücktreten.

(Widerspruch bei der CDU)

Er müsste zurücktreten, zurück in die Fraktion, die hier in diesem Hause immer wieder deutlich macht, dass sie noch nicht einmal den Unterschied zwischen Recht und Gerechtigkeit kennt, wenn ich Ihren Ausführungen richtig gefolgt bin.

Ich beende meinen Beitrag,

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Bravo! – Zurufe von der FDP: Das ist auch gut so!)

da Sie so gern auf die angebliche Rückständigkeit oder das Zuspätkommen unserer Fraktion und unserer Partei hier im Hause verweisen. Nach den Äußerungen aus der FDP-Fraktion, vom Kollegen Rock, ist mir gestern aufgefallen, dass im Entwurf des Bundestagswahlprogramms unserer Partei alles in Entgegnung zu Herrn Rock gesagt ist, wozu wir heute, so glaube ich, nicht mehr kommen werden. Ich zitiere unser Bundestagswahlprogramm:

Wer eine menschliche Gesellschaft will, muss die männliche überwinden.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU: Ah!)

Vielen Dank, Herr Dr. Wilken. – Als Nächster hat sich Herr Dr. Jürgens zu Wort gemeldet. Ich bitte, zu helfen, das Rednerpult herunterzufahren. – Danke, Herr Wagner.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Eine schlechte Landesregierung und eine schlechte Opposition treffen aufeinander. Heraus kommt das, was jetzt Gegenstand der Debatte ist. Um was geht es? – Da schwadroniert der Justizminister über die Hessische Verfassung mit dem ihm eigenen Mangel an Differenzierungsvermögen, und die Schmalspuropposition im Hessischen Landtag von der LINKEN versteht davon nur die Hälfte, und das wahrscheinlich noch miss, bläst das aber zu einem veritablen Verfassungsverstoß auf. Und schon haben wir den schönsten Streit darüber: Wer ist der größere und schönere Verfassungsfeind?

Worum geht es in der Sache? – Die Hessische Verfassung enthält an zwei Stellen Aussagen zur Verstaatlichung bzw. zur Enteignung.Die erste Stelle ist Art.41.Danach sollten mit Inkrafttreten der Hessischen Verfassung – also bereits 1946 – Bergbau,Eisen- und Stahlerzeugung – die gibt es in Hessen inzwischen gar nicht mehr –, Energiewirtschaft und Schienenverkehr in Gemeineigentum überführt werden. Großbanken und Versicherungsunternehmen sollten vom Staat beaufsichtigt oder verwaltet werden. Das ist also eine entschädigungslose Verstaatlichung ganzer Branchen – unabhängig von Belangen des Gemeinwohls im Einzelfall.Allerdings wurde dieses Programm der Hessischen Verfassung nie umgesetzt. Das Gesetz, das zur Ausführung notwendig geworden wäre, ist nie erlassen worden. Mir ist auch kein Gesetzentwurf der LINKEN bekannt, der dies derzeit umsetzen will.