Protokoll der Sitzung vom 14.05.2009

Die Erzeugerbetriebe benötigen dringend verlässliche Rahmenbedingungen. Dazu muss die Position der Erzeugerbetriebe gegenüber Handel und Molkereien gestärkt werden. Diese brauchen mehr Einfluss auf die Preisgestaltung gegenüber den erpresserisch wirkenden und hoch konzentrierten Einzelhandelsstrukturen.Die gerade wieder vorgeführte Praxis der großen Discounter, wie Aldi und Lidl, mit Verkaufspreisen unter dem Einstandspreis muss unterbunden werden. Wir haben das Gesetz zur Bekämpfung von Missbrauch im Bereich der Energieversorgung und des Lebensmittelhandels.Wenn das nicht reicht, dann muss man das Gesetz eben nachbessern, aber auch entsprechend anwenden.

Außerdem brauchen wir mehr Wertschöpfung in den Regionen. Dazu müssen regionale Veredelungs- und Vermarktungsstrukturen für landwirtschaftliche Produkte gefördert werden. DIE LINKE unterstützt auch andere Förderungen,die geeignet sind,zu kostendeckenden Preisen zu führen. Dazu gehört auch, die Milchmenge im Interesse der Preisstabilisierung zu begrenzen.

Das Problem Milchpreise ist aber nur ein Teil eines umfassenderen Problemzusammenhangs. In der aktuellen Krisensituation gibt es zwar zu einer kurzfristigen Unterstützung, besonders der kleinen Milchproduzenten, keine Alternative; zwingend ist aber auch, dass wir eine Kehrtwende in der Agrarpolitik vollziehen. Dazu gehört eine auf regionale Nachfrage orientierte Erzeugung von Nahrungsmitteln und Biomasse, dazu gehört eine sozial und ökologisch ausgerichtete Landnutzungskonzeption, die dieser regionalen Produktion erst den Rahmen gibt, dazu gehört bei so sensiblen Produkten, wie es Nahrungsmittel nun einmal sind, der Abschied von Konkurrenz und Weltmarktorientierung, die auch der gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union zugrunde liegen – die schrittweise Erhöhung der Milchquoten in der Europäischen Union ist Teil des Problems und muss beendet werden –, und dazu gehören die Ökologisierung konventionell produzierender Betriebe sowie der Ausbau des Ökolandbaus und der Ökolebensmittelwirtschaft. – Vielen Dank, auch wenn Sie mir nicht zugehört haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat Frau Staatsministerin Lautenschläger.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe in den letzten Wochen viele Gespräche mit hessischen Bäuerinnen und Bauern geführt. Egal, wie diese organisiert sind, sie alle drückt das gleiche Problem. Die Milchbauern drücken momentan insbesondere die niedrigen Milchpreise, die Landwirte im Allgemeinen die allgemein niedrigen Rohstoffpreise. Das ist ein großes Pro

blem für die Überlebensfähigkeit der bäuerlichen Strukturen in Hessen. Es ist nachvollziehbar, dass an vielen Stellen inzwischen Wut und Verzweiflung herrschen, weil man sieht, dass die Milchpreise so stark gesunken sind, dass damit kein Betrieb – ob Kleinbetrieb, mittelgroßer Betrieb oder Großbetrieb – überhaupt noch überlebensfähig ist.Alle merken sehr deutlich:Hier ist etwas aus dem Lot geraten, und das hat etwas mit der Agrarpolitik der letzten Jahrzehnte zu tun.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Ich will dazu auch sehr deutlich sagen:Die Hessische Landesregierung hat im Bundesrat – leider nur mit der Unterstützung einer weiteren Landesregierung – für nationale milchmarktrechtliche Änderungsanträge mit mengenbegrenzender Wirkung gestimmt.

Wie es Herr Kollege Wiegel schon gesagt hat, standen Deutschland und Österreich auf der europäischen Ebene in dieser Frage allein. Das rächt sich momentan.Wir können nur hoffen, dass auch andere anfangen, umzudenken. Aber ich gebe zu, von diesem Umdenken ist in anderen Ländern an vielen Stellen leider noch nichts zu spüren.

Deswegen ist es für uns wichtig, dass wir mit den Möglichkeiten, die ein Landesparlament hat, handeln und einen Maßnahmenkatalog vorlegen, in dem es darum geht, wie wir den hessischen Bauern möglichst schnell zu Liquidität verhelfen können. In Hessen befindet sich aufgrund der Struktur unseres Landes ein Großteil der Milchviehbetriebe in Mittelgebirgen. 69 % der hessischen Milchviehbetriebe liegen in der benachteiligten Agrarzone; 15 % der außerhalb dieser Zone liegenden Betriebe bewirtschaften in benachteiligten Zonen.

Wir haben mit unserem Maßnahmenpaket an folgenden Punkten angesetzt: Um den Betrieben kurzfristig zu Liquidität zu verhelfen, nutzen wir die AGZ, die Ausgleichszulage.Aber wir sagen auch,dass wir Umstellungen unterstützen, z. B. wenn jemand in die Ökolandwirtschaft geht. Das gilt aber auch, wenn er in andere Bereiche geht.

(Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Aus meiner Sicht sind das wichtige Punkte, die wir angehen können. Aber wir müssen auch ehrlich sein und dürfen den Leuten nicht vormachen, dass wir den Preis bestimmen können.

Wichtig ist – auch dazu rufe ich den Hessischen Landtag auf –, dass wir in großer Einigkeit deutlich machen, dass der Verbraucher eine Marktmacht hat und mit auswählen kann.

(Beifall bei der CDU,der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn man nämlich mit offenen Augen durch Lebensmittelmärkte geht,sieht man zwar an den verschiedensten Stellen Milchprodukte, deren Preis höher ist – er liegt bei über 1 c, je nachdem, wo Sie sich umschauen –; genauso finden sich aber überall Billigangebote. Der Verbraucher muss aufpassen, dass er nicht nur nach den Billigangeboten greift; denn sonst werden wir auf Dauer schlichtweg keine Nahrungsmittel aus Hessen mehr haben.

(Beifall bei der CDU,der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dazu gehört, dass auch der Handel gefordert ist. Deswegen will ich deutlich sagen: Es ist ein kleiner, aber rich

tiger Ansatz, dass tegut gestern erklärt hat, sie würden eine Extraabgabe einführen, die in Mittel für Landwirte fließen soll, um den Milchpreis zu unterstützen.

(Beifall bei der CDU,der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich fordere ganz klar die übrigen Lebensmittelketten auf, sich dieser Verantwortung ebenfalls bewusst zu werden. Egal ob ein Betrieb konventionell oder ökologisch wirtschaftet, sie alle stehen momentan vor der Existenzfrage.

Der Verbraucher und eben auch der Einzelhandel sind gefordert. Es kann nicht sein, dass Lebensmittel einfach verramscht werden. Das ist nicht der Sinn des Ganzen, und damit kann die bäuerliche Struktur in Hessen nicht überleben.

(Beifall bei der CDU,der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich weiß sehr wohl, dass auch die Mittel des Hessischen Landtags begrenzt sind.Deswegen muss man sich an allen Stellen damit beschäftigen. Dazu gehören die Fragen: „Wie setzen wir den Health Check ein?“, und: „Wie können wir den Betrieben wieder zu mehr Liquidität verhelfen?“ Wir werden z. B. heute im Zusammenhang mit dem Thema Biokraftstoffe den Vermittlungsausschuss des Bundesrats anrufen. Es gehört eben mit dazu, den Betrieben wieder zu mehr Liquidität zu verhelfen und gleichzeitig dafür zu streiten, dass wir in dieser schwierigen Situation die regionalen Produkte und die regionale Landwirtschaft behalten.

Da ist der Einzelhandel gefordert. Der Einzelhandel soll sich eben auch an dem Beispiel aus Osthessen orientieren. Wir müssen gemeinsam dafür streiten, dass die Verbraucher darauf aufmerksam werden; denn sonst bekommen sie Agrarprodukte irgendwann nur noch aus dem Ausland oder aus Agrarfabriken.

(Beifall bei der CDU,der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Staatsministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bei der kurzen Redezeit nicht. – Ich glaube, es ist wichtig, dass wir uns sowohl mit den Landwirten solidarisieren als auch unsere Maßnahmenpakete schnüren. Es gibt die Ausgleichszulage. Es geht aber auch um die Investitionsförderungen, die wir breit anlegen. Es gibt die Beratungselemente des Landesbetriebs Landwirtschaft, die an vielen Stellen genutzt werden müssen.

Aber es handelt sich auch um das Thema „Diversifizierung der Landwirtschaft“. Sonst werden wir gerade in unseren Mittelgebirgen keine Landwirtschaft mehr haben, und das ist etwas, worunter nicht nur die Landwirte leiden, sondern alle Einwohnerinnen und Einwohner Hessens; denn dann ist unsere Kulturlandschaft hinüber.

(Beifall bei der CDU,der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Staatsministerin Lautenschläger. – Es gibt keine weiteren Wortmeldungen.

Damit sind der Tagesordnungspunkt 52, Antrag der FDP betreffend eine Aktuelle Stunde, und Tagesordnungspunkt 56, Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend eine Aktuelle Stunde, erledigt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 53 auf:

Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend eine Aktuelle Stunde (Solidarität mit dem Beschäftigten bei Fe- deral-Mogul – in Zeiten wie diesen kämpfen wir um jeden Arbeitsplatz) – Drucks. 18/426 –

Das Wort hat Herr Kollege Schaus.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! „Solidarität mit den Beschäftigten bei Federal-Mogul – in Zeiten wie diesen kämpfen wir um jeden Arbeitsplatz“ lautet die Überschrift unseres heutigen Antrags betreffend eine Aktuelle Stunde.

Wer ist Federal-Mogul? Federal-Mogul ist ein Unternehmen, das seit über 100 Jahren besteht und in WiesbadenSchierstein angesiedelt ist. Die Wiesbadener kennen es eher noch unter der Bezeichnung „Glyco“.Es ist mit 1.600 Arbeitnehmern das größte Industrieunternehmen der Stadt. Federal-Mogul ist ein Autozulieferer für nahezu alle deutschen Automobilhersteller; das Unternehmen produziert Gleitlagerbuchsen und Anlaufscheiben.

In den Neunzigerjahren wurde Federal-Mogul an den USKonzern verkauft.„Innerhalb von zehn Jahren gab es fünf Geschäftsführer. Die kennen nur Personalabbau, den sie an die Konzernzentrale melden müssen“, so die Aussage eines Betriebsrats.

Jetzt wollte die Geschäftsführung die Gunst der Stunde nutzen, um noch im Mai 436 Beschäftigte auf die Straße zu setzen. Schon im Sommer 2008 wurden 166 befristet eingestellte Arbeitnehmer entlassen. Die sollten jetzt über eine Leiharbeitsfirma als Streikbrecher zu Niedriglöhnen wieder eingesetzt werden, mit dem Versprechen auf Verträge über sechs Wochen mit einer Verlängerungsoption. So berichten es die Arbeitnehmer.Aber diese Exund-hopp-Strategie der Unternehmer ist gescheitert.

(Beifall bei der LINKEN)

Nachdem die Arbeit einer Schlichtungsstelle, die bereits seit Oktober letzten Jahres versucht hatte,den Konflikt zu entschärfen, gescheitert war, wuchs die berechtigte Unruhe im Betrieb. 99 % der Belegschaft stimmten ab, und 94 % erklärten sich zu einem Streik bereit, der am Mittwoch letzter Woche begonnen hat.

„Ab heute nehmen wir unsere Geschicke selbst in die Hand“, sagte Michael Erhardt, IG-Metall-Bevollmächtigter von Wiesbaden-Limburg. Bundesweite Solidarität war zu verzeichnen, und es gründete sich gleich ein Solidaritätskomitee, auch in Wiesbaden. Die Betriebsräte von Opel, Daimler und vielen Automobilzulieferern bundesweit beobachteten den Streik, waren vor Ort und drückten ihre Solidarität und Unterstützung aus. Die Streikauswirkungen waren in der gesamten Automobilindustrie bereits nach wenigen Tagen zu spüren, weil die Just-in-timeLagerhaltung in diesem Bereich einen direkten Einfluss hat.

Ein Durchbruch wurde am Dienstag dieser Woche erzielt. Um 20 Uhr wurden die Verhandlungen zwischen dem Betriebsrat der IG Metall und dem Arbeitgeber abgeschlossen. Das – wie ich sagen will – stolze Ergebnis kann sich sehen lassen: keine Entlassungen, keine betriebsbedingten Kündigungen bis Mitte nächsten Jahres. Stattdessen wechseln 120 Arbeitnehmer bei der Zahlung von 80 % ihres Nettolohns in eine Qualifizierungsgesellschaft, und 80 älteren Arbeitnehmern wird das Angebot gemacht, ab Juni 2010 mit den entsprechenden Abfindungen freiwillig auszuscheiden. Die Vereinbarung sieht auch vor, dass im Juli 2010 erst weiter verhandelt wird.

Wir gratulieren dem Betriebsrat und der IG Metall zu diesem klaren Erfolg, der erstreikt werden konnte und der, angesichts dessen, was das Unternehmen vorhatte, erstreikt werden musste.

(Beifall bei der LINKEN)

Was lehren uns die Vorkommnisse bei Federal -Mogul? In Zeiten wie diesen findet trotz der Regelungen zur Kurzarbeit zunehmend Arbeitsplatzabbau statt. Dies soll bis nach den Bundestagswahlen verschleiert werden.

In Zeiten wie diesen mussten die Beschäftigten, um weiter Kurzarbeit bei Federal-Mogul zu haben, sogar noch streiken. In Zeiten wie diesen darf der Kampf um jeden Arbeitsplatz nicht der Politik und nicht der Landesregierung überlassen werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Schaus, Sie müssen zum Schluss Ihrer Rede kommen.

Herr Präsident, ich komme zu meinem letzten Satz. – In Zeiten wie diesen haben die Kolleginnen und Kollegen von Federal-Mogul gezeigt, dass gerade in einer anscheinend aussichtslosen Situation betriebliche Unruhe erfolgreich ist. – Vielen Dank.