Protokoll der Sitzung vom 22.11.2012

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Kultusministerin, es ist mir gestern schon aufgefallen, dass Sie teilweise sehr salopp und auch unzutreffend mit bildungspolitischen Begriffen umgehen und Vorrednern Dinge in den Mund legen, die diese gar nicht gesagt haben. Ich möchte das auch gerne belegen. Sie reden von der Durchlässigkeit, und Sie reden vom „Chancenspiegel“ der Bertelsmann Stiftung. Sie sagen, dass mein Fraktionsvorsitzender gestern erklärt habe, dass Haupt- und Realschüler Absteiger seien. Frau Kultusministerin, das ist bewusst die Unwahrheit gesagt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Günter Schork (CDU): Lesen Sie es im Protokoll nach! – Weitere Zurufe von der CDU und der FDP)

Ich will Ihnen das auch erklären. Die Bertelsmann-Studie im „Chancenspiegel“ stellt fest, dass auf ein Kind in Hessen, das den Wechsel in eine Schulform mit höherem Abschluss schafft, 9,3 Kinder kommen, die während ihrer Schullaufbahn abgeschult werden.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sind in dieser Studie auch die Gesamtschulen enthalten?)

Das hat Herr Schäfer-Gümbel gesagt. Das sind die Werte der Bertelsmann Stiftung. Die Bundesdurchschnittswerte liegen bei 4,3. Das ist die Durchlässigkeit, von der Sie re

den. Meine Damen und Herren, das ist eine Durchlässigkeit nach unten.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Zweiter Punkt. Herr Bellino, ich wiederhole das bewusst: Es ist eine Lüge, dass wir den Schulen in Hessen längeres gemeinsames Lernen vorschreiben wollen. Das Angebot der Gemeinschaftsschule, das übrigens identisch ist mit dem der neuen Schule der GRÜNEN,

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

sieht vor, dass Schulen wählen können und dass Schulen für die Arbeit in binnendifferenziertem Unterricht die Ausstattung als Ganztagsschule erhalten, dass sie Fördermittel erhalten,

(Zuruf des Abg. Aloys Lenz (CDU))

um auf Abschulungen und Sanktionen, wie Sitzenbleiben während der Mittelstufe, zu verzichten. Das ist das Konzept der Gemeinschaftsschule, das Sie in unserem Programm in Hessen nachlesen können. Das ist keine Zwangsbeglückung, sondern genau wie in den anderen Bundesländern, die ich vorhin zitiert habe, ein Angebot an Eltern und Schulen, um zu ermöglichen, dass wirklich das Kind im Mittelpunkt steht und nicht die Schulform, in die es eingewiesen worden ist,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf der Mi- nisterin Nicola Beer)

dass man im Unterricht differenziert und nicht vorher Schubladen aufmacht. Denn, Frau Kultusministerin, so viele Schubladen und Schulformen können Sie gar nicht erfinden, um der Unterschiedlichkeit und der Vielfalt von Kindern gerecht zu werden.

(Beifall bei der SPD)

Frau Kultusministerin, wenn auch bei Ihnen das Kind im Mittelpunkt steht, dann sollten wir nicht darüber diskutieren, ob ein Kind in eine Schulform passt, und, wenn es nicht passt, die Schulform verändern, eine neue erfinden oder das Kind in eine andere schicken, sondern wir sollten darüber diskutieren, wie wir die Schule dazu befähigen, mit dieser Vielfalt und Heterogenität von Kindern umzugehen, ohne dass welche auf dem Bildungsweg zurückbleiben. Meine Damen und Herren, genau das – da Sie so gerne unsere Programme zitieren – können Sie dort nachlesen.

Ich sage Ihnen noch eines: Frau Kultusministerin, mit Rezepten von gestern und mit flotten Sprüchen wird Ihnen das nicht gelingen.

(Beifall bei der SPD – Dr. Christean Wagner (Lahn- tal) (CDU): Von vorgestern! – Gegenruf des Abg. Günter Rudolph (SPD): Wenn von gestern die Rede ist, ist Herr Dr. Wagner hellwach!)

Vielen Dank, Frau Habermann. – Herr Döweling ist auf dem Weg zum Mikrofon. Bitte sehr. Auch Sie haben fünf Minuten zur Verfügung.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich war wirklich gespannt, als die Kollegin Habermann sich abermals zum Pult aufmachte, und dachte: Was wird sie uns jetzt vortragen?

(Gerhard Merz (SPD): Das haben Sie gar nicht gedacht! Das ist gar nicht wahr!)

Wird sie sich möglicherweise entschuldigen und sagen: „Ja, wir haben das nicht so gemeint. Wir wollen keine Zwangseinheitsschule für alle. Ja, wir nehmen die Hand der Regierungsfraktionen an. Wir wollen einen gemeinsamen Weg für Hessen. Wir wollen einen Schulfrieden, einen Schulkompromiss“? Aber nein, natürlich bin ich enttäuscht worden, wie ich es befürchtet hatte. Es kamen wieder die alten Plattitüden.

(Gerhard Merz (SPD): Auch das ist nicht wahr! – Zuruf der Abg. Heike Habermann (SPD))

Frau Kollegin, es ist schön und gut, wenn Sie jetzt sagen, es stünde bei Ihnen nicht zwangsverpflichtend im Konzept, usw. usf. Schauen wir uns doch einmal an, was da passiert, wo die Sozialdemokraten mit den GRÜNEN oder die GRÜNEN mit den Sozialdemokraten regieren, nämlich in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz. Was haben wir da?

(Gerhard Merz (SPD): Dazu könnte ich etwas sagen!)

Nein, Sie machen aktiv natürlich kein Gymnasium zu. Das ist klar. Sie sind doch ein bisschen zu clever, um das gegen den Protest der Elternschaft zu machen. Aber Sie nehmen das Instrument des sogenannten goldenen Zügels,

(Holger Bellino (CDU): Alte SPD-Methode! Das hat die SPD in Hessen schon früher gemacht!)

indem Sie diese Schulen – Gemeinschaftsschulen oder neue Schulen, wie immer Sie das nennen – nach Ihrem Gusto natürlich besser ausstatten als andere Schulen, um eine Entwicklung zu steuern, die in diese Richtung geht.

(Gernot Grumbach (SPD): Das ist doch nicht wahr!)

Das ist etwas, was wir nicht wollen. Wir statten alle Schulen in Hessen als CDU/FDP-geführtes Land gut aus, nicht nur die Schulen, die nach unserem ideologischen Gusto arbeiten. Das ist der Unterschied, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Wir können uns gern noch einmal anschauen, was der Kollege Schäfer-Gümbel gestern gesagt hat – ich bin auch sehr gespannt auf das Protokoll –, denn eines steht fest: Er hat erfolgreich arbeitende Modelle wie die SchuB-Klassen, die in diesem Hause eigentlich parteiübergreifend anerkannt sind, diskreditiert. Er hat gesagt, das wäre alles nichts, und es ginge nur mit Ihrem Konzept der Einheitsschule, usw. usf. Das werden wir ihm immer wieder vorhalten, und ich bin sehr gespannt auf das Protokoll.

(Gerhard Merz (SPD): Da müssen Sie erst einmal lesen können!)

Wenn Sie sich die Studien einmal anschauen, nicht nur die eines Bekleidungsherstellers, dann werden Sie feststellen: Wir sind an dritter Stelle, was den Übergang von der Realschule auf das Gymnasium angeht. Da behaupten Sie, unser Schulsystem wäre nicht durchlässig. Das ist doch an

Aberwitz gar nicht zu überbieten. Das glaubt Ihnen doch kein Mensch; und die Realität in Hessen ist anders. Das ist gut so, und das wird auch so bleiben, solange CDU und FDP hier regieren, und das werden wir auch weiterhin tun, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Danke, Herr Döweling. – Als Nächster spricht Herr Kollege Klein für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich will noch einmal das Wort ergreifen und den Fraktionsvorsitzenden der SPD auffordern, hier solche Aussagen zurückzunehmen. Ich will einmal Ihren Kollegen Rudolph zitieren, der dann immer sagt: „Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.“

(Gerhard Merz (SPD): Nein, das sagt der Döweling immer!)

Wie kann man denn junge Menschen, die die Haupt- oder Realschule durchlaufen haben, als Absteiger disqualifizieren? Er möge doch einmal in berufsbildende Schulen, in die duale Ausbildung gehen. Diese jungen Menschen haben zum großen Teil eine herausragende praktische Fähigkeit. Das sind die Facharbeiter der Zukunft. Die sichern uns, den Mittelstand; die sichern den Wohlstand in diesem Land.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Sehr gut!)

Frau Habermann, das wissen Sie doch: Diese jungen Menschen kommen in die Berufsschule. Sie haben dort die Möglichkeit, parallel zur dualen Ausbildung den mittleren Bildungsabschluss zu bekommen, wenn sie im Abschlusszeugnis die entsprechenden Noten haben, wenn sie mit einem entsprechenden Notenschnitt nachweisen können, dass sie sechs Jahre lang den Englischunterricht besucht haben. Die beruflichen Schulen bieten Englisch als Zusatzkurse an, um das zu erreichen.

Junge Menschen, die mit der mittleren Reife an die beruflichen Schulen kommen und eine duale Ausbildung durchlaufen, haben die Möglichkeit, wenn sie den Abschluss bekommen, sofort die Fachoberschule zu besuchen. Sie bekommen die Klasse 11 geschenkt, weil sie die praktische Ausbildung haben, müssen nur die Klasse 12 durchlaufen, machen ihren Abschluss und sind dann aufgrund dieses Abschlusses berechtigt, im gewerblichen Bereich eine Fachhochschule zu besuchen, um später einmal mit dem Diplom-Ingenieur (FH) abzuschließen. Wenn das bei uns im Land die Absteiger sind, dann will ich einmal die Aufsteiger sehen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Liebe Frau Habermann, es ist ein Skandal, wenn man sich anschickt, Ministerpräsident dieses Landes zu werden, und hier das Bild aufkommen lässt, dass nur derjenige mit Abitur der Gute ist und dass diejenigen mit einem Abschluss unter dem Abitur, mit einem Hauptschul-, Realschul- oder einem anderen Abschluss, die Negativmenschen dieser Region sind. Dafür soll er sich schämen; er muss sich entschuldigen.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf von der FDP: Das ist unglaublich!)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich verspreche Ihnen, ich werde an jeder passenden oder auch unpassenden Stelle – –

(Günter Rudolph (SPD): So wichtig sind Sie nicht! – Widerspruch bei der CDU – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Hochmut kommt vor dem Fall!)

Herr Rudolph, ich verspreche Ihnen: An jeder passenden und unpassenden Stelle, egal wo Bildungsdebatten sind, werde ich diese Aussagen Ihres Fraktionsvorsitzenden, der sich anschicken will, Ministerpräsident zu werden, was ihm Gott sei Dank nicht gelingen wird, in nächster Zeit immer wieder aufführen, auch dass es hier arrogante Schnösel gibt – das Wort nehme ich auch gleich wieder zurück, Herr Präsident –,

Darum hätte ich jetzt auch gebeten.

dass es Menschen gibt, die so junge Menschen disqualifizieren. Pfui Teufel.