Protokoll der Sitzung vom 31.01.2013

Nächste Wortmeldung, Herr Kollege Bocklet für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren das Ganze heute mindestens schon zum zweiten Mal. Deswegen von dieser Stelle in aller Kürze

zur Einleitung: 40.000 Menschen, die durch Hundebisse verletzt wurden, 60 % davon Kinder, 278 in Hessen und darunter sieben Schwerverletzte. – Für meine Fraktion möchte ich noch einmal feststellen: Jeder dieser Bisse ist ein Biss zu viel.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der FDP)

Wir sind aufgefordert, alles daranzusetzen, damit es keine weiteren oder deutlich weniger Hundebisse gibt, vor allem, dass keine Kinder geschädigt werden. Der Gesetzentwurf der Sozialdemokratie macht vier Vorschläge. Drei davon tragen wir mit.

Es ist selbstverständlich richtig, dass wir zukünftig verpflichtende Haftpflichtversicherungen für alle Hundebesitzer brauchen, alleine schon, damit die Geschädigten die Möglichkeit haben, ihren Schaden gezahlt zu bekommen.

Zweitens ist es auch richtig, dass man Hunde chippt, sodass man sie dem Hundeführer zurückbringen kann, wenn sie entlaufen, bzw. dass man ermitteln kann, wem der Hund gehört, wenn er Schaden angerichtet hat.

Außerdem ist es unendlich wichtig und von großer Bedeutung, dass alle, die sich zukünftig einen Hund anschaffen, wissen, was sie tun. Deshalb sollen sie eine Sachkundeausbildung absolvieren.

(Beifall des Abg. Torsten Warnecke (SPD))

Genau das wollen wir auch, und diesem Punkt sind wir mit der SPD und dem Gesetzentwurf einig. Wir brauchen das in Hessen dringend.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)

Was ich nicht verstehe: Herr Innenminister Rhein, Sie haben vor einem Jahr, am 1. Februar 2012, gesagt:

Nach dem, was vorgetragen worden ist, kann ich mir sehr gut vorstellen, dass wir einen Weg finden, wie das eine oder andere in diesem Bereich optimiert und verbessert werden kann.

Auch Herr Bauer hat damals bestätigt, dass vieles von dem, was der GRÜNEN-Abgeordnete gesagt hat, richtig ist. Sie haben gesagt, dass man mehr tun muss bei der Weiterentwicklung der Rasseliste. Das haben Sie eben wiederholt.

Aber wir haben jetzt Januar 2013. Ihre Rede vom Februar 2012, auch die des Innenministers, wartet auf Lösungsvorschläge. Es geht nicht, immer nur zu sagen, das, was die SPD mit der Abschaffung der Rasseliste will, sei falsch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Timon Gremmels (SPD): Wir sind nichts anderes gewohnt!)

Sie sind als zuständiger Innenminister und als zuständiger sicherheitspolitischer Sprecher die Antwort schuldig. Sie müssen sagen, was Sie mit der Weiterentwicklung der Rasseliste tun wollen. Wir haben als GRÜNEN-Faktion gesagt: Die Diskussion läuft schon seit über zehn Jahren. Frau Pauly-Bender, Sie wissen, dass wir sehr intensiv miteinander diskutiert haben.

Lassen Sie mich an einem Punkt begründen, warum wir die Abschaffung der Rasseliste zumindest zu diesem Zeitpunkt für falsch halten. Selbst wenn wir sie heute abschaf

fen und morgen damit beginnen würden, dass jeder zukünftige Hundeführer, der sich einen Hund anschafft, eine Sachkundeausbildung absolvieren muss, selbst dann haben wir noch Tausende Hunde in Hessen. Ich glaube, 500.000 Hunde sind in Hessen registriert. Folgerichtig gibt es 500.000 Hundebesitzer, die noch keine Sachkundeausbildung haben, die nicht genau wissen, wie man die Hunde führt. Dementsprechend ist die Abschaffung einer Rasseliste zu einem Zeitpunkt, wo Hundertausende von Menschen so etwas nicht haben, ein falscher Schritt in dieser Situation.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Deswegen sagen wir, eine Hunderasseliste ist nicht allein selig machend. So eine Hunderasseliste hat aber z. B. in Nordrhein-Westfalen dazu geführt, dass der Bestand von diesen „Kampfhunden“ von 12.000 auf 10.000 zurückgegangen ist. Sie hat dazu geführt, dass diese Kampfhunde in einem speziellen Milieu – beispielsweise im Frankfurter Bahnhofsviertel – völlig verschwunden sind. Sie hat dazu geführt, dass in vielen Städten diese Kampfhunde, die auch Ängste auslösen, praktisch verschwunden sind. Sie hat damit dazu beigetragen, dass ein gewisses Sicherheitsempfinden gestiegen ist.

Ob sie auch dazu geführt hat, dass die Zahl der Hundebisse gesunken ist, das bleibt strittig. Aber solange es noch keine ausreichende Alternative dazu gibt, auch wenn es dazu gehört, dass die Schäferhunde auch ein großes Problem sind, weil die die meisten Hundebesitzer ausführen, solange dieses Thema noch nicht hinreichend bearbeitet ist, ist es die falsche Stunde zu sagen: Wir schaffen diese Hunderasseliste zunächst einmal ab und schauen dann, was alles noch wirksam ist. Deswegen wäre das falsch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, wir brauchen die Haftpflicht. Ich glaube, wir brauchen das Chippen. Ich glaube, wir brauchen flächendeckend und auch verpflichtend den Sachkundeunterricht für Hundeführer. Ich glaube aber, wir brauchen keine Abschaffung der Hunderasseliste, sondern eine gezielte Weiterentwicklung. Darin stimme ich mit Herrn Bauer und der CDU überein. Herr Innenminister und liebe CDU und FDP, aber was ich auch glaube, ist, dass es endlich an der Zeit ist, dass Sie Ihren Worten auch Taten folgen lassen und dies auch tun. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ti- mon Gremmels (SPD): Das schaffen die nicht mehr im halben Jahr!)

Das Wort hat der hessische Innenminister Boris Rhein.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde, wir sollten hier in aller Gelassenheit die Diskussion führen. – Jetzt hat Herr Gremmels den Platz von Herrn Rudolph eingenommen, und wir haben uns nicht vorstellen können, dass es noch schlimmer wird. Aber gut, okay, es ist so.

(Heiterkeit des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Bei aller Freundschaft will ich nur Folgendes sagen. Sie wissen, und das ist das, was Marcus Bocklet zitiert hat, und Frau Dr. Pauly-Bender weiß es vor allem, dass ich einer gewesen bin, der von Anfang an gesagt hat: Lasst uns darüber reden, lasst uns die Verbände anhören, lasst uns die Argumente abwägen, lasst uns miteinander schauen, was machbar ist. – Ich glaube auch, von uns war von vornherein keiner verschlossen und hat gesagt: Wir sind nicht bereit, irgendeinen Weg zu gehen.

Aber die Debatte, die wir im Innenausschuss geführt haben, hat mich am Ende von dem Weg nicht ganz überzeugt, den Sie vorschlagen, der zugestandenermaßen der niedersächsische Weg ist, dass wir ein solches Hundegesetz brauchen: am Ende einfach – der Kollege Bauer hat darauf hingewiesen – zu viele Fragen, die durch einen solchen Gesetzentwurf nicht beantwortet werden können.

Im Übrigen bleibt es bei meiner Einschätzung, die ich von Anfang an geäußert habe, dass wir besser mit einer Verordnung als mit einem Gesetz verfahren. Bei allem Respekt – bei einer Eintrittstiefe brauchen wir ein Gesetz, das ist auch keine Frage.

In einem solchen Sachverhalt, und der VGH gibt uns dabei recht, fahren wir meines Erachtens aber mit einer Verordnung besser, weil wir diese Funktion der Gefahrenabwehr, die durch Gesetz oder die Verordnung vorgenommen werden soll, weitaus flexibler erledigen können, wenn wir eine Verordnung haben, mit der wir sehr schnell und sehr flexibel reagieren können.

(Zuruf von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist gar nicht schnell!)

Doch, doch, das ist schon so. – Hinzu kommt, das will ich überhaupt nicht besserwisserisch sagen, dass der Entwurf, den Sie vorgelegt haben, immer noch eine Reihe grober handwerklicher Fehler enthält. Das hat etwas mit redaktionellen Korrekturen und Änderungen zu tun, die nicht konsequent und sorgfältig vorgenommen worden sind. Das hat etwas mit falschen Verweisungen zu tun, die nur teilweise korrigiert worden sind.

Strich darunter. Am Ende kann man in dieser Form ein solches Gesetz nicht im Gesetz- und Verordnungsblatt erscheinen lassen. Aber das ist für mich nicht der ausschlaggebende Grund. Das sind formale Aspekte. Darauf will ich mich nicht zurückziehen. Ich sage vor allem aus inhaltlichen Gründen: Lasst uns erst einmal bei dem Zustand bleiben, den wir haben, weil sich die Rasseliste trotz aller Diskussionen im Wesentlichen bewährt hat. – Ah, Günter Rudolph ist wieder da, das beruhigt mich ein bisschen.

(Heiterkeit bei der CDU)

Wir sollten aufpassen, dass die Hundeverordnung am Ende nicht Opfer ihres eigenen Erfolgs wird, weil viele vergessen haben – Marcus Bocklet hat darauf hingewiesen, ich bin dafür dankbar, er hat es nicht vergessen –, wie die Situation gerade in Großstädten, beispielsweise bei uns in Frankfurt, vor der Einführung der Hundeverordnung gewesen ist. Das war in der Tat ein problematischer Zustand. Den gibt es so nicht mehr.

Im Übrigen haben uns das Bundesverfassungsgericht und der VGH ausdrücklich grünes Licht für diese Rasseliste gegeben. Die Rasseliste wird ständig im Lichte der neuen Erkenntnisse und der neuen Statistiken überprüft und überarbeitet. So schlecht kann die Rasseliste nicht sein. Sie gibt es nicht nur in Deutschland und in Hessen.

Es gibt diese Rasseliste europaweit. Es gibt sie in Österreich. Es gibt sie in der Schweiz. Es gibt sie in den Niederlanden. Es gibt sie in Belgien. Es gibt sie in Frankreich. Es gibt sie in Italien. Dänemark hat erst vor wenigen Jahren eine Rasseliste eingeführt. Und die Schweden sind aktuell bei der Einführung einer solchen Liste. Deswegen bleibt es aus meiner Sicht dabei: Die Sicherheit aller muss Vorrang vor den Interessen Einzelner an der Haltung bestimmter Rassen haben.

(Beifall des Abg. Alexander Bauer (CDU))

Jetzt haben Sie als Kompensation für die von Ihnen vorgeschlagene Rasseliste für alle eine rasseunabhängige verbindliche Sachkundeprüfung vorgeschlagen. Auch diese Regelung ist aus unserer Sicht, jedenfalls aus Sicht der Landesregierung, nicht erforderlich. Sie ist auch unverhältnismäßig. Alexander Bauer hat darauf hingewiesen, was an einer solchen Prüfung unverhältnismäßig ist.

Es geht mir vor allem um eines – Frau Dr. Pauly-Bender, darauf haben die Kommunalen Spitzenverbände hingewiesen –, dass das kein Papiertiger bleiben darf, wenn Sie es umsetzen wollen. Dabei brauchen wir eine Kontrolldichte, die weit über das hinausgeht, was wir heute haben, und einen erheblichen Aufwand nötig macht.

Es ist ein Unterschied, ob wir eine Zahl von etwa dreieinhalbtausend Listenhunde und weiteren tausend gefährlichen Hunden behördlich überwachen und das am Ende in einem sechsstelligen Bereich tun. Nehmen Sie nur einmal Fulda als Beispiel. Bislang überwachen die 30 bis 40 gefährliche Hunde. Wenn der Gesetzesentwurf von Frau Dr. Pauly-Bender Realität würde, müsste die Stadt Fulda über 2.000 Tiere überwachen. Das ist unrealistisch.

Die Frage ist am Ende doch: Wer soll denn das bezahlen? Aber es gibt nicht nur die Frage, wer das bezahlen soll – Stichwort Konnexität. Deswegen sollte man auch gleich noch einmal über den Gesetzentwurf diskutieren. Am Ende besteht die Frage: Wer soll es denn machen? Sollen das die Ordnungsämter, oder soll das etwa auch die Polizei machen? – Alles nicht durchführbar, alles sehr, sehr schwierig.

Das Gleiche gilt auch für die Chippflicht. Keine dumme Idee – das will ich sehr deutlich zugestehen. Jeder verantwortungsvolle Hundehalter chippt seinen Hund von sich aus und schließt im Übrigen auch von sich aus eine Versicherung für den Hund ab. Wenn er gut beraten ist, der Hund auf die Straße läuft und einen Unfall verursacht, hat er eine Versicherung. Also macht das jeder halbwegs normale Mensch. Aber auch da will ich wieder sagen: Für die Sicherheit ist eine Chippflicht nicht erforderlich, und deswegen fühlen wir uns in der Regelungsmaterie auch gar nicht zuständig.

Im Übrigen besteht für Reisen innerhalb der EU seit dem 3. Juli 2011 ohnedies eine EU-Verordnung. Auch hier wiederum: Wer soll das administrieren, Frau Dr. Pauly-Bender? – Wir brauchen ein zentrales Register. Egal, ob man ein Landeshunderegister führt oder eine bundesweite Regelung schafft oder ob man den Zugriff auf bestehende private Register einführt, ein solches Register erfordert einen riesigen Verwaltungsaufwand.

Es reicht auch nicht, dass einmalig die aktuellen Daten eingegeben werden. Sie müssen ein solches Register pflegen. Schon jetzt kommt es bei den privaten Registern immer wieder zu Pannen, beispielsweise wegen falscher Adres

sen, etc., etc. Zur Haftpflichtversicherung habe ich schon etwas gesagt. Ich glaube, es gibt gute Gründe, die Rechtslage im Wesentlichen so zu belassen, wie sie derzeit ist.

Lassen Sie mich noch etwas zum Schluss sagen. Sie haben auf Niedersachsen verwiesen und gesagt, wir haben den Innenminister gestellt. Ich sage: Leider „haben“ wir ihn gestellt. Das ist ein großartiger Innenminister gewesen, den Niedersachsen hatte. Er ist leider nicht mehr ins Parlament gekommen. Die Regierung ist bald nicht mehr im Amt. Aber es ist doch ein großer Vorteil des Föderalismus, dass man erst einmal schaut, was die machen, sich inspirieren lässt und dann kopiert oder übernimmt. Das ist überhaupt nicht falsch.

Was Sie machen, ist falsch. Es gibt doch gar keinen Sinn, dass man das Gesetz abschreibt, bevor man schaut, wie die praktischen Erfahrungen mit dem Gesetz aussehen. Das umso mehr, als dieses Gesetz noch nicht einmal vollständig in Kraft getreten ist, Frau Dr. Pauly-Bender. Wenn es eine wüsste, dann wissen Sie das. Teile dieses Gesetzes treten erst Mitte des nächsten Jahres in Kraft. Lassen Sie es einmal dabei sein, wie es ist.