Protokoll der Sitzung vom 31.01.2013

Die kann man treffen. Aber dafür muss man dann auch die Verantwortung tragen: dass man genau diese politische Entscheidung mit der absoluten Mehrheit der CDU getroffen hat.

(Beifall bei der SPD – Dr. Christean Wagner (Lahn- tal) (CDU): Das haben wir auch!)

Auch deshalb war es nicht zwangsläufig, dass der Standort Gießen stattdessen geschlossen worden wäre.

Dritter Punkt. Im Frühjahr 2006 erfolgte die Privatisierung wegen 260 Millionen € Baumaßnahmen plus der Partikeltherapie. Im Frühjahr 2007 legte die Landesregierung mit großem publizistischen Aufwand ein Hochschulbauprogramm in Höhe von 250 Millionen € pro Jahr und 3 Milliarden € insgesamt auf. Meine Damen und Herren, da wäre auch noch die neue Uniklinik Gießen unterzubringen gewesen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Holger Bellino (CDU): Davon hätten Sie zu Ihrer Regierungszeit geträumt!)

Auch deshalb war es eine politische Entscheidung. Stehen Sie dazu. Aber behaupten Sie nicht, der Standort Gießen wäre unrettbar gewesen.

(Beifall bei der SPD – Zurufe der Abg Hans-Jürgen Irmer (CDU) und Günter Rudolph (SPD))

Stand Januar 2013 ist die Privatisierung der zuvor fusionierten Universitätsklinika Gießen und Marburg mithin kein Erfolgsmodell. Die Vorgänge am UKGM liefern vielmehr Argumente dafür, dass Hochschulmedizin eine öffentliche Aufgabe sein muss. Um neue Therapien wie die Partikeltherapie zu etablieren, bedarf es mehr Geduld, als es die Geschäftsmodelle der privaten Betreiber zulassen.

Ja, meine Damen und Herren, das sage nicht ich. Das schreibt das „Deutsche Ärzteblatt“ in seinem Editorial auf Seite 1 in der Ausgabe von morgen. Recht hat das „Deutsche Ärzteblatt“. Man kann über die Privatisierung von Krankenhäusern streiten. Dass die Privatisierung von Universitätsklinika ein Irrweg ist, ist erneut erwiesen.

(Beifall bei der SPD)

Ein wesentlicher Baustein dieser Entscheidung war, das Land von investiven Aufgaben zu befreien, weil Private das vermeintlich besser können.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Jetzt muss jedes Jahr so viel Geld an investiven Mitteln da hineingebracht werden, dass man in the long run die ganzen Investitionen, wegen denen das Krankenhaus verkauft wurde, aus diesen Investitionszuschüssen hätte bezahlen können – kein Erfolgsmodell.

(Karin Wolff (CDU): Was ist das für eine Rechnung? – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU) – Karlheinz Weimar (CDU): Schuster, bleib bei deinem Leisten!)

Vierter Punkt. Man gibt jetzt einen Zuschuss für die Tatsache, dass jemand zwei Standorte gekauft hat, weil man sieben Jahre später mit Überraschung feststellt: „Es sind tatsächlich zwei Standorte“. Oder war gedacht, einen aufzugeben? Meine Damen und Herren, doch wohl nicht. Der Grund war doch, dass gerade kein Standort aufzugeben ist. Weil man keinen Standort aufgeben will, muss man jetzt 3 Millionen € zusätzlich für den Aufwand von zwei Standorten bezahlen. – Meine Damen und Herren, nein, an der Stelle wird doch deutlich: Das Ganze hätte selbst ohne die Partikeltherapie nicht ohne Zuschüsse funktioniert.

(Zuruf des Abg. Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU))

Dann komme ich zum Moratorium. Lieber Rolf, du hast eben wieder gesagt: „Es gibt ein Moratorium.“ Nein, das gibt es nicht. Die Vereinbarung sagt etwas anderes. Die Vereinbarung ist da sehr, sehr eindeutig. Die Vereinbarung sagt: „Das Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH strebt ein Moratorium für den Zeitraum bis Ende 2014 an und erklärt sich bereit, Gespräche aufzunehmen.“ Das ist etwas völlig anderes als eine feste Zusage.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist das Moratorium, das wir schon einmal hatten und was nichts wert war, weil null Stellenabbau, wenn es der Ministerpräsident verspricht, bedeutet: 250 Stellen sind futsch. – Das war das Ergebnis.

Meine Damen und Herren, selbst wenn man zu einem Moratorium käme: Vereinbart ist auch, dass dabei Effizienzsteigerung und Arbeitszeitverdichtung unter Berücksichtigung der Vorgaben von McKenzie beachtet werden sollen. Es kommt nicht auf die absolute Zahl von Stellen an. Es kommt auf die Relation zwischen patientennahem Personal und Patienten an. Genau diese Relation muss man festlegen. Das wissen wir inzwischen. Das ist nämlich der gefährliche Faktor. Das sagen die ärztlichen Leitungen am Universitätsklinikum Gießen und Marburg. Deshalb ist auch eine Leistungsverdichtung, wie sie hier vereinbart ist, genau keine Alternative.

Letzter Punkt. Die Behauptung, dass wir die Partikeltherapie aufgeben wollten, ist falsch.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Warum war es im Haushalt? – Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU): Jetzt bin ich gespannt!)

Allerdings glaube ich, wenn man mit Aktiengesellschaften verhandelt, deren aktuelles Problem die Auswirkungen der Defizite des Universitätsklinikums Gießen und Marburg auf die Dividende ist, dann muss man deren Sprache sprechen. Dann hätte ich und hätten Sozialdemokraten angesichts der Vertragsbrüchigkeit zum 31.12.2012 tatsächlich 107 Millionen € geltend gemacht. Wenn die funktionstüchtige Anlage, die seit einem Jahr betrieben werden kann, von der die leitenden Ärzte sagen, sie hätten schon im November anfangen können – alles war fertig –, eines Tages betrieben wird, dann möge Rhön sie wiederbekommen.

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.

Wer nur die Sprache des Geldes versteht, der muss den Schmerz so spüren. Vielleicht führt das endlich zur Einsicht, dass diese Anlage in Betrieb genommen werden muss, aber nicht solche butterweichen Vereinbarungen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- KEN)

Die Redezeit ist zu Ende, Herr Kollege.

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Es hilft alles nichts. Seit sechs Jahren und 364 Tagen bieten Thorsten Schäfer-Gümbel, die SPD-Fraktion und auch ich Ihnen an, gemeinsam die Probleme anzugehen, die Sie verursacht haben. Wenn jetzt tatsächlich das erste Mal der Ministerpräsident in der Pressemitteilung von Dienstag ein Angebot zur Kooperation gemacht hat, halten wir das allerdings für einen Fortschritt und sind sehr gespannt, ob man endlich darangehen wird, gemeinsam die Probleme anzugehen, die Sie geschaffen haben. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Herr Abg. Dr. Büger, FDP-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wenn wir heute über die Partikeltherapie in Marburg sprechen, kann ich als Erstes festhalten: Dass es überhaupt eine Diskussion über die Partikeltherapie gibt, dass überhaupt über 100 Millionen € investiert worden sind, das war und ist nur möglich, weil das Universitätsklinikum Gießen und Marburg privatisiert worden ist.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Im Übrigen, wären die Landtagswahlen 1999 und 2003 anders ausgegangen, dann würde heute dieser Antrag ganz anders heißen. Er würde heißen: Entschließungsantrag bezüglich der Schließung eines der maroden Standorte Gießen und Marburg. – Gut, dass es nicht so gekommen ist.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Deshalb ist es geradezu grotesk, wenn in einem Antrag, der von der Partikeltherapie handelt, die Privatisierung als solche als gescheitert bezeichnet wird, wo doch die Privatisierung erst die Voraussetzung für die Partikeltherapie in Marburg geschaffen hat.

Genauso unverständlich ist, dass der Landtag die Rückzahlung von 107 Millionen € fordert. Das steht im Antrag der LINKEN und auch in Ihrer Pressemitteilung. Herr Dr. Spies, Sie haben das auch in Ihren Haushaltsantrag geschrieben.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Alle, die gutwillig sind und sich näher mit der Thematik befasst haben, wissen, dass die Umsetzung der Partikeltherapie unter wirtschaftlichen Bedingungen eine Pionierleistung ist, dass die Umsetzung schwierig ist und deshalb auch Verzögerungen auftreten können.

Wer nun die Rückzahlung quasi als Vertragsstrafe fordert, sagt damit automatisch, dass er gar nicht mehr will, dass die Partikeltherapie in Betrieb geht und Menschen behandelt. Nein, er will eine Entschädigungszahlung anstelle der Behandlung von Menschen. Wer nicht bereit ist, auch nur zwölf Monate lang abzuwarten, wie Sie, Frau Wissler, damit krebskranken Menschen am Ende durch eine neue Methode geholfen werden kann,

(Janine Wissler (DIE LINKE): Wie lange wollen Sie denn noch warten?)

erzeugt dadurch den Eindruck, und dem müssen Sie schon entgegentreten, dass er finanzielles Interesse oder sogar vielleicht politisches Kalkül vor Menschenleben setzt. Davor sollten wir uns hüten.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Zuruf des Abg. Dr. Thomas Spies (SPD))

Das Verhandlungsergebnis selbst – Herr Kollege Dr. Müller hat es richtig gesagt – ist ein pragmatischer Weg im Sinne der Patienten: Keine Klage auf Rückzahlung, eine Verzinsung mit Wirkung, eine Vertragsstrafe von 3 bis 4 Millionen € pro Jahr, schnellstmögliche Umsetzung dieser komplizierten Technik und die Verpflichtung zur Behandlung von Patienten. Das ist ein hervorragendes Ergebnis für die Patienten und ein hervorragendes für die Region.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Darüber hinaus hat das Verhandlungsergebnis noch viele weitere positive Seiten. Es sichert dem Land mehr Mitspracherechte. Es beseitigt Schwierigkeiten in der Abrechnung zwischen Universitäten und UKGM, es erleichtert auch die Situation der Arbeitnehmer des UKGM, und es macht Arbeitsplätze sicherer. Der Preis dafür ist eine Beteiligung des Landes an den Investitionskosten sowie ein Strukturausgleich.

Es mag sein, darauf hat Herr Dr. Müller hingewiesen, dass die Rhön-Klinikum AG im Jahr 2006 davon ausgegangen ist, einen solchen Zuschuss nicht zu brauchen. Inzwischen hat sich der Krankenhausmarkt aber insgesamt verändert, und viele Kliniken, ich sage nur Offenbach und Wiesbaden, im Übrigen zumeist in öffentlicher Trägerschaft, haben finanzielle Probleme. Auch mit der Verhandlungslösung, darauf lege ich Wert, stellen wir uns günstiger, als wenn das UKGM damals komplett beim Staat geblieben wäre.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Ich halte deshalb fest:

Erstens. Die Privatisierung war und ist richtig. Nur durch sie konnten beide Standorte gesichert und eine Partikeltherapieanlage überhaupt aufgebaut werden.

(Beifall bei der FDP – Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die steht doch schon längst!)

Zweitens. Wir werden die Partikeltherapie zum Laufen bringen und damit Menschenleben retten, und das ist ein wichtiges und gutes Signal für die Region.