Ich komme zum Schluss. – Wir gehen heute Nachmittag nochmals auf die Frage von Risiken und des Sinns und Unsinns von Klagen ein. Sie wollten auf die Suche nach bestimmten Genen gehen. Das juristische Stümper-Gen haben wir schon gefunden – bei Ihnen.
(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Clemens Reif (CDU): Der CDU-Minister hat über 80 Verfügungen gegen RWE erlassen!)
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der VGH hat entschieden, dass die Abschaltung von Biblis im Rahmen des Moratoriums im März 2011 rechtswidrig war. Der VGH hat RWE recht gegeben. Das ist eine riesige Klatsche für die Landesregierung. Vor allem ist das aber sehr schmerzhaft für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, weil es im Zweifelsfall bis zu 190 Millionen € kosten kann, die das Land Hessen an RWE überweisen muss. Frau Ministerin, deswegen ist es wirklich absolut unverantwortlich, in welche Position Sie das Land gebracht haben.
Es ist an Schäbigkeit kaum zu überbieten, dass RWE, nachdem sich das Unternehmen jahrzehntelang auf Kosten der Bevölkerung, auf Kosten der Allgemeinheit bereichert hat, jetzt Klage führt und durch den Atomausstieg quasi verloren gegangene Profite einklagen will. Frau Ministerin, natürlich ist das schäbig; aber jeder weiß, dass RWE so agiert und dass RWE ein verantwortungsloser Konzern ist. Deswegen muss man doch alles rechtssicher machen, wenn man verfügt, dass ein Atomkraftwerk stillgelegt wird. Genau darauf haben Sie verzichtet, Frau Ministerin.
Ich habe mir gestern Nacht das Protokoll der damaligen Umweltausschusssitzung durchgelesen. Wir hatten kurz nach der Abschaltverfügung eine Ausschusssitzung. Ich habe einmal nachgelesen, was Sie damals gesagt haben. Frau Ministerin, es ist ja nicht so, dass damals keine Bedenken vorgetragen wurden. Wir haben im Gegenteil sehr, sehr viele Fragen gestellt, insbesondere zum Moratorium selbst und zur Rechtssicherheit des Moratoriums.
Der VGH kritisiert jetzt, dass Sie RWE nicht förmlich angehört haben. Genau zu dieser Frage haben Sie sich damals im Ausschuss geäußert. Ich will an der Stelle auch daran erinnern, dass Hessen das letzte Bundesland war, das eine Abschaltverfügung erlassen hat. Wir haben Sie gefragt, warum alle anderen Bundesländer schneller waren. Sie haben gesagt: Wir waren deshalb so langsam, weil wir es eingehend prüfen mussten. – Das war Ihre Antwort, Frau Ministerin. Was dabei herausgekommen ist, wissen wir jetzt.
Von einer förmlichen Anhörung nach § 28 Hessisches Verwaltungsverfahrensgesetz konnte abgesehen werden, weil sie vorliegend nicht geboten erscheint.
Das heißt, Sie haben diese Frage geprüft und im Ausschuss noch gesagt, es sei überhaupt nicht notwendig, eine solche Anhörung durchzuführen. Auch deshalb ist das Urteil des VGH eine Klatsche für Sie.
Frau Ministerin, ich habe in dieser Ausschusssitzung nachgefragt, wie Sie das Klagerisiko einschätzen, ob es Gespräche mit RWE gegeben hat usw. Damals haben Sie erklärt:
Die Vertreter von RWE haben erklärt …, dass im Moment Rechtsfragen, z. B. Schadenersatzklagen, nicht im Vordergrund stünden.
Das haben Sie damals in der Ausschusssitzung erklärt. Frau Ministerin, wenn man denkt, man könne sich auf die Freunde von RWE verlassen, dass sie schon nicht dagegen klagen werden, dann bestätigt sich wieder einmal der Satz, dass die Freundschaft aufhört, wenn es ums Geld geht. Das gilt auch für die Freundschaft zwischen RWE und Ihnen, Frau Ministerin.
Ich will deshalb noch einmal klarstellen, dass an der ganzen Vorgehensweise, was das Moratorium angeht, von Anfang an ganz erhebliche verfassungsrechtliche Zweifel bestanden haben. Ich will nur an den ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgericht Papier erinnern, der damals gesagt hat: Das ist ein verfassungswidriger Eingriff in Grundrechte; man kann geltende Gesetze nicht aufgrund eines Moratoriums aussetzen. – Damals haben mehrere Verfassungsrechtler der Bundesregierung gesagt: Man kann ein Moratorium erlassen, aber dann muss man den Bundestag einbeziehen und eine gesetzliche Grundlage schaffen. – Aber so stümperhaft, wie die Bundesregierung dieses Moratorium gemacht und Sie es umgesetzt haben, war doch klar, dass das eine Einladung an die Konzerne war, dagegen zu klagen und sich Schadenersatz vom Land zu erstreiten.
Ich habe mir die Presse aus dieser Zeit noch einmal angesehen und will aus der „Frankfurter Rundschau“ zitieren, dass das nordrhein-westfälische Umweltministerium damals erklärt hat, dass Forderungen auf Schadenersatz keine
Eine andere Position vertritt der Berliner Anwalt Siegfried de Witt, der mehrere Landesregierungen in Atomfragen berät. Nach seiner Auffassung muss der Staat eine „angemessene Entschädigung“ leisten, wenn er die Nutzung von Eigentum zeitlich begrenzt. Auch Kraftwerke seien durch das Eigentumsgrundrecht in der Verfassung geschützt.
Ich zitiere das deshalb, weil Herr de Witt der Anwalt ist, der Sie, Frau Ministerin, vor dem VGH verteidigt hat.
Wie kann es denn bitte sein, dass Sie ein Anwalt vor dem VGH verteidigt, der, wenn es um die Frage einer Entschädigung geht, im März 2011 in der „Frankfurter Rundschau“ öffentlich mit der Aussage zitiert wird, dass er das Moratorium für verfassungsrechtlich bedenklich halte und dass Schadenersatzleistungen und Entschädigungen angemessen seien? Frau Ministerin, das hätte ich gerne einmal erklärt.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist ja unglaublich! – Hermann Schaus (DIE LINKE): Die nächste Fehlleistung!)
Ich will Ihnen auch nicht vorenthalten, dass Siegfried de Witt die gesamte 13. Novelle zum Atomgesetz, also den Ausstieg aus der Atomkraft im Jahre 2011, für verfassungswidrig hält. Auch das kann man auf seiner Homepage recherchieren. Dazu hat er Vorträge gehalten, Frau Ministerin.
Damit bin ich beim nächsten Punkt. Das dicke Ende kann ja noch kommen, denn der VGH hat nur die Klage von RWE gegen die Stilllegung von Biblis behandelt. Vor dem Bundesverfassungsgericht klagen nämlich E.ON, Vattenfall und RWE gegen den gesamten Atomausstieg. Auch hier haben wir das Problem, dass es ganz enorme juristische Mängel gibt und sich Rechtsfragen stellen. Wir haben damals dem Konsens nicht zugestimmt, weil wir gesagt haben, der Atomausstieg kommt erstens zu spät, zweitens aber ist er vor allem nicht rechtssicher, er ist eine Einladung an die Konzerne, zu klagen. IPPNW, die atomkritische Ärzteorganisation, hat damals erklärt:
Da fehlender Sachverstand … nicht zu unterstellen ist, stellt sich die Frage, ob dieser Gesetzentwurf den vorsätzlichen Versuch darstellt, den Steuerzahlern ein erhebliches Kostenrisiko aufzubürden, und ob diesbezüglich heimliche Absprachen mit den Betreibern bestehen.
Frau Ministerin, angesichts der handwerklichen Fehler, die gemacht wurden, und angesichts der juristischen Fahrlässigkeiten, sowohl auf der Bundes- als auch auf der Landesebene, stelle ich ganz bewusst die Frage: Frau Ministerin, ist das Unfähigkeit, oder ist das Absicht?
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Holger Bellino (CDU): Ach du lieber Gott!)
Es drängt sich wirklich der Eindruck auf, dass das eine Art Ablasshandel war nach dem Motto: „Wir legen euch die Atomkraftwerke still, und im Nachhinein könnt ihr Schadenersatz einklagen, weil wir so viele juristische Fehler eingebaut haben“.
Das ist vollkommen unverantwortlich. Wie kann man denn so stümperhaft vorgehen und dem Land eine so enorme Summe als Risiko aufbürden, Frau Ministerin?
Herr Bellino, getroffene Hunde bellen. Schön, dass wir heute Nachmittag über den Länderfinanzausgleich und über die nächste Klage reden, die Sie anstreben, obwohl Sie gerade so viel Geld in den Sand gesetzt haben.
Frau Ministerin, deswegen ist es klar: Sie tragen die Verantwortung für dieses Desaster, und Sie müssen sie im Zweifelsfall auch übernehmen. – Vielen Dank.
(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sagen Sie doch etwas zu dem Anwalt, der beauftragt wurde! – Gegenruf des Abg. Holger Bellino (CDU): Der Abgeordnete kann das selbst entscheiden!)
Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Aus dem Protokoll der Ausschusssitzung am 18. März 2011 hat Frau Wissler eben zitiert. Aber, Frau Wissler, ich glaube, dass Sie die falsche Stelle zitiert haben. Das, was Sie zitiert haben, war keine Aussage der Ministerin, sondern das steht in der Verfügung an RWE. Die beiden Verfügungen hat die Frau Ministerin ganz am Anfang der Sitzung vorgelesen.
Nachdem Sie sich jetzt zu dieser Verfügung ausgelassen haben, muss ich Sie fragen, warum Sie das nicht auch damals gemacht haben.
(Janine Wissler (DIE LINKE): Habe ich doch! – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Hat sie doch! – Weitere Zurufe von der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)
(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gehen Sie doch gleich nach Hause, wenn Sie es nicht können! – Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)
Wir haben in der damaligen Sitzung angesichts der Situation mit sehr viel mehr Ruhe und Gelassenheit und vor allem mit sehr viel mehr Ernst über das Thema diskutiert. Eine Woche nach Fukushima war in der Ausschusssitzung der Ernst der Situation zu spüren. Es handelte sich um eine Sondersitzung des Ausschusses, die wir, CDU und FDP, beantragt hatten, weil wir von vornherein gemeinsam über all das beraten wollten, was es zu diesem Zeitpunkt zu entscheiden gab. Dass die Entscheidungen dann von der Regierung zu treffen sind, ist klar.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich empfehle Ihnen wirklich, in dem Protokoll dieser Sitzung nachzulesen. Frau Wissler, ich rechne es Ihnen hoch an, dass Sie heute daraus zitiert haben.