All diese Punkte zeigen – es gibt, wie gesagt, noch weitere –: So geht es nicht. Es tut mir leid, sagen zu müssen: Das ist ein insgesamt enttäuschender, unausgegorener Entwurf, auch mit Schritten nach vorne, aber zum Teil auch nicht akzeptabel oder zukunftstauglich, jedenfalls nicht, wenn man ihn an den Anforderungen der auch bei uns geltenden UN-Behindertenrechtskonvention misst.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Worum geht es, wenn wir über Inklusion reden? – Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Frage: In welcher Gesellschaft wollen wir leben?
Wollen wir in einer Gesellschaft leben, in der alle von Anfang an dazugehören, in der alle gemeinsam auf die allgemeine Schule gehen können? Oder wollen wir weiter in einer Gesellschaft leben, in der Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen in der allgemeinen Schule so gut wie nicht vorkommen? – Wir wollen in einer Gesellschaft leben, in der alle dazugehören, in der alle Chancen haben und in der niemand ausgegrenzt wird, und das von Kindesbeinen an.
Deshalb geht es beim Thema Inklusion auch um die Frage: „Gibt es da eine UN-Behindertenrechtskonvention?“, auch um rechtliche Fragen. Aber es geht vor allem um zutiefst menschliche Fragen, um die Fragen des Miteinanders, der Organisation des Kitts in unserer Gesellschaft. Darum geht es vor allem, und das sollten wir in so einer Debatte voranstellen, vor alle rechtlichen Fragen.
Wir haben im Hessischen Landtag schon einmal über dieses Thema debattiert. Es gab einen Vorschlag von Schwarz-Gelb, wie man die Inklusion umsetzen könnte. Dieser Vorschlag ist jetzt leider Gesetz geworden. Es gab ein komplettes Schulgesetz der Kolleginnen und Kollegen der SPD mit guten Vorschlägen, wie die Inklusion geregelt werden könnte, und es gab einen Gesetzesvorschlag von uns GRÜNEN, wie es umgesetzt werden kann.
Nachdem das Gesetz von Schwarz-Gelb in Kraft ist, darf man einmal fragen: Was hat es der Inklusion eigentlich gebracht? Realisieren Sie damit wirklich diese Gesellschaft, wie ich sie eben beschrieben habe? – Darauf muss man leider ganz klar mit Nein antworten. Was Sie mit dem neuen Schulgesetz auf den Weg gebracht haben, ist ein Inklusionsverhinderungsgesetz, kein Inklusionsförderungsgesetz.
Dazu möchte ich drei konkrete Beispiele anführen. Vor Ihrem Gesetz war es üblich, die Klassengröße zu reduzieren, wenn Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen unterrichtet werden. Das haben Sie gestrichen. Vor Ihrem Gesetz war es üblich, dass es eine Doppelbesetzung in den Klassen gibt. Das haben Sie gestrichen. Vor Ihrem Gesetz war es üblich, dass die Förderschullehrerinnen und -lehrer Teil des Kollegiums der allgemeinbildenden Schule sind. Das haben Sie gestrichen. Sie haben den Begriff Inklusion genommen und das genaue Gegenteil umgesetzt, meine Damen und Herren von Schwarz-Gelb.
Deshalb ist es richtig, dass die SPD heute einen weiteren Anlauf nimmt, um beim Thema Inklusion Verbesserungen
zu erreichen. Wir müssen in Hessen endlich auch gesetzlich ein ganz einfaches Prinzip verankern, und dieses Prinzip heißt, dass Inklusion an unseren Schulen von der Ausnahme zur Regel werden muss – so einfach ist es, meine Damen und Herren.
Wenn wir dieses Prinzip realisieren wollen, muss ein zweiter Satz gelten. Dieser lautet: Die notwendige Förderausstattung muss dem Kind an die allgemeine Schule folgen, und nicht mehr das Kind der Förderung an die Förderschule. – Diesen einfachen Grundsatz brauchen wir auch in Hessen.
Was wir nicht brauchen, ist der Ressourcenvorbehalt von Schwarz-Gelb. Was bedeutet dieser Ressourcenvorbehalt? Machen wir es einmal ganz plastisch: Schwarz-Gelb legt fest, dass es zu Beginn eines Schuljahres exakt 40 zusätzliche Lehrerstellen für die Förderung von behinderten Schülerinnen und Schülern gibt. Es sind exakt 40, egal, wie der Bedarf aussieht oder was die Eltern wollen – Sie sagen, mehr als 40 Lehrerstellen gibt es nicht. Das widerspricht dem Grundsatz einer gelingenden Inklusion. Dann müssen nämlich die Förderlehrer den Schülerinnen und Schülern folgen.
Natürlich geht das nicht von heute auf morgen. Natürlich müssen wir bauliche Voraussetzungen Schritt für Schritt schaffen. Natürlich kann es auch einmal sein, dass Lehrerstellen nicht so schnell von der Förderschule an die allgemeinbildende Schule gehen können. Aber wenn man von vornherein sagt, es dürfen gar nicht mehr als 40 wechseln, dann ist das Inklusionsverhinderung, was Sie hier betreiben, meine Damen und Herren.
Bevor wieder ein Popanz aufgebaut wird: Wir stehen – so habe ich auch die Kolleginnen und Kollegen der SPD verstanden – für die Wahlfreiheit der Eltern, was den Förderort ihres Kindes angeht. Wenn Eltern die Förderschule wollen, wird es dieses Angebot natürlich auch geben. Aber die vielen Eltern, die sich die Förderung an der allgemeinbildenden Schule wünschen, müssen endlich ein Angebot bekommen. Ein Angebot setzt allerdings voraus, dass man sich darum kümmert, ein entsprechendes Angebot zu schaffen – und genau das tut Schwarz-Gelb nicht, meine Damen und Herren.
Jetzt sagt Herr Schork, es gebe eine neue Statistik aus dem Kultusministerium, und alles sei ganz prima geworden. Herr Schork, was Sie nicht gesagt haben, ist, dass sich die Zahl der Anträge auf sonderpädagogische Förderung gegenüber dem Schuljahr davor halbiert hat. Das aber ist ein ganz wichtiger Hinweis, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit das, was Frau Kollegin Habermann gesagt hat, exakt zutrifft: Viele Kinder sind vor dem Förderantrag direkt an die Förderschule gegangen.
Frau Kollegin Ravensburg sagt auch noch, das sei gut so. Nein, Frau Kollegin Ravensburg: Gut wäre es, wenn sich Eltern endlich frei entscheiden könnten, ob ihr Kind die allgemeinbildende Schule oder die Förderschule besucht.
Wir finden sehr viele Gemeinsamkeiten mit unseren Vorstellungen in dem Gesetzentwurf der SPD. Herr Kollege Pentz, wir sind ganz entspannt, was den Elternwillen angeht. Wer aber den Eltern ein Angebot vorenthält, der sollte nicht über den Elternwillen reden.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Judith Lannert (CDU): Das ist überhaupt nicht wahr, was Sie sagen!)
Wir reden jetzt einmal über die Leute, die etwas zu diesem Thema beizutragen haben. Sehr interessant am Vorschlag der SPD ist das gemeinsame Förderbudget. Das würde uns in der Tat weiterbringen und Eltern den Gang von einer Behörde zur nächsten ersparen. Worüber wir in der Anhörung sicher noch einmal diskutieren müssen, ist die Frage, ob wir wirklich in das Gesetz hineinschreiben, dass die Förderschule für Lernhilfe ab einem gewissen Datum ausläuft.
Ob wir das wirklich machen sollten, muss diskutiert werden. Es ist ja nicht unser Entwurf, sondern der Entwurf der SPD. Es gibt viele Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede. Die wesentliche Gemeinsamkeit ist, dass wir Inklusion wollen und Sie es verhindern wollen. Das sind ganz klare Unterschiede in diesem Haus.
Darüber werden wir noch einmal reden müssen. Aber es ist ein guter Aufschlag mit vielen Gemeinsamkeiten und Verbesserungsmöglichkeiten im Detail. Und wie immer ist alles besser als Schwarz-Gelb.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich den Gesetzentwurf der SDP zum Thema Inklusion gesehen habe,
habe ich mich doch ernsthaft gefragt, warum die SPD jetzt ein solches Änderungsgesetz zum Hessischen Schulgesetz einbringt. Ich habe daraufhin den Gesetzentwurf studiert und nahm an, da käme etwas bahnbrechend Neues. Aber nach der Lektüre des Gesetzentwurfs habe ich mich noch mehr gefragt, warum die SPD ihn jetzt einbringt. Sind es möglicherweise die wirklich sehr guten Zahlen, die Kultusministerin Nicola Beer in der letzten Sitzung des Kulturpolitischen Ausschusses des Landtags vorgestellt hat, welche die SPD so geärgert haben und die sie gar nicht glauben
kann – das zieht sich ja bei vielen Zahlen der Landesregierung wie ein roter Faden durch diese Woche –, dass man sie einfach schlechtreden will und einen wirklich unausgegorenen und schlechten Gesetzentwurf einbringt? Ist es das, meine Damen und Herren? Ich hoffe, das ist es nicht. Aber wenn ich den Entwurf so lese, erweckt er doch sehr stark diesen Eindruck.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Das Gesetz hat auch einen tiefschweifenden Namen, nämlich GENESIS. Das steht ja auch für Anfang, wenn man sich einmal damit beschäftigt. Es müsste also eigentlich ein Anfang, ein Neubeginn für die Inklusion in Hessen sein, wenn man das so sehen möchte. Aber ich muss Ihnen sagen: Was ich in diesem Gesetzentwurf finde, ist kein Anfang, sondern ein deutlicher Rückschritt hinter das, was wir schon vor der Schulgesetzänderung hatten.
Was wollen Sie denn? Sie wollen, dass Schülerinnen und Schüler wieder etikettiert und eingeordnet werden und sich die Förderung in Hessen daran orientiert. Das ist für eine Partei, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, keinen Einzelnen beschämen zu wollen, ein starkes Stück. Es geht weit hinter das zurück, was wir in Hessen erreicht haben.
Die Rede des Kollegen Wagner bot ein Beispiel an Solidarität mit dem möglichen Koalitionspartner, indem Sie das Elternwahlrecht gelobt haben – das Elternwahlrecht, das wir in Hessen mit dem Hessischen Schulgesetz von 2011 ermöglicht haben,