Protokoll der Sitzung vom 20.03.2013

Seite 70 des Berufsausbildungsberichts des Wirtschaftsministers: Wir haben 43.000 Ausbildungsplatzangebote und 47.000 Ausbildungsplatzsuchende. Ergo besteht ein Defizit von 4.000 Ausbildungsplatzangeboten: 4.000 Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz finden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, ich frage Sie: Was ist Ihre Antwort darauf?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der CDU)

Ich kann Ihnen den Bericht nur empfehlen. Allerdings erschweren zu viele Zahlen manchmal die muntere Debatte. Ich habe jedenfalls zwei seriöse Zahlen zitiert, die von Ihrer Landesregierung vorgelegt worden sind.

Ein weiterer Punkt: Wie viele Menschen nehmen jedes Jahr zum ersten Mal an Fördermaßnahmen teil? Von den Schulentlassenen im Schuljahr 2011/2012 kamen 2.500 Jugendliche, die keinen Abschluss haben, neu in die Fördermaßnahmen. Herr Dr. Bartelt, liebe Kollegen von der CDU und der FDP, was machen Sie, um dieses Problem zu bekämpfen? Es gibt einen Vorschlag, über den Sie sich lustig machen. Aber wo sind denn Ihre Antworten auf dieses Problem?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wer etwas für die soziale Gerechtigkeit machen möchte und will, dass Jugendliche überhaupt die Möglichkeit haben, an dieser Gesellschaft teilzuhaben und einen Zugang zu finden, und wer verhindern will, dass wir Zustände wie in den französischen Vororten bekommen, wo die Jugendlichen aus Verzweiflung Autos in Brand stecken, muss sich etwas einfallen lassen.

(René Rock (FDP): Wer regiert da? Die Linke!)

Da gibt es drei Felder. Ich sage Ihnen, um was es sich bei diesen drei Feldern handelt. Erstens. Sie haben einen Ausbildungspakt: Ausbildung im ersten Ausbildungsmarkt.

(René Rock (FDP): Jetzt kommt der Arbeitsmarkt!)

Es ist doch unbestritten, dass zunächst die Wirtschaft gefordert ist, Ausbildungsplätze in ausreichender Zahl zur Verfügung zu stellen. Wenn man aber feststellt, dass es eine Lücke gibt, muss man sich seitens des Staates die Frage stellen, was man macht, um sich um diese Jugendlichen zu kümmern. Das tun Sie nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Die erste Säule ist also der erste Ausbildungsmarkt.

Zweite Säule. Den Jugendlichen, denen es offensichtlich nicht gelingt, die Schule mit so einer Qualifikation zu verlassen, dass sie einen Ausbildungsplatz finden,

(Zuruf des Abg. René Rock (FDP))

Herr Rock, denen muss im allgemeinbildenden Schulsystem deutlich besser geholfen werden. Sie müssen individuell gefördert werden. Sie müssen frühzeitig ab der 7. Klasse die Möglichkeit einer Lebensweltorientierung, einer Ausbildungsorientierung bekommen. Wir wollen, dass ab der 7. Klasse eine Kompetenzfeststellung stattfindet. Wir wollen, dass die Jugendlichen darauf vorbereitet werden, dass sie spätestens ab der 9. Klasse eine Ausbildung antreten können. Dazu haben wir konkrete Vorschläge gemacht. Wir brauchen im allgemeinbildenden Schulsystem deutlich bessere individuelle Förderung, sodass weniger Jugendliche ausbildungsunfähig herauskommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist eine ganz wichtige zweite Säule.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Bartelt, ich weiß, manche neuen Vorschläge sind für jemanden, der immer dasselbe macht und bestimmte Probleme nicht zur Kenntnis nehmen will, vielleicht nicht ganz leicht verständlich. Aber schauen Sie, wir haben eine unglaublich hohe Ausbildungsabbrecherquote. Ich selbst war beruflich in einem Träger der Berufsbildung aktiv. Es gibt bildungsschwache Jugendliche, die eine Ausbildung antreten, sie abbrechen, und immer wieder aus denselben Gründen. Da ist es doch nur mehr als logisch, dass wir da nicht wegschauen, sondern dass wir eine begleitende Ausbildung anbieten, dass wir sagen: Jugendliche, wir begleiten euch bei euren Problemen in der Ausbildung, ob das ausbildungsbegleitende Hilfen sind, ob das Lebensalltagshilfen sind und vieles mehr.

Wir haben eine hohe Abbrecherquote bei der Ausbildung. Wir können doch nicht sagen: Wir haben 2.000 Jugendliche, denen es nie gelingt, eine Ausbildung abzuschließen. – Wenn es dann von uns im September 2012 ein Angebot gibt oder jetzt von den Sozialdemokraten, die das triale Ausbildung nennen, also ausbildungsbegleitende Hilfe, damit Jugendliche ihre Ausbildung durchstehen, dann ist das doch ein sinnvoller Vorschlag, und dann können Sie sich doch nicht darüber lustig machen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie der Abg. Marjana Schott (DIE LIN- KE))

Das Dreisäulenmodell ist simpel. Erster Ausbildungsmarkt: deutlich mehr Ausbildungsplätze und dadurch auch Druck auf die Unternehmen. Ich habe die Zahlen damals zitiert. Sie haben sich nicht verändert. Die 30 DAX-Unternehmen haben eine Ausbildungsquote von 1 bis 2 %. Der Durchschnitt beträgt 7 %. Bei den 30 deutschen DAX-Unternehmen: 1 bis 2 %. Da muss man es politisch auch einmal zur Chefsache machen und mit denen deutlich reden. Das sind schlicht zu wenige Ausbildungsplätze im ersten Ausbildungsmarkt.

Zweite Säule: Das allgemeinbildende Schulsystem muss sich deutlich stärker um die Jugendlichen kümmern. Schließlich brauchen sie auch geförderte und begleitete Ausbildungsplätze, auch in Produktionsschulen. Wir haben das in unserem Konzept beschrieben. Nur durch diese drei Säulen, durch das Zusammenwirken dieser drei Maßnah

men, wird es uns gelingen, 25.000 Jugendliche aus Warteschleifen zu holen, wird es uns gelingen, dass tatsächlich jeder Jugendliche eine Ausbildung abschließen kann und einen Schulabschluss erhält. Nur wenn man es will, kann man es auch verändern. Sie wollen es gar nicht. Das ist der sozialpolitische Skandal an dieser Situation.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Aus Sicht von uns GRÜNEN wiederhole, betone und unterstreiche ich: Ich hätte hier von Ihnen von der CDU ein Problembewusstsein erwartet, dass Sie sagen: Ja, wir haben viele Jugendliche, die keinen Abschluss haben. Ja, wir haben viele Jugendliche, die keine Ausbildung haben. Ja, wir haben zu viele Jugendliche in den Warteschleifen. – Dieses Problembewusstsein hätte ich von Ihnen erwartet. Am liebsten hätten wir von Ihnen auch gehört, dass Sie dafür Lösungen haben. Aber wer verbraucht und erschöpft ist, hat keine Antworten mehr.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Danke, Herr Bocklet. – Als Nächster wird Herr Lenders für die FDP-Fraktion zu uns sprechen.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Bartelt hat eben in der Tat eine hervorragende Rede gehalten und das Problem wirklich auf den Punkt gebracht.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Janine Wissler (DIE LINKE): Es gibt doch gar kein Problem!)

Die SPD hat es wieder einmal geschafft, Zerrbilder an die Wand zu schmeißen, ein Problem zu zeichnen, das in diesem Umfang überhaupt nicht existiert, und hat dann auch noch an der Sache vorbeigeredet.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU – Dr. Thomas Spies (SPD): Ungeheuerlich! Wir reden über 25.000 Menschen! – Gegenruf des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP): Wenn Sie dran sind: 50.000 Menschen!)

Hören Sie doch erst einmal zu. – Wenn Sie wissen wollen, was unsere Antwort darauf ist, dass es immer noch viele junge Menschen gibt, die ohne Berufsabschluss oder in Weiterqualifikationsmaßnahmen sind, dann schauen Sie sich doch einmal die Bilanz an. Jugendarbeitslosigkeit in Hessen: 5,8 %. In der EU liegt sie bei 23 %; in Spanien ist jeder zweite Jugendliche arbeitslos. Das ist wirklich eine verlorene Generation. Ich bin froh, dass diese Hessische Landesregierung nach Spanien gereist ist und Jugendlichen aus Spanien in Hessen eine Perspektive bietet.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Minister Flori- an Rentsch: Solidarität!)

Das ist Solidarität, ganz genau.

(Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Unter Rot-Grün war Deutschland noch der kranke Mann in Europa. Es hieß, wir würden die rote Laterne in Europa hinter uns hertragen. Meine Damen und Herren, das hat

sich grundlegend geändert. Dadurch haben Jugendliche eine Riesenchance auf dem deutschen Arbeitsmarkt.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Eines ist mir in beiden Redebeiträgen aufgefallen: wie Sie heute über Übergangssysteme und Fördermaßnahmen nachdenken. In den Siebziger- und Achtzigerjahren hatten wir mit dem Problem zu tun, dass wir nicht genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen konnten. Damals waren die Übergangssysteme für viele Jugendliche tatsächlich quasi eine Schleife. Das ist heute doch mitnichten mehr der Fall. Sie haben doch klar gekennzeichnet, dass es Jugendliche gibt, die wir weiterqualifizieren müssen. Genau dazu sind doch die Übergangssysteme da. Was zeichnen Sie eigentlich für ein Bild von höheren Handelsschulen?

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Genau das ist doch die Weiterqualifizierung, die Sie eingefordert haben. Jugendlichen, die in Fördermaßnahmen stecken, zu sagen, sie seien Bildungsverlierer, wie Sie das in Ihrem Antrag machen, oder Jugendlichen, Schülern, die auf einer Hauptschule sind, zu sagen, sie seien Bildungsverlierer: Welches Bild zeichnen Sie eigentlich von diesen Menschen? Wir brauchen jeden, wir wollen jeden, ob er auf der Hauptschule war, ob er auf der Realschule war oder auf dem Gymnasium. Für uns ist jeder Mensch gleich wichtig. Bei uns gibt es keine Verlierer.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Besonders bemerkenswert finde ich, was Sie in Punkt 2 Ihres Antrags schreiben:

Erforderlich ist die optimale Förderung statt Selektion …

Meine Damen und Herren, ich weiß wirklich nicht, welches Bild Sie mit dem Begriff Selektion zeichnen wollen. Aber das hat mit dem, wie wir Weiterqualifizierung in Hessen machen, überhaupt nichts zu tun.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Ich gehe nun auf die Forderungen ein, die Sie hier aufgestellt haben: eine Ausbildungsgarantie, eine Beschäftigungsgarantie. Mich hat gewundert, dass die Ausbildungsplatzabgabe, die sonst immer an dieser Stelle gefordert wird, hier nicht vorkommt. Vielleicht haben Sie etwas dazugelernt. Allein, mir fehlt der Glaube.

Aber ich will Ihnen eines zu Ausbildungsgarantie, Beschäftigungsgarantie, wie es übersetzt heißen muss, sagen: Eine Ausbildungsplatzabgabe würde dazu führen, dass die Unternehmen, die im dualen Ausbildungssystem tätig sind, sich aus dieser gern übernommenen Verantwortung zurückziehen würden. Sie würden das an ihre schulischen Träger übergeben. Meine Damen und Herren, das, was Sie fordern, würde dazu führen, dass das duale Ausbildungssystem, das ein Erfolgsmodell in Hessen ist, zunichtegemacht werden würde.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Ihre Politik vernichtet Ausbildungsplätze bei den mittelständischen Unternehmen.

Das, was Sie ansonsten noch fordern, ist auch alles besonders schön. Sie sagen, das sei ein Flickenteppich. Herr Schäfer-Gümbel, das haben Sie eben in Ihrer Rede gesagt.