Protokoll der Sitzung vom 21.03.2013

(Zuruf des Abg. Gernot Grumbach (SPD))

Vodafone, Schlecker, Neckermann, manroland, HP, Nokia, Opel – kein Unternehmen, das in den letzten Jahren in Schwierigkeiten geraten ist und Arbeitsplätze abbauen musste, blieb unkommentiert durch die Sprecher der SPD. Was war bei der „Frankfurter Rundschau“? Wo ist Herr Decker bei dieser Debatte? Fehlanzeige. Das ist unseriös, und das ist eine erbärmliche Heuchelei.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP)

Wenn man sich dann anschaut: In der letzten Woche – es sind nur ein paar Tage herum mit der „Frankfurter Rundschau“ – ist Herr Decker unterwegs zu Hewlett-Packard. Er schreibt in seiner Presseerklärung:

Die Pläne der Konzernleitung, den Standort Rüsselsheim … zu schließen, halten wir für völlig inakzeptabel.

Das schreibt die SPD, wenn es um andere Unternehmen geht, nicht wenn es um das eigene Unternehmen geht.

Diese Pläne würden mit einem Schlag 1.100 Arbeitsplätze vernichten.

Die SPD „stehe solidarisch an der Seite der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“, sie wolle „diesen Kahlschlag“ nicht „tatenlos“ hinnehmen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wo waren Sie bei der „Frankfurter Rundschau“, als es um Ihr eigenes Unternehmen ging?

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP – Man- fred Pentz (CDU): Da drüben sitzt die soziale Kälte!)

Mein Gott, ist das zynisch, wenige Tage nach der „Frankfurter Rundschau“-Entscheidung. Was haben die Mitarbeiter der „Frankfurter Rundschau“ getan, Herr Schäfer-Gümbel, dass sie nicht Ihre Fürsorge und nicht die Fürsorge von Herrn Decker erhalten haben?

(Petra Fuhrmann (SPD): Widerliche Heuchelei!)

Offensichtlich ist nicht einmal eine Staatsbürgschaft ins Spiel gebracht worden von Ihnen. Das ist so scheinheilig, so pharisäerhaft, so heuchlerisch, da gefriert einem das Blut vor sozialer Kälte.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Lachen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist nicht so, dass die ddvg am Hungertuch nagt. Die Geschäftsberichte weisen Betriebsergebnisse von 20 Millionen € in den letzten drei Jahren aus. Das Geld steht aber nicht zur Verfügung, um Arbeitsplätze zu retten. Nein, in bester Heuschreckenmanier wird natürlich eine saftige Dividende ausgezahlt. Und an wen? An den Eigentümer, an die SPD Deutschland.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zurufe von der CDU und der FDP: Hört, hört!)

Fast 100 Millionen € sind von der ddvg in den letzten elf Jahren an die SPD geflossen.

Herr Beuth, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ich komme zum Schluss. – Herr Schäfer-Gümbel, Sie sind eines der Vorstandsmitglieder.

(Petra Fuhrmann (SPD): Sie wissen es besser!)

Es ist Ihre Verantwortung, es ist Ihre Glaubwürdigkeit, und am Ende ist es Ihr soziales Gewissen. Wir bedauern, dass Ihnen Plakate, Kugelschreiber, Feuerzeuge, Aufkleber mit Ihrem Konterfei wichtiger sind als 400 Mitarbeiter der „Frankfurter Rundschau“.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP)

Herr Beuth, ich hatte angekündigt, dass Sie am Ende der Rede sein müssten. Bitte.

Letzter Satz. – Jedem SPD-Plakat im kommenden Wahlkampf wird der Makel anhaften, dass es ein Sargnagel für die Mitarbeiter der „Frankfurter Rundschau“ war.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP – Zuru- fe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Danke, Herr Beuth. – Als Nächster spricht Herr Dr. Wilken für die Fraktion DIE LINKE.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), zur CDU gewandt: Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört! – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe gerade gelernt, dass „scheinheilig“ und „pharisäerhaft“ offensichtlich parlamentarische Ausdrücke sind. Deswegen frage ich Sie ganz scheinheilig und pharisäerhaft: Herr Beuth, wo waren Sie bei den Protestaktionen der Belegschaft? Ich war immer dabei, Sie habe ich da nie gesehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, als Anteilseignerin der „Rundschau“ hat die SPD vollständig versagt, und sie steht in der unternehmerischen Verantwortung, seit sie Anfang 2004 mit der parteieigenen Presseholding ddvg 90 Anteilsprozente übernahm. Als Arbeitgeberin hat sie auch auf den letzten Metern den Beschäftigten die Unterstützung versagt. Die Kolleginnen und Kollegen haben wesentlich dazu beigetragen, den Erhalt der „FR“ zu sichern. Auf den letzten Metern sind ihnen jetzt die zusätzlichen Mittel für Abfindungen und eine bessere Ausstattung der Transfergesellschaft verweigert worden. Das ist nicht in Ordnung, liebe SPD.

(Beifall bei der LINKEN – Thorsten Schäfer-Güm- bel (SPD): Das stimmt doch überhaupt nicht!)

Politisch hat die SPD dafür gesorgt, dass die Beschäftigten nach der Transfergesellschaft in nur zwölf Monaten in Hartz IV abrutschen werden. Ich kann das nur als einen

weiteren Verrat an der Arbeiterbewegung bezeichnen, auf die sich die SPD nach wie vor heuchlerisch beruft.

(Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Offensichtlich gibt es da einen Schulterschluss mit Herrn Beuth.

(Widerspruch bei der CDU)

Doch, meine Damen und Herren. – Das Problem der „FR“ lag woanders. Mit personellen Kahlschlägen allein lässt sich ein Zeitungsverlag nicht retten, und ohne eine eigenständige Redaktion lässt sich keine profilierte Tageszeitung halten.

Klar gab es Umsatzverluste im Anzeigengeschäft. Aber der Zusammenhang ist doch so: Erst wird die Zeitung schlechter, dann verliere ich Verkaufszahlen, und dann verliere ich Anzeigen.

(Zuruf von der SPD: Oje! – Thorsten Schäfer-Güm- bel (SPD): So ein Dünnpfiff!)

Seit Jahren gab es in der „FR“ eine Sparrunde nach der anderen. Im Jahr 2000 waren es noch 1.650 Mitarbeiter. Nach der Rettung durch die SPD-Holding im Jahr 2004 waren es noch 1.100.

(Petra Fuhrmann (SPD): Ansonsten wäre sie schon zu dem Zeitpunkt pleite gewesen!)

2006 stieg Dumont ein. Da blieben noch 730 Mitarbeiter. Von der Insolvenz waren jetzt 487 betroffen. – Meine Damen und Herren, mit personellen Kahlschlägen allein lässt sich ein Zeitungsverlag eben nicht retten, und ohne eine eigenständige Redaktion lässt sich keine profilierte Tageszeitung halten.

(Beifall bei der LINKEN)

Die „FR“ hatte ihre eigene Stimme doch schon weitgehend verloren. Der Auslandteil hatte die engagierte und kritische Berichterstattung aus den Krisengebieten und aus den sich entwickelnden armen Ländern abgeschliffen. Die „FR“ hatte die Foren für zentrale politische Themen beendet, die wöchentliche Seite aus Schule und Hochschule eingestellt. Die Debatten innerhalb der Gewerkschaften kamen immer weniger vor. Die Emanzipationsbewegung der Frauen verlor ein Sprachrohr. Fundierte kritischer Analysen waren immer seltener zu finden. In der Sozialpolitik machte die „FR“ die Agenda-Politik der SPD bis auf rare kritische Einwände mit.

(Lachen des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Zuruf des Abg. Michael Siebel (SPD))

Meine Damen und Herren, man nahm linksliberalen Leserinnen und Lesern ihre publizistische Heimat, so als gäbe es diese Leserschaft nicht mehr.

(Michael Siebel (SPD): Was lesen Sie denn für Zeitungen, Herr Wilken? – Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die „FR“ ist doch nicht das „Neue Deutschland“!)

Ich gehörte jahrzehntelang zu den „FR“-Lesern und kann eigentlich genauso gut wie Sie beurteilen, wie sich die „FR“ verändert hatte, bevor sie jetzt von der „FAZ“ übernommen wurde. Die „FAZ“ bestimmt jetzt, was linksliberal in diesem Land ist.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Die Verlogenheit steigt! Herr Beuth war schon gut, aber Sie sind noch besser!)

Meine Damen, diese publizistischen Verluste sind nicht den Journalisten anzulasten. Viele sind ausgeschieden, aber man hat ihre Kompetenz nicht mehr ersetzt.

(Manfred Pentz (CDU): Das wollt ihr da drüben nicht hören!)