Protokoll der Sitzung vom 24.04.2013

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Wenn wir über Technologietransfer reden, dann möchte ich an dieser Stelle die „House of“-Reihe der Landesregierung und ganz besonders das von Wirtschaftsminister Florian Rentsch vorangetriebene House of Pharma anführen. Das House of Pharma wird eine Plattform werden, die Forschung und Wirtschaft zusammenbringt. Dadurch wird dem notwendigen Technologietransfer eine Austauschplattform gegeben, was z. B. beim House of Logistics and Mobility in Frankfurt gut funktioniert. Das muss es auch für die Pharmaindustrie geben. Wir unterstützen das Wirtschaftsministerium in seiner Arbeit daran ausdrücklich und wollen mittelfristig, dass das House of Pharma nicht nur virtuell existiert, sondern auch als reales Haus und eine Plattform bildet.

Schließlich möchte ich noch ein Thema ansprechen, das zunächst nur etwas für Feinschmecker zu sein scheint, aber im Gespräch mit Hessen Chemie, aber auch mit anderen großen Gewerkschaften als ein Problem der Zukunft aufgezeigt wurde. Es geht um die sogenannten Spartengewerkschaften.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Etwas für Feinschmecker!)

Das sind Gewerkschaften, die nur eine sehr kleine Zahl an Mitgliedern haben, die aber an bestimmten Schlüsselpositionen sitzen und daher großen Einfluss haben. Im Luftverkehr sind zuletzt die Vorfeldlotsen in diesem Zusammenhang zu einer gewissen Berühmtheit gelangt. In der Chemiebranche gibt es Befürchtungen, dass sich z. B. Werksfeuerwehren in einer eigenen Gewerkschaft organisieren. Tritt eine Werksfeuerwehr in den Streik, so müsste der komplette Chemiepark heruntergefahren werden. Das Erpressungspotenzial einer solchen Spartengewerkschaft wäre also extrem hoch.

Meine Damen und Herren, wir Liberale in Hessen treten deshalb für die Tarifeinheit ein. Wir brauchen starke Gewerkschaften,

(Beifall bei der LINKEN)

und die IG BCE ist eine solche starke Gewerkschaft. Das Thema ist nicht ganz einfach. Es ist auch nicht leicht, daran etwas zu verändern. Ob man daher eine Hürde durch eine Quote oder anderweitig setzt, ist in der Diskussion. Wir würden uns jedenfalls wünschen, dass dieses Problem von Politik und Gewerkschaften gleichermaßen angegangen wird; denn es kann nicht sein, dass eine kleine Gruppe von Mitarbeitern einem Unternehmen und der gesamten Beleg

schaft schadet, um einen eigenen Vorteil zu erstreiten, den die Gesamtheit der Belegschaft nicht erreichen kann.

Hessen bietet heute beste Voraussetzungen, die es zu erhalten und zu stärken gilt. Wir sind ein starker Industrie-, Dienstleistungs- und Forschungsstandort. Wir haben eine ausgezeichnete Infrastruktur und hervorragend ausgebildete Fachkräfte. Hessen kann auf eine jahrhundertelange Tradition als Pharmastandort zurückblicken. Dennoch gilt: Schon heute ist Hessen ein in Deutschland herausragender Standort der Gesundheitsindustrie und ist sowohl durch kleine und mittelständische Betriebe als auch durch global tätige Unternehmen in allen wesentlichen Zweigen vertreten. Innovative Gesundheitsprodukte sind die Grundlage für weiteres Wachstum. Sie sichern die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschafts- und Forschungsstandorts Hessen sowie die Zukunft der hessischen Unternehmen und die damit verbundenen Arbeitsplätze.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Die Industrie erlebt zurzeit eine Renaissance. In der Finanz- und Staatsschuldenkrise wurde deutlich, dass derjenige krisenfester ist, der über einen starken Kern des produzierenden Gewerbes verfügt. Die Produktion weltweit gefragter Güter sichert Arbeitsplätze und Einkommen. In der Industrie findet reale Wertschöpfung statt, die die Grundlage für das Wirtschaftswachstum ist. Das gilt gerade auch für Hessen.

So, wie wir darüber nachdenken, welche Rahmenbedingungen in der Industrie insgesamt gebraucht werden, um sich positiv weiterzuentwickeln, gibt es auch branchenspezifische Themen, die ich eben versucht habe schon einmal kurz anzureißen und die in der neuen Initiative Gesundheitsindustrie Hessen der Landesregierung zu besprechen sein werden. Politik und Wirtschaft ziehen an einem Strang, um den langfristigen Erfolg des Standorts zu sichern.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Die Initiative der Landesregierung bringt Unternehmen, Gewerkschaften und Wissenschaftler an einen Tisch und wird die Herausforderungen für einen wettbewerbsfähigen Standort angehen. Deshalb sind wir als FDP-Fraktion ausgesprochen froh darüber, dass es diese Initiative gibt. Sie ist ein Signal an die Wirtschaft und die Beschäftigten, dass diese Landesregierung an ihrer Seite steht und wir gewillt sind, die Rahmenbedingungen für eine positive Entwicklung der Branche zu verbessern. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Schönen Dank, Herr Kollege Lenders. – Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat jetzt Herr Klose das Wort. Bitte schön, Herr Klose.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In der Tat ist Hessen traditionell ein wichtiger Chemie- und Pharmastandort, und innerhalb der breit gefächerten hessischen Industrie sind Chemie- und Pharmaunternehmen als größte industrielle Arbeitgeber von besonderer strategischer Be

deutung. Herr Kollege Lenders hat die Zahlen bereits vorgetragen.

Die Bedeutung der Realwirtschaft hat in den letzten Jahren gerade unter dem Eindruck der Finanzkrise wieder zugenommen. Hinzu kommt, dass Umweltbelastung, Bevölkerungsexplosion, Ressourcenknappheit und Klimawandel Herausforderungen sind, für die in der Mitte der Gesellschaft inzwischen ein Bewusstsein entstanden ist; und die Verantwortung, die unserer bisherigen industriellen Produktionsweise für diese existenziellen Bedrohungen der Menschen zukommt, und damit die Einsicht, dass sie sich radikal verändern muss, sind grundsätzlich überall da. Nicht umsonst gilt die Umwelttechnik als Leitindustrie des 21. Jahrhunderts, und Hessens Chemie- und Pharmaindustrie ist mittendrin.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen die Innovationskraft der chemischen und pharmazeutischen Industrie, um zentrale gesellschaftliche Herausforderungen zu bewältigen. Die Chemie kann z. B. dabei helfen, Gebäude zu dämmen, Solarstrom zu erzeugen, saubere Autos zu bauen und die Materialeffizienz zu steigern. Wir stellen auch mit Befriedigung fest, dass die Ökologie für viele erfolgreiche Chemie- und Pharmaunternehmen längst zu einem zentralen betriebswirtschaftlichen Motiv geworden ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Branche hat auch aus Fehlern der Vergangenheit gelernt und die Sicherheit in den letzten Jahrzehnten zunehmend an die erste Stelle gesetzt. Die Kommunikation mit der Wohnbevölkerung und den Kommunen im Umfeld ihrer Standorte – wir wissen, in Hessen waren das früher durchaus erhebliche Probleme – wurde in den letzten Jahren stetiger, offener und transparenter gestaltet. Ich will hierfür bewusst Infraserv Höchst als positives Beispiel hervorheben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist ein Erfolg der Bürgerinnen und Bürger, die sich die Informationsverweigerungen nicht mehr länger haben gefallen lassen. Es ist aber auch ein Erfolg grüner Politik.

Gleichzeitig will ich nicht verschweigen, dass es natürlich auch weiterhin Konfliktfelder zwischen uns und der Chemie- und Pharmaindustrie gibt, beispielsweise bei den Zulassungsverfahren für neue Chemikalien oder Arzneistoffe, bei der Energiepolitik und der Agrogentechnik. Wir wollen, dass die Ressourceneffizienz der Branche weiter gesteigert wird. Die Chemieindustrie liegt beim Strom- und Erdgasverbrauch mit an der Spitze. Da sind ganz sicher noch Potenziale zu heben. Wir wollen auch eine weitere Steigerung der Chemikaliensicherheit. An diesen Beispielen sehen Sie: Wir sind und bleiben in einem kritischen Dialog, von dem wir aber beide profitieren.

Für uns ist elementar wichtig, Unternehmen besonders in den Fokus zu rücken, die in ihrer Produktion und ihren Produkten Ressourceneffizienz und Leistungsfähigkeit verbinden, Unternehmen, die durch innovative Ideen dazu beitragen, die nötige Transformation hin zu einer schadstoffarmen Wirtschaftsweise zu beschleunigen. Es gibt gerade in der Chemieindustrie zahlreiche positive, erfolgreiche Beispiele, unter anderem dafür, wie wir vom Mineralöl als überwiegender stofflicher Produktgrundlage wegkommen können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weil ich mir schon dachte, dass es nach der Mittagspause erfahrungsgemäß besonders gut ist, ein bisschen anschaulicher zu werden, will ich das für Sie ganz konkret und ganz hessisch erlebbar machen. Deshalb habe ich Ihnen diesen schicken Kugelschreiber mitgebracht. Keine Angst, ich will Ihnen jetzt nicht weismachen, dass der Kugelschreiber an sich eine Ausgeburt von Innovation und Zukunftsfähigkeit ist.

(Stefan Müller (Heidenrod) (FDP): Doch, zu seiner Zeit!)

An diesem Kugelschreiber sind nicht Form oder Funktion interessant, sondern es ist das Material, aus dem er besteht.

(Holger Bellino (CDU): Ich dachte schon, es ist die Farbe!)

Dieser Kugelschreiber besteht nämlich aus Stärke. Sie sagen, das sei jetzt noch nichts Besonderes. – Klar, denn wir GRÜNE haben schon lange Kugelschreiber aus Maisstärke. Aber diese Stärke wurde weder konventionell noch z. B aus Biofasern gewonnen, sondern aus Kohlendioxid.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Frank Blechschmidt (FDP): Und trotzdem schreibt er nicht!)

Das südhessische Unternehmen BRAIN hat Bakterien mithilfe weißer Biotechnologie nicht nur dazu gebracht, Kohlendioxid aus Abgasen herauszufiltern, sondern es noch dazu zu einem nutzbaren Werkstoff zu machen. So könnten wir zusätzlich also auch noch Plastik auf Mineralölbasis ersetzen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese, wie ich finde, geniale Erfindung hilft also gleichzeitig dem Klimaschutz und bei der Einsparung von Ressourcen. Deshalb steht dieser Kugelschreiber wirklich beispielhaft für die Innovationskraft gerade auch der kleinen und mittleren Unternehmen im Sektor Chemie und Pharma, die in Hessen tätig sind und die – wie Sie hier sehen – beim ökologischen Wandel der Wirtschaft ganz zentrale Beiträge leisten können.

Was wir als Land uns an dieser Stelle natürlich fragen müssen, ist: Was können wir dazu beitragen, dass das, was in Zwingenberg im Kleinen gelungen ist – manifestiert in diesem Kugelschreiber –, endlich im großen Maßstab zum Einsatz kommt? Das Know-how ist nämlich da. Wie können wir es so weit fördern, dass es auch im Großen eingesetzt wird?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will deshalb auch ausdrücklich sagen, dass wir die Forderung von CDU und FDP in ihrem Antrag teilen, die Forschung in kleinen und mittleren Unternehmen steuerlich zu fördern. Wir schlagen auch konkret vor, auf Bundesebene eine steuerliche Forschungsförderung für Unternehmen mit bis zu 250 Beschäftigten in diesem Bereich einzuführen. Das vorhandene Innovationspotenzial darf nicht im Keller verstauben, der Zugang zu Projektförderung für kleine und mittlere Unternehmen muss dringend erleichtert werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Darüber hinaus wollen wir auch die Netzwerkbildung im Bereich Chemie/Pharma weiter ausbauen und den Transfer

zwischen unseren Hochschulen und der Wirtschaft erleichtern helfen.

Meine Damen und Herren, Pharmaunternehmen sind natürlich auch für uns ein Teil der hessischen Gesundheitswirtschaft. Diese wird – sowohl durch den medizinischen Fortschritt als auch durch den demografischen Wandel – eine der Schlüsselbranchen des 21. Jahrhunderts sein. In der Bündelung von Wirtschaftsförderungsaktivitäten in dieser wertschöpfungs- und arbeitsintensiven Branche liegt gerade für Hessen – das nämlich neben dem Pharmabereich auch über namhafte Medizintechnikhersteller verfügt, Hochschulen mit bedeutenden medizinischen Fachbereichen hat und eben auch eine Vielzahl von Klinik- und Kurstandorten – eine große Chance.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unseres Erachtens greift Ihre im Februar vorgestellte Initiative Gesundheitsindustrie leider zu kurz. Sie wird leider – das haben Sie ja selbst eingeräumt – erste Ergebnisse frühestens im Herbst zeitigen.

Unterm Strich appelliere ich an Sie, Ihre Perspektive zu weiten. Denken Sie nicht nur – wie in Ihrem Antrag – in Standardfloskeln wie Bürokratieabbau und schlanken Genehmigungsverfahren, sondern bedenken und erkennen Sie die Chancen, die sich der hessischen Chemie- und Pharmaindustrie gerade auch bei der unausweichlichen Transformation unserer Wirtschafts- und Lebensweise hin zu mehr Ressourceneffizienz eröffnen, wie es Herr Dr. Zinke – Gründer und Geschäftsführer von BRAIN – formuliert hat. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Klose. – Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Frankenberger das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident, sehr verehrte Damen und Herren!