Protokoll der Sitzung vom 21.05.2013

(Beifall bei der SPD – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

Kommen wir jetzt zu all dem, wozu Sie und auch der Antrag der Koalition nichts gesagt haben bzw. nichts sagen.

Herr Minister, eines will ich anerkennen: Immerhin haben Sie in der Überschrift Ihrer Rede davon abgesehen, etwas von Hessen als dem „Familienland Nummer eins“ zu fantasieren. Das wird ja bei anderen Gelegenheiten immer wieder gesagt. Normalerweise ist dieses penetrante „Ich bin schon wieder Erster“ eines der Markenzeichen der Marketingstrategie dieser Landesregierung. Stattdessen sagen Sie: „Hessen hat Familiensinn“. Das aber ist auch nur die Ersetzung einer Phrase durch eine andere.

Die Kollegen von der Koalition dagegen haben der Versuchung nicht widerstehen können, denn dort heißt es: „Hessen ist Familienland“ – wenn auch ohne das „Nummer eins“. Ich könnte das nun als einen gewissen Anflug von Defätismus – oder von Realitätsbewusstsein – deuten. Ich kann das auch lassen.

(Zuruf des Abg. Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Allerdings finde ich schon, dass die diesmaligen Aktionswochen – Los Wochos zur Familie – durch einen durchaus ausgeprägten Mangel an Enthusiasmus gekennzeichnet sind, wenn man sich einmal den Terminkalender der Landesregierung anschaut. Ich habe schon mehr Engagement erlebt als in diesem Falle.

Was aber haben Sie alles hier vorgelegt?

Sie haben ein Familienbild, das im Wesentlichen von dem alten Bild der Vater-Mutter-Ehe-zwei-Kinder-Familie gekennzeichnet ist; andere Formen von Familie und Partnerschaft wie Einehe oder Patchwork-Familie, Familie ohne Trauschein finden – Sie haben sie erwähnt, aber im Grunde – in Ihrer Welt nicht statt.

Was schon überhaupt nicht stattfindet, sind gleichgeschlechtliche Partnerschaften, ob mit oder ohne Kinder. Was demzufolge ebenfalls nicht stattfindet, sind deren Probleme und die Frage ihrer vollständigen rechtlichen und materiellen Gleichstellung.

Nicht angesprochen wird die besondere Situation, in der viele Familien mit Migrationshintergrund leben.

Nicht angesprochen werden die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern im Berufsleben und die Frage, was Politik dazu beitragen kann und muss, damit sich Männer und Frauen die Lasten, die mit der Verantwortung für Kinder und/oder für pflegebedürftige Angehörige einhergehen, tatsächlich fair teilen und dennoch beruflich keine Nachteile und Karriereeinbußen in Kauf nehmen müssen.

Sie, Herr Minister, haben zum Thema Arbeitszeitpolitik – außer den Beispielen aus der Landesverwaltung, die ich durchaus anerkennen will – nicht viel zu bieten, und der Koalitionsantrag schweigt sich dazu vollkommen aus.

Insgesamt bleibt die Frage der Situation von Frauen – Einkommensunterschied, Armutsrisiko, vor allem im Alter, geringe Frauenerwerbsquote und vieles andere mehr – ziemlich systematisch ausgeblendet.

Familienarmut sowie Gewalt und sexueller Missbrauch in Familien: Ich komme erneut darauf zurück. Denn das gehört zur Realität der Familien in diesem Lande. Nach wie vor kommt sexueller Missbrauch als massenhaftes Phänomen überwiegend in Familien vor. Das hat etwas mit Familie und ihrem gegenwärtigen Zustand zu tun. Herr Minister, wenn Sie als Familienminister das nicht erkennen, dann haben Sie einen sehr erstaunlichen blinden Fleck in Ihrem Familienbild.

Das kommt also ebenfalls nicht vor, und dementsprechend haben Sie auch für die beiden Themen Familienarmut, Kinder- und Jugendarmut sowie Gewalt gegen Kinder und sexueller Missbrauch keinen einzigen Lösungsansatz entwickelt.

Schon allein aus dieser Liste wird deutlich, welche Defizite sowohl die Regierungserklärung als auch insbesondere der

Antrag der Koalitionsfraktionen haben, wenn es um eine umfassende Bestandsaufnahme der Situation von Familien in Hessen ginge. Freilich geht es Ihnen aber offensichtlich nicht darum.

Wenn es Ihnen darum ginge, dann hätten Sie selbst in dem von Ihnen verantworteten Landessozialbericht mehr als deutliche Hinweise darauf gefunden, wo die Probleme liegen und welche politischen Handlungsanforderungen daraus resultieren.

Jetzt zu dem, wozu Sie bzw. der CDU/FDP-Antrag etwas gesagt haben.

Sie wollen vom Landtag – erster Punkt – begrüßt wissen, ich zitiere:

dass die Landesregierung hessische Familien in allen Bereichen unterstützt und dass Land und Kommunen gemeinsam rund 2,5 Milliarden € in Familienleistungen und Angebote für Familien investieren.

(Günter Rudolph (SPD): Das stimmt ja gar nicht!)

Ich kann das nicht begrüßen, weil es nicht so ist.

(Günter Rudolph (SPD): So ist es!)

Weder ist es so – das sollte aus dem vorher Gesagten deutlich geworden sein –, dass die Landesregierung die hessischen Familien in allen Bereichen unterstützt; noch ist es so, dass Land und Kommunen – man beachte übrigens die Reihenfolge in diesem Antrag – g e m e i n s a m Geld investieren würden; denn von einer strukturierten Zusammenarbeit und einer durchdachten Arbeitsteilung zwischen Land und Kommunen kann auf dem Feld der Familienpolitik nicht wirklich die Rede sein. Deshalb kann eben auch keine Rede davon sein, dass hier g e m e i n s a m – im Sinne eines gemeinsamen, strukturierten und planvollen Handelns – Geld investiert würde.

Was man v i e l l e i c h t sagen kann, ist, dass Land und Kommunen, zusammengenommen, ca. 2,5 Milliarden € für familienpolitische Leistungen aller Art ausgeben. Aber welche Leistungen, welche Angebote haben Sie in diese Berechnung einbezogen? Von wem wurde das berechnet? Wie setzt sich diese Zahl zusammen? Vor allem aber: Wessen Geld ist das? Welchen Anteil hat daran das Land?

Alle Plausibilität spricht dafür, dass dieser Anteil ziemlich gering ist; denn wäre es anders, würden Sie den Landesanteil gesondert nennen und ihn nicht schamhaft in einer zunächst einmal als beeindruckend daherkommenden Gesamtsumme verstecken.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Kordula Schulz- Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Sie würden dann in Ihrem Antrag auch nicht so über die Dörfer gehen müssen, wie Sie das tun. Denn dort, wo Sie es tun und Zahlen nennen, sind diese Zahlen ziemlich mickrig.

Nehmen wir für den Augenblick einmal an, dass in diesem Betrag zumindest ein Großteil der Ausgaben in der Kinderund Jugendhilfe enthalten ist, also die Ausgaben im Bereich des SGB VIII, das Hilfen für Kinder, Jugendliche und Familien umfasst. Die Kosten lagen im Jahr 2011 bei insgesamt 2,6 Milliarden €; für alle Leistungsarten in Hessen waren es netto knapp 2,4 Milliarden €, und zwar sowohl in der Einzel- und Gruppenhilfe als auch im Bereich der Einrichtungen. Der weitaus größte Teil davon wird von

den Kommunen bestritten. Ein sehr großer Batzen, nämlich der gesamte Bereich der Hilfen zur Erziehung mit knapp 500 Millionen € bei kontinuierlich stark steigender Tendenz, lässt sich gerade als Beleg für die Funktionsschwäche vieler Familien und nicht in erster Linie als Ausdruck einer gut funktionierenden und gut ausgestatteten Familienpolitik deuten, sondern dem sind eher Hinweise für die gegenteilige Richtung zu entnehmen. Dies ist natürlich ein Bereich, in dem das Land überhaupt nicht aktiv ist und auch nicht zahlt.

Das ließe sich auch an anderen Teilaspekten zeigen, z. B. an der Jugendsozialarbeit. Ich erinnere an das Versprechen des ehemaligen Ministers Banzer, sich fair und verlässlich an den Kosten der Schulsozialarbeit zu beteiligen. Aber Sie weigern sich nach wie vor, in irgendeiner relevanten Art und Weise hier gemeinsam mit den Kommunen zu investieren. Deshalb ist es unredlich und eine politische Irreführung, in diesem Antrag hier Eindruck mit großen Zahlen schinden zu wollen.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition und lieber Minister, besonders dreist ist, dass wir als Landtag anerkennen sollen, dass mit dem KiföG der Finanzierungsanteil des Landes für die Kinderbetreuung auf 424,5 Millionen € im Jahr erhöht wird.

Die Wahrheit ist – und ich werde nicht müde, das zu sagen; wahrscheinlich werden Sie das am Donnerstag erneut wiederholen, und ich werde wieder das sagen, was ich jetzt sage –, dass die Gesamtkosten der frühkindlichen Bildung, Stand 2011, bei 1,5 Milliarden € pro Jahr lagen, übrigens mit einer Steigerung gegenüber dem Jahr 2006 um über 500 Millionen €. So viel übrigens zu den Steigerungen, die Sie uns hier immer vorrechnen: Natürlich folgen die in gewissem Maße den gestiegenen Kosten.

Die Gesamtkosten lagen also bei 1,5 Milliarden € pro Jahr. Der Anteil originärer Mittel des Landes – folgt man der Rechnung des Hessischen Städtetags, und wir folgen ihr – liegt nach KiföG bei gerade einmal 38,5 Millionen € pro Jahr. Der gesamte Rest sind entweder zweckgebundene Mittel des Kommunalen Finanzausgleichs, darunter z. B. auch die Mittel für das beitragsfreie dritte Kindergartenjahr, durchgeleitete Bundesmittel oder eben das Geld, zu dessen Zahlung Sie erst durch den Staatsgerichtshof verurteilt werden mussten.

Das alles ist schon Dutzende Male erörtert worden. Deswegen muss man fast schon Bewunderung vor der Hartnäckigkeit – man kann auch sagen: Dreistigkeit – haben, mit der Sie wider besseres Wissen offensichtlich wahrheitswidrige Behauptungen aufrechterhalten.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

In die gleiche Kategorie gehören die Behauptungen hinsichtlich des Aufbaus des Betreuungsangebots selbst. Die Zahlen in Punkt 5 des Koalitionsantrags sind richtig. Sie haben aber mit der Politik der Landesregierung gar nichts zu tun, sondern sie gehen, erstens, auf den vom Bund 1996 festgesetzten Rechtsanspruch auf einen Ü-3-Betreuungsplatz und, zweitens, auf die darauf folgenden erheblichen Anstrengungen der Kommunen und der freien Träger beim Ausbau dieses Angebots und bei der Garantie eines Kindergartenplatzes für die Drei- bis Sechsjährigen zurück.

Mit der Landesregierung hat all das nichts zu tun – mit keiner Landesregierung, in keinem Bundesland. Das war eine kommunale Aufgabe. Die wurde kommunal gelöst. Sie ist gut gelöst worden. Deswegen haben Sie gar keinen Grund, sich dafür nach all diesen Jahren hier auch noch selbst zu feiern.

In Punkt 6 Ihres Antrags versuchen Sie diese Nummer nochmals, nämlich in Bezug auf die Erfolge beim U-3Ausbau.

Auch das ist hier oft diskutiert und widerlegt worden. Hessen hat, wie leider allzu viele andere Landesregierungen auch, jahrelang nichts anderes getan, als die vom Bund zur Verfügung gestellten Investitionsmittel weiterzuleiten, mehr oder weniger reibungslos. Erst in diesem Jahr stellt Hessen eigene Mittel in Höhe von 55 Millionen € zu diesem Zweck zur Verfügung.

Sie haben sich dafür gelobt, dass Sie das ordnungsgemäß getan haben. Ich weiß nicht, warum man eine Landesregierung dafür loben muss, dass sie Mittel, die von einem Dritten für einen Dritten zur Verfügung gestellt werden, an diesen weitergibt. Es ist mir ein Rätsel, warum man sich dafür loben muss, aber vielleicht ist das bei dieser Landesregierung so.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Sie haben in diesem Jahr zum ersten Mal substanziell eigenes Geld zur Verfügung gestellt. Die Bilanz ist Folgende. Von 2008 bis 2013 werden Bund und Land insgesamt 265 Millionen € Investitionsfördermittel für den U-3-Ausbau ausgezahlt haben. Davon wird das Land gerade einmal 55 Millionen € beigetragen haben, also ca. 20 %, und zwar erst 2013 im Zusammenhang mit einem Landesinvestitionsprogramm, das zunächst einmal nur 30 Millionen € betrug und schnell noch mit Haushaltsausgaberesten aus der Kita-Finanzierung um 25 Millionen € aufgestockt wurde, damit es nicht ganz so ärmlich daherkam, nachdem man vom Bund aus Mitteln des Fiskalpaktes weitere 45 Millionen € erwarten konnte. Nur so konnte man schließlich stolz verkünden, dass das Land „den Löwenanteil an dem Landesinvestitionsprogramm“ finanziere. Ich weiß nicht, ob man bei 55 % von einem „Löwenanteil“ sprechen kann, aber ich finde es grundsätzlich bemerkenswert, dass das Land damals meinte und offensichtlich immer noch meint, betonen zu müssen, dass ein Landesinvestitionsprogramm tatsächlich maßgeblich vom Land finanziert wird. Auf jeden Fall ist und bleibt das alles weit entfernt von dem, was – entgegen Ihren ebenso hartnäckigen Behauptungen – auf dem Krippengipfel vereinbart wurde, nämlich eine Drittelfinanzierung von Bund, Ländern und Kommunen.

Sie haben, wie nicht anders zu erwarten, die Familienzentren über den grünen Klee gelobt. Dagegen ist inhaltlich – das will ich hier extra betonen; ich habe das bei vielen Gelegenheiten schon gesagt – nichts einzuwenden, da die entsprechenden Einrichtungen vor Ort in aller Regel sehr gute und innovative Arbeit im Interesse eines ganzheitlichen stadtteil- oder wohnortnahen Angebots machen. Aber nach wie vor bleibt es bei unserer Kritik, die ich hier schon im September 2011 vorgetragen habe. Sie haben für die Umsetzung eines einstimmig gefassten Landtagsbeschlusses drei Jahre gebraucht.

Die Förderhöhe von 10.000 bis 12.000 € pro Einrichtung und Jahr steht in keinem Verhältnis zur erwarteten Leistung. Bei dem vorgesehenen Gesamtfördervolumen und knapp 4.000 Einrichtungen in Hessen wird es mehrere

Jahrzehnte bis zu einem flächendeckenden Angebot dauern. Es ist wieder einmal eine dieser Geschichten, derer wir in der sozialen Arbeit herzlich überdrüssig sind: Anschubfinanzierung, Modellprojekt, aber um Himmels willen bloß keine Regelförderung, keine Finanzierung einer Aufgabe, die sich erkennbar auf Dauer und immer wieder neu stellt. Deshalb haben Sie auch davon abgesehen, die Familienzentren in irgendeiner Art und Weise im KiföG zu erwähnen.

(Beifall bei der SPD)

Das gilt auch für den Modellversuch Qualifizierte Schulvorbereitung. Auch den müssen Sie mit einem Koalitionsantrag hier noch einmal abfeiern, damit die Bilanz nicht gar zu mager ist. Ich habe schon in der Landtagsdebatte vom 10. Mai letzten Jahres darauf hingewiesen, dass hier neben der Arbeit nach dem Bildungs- und Erziehungsplan eine zweite Förderlinie mit ähnlichen inhaltlichen Zielsetzungen etabliert wird, die darüber hinaus mit weiteren Förderlinien und inhaltlichen Konzepten, z. B. im Bereich der Sprachförderung, konkurriert. Das wird auch nach dem KiföG so bleiben, weil Sie gerade an diesen pädagogisch bedeutsamen Stellen weder gesetzliche Regelungen schaffen noch das vorhandene Finanzierungssystem wirklich vereinfachen.

Sie haben in diesem Bereich offensichtlich nach wie vor keine inhaltliche Klarheit innerhalb der Koalition. Das will ich als Fußnote anfügen. Das Modellprojekt QSV – Qualifizierte Schulvorbereitung – war eigentlich das Ergebnis einer krachenden politischen Niederlage der FDP mit ihrer abwegigen Idee der Kinderschule. Das war gut so, und wir haben das begrüßt. Sie wissen, Herr Banzer weiß, dass wir immer Gegner der Idee der Kinderschule waren.