Protokoll der Sitzung vom 21.05.2013

Sie haben in diesem Bereich offensichtlich nach wie vor keine inhaltliche Klarheit innerhalb der Koalition. Das will ich als Fußnote anfügen. Das Modellprojekt QSV – Qualifizierte Schulvorbereitung – war eigentlich das Ergebnis einer krachenden politischen Niederlage der FDP mit ihrer abwegigen Idee der Kinderschule. Das war gut so, und wir haben das begrüßt. Sie wissen, Herr Banzer weiß, dass wir immer Gegner der Idee der Kinderschule waren.

Ich will deshalb aus gegebenem Anlass darauf hinweisen, dass sich diese Idee innerhalb der FDP offensichtlich nicht erledigt hat. Der Herr Integrationsminister hat es, als er über das Thema Sprachstandserhebung gesprochen hat, ausweislich eines Artikels in der „FAZ“ vom 14. Mai fertiggebracht, innerhalb von zwei, drei Sätzen von einer „Sprachstandserhebung“ zu einem „Sprachtest“, von einem „Sprachtest“ zu einem „verbindlichen Sprachtest“, zu einem „Sprachtest, bei dem man auch durchfallen kann“, bis hin zu einem Sprachtest zu kommen, „bei dessen Nichtbestehen Kindergartenpflicht über vierjährige Kinder“ verhängt wird. Herr Minister, wenn Sie jemanden suchen, der Eltern bevormunden möchte, der Gründe für die Verhängung einer Kindergartenpflicht finden möchte, der versucht, auf diese Art und Weise Kinder und Kindheit zu verstaatlichen, dann schauen Sie in Richtung Ihrer Banknachbarn. Schauen Sie nicht immer auf unsere Seite, weil Sie ganz genau wissen, was wir von der Kindergartenpflicht halten: Sie wäre verfassungswidrig.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich ziehe ein Fazit. Diese Regierungserklärung war eine Erklärung der versäumten Gelegenheiten. Sie haben es versäumt, ein modernes, den gewandelten Verhältnissen zumindest ansatzweise entsprechendes Familienbild zu entfalten. Sie haben es versäumt, die vielfältigen Probleme, denen sich die Familien heute nach wie vor, zum Teil verstärkt, ausgesetzt sehen, anzusprechen und Perspektiven für ihre Behebung zu entwickeln. Einiges davon habe ich im ersten Teil meiner Rede angesprochen. Sie haben es insbesondere versäumt, eine Perspektive für eine umfas

sende, faktische Gleichstellung von Frauen auf den Feldern Erwerbsarbeit und Erwerbseinkommen zu entwickeln, eine Perspektive, die für das materielle und das immaterielle Wohlergehen von Familien von entscheidender Bedeutung ist.

Was wäre nötig? Nötig wäre eine entschlossene Politik des Ausbaus und der Qualitätssteigerung der frühkindlichen Bildung, weil das die Grundvoraussetzung nicht nur für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sondern auch eine der wesentlichen Grundvoraussetzungen für eine optimale Förderung der Kinder ist. Beides liegt den Familien mehr denn je am Herzen.

Nötig wäre dazu insbesondere ein entschlossener Ausbau der Ganztagsangebote auf allen Altersstufen, einschließlich der Schulkinder. Sie setzen dafür keine Anreize, und Ihr Ausbautempo im Schulbereich ist beklagenswert niedrig.

(Beifall bei der SPD)

Die SPD setzt sich auf der Bundesebene für einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz und auf Landesebene für die weitere Förderung der Hortangebote und für den Ausbau von wirklichen Ganztagsschulen ein. Deshalb stehen wir in Hessen für einen Neuanfang in der Diskussion um die besten Lösungen für die frühkindliche Bildung, und deshalb werden wir das KiföG, wenn es denn Gesetz wird, wieder aufheben und durch ein neues, besseres, weil mit den beteiligten Trägern und den betroffenen Menschen ausgehandeltes, auch besser finanziertes Gesetz ersetzen.

(Beifall bei der SPD)

Nötig wäre ein gut ausgebautes System früher Hilfen, das allen Eltern zur Verfügung steht und das umfassend und realitätsnah Angebote der Beratung und Hilfe bei Gesundheits- und Erziehungsfragen, aber auch beim Zugang zu materiellen Hilfen für Familien bietet. Herr Minister, die Netzwerke, von denen Sie gesprochen haben, sind erstens nicht wirklich gut ausgestattet und zweitens bundesfinanziert – auch hier wieder das Schmücken mit fremden Federn. Das einzig Neue, was ich gehört habe, war der Hinweis auf einen Modellversuch und – noch dazu – ein Ansatz mit Gutscheinen. Das ist nun wirklich hessische Familienpolitik auf den Begriff gebracht, wie Sie ihn verstehen.

Zur Etablierung eines gut ausgebauten Systems früher Hilfen wären eine gut ausgebaute Struktur von Frühförderstellen, Erziehungsberatungsstellen, Familienbildungsstätten, Mütterzentren, Antigewalt- und Antimissbrauchsprojekten, inklusiven Frauenhäusern und manches andere in diesem Zusammenhang mehr nötig.

Die SPD tritt deshalb auf Landesebene dafür ein, dass das Sozialbudget, aus dem solche Einrichtungen bis zur „Operation düstere Zukunft“ finanziert wurden, wiederhergestellt wird und die in Teilen zerstörte Infrastruktur wieder aufgebaut bzw. modernisiert wird.

Nötig wäre ein entschlossenes Eintreten für gleiche Chancen und für ein gleiches Einkommen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Nicht ausreichend sind Modellversuche und Kongressreihen. Nicht nötig ist ein Betreuungsgeld, das Frauen von der Erwerbsarbeit fernhält und sie dabei mit ein paar Euro abspeist.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- KEN)

Nötig ist die völlige rechtliche und materielle Gleichstellung aller Lebensgemeinschaften, auch und gerade der

gleichgeschlechtlichen. Dazu können Sie sich offensichtlich immer noch nicht bereitfinden. Wir sind dazu bereit.

Nötig ist die Unterstützung von pflegebedürftigen Menschen und von pflegenden Angehörigen durch eine funktionsfähige Pflegeversicherung und durch rechtlich und materiell gut abgesicherte Bedingungen für die Pflege von Angehörigen in und durch die Familie. Auch dafür hat die SPD Vorschläge gemacht, die den pflegenden Angehörigen und auch den Pflegebedürftigen tatsächlich Ansprüche garantieren – im Gegensatz zu dem, was wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben.

Zu all diesen Fragen – ich komme zum Schluss – haben Sie hier keine wirklichen Erfolge vorweisen und keine Perspektiven entwickeln können. Es ist mit dieser Regierung wie mit praktisch allen bisherigen: Wenn es sie nicht gegeben hätte, hätte uns nichts gefehlt. Leider aber fehlt den Familien in diesem Lande zu viel, als dass sie auf die Frage „Wie geht es der Familie?“ sagen könnten: Danke der Nachfrage, gut. – Aber das lässt sich ja ändern.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LIN- KEN)

Vielen Dank, Herr Merz. – Für die FDP-Fraktion wird jetzt Herr Kollege Rock zu uns sprechen.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben heute eine Regierungserklärung gehört, die deutlich gemacht hat, wie intensiv sich Hessen, diese Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen des Themas Familie angenommen haben und wie erfolgreich man auf diesem Feld ist.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Ich will an dieser Stelle eine eindeutig liberale Note in die Diskussion bringen: Für uns ist die Freiheit der Familie ganz wichtig. Die Freiheit der Familie bedeutet für mich und für uns Liberale, dass die Menschen, die in einer Familie leben, selbst entscheiden können, wie sie sich weiterentwickeln.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Auch das will ich ausdrücklich sagen: Für uns ist der Familienbegriff sehr weit gefasst. Es ist ein moderner Familienbegriff, der natürlich auch die eingetragenen Lebenspartnerschaften absolut inkludiert. Ich glaube, es ist richtig, dass wir an dieser Stelle über einen weit gefassten Familienbegriff sprechen; denn die Familie entwickelt sich weiter, und sie ist in ganz unterschiedlichen Formen Realität. Von daher brauchen wir einen freiheitlichen Familienbegriff, der auch diesen unterschiedlichen Lebensgemeinschaften – aus meiner Sicht sind das Verantwortungsgemeinschaften – die Möglichkeit gibt, ihre Vorstellungen von Familie so umzusetzen, wie sie das für richtig halten. Das ist eine zentrale Aufgabe.

(Beifall bei der FDP)

In Hessen haben wir 890.000 Familien und rund 1 Million Kinder, die zu einem großen Teil in diesen Familien aufwachsen. Hier zeigt sich, welch zentrale Aufgabe Familien haben, welch zentrale Aufgabe die Unterstützung dieser Familien für uns in der Politik sein muss und welch große Bedeutung die Freiheit der Familie hat.

Ich will mich ein wenig an den Aufgaben der Familien entlanghangeln. Vieles konzentriert sich auf zwei politische Bereiche. Der eine Bereich umfasst die Kindererziehung, die Kinderbetreuung und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Darüber wird intensiv gesprochen. Der andere Bereich ist die Pflege Angehöriger. Gut zwei Drittel aller zu Pflegenden werden in den Familien gepflegt. Das ist eine unglaubliche Leistung. Auch hierbei unterstützen wir die Familien selbstverständlich.

Trotzdem sollten wir noch auf andere Bereiche der Familie ein Auge werfen. Familie vermittelt soziale Kompetenz, Familie vermittelt gesellschaftliche Bindungen, und Familie vermittelt Verantwortungsgefühl und Nachhaltigkeit im Hinblick auf die Entwicklung einer Gesellschaft. Die Vermittlung sozialer Kompetenz und die Bindekraft gehören zu den entscheidenden Diensten, die die Familie der Gesellschaft erweist. Darum ist die Familie zu privilegieren, und deshalb ist es auch richtig, ein besonderes Augenmerk auf den Bestand der Familie zu legen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Es gibt über die Familie auch einen ganz großen ökonomischen Ausgleich, der in dem Maße, wie er tagtäglich erfolgt, statistisch gar nicht erfasst wird. Es gibt einen finanziellen Austausch zwischen Eltern und Kindern über die gesamte Dauer der Familienzusammengehörigkeit hinweg, wodurch viel sozialer Sprengstoff kompensiert wird. In einem System des Ausgleichs, der Anerkennung und der Unterstützung wird viel geleistet – etwas, was ein Staat in dieser Zielgenauigkeit niemals schaffen könnte. Hier leistet die Familie Vorbildliches und sehr viel Gutes für unsere Gesellschaft.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Die Familie ist auch – wie soll ich es sagen? – ein Puffer. Sie fängt viel von dem Druck auf, der auf die einzelnen Familienmitglieder ausgeübt wird. Die Familie kompensiert viel von dem, was einzelne Mitglieder der Familie in einer bestimmten Situation aushalten müssen. Sie unterstützt die Menschen da, wo wir vielleicht sagen würden: Eigentlich wäre da eine Psychoanalyse oder eine Supervision angemessen. – Dort leistet die Familie unglaublich viel. Sie fängt die Menschen auf und gibt Hilfe und Unterstützung. Ich glaube, dieser Teilbereich dessen, was die Familie leistet, macht deutlich, dass seitens der Politik ein besonderes Augenmerk auf den Familien liegen muss und dass es richtig ist, dass wir die Familien an dieser Stelle unterstützen.

Die Familie kann nicht mehr alles so leisten, wie sie es einmal konnte. Die Familien werden kleiner, und sie werden auseinandergezogen. Die Familienmitglieder leben an verschiedenen, weit auseinanderliegenden Orten. Sie sind mobiler geworden. Ich glaube, es ist uns allen klar, dass wir in unserer Gesellschaft eine Entwicklung feststellen, die es in vielen anderen Ländern ebenso gibt und die auch nicht zu Ende ist, sondern einen Prozess darstellt, den wir begleiten müssen.

Trotzdem ist es für uns immer wieder richtig und wichtig, solche Momente wie diesen zu nutzen, um den Menschen, die in Familien Verantwortung übernehmen, Dank zu sagen und ihnen zu verdeutlichen: Es ist wichtig und richtig, was ihr tut; dass ihr Verantwortung für andere übernehmt, ist eine gute Entscheidung für unsere Gesellschaft.

Darum sollten wir all den Menschen danken, die in Familien leben und Verantwortung für Kinder, zu Pflegende und für alles andere übernehmen, was ich genannt habe. Das ist eine hervorragende Leistung der Menschen in Hessen, die in Familien leben und den richtigen Ansatz haben, um Verantwortung für andere Menschen zu übernehmen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Herr Merz, ich finde es sehr schade, dass Ihre Rede zu 90 % einen negativen Inhalt hatte. Sie haben hier zu 90 % nur Negatives vorgetragen.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Er hat auch über die Regierungserklärung geredet! – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bei der Entwicklung Ihrer eigenen Ideen haben Sie sich sehr zurückgenommen. Sie haben sich am Ende damit auseinandergesetzt, woher welcher Euro kommt und wer sich welche Feder an welchen Hut steckt. Das ist ein bisschen wenig, wenn man eine halbe Stunde Redezeit hat und somit die Chance hätte, für die SPD auch einmal etwas Positives zu entwickeln: ein positives Statement abzugeben und zu sagen, wohin sie will.

Herr Merz, wenn ich mir Ihren Antrag anschaue, stelle ich fest, in vielen Bereichen erklären Sie: Das, was die Landesregierung macht, ist richtig. Es muss noch mehr kommen, und es muss noch mehr Geld verausgabt werden; aber da sind wir auf dem richtigen Weg. – Ich muss sagen, bei zwei Dingen sind Sie völlig auf dem Holzweg. Sie sind ans Pult getreten und haben gesagt, das Kinderförderungsgesetz sei aus Ihrer Sicht nicht der richtige Weg.

(Zurufe von der SPD: Recht hat er!)

Ich habe es Ihnen in der letzten Debatte schon einmal gesagt: Wenn die Landesregierung einen Gesetzentwurf vorlegt, legen auch Sie einen vor; manchmal ist er irgendwo abgeschrieben.

(Wolfgang Greilich (FDP): Meistens!)

Aber in der Regel bringen Sie einen eigenen Vorschlag ein. Es ist so einfach, sich hierhin zu stellen und zu sagen: Wenn hier alles vorbei ist und es neue Mehrheiten gibt, wird alles gut. – Aber keinen einzigen konkreten Vorschlag zu machen und auch keine Überlegungen anzustellen, wie es besser werden könnte, sondern nur herumzumäkeln, herumzukritisieren und alles besser zu wissen – ich weiß nicht, ob das von den Bürgerinnen und Bürgern tatsächlich gut aufgenommen wird.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Als es um das Kinderförderungsgesetz ging, haben wir vielleicht nicht optimal miteinander kommuniziert. Das müssen wir uns womöglich eingestehen.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube auch, es ist Ihnen an der einen oder anderen Stelle gelungen, den Menschen Sand in die Augen zu streuen. Aber Sie brauchen sich nur einmal mit den nackten Zahlen auseinanderzusetzen. Wenn Sie sich die nackten Zahlen ansehen und erkennen, wie viel mehr Geld im Haushalt für diese Aufgabe zur Verfügung gestellt wird, können Sie nicht mehr behaupten, es werde alles schlechter. Das zu behaupten ist schon eine „Leistung“ der SPD; das muss ich sagen. Das kann ich nicht nachvollziehen.

Wenn Sie hier immer über Geld sprechen: Ich weiß nicht, ob Sie sich den Haushaltsplan angeschaut haben, und wenn ja, ob Ihnen aufgefallen ist, dass der Sozialetat des Landes Hessen um 30 % aufgestockt worden ist und dass fast das ganze Geld, das wir mehr verausgaben, der Förderung der Kinder und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zugutekommt. Das ist ein wichtiger politischer Schwerpunkt. Das müssen Sie einmal anerkennen.