Protokoll der Sitzung vom 22.05.2013

(Zuruf von der SPD)

Zu Ihrer weiteren Argumentation: Ich habe in erster Linie mit der Gefährlichkeit des Transports argumentiert, nicht mit dem Platz. Ich habe in der zweiten Runde abgestuft damit argumentiert, dass wir keine Platzgefährdung verursachen dürfen. Das ist und bleibt auch richtig.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was für eine verstrahlte Argumentation!)

Vielen Dank. – Das Wort hat Frau Kollegin Schott, DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Sürmann, Sie haben nicht mit der Gefährlichkeit des Transports argumentiert, sondern mit der Gefährlichkeit der Demonstranten. Das finde ich eine bodenlose Unverschämtheit.

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU)

Sie stellen sich hierhin und sagen, Castoren seien nicht gefährlich, ihr Transport sei nicht gefährlich, sondern gefährlich seien die Menschen, die dagegen protestieren. Was ist denn das für eine Haltung gegenüber den demokratischen Grundrechten von Menschen, zum Ausdruck bringen zu dürfen, dass sie etwas zutiefst ablehnen?

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das hat mit Demonstrationsfreiheit nichts zu tun! Da werden Polizisten verletzt! – Weitere Zurufe von der CDU)

Wenn Sie die Symbolik der Aufforderung nicht verstanden haben, haben Sie die politische Methode von APO überhaupt an keiner Stelle verstanden. Sie können es nicht verstehen, weil Sie es nicht verstehen wollen. Alles, was Sie gerade hier gesagt haben, zeigt doch sehr deutlich, was Sie wollen: Sie wollen weiter diese Politik fahren, und Sie wollen weiter eine Umwelt und Menschen gefährdende Energiepolitik fahren. Das haben Sie bei Ihren Aussagen über das Fracking eben sehr deutlich gesagt. Es ist Ihnen völlig egal, dass Tausende von Menschen in diesem Land das nicht wollen.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Die Konzerne wollen das!)

Es ist Ihnen völlig egal, dass es Nachweise darüber gibt, wie gefährlich diese Methode ist. Sie stellen sich hierhin und sagen: Wir wollen das.

Worum geht es Ihnen dabei eigentlich? Geht es Ihnen darum, dieses Land mit einer sicheren Energieversorgung zu versehen? Geht es Ihnen darum, die Menschen in diesem Land mit einer Energieversorgung in Sicherheit zu wissen, welche sie nicht beschädigt? Oder geht es um etwas anderes? Dann sagen Sie aber auch, worum es hier geht.

An SPD und GRÜNE gerichtet, muss ich leider sagen:

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das sind doch Ihre Freunde!)

Sie wundern sich darüber, dass hier auf diese Weise diskutiert wird. Man muss feststellen, dass das Moratorium eben genauso wenig taugt wie der Atomkonsens damals. Man muss eindeutig sein und sagen: Fracking muss verboten werden. Das ist keine Technologie, mit der man umgehen kann.

(Beifall bei der LINKEN)

Man hätte sehr viel früher aus der Atompolitik aussteigen müssen; darüber sind wir uns im Nachhinein wohl alle klar.

(Zurufe von der CDU)

Es täte Ihnen gut, wenn Sie einfach einmal zuzuhören versuchten, anstatt immer wieder nur dazwischenzuschreien.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Was sagen Sie denn zu Ihren Freunden in Russland und in Venezuela? Die bauen dort gerade!)

Gehts noch? Wir können uns nachher gern draußen bei einem Kaffee unterhalten, aber hören Sie auf, hier dazwischenzuschreien. Das ist unglaublich niveaulos.

(Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsiden- ten)

Wir haben über 6.000 t radioaktiven Müll in Deutschland. Dazu kommen jedes Jahr durch die noch acht betriebenen AKWs rund 240 t hinzu. Wenn wir in den letzten Jahrzehnten irgendetwas dazugelernt haben sollten, dann, dass Atomkraft sofort gestoppt werden muss, weil sie gefährlich ist, weil der Uranabbau große Schäden verursacht, weil sie sich vom militärischen Nutzen nicht trennen lässt und weil wir keine Lösung für die strahlenden Abfälle haben.

DIE LINKE hat nach Fukushima aufgezeigt, dass ein Atomausstieg für Deutschland bis Ende 2014 möglich wäre. Mit Zustimmung von SPD und GRÜNEN hat der Bundestag ein Stufenkonzept mit Laufzeitgarantien bis 2022 beschlossen. Damit stehen auch SPD und GRÜNE für weitere 240 t strahlenden Atommüll jedes Jahr, die niemand will und für die es wie für die anderen 6.000 t noch nicht einmal ein Konzept für eine sichere Aufbewahrung gibt.

Meine Damen und Herren, die wichtigste Grundlage für einen verantwortungsvollen Umgang mit Atommüll ist, keinen neuen Müll mehr zu produzieren.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Bis eine Million Jahre muss Atommüll von der Biosphäre sicher getrennt aufbewahrt werden. Eine wirkliche Entsorgung von Atommüll – Sie haben vorhin wieder von Endlager gesprochen, im Sinne, dass man sich um den Müll nicht mehr kümmern muss – ist auf absehbare Zeit nicht in Sicht. Das gibt es nicht. Bereits über einen Zeitraum von nur wenigen Jahrzehnten lassen sich keine auch nur halbwegs sicheren Prognosen machen, weder über gesellschaftliche noch über technischen Entwicklungen.

Niemand weiß, welche Möglichkeiten uns in 200 Jahren zur Verfügung stehen werden und ob wir politisch stabile Gesellschaften haben werden. Selbst die Dauerhaftigkeit einer geologischen Schicht, zumal in einer Zeit des beschleunigten Klimawandels, kann nicht sicher vorhergesagt werden.

Bei der Entscheidung über die Lagerung von Atommüll kann es nur darum gehen, eine möglichst sichere Verwahrung auf Zeit zu suchen. Atommüll muss rückholbar gelagert werden, wie der Fall Asse mit einem hohen Preis verdeutlicht. Wir brauchen transparente Prozesse mit einer möglichst großen gesellschaftlichen Akzeptanz. Dafür ist das Endlagersuchgesetz ungeeignet. Es eröffnet keine gesellschaftliche Debatte. Es verhindert eine angemessene Beteiligung von Umweltverbänden und Gewerkschaften qua Sperrminorität.

Bereits der Begriff „Endlagerung“ verspricht genau das Gegenteil von dem, was möglich ist. SPD und GRÜNE

sind wieder mit dabei. Die SPD hat nichts dazugelernt, und die GRÜNEN haben ganz offensichtlich viel vergessen. Man darf den Menschen nichts vormachen und sie nicht für dumm verkaufen, weder was die vermeintliche Sicherheit der Verwahrung von Atommüll angeht, noch was die Länge seiner Zwischenlagerung angeht. Frühestens ab dem Jahr 2031 soll nach dem Entwurf des Endlagersuchgesetzes ein Standort für Atommüll gefunden sein. Wenn es gut läuft, kämen dann noch etwa 10 bis 15 Jahre Bauzeit hinzu.

Die zuletzt eingesetzten Brennelemente müssen ohnehin 40 Jahre oberirdisch abkühlen. Wir sprechen also über eine Zwischenlagerung von wenigstens 40 Jahren. Das heißt, viele von uns, die wir hier sitzen, werden diesen Zeitpunkt schon gar nicht mehr erleben.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Na ja!)

40 Jahre Zwischenlagerung, das gilt nicht nur für die möglicherweise nach 2015 in Biblis noch einzulagernden Castoren aus Sellafield und La Hague, das gilt bereits jetzt für alle Castoren mit hoch radioaktiven Abfällen in Biblis. Das sollten die Menschen auch wissen.

Die Menschen von der Antiatombewegung wissen das. Sie haben in der Bensheimer Erklärung 2012 genau das aufgeschrieben. Dort ist das nachzulesen. Die haben sich damit auseinandergesetzt. Sie haben sich für eine Lagerung von radioaktiven Abfällen bis auf Weiteres auf dem Gelände von Biblis ausgesprochen. Hören Sie doch einmal den Menschen zu, die sich in diesem Land mit dem Prozess – –

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), zur CDU und FDP gewandt: Bürgerinitiativen sind verantwortungsvoller als Schwarz-Gelb! Sie wollen sogar noch mehr Müll produzieren!)

Hören Sie den Menschen zu, die sich seit Jahren intensiv damit auseinandergesetzt haben. Hören Sie, was sie sagen. Um gefährliche Castortransporte zu vermeiden – die Transporte sind gefährlich, und nicht die Menschen, die dagegen protestieren –,

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU)

soll der hoch radioaktive Müll dort bleiben, wo er entstanden ist, gesichert gegen Flugzeugabstürze und finanziert von den Kraftwerksbetreibern. So stellen sich diejenigen, die seit Jahrzehnten gegen Atomkraft kämpfen, eine verantwortungsvolle Politik vor.

Meine Damen und Herren, was Sie gemacht haben – das gilt für CDU und FDP sowie für SPD und GRÜNE –, ist unverantwortlich; unverantwortlich in einem sehr umfassenden Sinne. CDU und FDP haben Atomkraft befürwortet, verteidigt und bis vor wenigen Jahren für ihren Erhalt gekämpft. SPD und GRÜNE haben sich gleich zweimal auf faule Kompromisse beim Atomausstieg eingelassen, obwohl sie die Folgen der Technologie nicht verantworten können.

Übernehmen Sie endlich die Verantwortung, die Sie auch tatsächlich tragen können. Verhindern Sie, dass noch mehr Atommüll entsteht. Sorgen wir für die sofortige Abschaltung der restlichen AKWs. Unterstützen Sie uns dabei, dass Deutschland aus der gesamten atomaren Wertschöpfungskette aussteigt, dass keine Anreicherung, kein Handel und kein Transit von radioaktivem Material mehr in Deutschland stattfinden.

(Beifall bei der LINKEN)

Das heißt auch: keine Hermes-Bürgschaften für Atomkraftwerke in Brasilien oder anderswo. Das heißt auch: Lagerung von hoch radioaktivem Material in Biblis über viele Jahrzehnte.

Der Ausstieg aus der Atomwirtschaft und das Ende des fossilen Zeitalters brauchen eine Energiewende mit Stromerzeugung und Wärmeversorgung für alle und im Verkehr. Mehrfach hat die Opposition in den letzten Jahren festgehalten, dass wir in all diesen Bereichen – Strom, Wärme und Verkehr – relativ am Anfang stehen und noch nicht einmal die tief gehängten Klimaziele von Bund und Land erreicht werden. Daran hat auch der Hessische Energiegipfel nichts geändert.

Aus gutem Grund hat DIE LINKE dem sogenannten Energiekonsens des Hessischen Energiegipfels nicht zugestimmt. Es war von Anfang an klar, dass der Hessische Energiegipfel von der Landesregierung als Alibiveranstaltung angelegt war und der Energiekonsens nicht das Papier wert ist, auf dem er steht.

(Holger Bellino (CDU): Das glauben Sie doch wohl selbst nicht!)

Schwarz-Gelb hat in Land und Bund die Energiewende vor die Wand gefahren. Was wir in den letzten Monaten in Hessen erlebt haben, sind nur noch Abwehrkämpfe, hilflose Versuche, sich noch einmal über die kommenden Wahlen zu retten, mehr nicht. Keine politische Kultur, keine demokratische Beteiligung der Menschen in diesem Land, keine Fortschritte,

(Holger Bellino (CDU): Wo gibt es sonst noch einen Energiegipfel?)

keine tragfähigen Kompromisse, nur Ödnis und Pannen.

(Holger Bellino (CDU): Wer hat Ihnen das aufgeschrieben?)

Es gab Pannen und Fehlleistungen bei der Stilllegung von Biblis, bei der Beauftragung von Windkarten, beim Landesentwicklungsplan. Wo ich gerade bei Pannen und Fehlleistungen bin: beim Waldgesetz, bei dem Biodiversitätsbericht – wo ist er eigentlich geblieben? – bei G 8/G 9, beim KiföG, bei der Partikeltherapie in Marburg, bei Beberbeck, bei EBS, Pannen und Fehlleistungen bei Steuerfahndern, beim Verfassungsschutz, bei Kassel-Calden usw. usf.