Protokoll der Sitzung vom 22.05.2013

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Karin Mül- ler (Kassel) und Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ein Viertel aller täglichen Wege wird zu Fuß zurückgelegt, 10 % mit dem Fahrrad. Das sind die Verkehrsarten, die am wenigsten belasten, die umweltfreundlichsten. Aber die haben natürlich nur dann eine Chance, wenn Arbeitsplätze auch nah am Wohnort sind bzw. umgekehrt. Deswegen müssen wir das Thema bezahlbarer Wohnraum in den Innenstädten mit diskutieren, denn auch das würde zu einer Verkehrsvermeidung beitragen.

Angesichts des zunehmenden Güterverkehrs müssen wir uns auch die Frage stellen: Müssen wir wirklich Lebensmittel quer durch die Welt transportieren? Wem nützt das eigentlich? Ist es nicht viel sinnvoller, regionale Wirtschaftskreisläufe zu stärken und auch dadurch Verkehr und lange Transportwege zu vermeiden?

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Karin Müller (Kassel) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Als Drittes geht es uns um die Verlagerung von Verkehr auf möglichst umweltfreundliche Verkehrsarten. Die Ziele von 30 % aller Flüge vom Frankfurter Flughafen aus liegen in einer Reichweite von unter 500 km. Es wäre möglich, einen Großteil davon auf die Bahn zu verlagern. Dabei geht es um die Eindämmung des motorisierten Individualverkehrs und um ein attraktives ÖPNV-Angebot.

Einer Studie zufolge sagt mehr als ein Viertel aller Hessinnen und Hessen, sie verzichten aus Kostengründen auf Fahrten. Mobilität wird wirklich für viele Menschen zum Luxus und ist kaum noch bezahlbar. Die Preise insbesondere beim RMV gehören zu den teuersten in Deutschland.

Ich habe es nochmals nachgeschaut: Im aktuellen HartzIV-Regelsatz sind gerade einmal 19,44 € im Monat für Busse und Bahnen vorgesehen. Nun kann man sich überlegen, wie weit man im RMV für 19,44 € im Monat kommt. Wohlgemerkt, das sind Mittel für Erwachsene. Kindern und Jugendlichen steht noch weniger Geld dafür zur Verfügung. Gerade in der Oberstufe aber ist das ein riesiges Problem, weil die Kosten der Schülerbeförderung viele Familien finanziell einfach überlasten. Für Normalverdiener werden die hohen Preise zum Problem – wenn man nicht nur die Hälfte des Einkommens für Miete ausgeben muss,

sondern auch noch 80 € oder 100 €, je nachdem, für eine Monatskarte.

Ich will einen letzten Punkt ansprechen. Ein leistungsfähiger ÖPNV braucht qualifiziertes Personal. Die Beschäftigten, die den ÖPNV in Hessen am Laufen halten, haben eine anständige Entlohnung und gute Arbeitsbedingungen verdient.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber bei den Löhnen, die heute im ÖPNV bezahlt werden, müssen Busfahrer Nebenjobs annehmen und Wohngeld beantragen. Ihre Gehälter reichen oft einfach nicht aus. Das ist eine Folge des Wettbewerbs, der Privatisierung. Aber der Wettbewerb darf nicht zu Lohndumping führen. Auch deshalb brauchen wir endlich ein Vergabegesetz in Hessen, das die Beschäftigten schützt.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Wissler, Sie kommen bitte zum Schluss?

Herr Präsident, ich komme zum Schluss.

Wir brauchen in Hessen eine Politik, die sich am Mobilitätsbedürfnis der Menschen orientiert und den Ausbau des ÖPNV an die erste Stelle stellt. Wir brauchen bezahlbare Preise und barrierefreie Bahnhöfe. Wir brauchen Investitionen nicht in sinnlose Großprojekte, sondern vor allem in den Lärmschutz, beispielsweise beim Bahnlärm im Rheintal und anderswo. Vor allem aber müssen wir darüber reden, wie wir Verkehr vermeiden. Deswegen: Hessen braucht dringend eine Verkehrswende. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Tarek Al- Wazir, Kordula Schulz-Asche und Karin Müller (Kassel) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Danke sehr, Frau Wissler. – Für die CDU-Fraktion hat sich Herr Kollege Caspar zu Wort gemeldet.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD hat in diesem Plenum heute die Verkehrspolitik zum Setzpunkt gemacht. Die SPD schickt sich an, dafür zu kämpfen, dass sie am 22. September mit den GRÜNEN oder mit der Linkspartei und den GRÜNEN zusammen eine Mehrheit erhält. Deswegen haben die Bürgerinnen und Bürger eigentlich einen Anspruch darauf, dass die SPD – wenn sie schon hier einen Setzpunkt beantragt – einmal darlegt, was denn ihr Konzept ist.

(Zuruf der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wie sieht denn das Konzept der SPD aus? Wenn man hier einen Setzpunkt hat, so wäre dies eine Chance, das einmal detailliert darzulegen.

Was aber hat die SPD getan? Bewusst habe ich mir zuerst die Rede von Herrn Frankenberger angehört; denn nach

dem schon im Antrag nicht sehr viel Substanz zu diesem Thema enthalten war, habe ich erwartet, dass jetzt Herr Frankenberger oder Herr Schäfer-Gümbel uns hier einmal vorstellt, was denn das verkehrspolitische Konzept der SPD ist.

Was aber haben Sie tatsächlich getan? Sie haben uns hier einen Antrag mit unterschiedlichen Punkten vorgelegt.

Im ersten Punkt sagen Sie lediglich aus, momentan seien nur unzureichende Mittel für Sanierung und Neubau bereitgestellt. Das tun Sie, obwohl Sie zu Ihrer Regierungszeit im Jahr 1998 hier nur 27 Millionen € zur Verfügung gestellt haben, während wir heute dafür 100 Millionen € zur Verfügung stellen. – Ich glaube, diesen Punkt können Sie nicht wirklich ernst nehmen.

Als Nächstes haben Sie die Punkte 2 bis 7 aufgelistet. Die bestehen aber nur darin, dass Sie jedes Mal verlangen, die Regierung solle Konzepte vorlegen: In jedem dieser Punkte fordern Sie Konzepte. Wo aber ist Ihr Konzept? Wo ist Ihr Ansatz? – Hier jedenfalls steht er nicht.

In Punkt 8 schlagen Sie als einziges Konzept vor, dass Sie in Hessen zusätzlich 500 Millionen € durch Abkassieren bei den Lastkraftfahrten einnehmen wollen, und zwar auf den Straßen außerhalb der Autobahnen. Das sind die Straßen, auf denen die Transporte hin zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern in Hessen stattfinden. Es geht also nicht darum – wie beispielsweise bei der Diskussion auf Bundesebene über die Pkw-Maut –, die Inländerdiskriminierung zu beenden, indem man auch Ausländer an der Finanzierung der Straßen beteiligt.

Bei Ihrem Konzept geht es darum, dass nicht der Lkw-Verkehr über Autobahnen, dort ist meist der Auslandsverkehr, stärker belastet wird, sondern bei Ihnen geht es darum, dass von der Autobahn bis zum Verbraucher der Lkw-Verkehr mit 500 Millionen € pro Jahr massiv belastet wird. Das bedeutet doch, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher in Hessen von Ihnen erneut zur Kasse gebeten werden. Das ist das Einzige, was Sie als Konzept vorschlagen. Das ist zu wenig. Wenn Sie schon so etwas als Setzpunkt aufrufen, dann sollten Sie auch etwas mehr an Substanz bringen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Frau Müller von den GRÜNEN hat richtig darauf hingewiesen, dass der RMV heute so viele Fahrgäste wie noch nie hat. Frau Müller, das zeigt doch, dass die Politik dieser Landesregierung genau richtig ist.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wir fördern nämlich die Rahmenbedingungen. Das machen wir nicht nur beim öffentlichen Personennahverkehr. Immerhin, auch das muss man ganz deutlich sagen, die drei hessischen ÖPNV-Verbünde haben von 2010 bis 2014 insgesamt rund 3,2 Milliarden € zur Verfügung. Das ist übrigens erheblich mehr, als Sie zu rot-grünen Zeiten dem öffentlichen Personennahverkehr zur Verfügung gestellt haben.

Ich möchte auch darauf hinweisen, dass es zwischen dem Land Hessen und der Deutschen Bahn bis zum Jahr 2019 eine Rahmenvereinbarung zur Modernisierung hessischer Bahnhöfe gibt. Es geht dabei insgesamt um über 90 Maßnahmen mit einem Umfang von rund 260 Millionen €. Das Land Hessen trägt einen Eigenanteil von 84 Millionen €. Auch das zeigt, dass bei uns öffentlicher Personennahver

kehr und schienengebundener Verkehr wichtige Beiträge dafür sind, um in unserem Land die Mobilität sicherzustellen.

Als Opposition kann man immer sagen, die Regierung mache nicht genug. Sie müssen sich aber an dem messen lassen, was Sie in Ihrer Regierungszeit getan haben. Da standen dem öffentlichen Personennahverkehr weniger Mittel zur Verfügung, als das heute der Fall ist.

(Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich weise auch immer auf die Diskrepanz zwischen Ihren Forderungen in den Anträgen und dem Handeln, dort wo Sie regieren, wie Sie das beispielsweise im Straßenbau machen, hin. In Baden-Württemberg finden bis 2016 faktisch keine Neubeginne bei Straßenbaumaßnahmen mehr statt. Zusätzlich hat die grün-rote Landesregierung den Kommunen 35 Millionen € aus dem Straßenbauetat entzogen. So sieht kommunalfeindliche Politik unter Rot-Grün aus.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie nehmen den Mund ganz schön voll!)

Herr Al-Wazir, hören Sie doch einmal zu. Wenn Sie sich damit beschäftigen, was Rot-Grün in den Nachbarbundesländern macht, dann sind das vielleicht Anregungen für Ihre Programme. Vielleicht können Sie sich dazu durchringen, den Wählern vor der Wahl die Wahrheit zu sagen.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jür- gen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das sagen die Richtigen!)

In Niedersachsen können Sie z. B. die Diskrepanz zwischen dem, was vor der Wahl gesagt wird und nach der Wahl getan wird, sehen. In Niedersachsen hat Rot-Grün die Liste für die Anmeldung zum Verkehrswegeplan bis 2015 zusammengestrichen,

(Zuruf des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

verzögert jetzt bewusst die Weiterplanung der A 20 und A 39 und entzieht den Kommunen 25 Millionen € für den kommunalen Straßenbau.

In Nordrhein-Westfalen sind rund 80 Projekte des Bundesfernstraßenbaus und weitere 80 Projekte des Landesstraßenbaus ohne nähere Begründung Rot-Grün zum Opfer gefallen.

In Rheinland-Pfalz – da müssen Sie nicht so weit schauen – werden nur noch im Bau befindliche Maßnahmen zu Ende geführt. Die Planung für eine Mittelrheinüberquerung ist abgebrochen worden, und der dringend notwendige sechsstreifige Ausbau, der den Menschen in RheinlandPfalz ermöglicht, zu ihrem Arbeitsplatz nach Hessen zu kommen, ist ebenfalls gecancelt worden.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schiersteiner Brücke!)

Auch hier sieht man: Rot-grüne Politik führt zum Zusammenstreichen, zum Kürzen, zum Leistungsabbau, zur Verschlechterung der Rahmenbedingungen für die Menschen.

Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist deutlich geworden, wie hingegen unsere Konzepte aussehen. Wir geben für den öffentlichen Personennahverkehr so viel aus,

wie noch nie ausgegeben wurde. Wir unterstützen den Ausbau von schienengebundenen Systemen und weiten den Straßenbau aus. All das sind Maßnahmen, die für unser Land wichtig sind. Sie sind wichtig dafür, dass es wirtschaftliches Wachstum gibt und Arbeitsplätze geschaffen und erhalten werden. All dies ist bedroht von einer Politik von Rot und Grün.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, die Bürgerinnen und Bürger müssen vor dem gewarnt sein, was Sie nach der Wahl tun. Es kann ja nicht nur Unfähigkeit sein, dass Sie als SPD keine Konzepte vorlegen. Es muss schon System haben, dass Sie vor der Wahl bewusst keine Konzepte vorlegen, weil Sie Angst davor haben, wenn Sie den Menschen Ihre Inhalte vor der Wahl nennen würden, dass Sie zu Recht nicht gewählt würden.

(Beifall bei der CDU und der FDP)