Protokoll der Sitzung vom 25.06.2013

(Beifall bei der CDU – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Grumbach, Sie haben das Wort.

Ehrlich gesagt, diese Sorte von Fragen zeugt von einem solchen Elend, dass ich sie nicht wirklich beantworten will.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU: So eine Arroganz! – Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU): Das hat schon etwas mit Psychologie zu tun!)

Jetzt kommen wir zur Gesamtwertung. Ihr Superforschungsprogramm, um das Sie alle anderen Bundesländer beneiden, ist sozusagen Hessens Speerspitze der Innovation. Damit hebt sich Hessen von dem ab, was in allen Bundesländern gemacht wird. – Die Zahlen sprechen gegen Sie. Bundesweit liegt der durchschnittliche Anteil der Ausgaben für die Forschung bei etwa 1,2 % des Bruttoinlandsprodukts; in Hessen sind wir bei ungefähr 0,7 %. Das heißt, wir liegen damit deutlich unter dem Durchschnitt.

Da Sie über Innovationskraft geredet haben, mache ich mir einmal den Spaß, Ihnen die Zahl der Patentanmeldungen im Jahr 2012 vorzulesen: Bayern 14.300 Patentanmeldungen: 30 % aller in Deutschland angemeldeten Patente, Baden-Württemberg 14.200: ebenfalls knapp 30 %, NRW 6.800: 14 %, Niedersachsen 2.900: 6,3 %, und dann kommt Hessen mit 2.200: 4,9 %. Ich will es nur einmal beschreiben.

Versuchen Sie doch einmal, statt über das zu reden, was Sie alles ganz toll machen – was nicht stimmt –, die Punkte zu bestimmen, an denen Sie etwas besser machen können,

(Beifall bei der SPD)

indem Sie z. B. die Förderung von Wirtschaft und Wissenschaft nicht nach dem Gießkannenprinzip betreiben, sondern entsprechend einer modernen Form der Wirtschaftsund Wissenschaftsentwicklung: Man versucht, Cluster zu definieren, und führt dort Wirtschaft und Wissenschaft so zusammen, dass sie sich gegenseitig befruchten.

Da Sie aber keinen Plan haben, können Sie das nicht. Darauf, dass Sie keinen Plan haben, kommen wir gleich noch einmal zurück. Insgesamt hat das einiges mit dem GrimmJahr zu tun: viel mit Märchenstunde und wenig mit Realpolitik.

Was wäre denn Ihre Aufgabe? Auch darüber würde ich gern einmal reden.

(Zuruf von der Regierungsbank: Das ist ja ein Wun- der! Das freut mich durchaus! – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Er ist lernfähig!)

Sie sehen, Ihre Dramaturgie und meine unterscheiden sich ein bisschen. – Ich erwarte von der Ministerin, dass sie sich nicht hinter den Hochschulen oder sonst wem versteckt, sondern dass sie sie unterstützt, wenn es gebraucht wird. Das fängt bei den gesicherten Finanzen an.

Reden wir also einmal über das Modellprojekt, mit dem Sie hier gerade eine Show zu machen versuchen. Wie sieht denn die Weiterfinanzierung von LOEWE aus? Wie ist denn gesichert, dass all diese hübschen Projekte dauerhaft weiterfinanziert werden? Darüber haben Sie hier nichts gesagt; das überlassen Sie der nächsten Landesregierung. Die

wird sich dem sicher stellen; Sie jedenfalls werden dann nicht mehr dabei sein.

(Beifall bei der SPD – Holger Bellino (CDU): Das ist falsch!)

Was die gesicherten Finanzen betrifft: In ganz Deutschland gibt es eine Debatte darüber, dass wir eine Steuererhöhung zugunsten der Bildung brauchen. Im Stifterverband redet man davon, dass die Mehrwertsteuer zugunsten der Hochschulen erhöht werden solle;

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Welches Ministeramt übernehmen Sie denn?)

die Deutsche Forschungsgemeinschaft – DFG – spricht sich dafür aus, einen Bildungspfennig einzuführen; und die SPD erklärt: 1 % Vermögensteuer für 100 % Bildung. – Wo, bitte schön, ist der Vorschlag dieser Landesregierung zur Bildungsfinanzierung? Sie macht nichts, weil sie nichts ändern will, sondern alles so lassen möchte, wie es ist. Das ist ein für Hessen unerträglicher Zustand.

(Beifall bei der SPD)

Kommen wir zur Korrektur von Fehlern. Wann fangen Sie an, die bescheuertste Fehlentscheidung des früheren Ministerpräsidenten Koch, nämlich das Kooperationsverbot, anzugehen? Wir alle wissen, wir können die Hochschulen in den Ländern nicht finanzieren, wenn dieses Verbot bestehen bleibt. Wann fangen wir endlich an, mit Druck auszuüben, damit es fällt und wir aus den Gesamteinnahmen der Bundesrepublik Geld in die Hochschuletats bekommen? Nein, Sie sind auch dort auf der passiven Seite. Passive Hochschulpolitik ist keine Politik. Genau dafür stehen Sie aber.

(Beifall bei der SPD)

Was die Hochschulfinanzierung in Hessen angeht, lautet Ihr Selbstlob: „größter Wissenschaftsetat aller Zeiten“. Ich weiß nicht, ob Sie die Reden von Abgeordneten anderer Parlamente lesen. Demnach hatten bzw. haben wir nämlich in den Jahren 2012 und 2013 in 16 Bundesländern den „größten Wissenschaftsetat aller Zeiten“. Da Sie so gern Vergleiche mit Rheinland-Pfalz ziehen – Sie haben den Etat fast verdoppelt –, rate ich Ihnen, sich einmal die Haushaltszahlen von Rheinland-Pfalz von 1999 bis heute anzuschauen. Sie würden feststellen, dass die ihren Wissenschaftsetat ebenfalls fast verdoppelt haben.

(Zurufe von der CDU: Mit unserem Geld!)

Das heißt, ein kleines Bundesland macht genau das Gleiche wie Sie; aber dort spuckt man nicht solch große Töne wie Sie, sondern man leistet anständige Arbeit.

(Zurufe von der CDU: Länderfinanzausgleich! – Die nehmen unser Geld! – Weitere Zurufe von der CDU)

Wer das Gleiche macht wie alle anderen, endet im Mittelmaß und nicht an der Spitze. Wir müssen mehr machen als alle anderen, wenn wir das leisten wollen.

(Beifall bei der SPD)

Zu der Frage, wie sich die Wissenschaftsausgaben zum Bruttoinlandsprodukt verhalten – Durchschnittswert für Hessen –: Bei den durchschnittlichen Ausgaben pro Studierenden – das nächste vergleichbare Bundesland ist Sachsen; ich weiß nicht, ob das ein Beispielland für Sie ist – haben wir in Hessen ein echtes Problem. Da zucken Sie immer zu Recht zusammen. In acht Jahren ist der Anteil

der Studierenden um 31 % gestiegen – an den Universitäten um 42 %. Der Anteil der Hochschulfinanzierung ist um 13 % gestiegen. Das heißt, die Finanzierung pro Studierenden ist um fast 1.000 € gesunken.

Solche Rahmenbedingungen für die Hochschulausbildung sind eine Schande und eine Versündigung an den Lebenschancen einer ganzen Generation von Studierenden. Das haben Sie zu verantworten, und vor dieser Verantwortung drücken Sie sich.

(Beifall bei der SPD)

Ich erwarte von der Ministerin auch, dass sie zu der Entwicklung der Hochschulen in Hessen Stellung bezieht. Wir drängen seit Jahren auf eine qualifizierte Hochschulentwicklungsplanung.

Vor knapp einem Jahr ist der Frau Ministerin eingefallen, dass sie da vielleicht etwas machen muss, und dann hat sie eine Wirtschaftsberatungsfirma damit beauftragt. Dass das eigene Ministerium nicht mehr in der Lage ist, Hochschulentwicklungsplanung zu machen, ist ein Thema für sich. Kenner erinnere ich an die Namen Wolf und Weber; die konnten das.

Es geht dabei nicht um die Wirtschaftsplanung für die Hochschulen, sondern um ihre Weiterentwicklung. Wenn man das richtig machen will, muss man von Anfang an nicht nur die Hochschulen beteiligen, sondern auch die Regionen in Hessen sowie die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber, also die Wirtschaft; denn Wissenschaftsentwicklung und Wirtschaftsentwicklung hängen so eng zusammen, dass man die Hochschulplanung nicht von einer Beratungsfirma am grünen Tisch machen lassen kann, sondern sie kann nur im Dialog erfolgen. Das ist der Unterschied zwischen uns und Ihnen: Wir reden mit den Leuten, Sie reden über sie.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben nicht einmal das Angebot der Fachhochschulen zur Kenntnis genommen. Die Fachhochschulen haben in den letzten Wochen erklärt, sie würden, was den Zuwachs an Studierenden betrifft, gern mehr machen.

Sie organisieren sich Ihre eigenen finanziellen Probleme. Wir alle wissen, dass ein Fachhochschulstudienplatz etwas kostengünstiger ist als ein Universitätsstudienplatz. Hätten Sie den Ausbau der Fachhochschulen so in die Wege geleitet, wie diese es vor langer Zeit vorgeschlagen haben, nämlich indem Sie einen deutlich stärkeren Ausbau als an den Universitäten vornehmen, hätten Sie heute einen Teil der Finanzprobleme nicht. Aber Nichtstun führt eben zu Problemen. Genau das ist Ihr Problem: Nichtstun, dann gibt es Probleme, und schließlich haben Sie Angst.

Wenn Sie die Perspektiven für die Fachhochschulen weiterentwickeln, ist der nächste Punkt: Wie soll die Zukunft aussehen? Wir alle reden davon, dass die Leute höher qualifiziert sein müssen. Was heißt das denn? Das bedeutet eine Akademisierung von Berufen. Diejenigen, die Pflegeberufe und Erziehungsberufe ergreifen, müssen eine bessere Ausbildung haben, damit die Diagnostik funktioniert und damit mit den Kindern und den Älteren ordentlicher umgegangen wird. Das ist der eine Teil.

Über den anderen Teil haben Sie sich aber überhaupt noch keine Gedanken gemacht. Wie soll es bei hoch qualifizierten Berufen weitergehen, die heute über die duale Berufsausbildung erlernt werden? Ist es nicht ein Punkt, dass Sie

die Versuche der Fachhochschulen unterstützen, bei hoch qualifizierten Berufen die Rolle der Berufsschulen zu übernehmen, anstatt dass dort vollschulisch gearbeitet wird? Denn dann bekämen wir eine neue Form der dualen Berufsausbildung auf einem völlig neuen Niveau. Das ist eine Idee, auf die Sie nicht kommen, weil Sie den Vertretern der Fachhochschulen nicht zugehört haben, obwohl es schon die ersten Versuche gibt. Das wäre ein Punkt, an dem Sie etwas für die Gesamtqualifikation in Hessen machen könnten.

Stärkung und Integration von Forschung und Lehre: Warum war bei Ihnen heute nicht die Rede davon, wie wir die Chance ergreifen können, zum Nutzen von Studierenden und Lehrenden beides wieder zusammenzuführen? Wir erleben gerade einen großen Umbruch in der deutschen Forschungslandschaft. In einer der großen Forschungsgesellschaften – der Leibniz-Gemeinschaft – wird darüber geredet, ob man sich neu strukturiert, sich eventuell sogar auflöst.

Wenn wir die Chance nutzen wollen, dass an Hochschulen wieder ganz normal geforscht wird und dass nicht irgendeine Sonderauswahl an Studierenden die Einzigen sind, die ernsthaft Forschung betreiben, sondern alle Studierenden, dann gehört dazu, dass wir die Integration als Politik befördern, statt dazu zu schweigen. Auch das erwarten wir von der Ministerin.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Daniel May (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Alles in allem sehe ich meiner Redezeit an, dass es knapp wird. – Die Frage ist: Wann überprüfen Sie eigentlich die Ergebnisse Ihrer finanziellen Steuerungsversuche?

(Heiterkeit des Abg. Michael Siebel (SPD))

Das ist die Steuerungsillusion auf der einen Seite. Sie versuchen, mit einem Erfolgsbudget Ziele zu erreichen. Es hat noch keine Dokumentation gegeben, die Ihnen beschrieben hat, dass Sie die auch erreichen. Sie haben gleichzeitig mit dem Steuerungsinstrument der Studierendenzahl für die Hochschulfinanzierung eine Unterdeckelung und einen Kannibalisierungswettbewerb zwischen den Hochschulen erreicht. Denn selbst ein kluger Hochschulpräsident, der sagt: „Ich nehme keine zusätzlichen Studierenden auf, weil es meine Lehrer-Studierenden-Relation und meine Hochschulfinanzen ruiniert“, gerät in die Situation, dass er trotzdem pro Studierenden weniger hat, wenn die anderen mehr aufnehmen.

Herr Grumbach, Sie hatten mit der Redezeit recht. Sie kommen bitte zum Schluss.

Sie haben damit ein Steuerungsinstrument eingeführt, das die Hochschulen ruiniert. Wann fangen Sie endlich an, diesen Unsinn abzuschaffen?

(Beifall bei der SPD)

Normalerweise enden solche Reden mit dem berühmten Drehen zur Ministerin und der Frage: „Wann treten Sie zurück?“ Aber, ehrlich gesagt, ich bin Wahlkämpfer. Ich glaube, diese Ministerin ist die beste Werbung für einen