Protokoll der Sitzung vom 15.09.2009

(Beifall bei der CDU und der FDP – Mathias Wag- ner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Spärlicher Beifall!)

Meine Damen und Herren, das zu erreichen, mehr und bessere Chancen für alle Kinder und Jugendlichen in Hes

sen,ist unsere Pflicht,es ist unser Ziel,und wir werden uns an die Arbeit machen. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, damit ist die Regierungserklärung abgegeben. – Ich eröffne die Aussprache und erteile Frau Abg. Habermann für die Fraktion der SPD das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Kultusministerin,ich hätte es begrüßt,wenn Ihre Regierungserklärung es nach dem ersten Abschnitt hätte bewenden lassen. In diesem ersten Abschnitt haben Sie etwas zur Situation an hessischen Schulen zum Schuljahresbeginn gesagt. Ich sage gleich noch etwas dazu. Aber was danach kam, Frau Ministerin, ist seit langen Jahren Stand der Debatte in diesem Hause,zumindest in der SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die SPD-Fraktion hat eigentlich erwartet, dass Ihr Lieblingsprojekt der selbstverantwortlichen Schule langsam mit konkreten Aktionen unterlegt wird und nicht mit einer Zusammenfassung dessen, was wir hier seit Langem diskutieren.

(Beifall bei der SPD)

Ich komme zu Ihrem ersten Abschnitt, in dem Sie sich zur Situation zu Schuljahresbeginn geäußert haben. Kleinere Eingangsklassen und 1.000 neue Lehrerstellen bedeuten eine Verbesserung der Unterrichtssituation in Hessens Schulen zum neuen Schuljahr. Das unterstützen wir ausdrücklich, Frau Kultusministerin. In diesem Falle stimmen wir Ihnen auch zu. Wir freuen uns, dass den langjährigen Forderungen der Opposition in diesem Haus endlich Rechnung getragen wurde.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU und der FDP)

Denn die 1.000 Stellen haben den Schulen zur Unterrichtsabdeckung gefehlt, seit sie ihnen 2004 mit der Arbeitszeitverlängerung für Lehrkräfte gestrichen wurden.

(Beifall bei der SPD – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Falsch!)

Wir erkennen ausdrücklich an, dass Kultusministerin Henzler im Gegensatz zu Herrn Irmer an diesem Punkt zur Realität zurückgekehrt ist und festgestellt hat, dass mit diesen zusätzlichen 1.000 Lehrerstellen erstmals zum Schuljahresbeginn 2009/2010 eine 100-prozentige Unterrichtsabdeckung gewährleistet ist.

(Wolfgang Greilich (FDP): Das ist doch super!)

Es ist das Eingeständnis – Herr Greilich,das war vielleicht noch vor Ihrer Zeit –, dass die versprochene Unterrichtsgarantie niemals erfüllt worden war und zusätzliche Lehrerstellen gebraucht werden, um eine vollständige Unterrichtsabdeckung zu erreichen.

(Wolfgang Greilich (FDP): Wie war es denn bei Herrn Holzapfel?)

Meine Damen und Herren, diese Feststellung zeigt allerdings auch, dass es nichts wird mit den versprochenen 105 % Lehrerversorgung bis 2014.

(Mario Döweling (FDP): Haben wir schon 2014?)

Denn wenn Hessens Schulen erstmals mit dem Schuljahr 2009/2010 100 % Lehrerversorgung erreichen, dann reichen die von Ihnen versprochenen weiteren 1.500 Stellen nicht aus, um auf 105 % zu kommen. Dieses Rechenkunststück müssen Sie uns vorführen. Ein einfacher Blick in den Stellenplan zeigt, dass diese Zahlenspielereien unsolide sind.

(Beifall bei der SPD)

Wenn ich davon ausgehe, dass wir im vergangenen Jahr – ich ziehe die Ganztagsschullehrkräfte ab – ca. 48.000 Lehrkräfte im Schulbereich eingestellt hatten, dann brauchen wir noch zusätzliche 2.400 Stellen, um 2014 über 105 % verfügen zu können. Sie wollen jetzt noch weitere 1.500 und müssen uns bitte erklären, wie diese Lücke geschlossen werden soll.

Die Ausstattung der Ganztagsschulen bleibt dabei völlig unberücksichtigt; es sei denn, Sie definieren Ihre 105 % als eierlegende Wollmilchsau, mit der man sämtliche Aufgaben,die Sie an die Schulen geben wollen,zusätzlich personell abdecken kann. Mit welchen Personalressourcen sollen die Schulen bis 2015 ein Ganztagsprogramm in offener und gebundener Form nach eigener Wahl umsetzen können? Sind diese Stellen in den 2.500 versprochenen enthalten, oder kommen sie hinzu? Oder stimmt etwa die unbekümmerte Aussage des FDP-Abgeordneten Reuscher in einer Podiumsdiskussion, die Landesregierung wolle bis 2015 alle Schulen in gebundene Ganztagsschulen umwandeln, und letztlich sei dieses Ziel mit der 105prozentigen Lehrerversorgung abgedeckt? Ich glaube, Sie sollten sich einmal mit Ihren eigenen Zahlen und Ihren eigenen Konzepten auseinandersetzen, bevor Sie hier so etwas erzählen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Frau Ministerin, nicht nur wir, sondern auch die Schulen erwarten eine Antwort darauf, wie Sie die Vorhaben des Regierungsprogramms umsetzen wollen. Sie werden sich nach den Erfahrungen der vergangenen zehn Jahre nicht mit Zahlenspielereien hinhalten lassen.

Ich komme zur Ganztagsschulentwicklung. Sie haben einen Abschnitt Ihrer Rede überschrieben mit dem Satz: Der Ausbau von Ganztagsschulen wird konsequent fortgeführt. – Da kann ich zustimmen, das stimmt.

(Mario Döweling (FDP): Na also!)

Denn der Ausbau von Ganztagsschulen wird genauso konsequent fortgeführt wie bei Kultusministerin Wolff.

(Beifall bei der SPD – Wolfgang Greilich (FDP):Ei, ei, ei!)

Es geht darum, mit möglichst wenigen Lehrerstellen möglichst viel für die Statistik zu tun. Pädagogische Mittagsbetreuung ist weiterhin das Modell, das von dieser Landesregierung gefördert und präferiert wird. Frau Henzler, Ihre Ausflüge zu den Vorteilen der pädagogischen Mittagsbetreuung habe ich wohl gehört. Ich weiß, dass die Schulen Erkleckliches mit dem wenigen leisten, das das Land zur Verfügung stellt.Aber das geht auf das Engagement der Lehrkräfte, auf die Knochen der Lehrkräfte und führt zu einer Arbeitsbelastung, die die Motivation sinken lässt. Deswegen ist es kein Ersatz für die Ausstattung ei

ner echten gebundenen Ganztagsschule, die wir vorantreiben wollen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Diese Weiterentwicklung findet weiterhin nicht statt, obwohl viele Schulen seit Jahren in den Startlöchern stehen. Dabei wissen Sie es doch eigentlich besser, Frau Kultusministerin.

„Die Landesregierung muss sich davon lösen, den Schulen vorzuschreiben, einen Einstieg in den Ganztagsbetrieb ausschließlich über die Mogelpackung einer pädagogischen Mittagsbetreuung zu realisieren“, …

(Beifall der Abg. Brigitte Hofmeyer (SPD))

Dieses Zitat von Frau Henzler vom 20.06.2007 erscheint in einer Pressemitteilung unter der Überschrift: „Aufbau von Ganztagsschulen duldet keinen Aufschub mehr“. Wenn ich sehe, was jetzt dabei herausgekommen ist: Frau Henzler, jetzt packen Sie selbst die Mogelpackungen, die Sie Ihrer Vorgängerin zu Recht vorgeworfen haben.

(Beifall bei der SPD)

122 neue Ganztagsangebote mit 105 Lehrerstellen – man muss eigentlich kein Bildungsexperte sein, um sich vorzustellen, wie viele Kinder einer Schule überhaupt von diesen Angeboten profitieren können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So richtig stolz auf diese Leistung scheinen Sie selbst auch nicht zu sein; denn der Hinweis darauf, dass Ihr Modell das von der KMK benannte Modell einer offenen Ganztagsschule ist, was korrekt ist, führt nicht daran vorbei, dass Ihre Ziele ganz andere waren. Sie wollten die gebundenen Ganztagsschulen in diesem Land dort voranbringen, wo sie gewünscht werden. Bisher ist aber nichts passiert, Frau Henzler.Wir sind gespannt auf das Dreijahresprogramm, wo Sie endlich Umfang und Rahmen nennen müssen, in dem die Schulen sich anmelden müssen.

(Wolfgang Greilich (FDP): Immer eines nach dem anderen! – Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Ansonsten versinken Sie ganz schnell in den Glaubwürdigkeitslöchern, die schon Ihre Vorgänger hinterlassen haben.

Meine Damen und Herren, bevor ich mich den Aussagen der Regierungserklärung zur selbstverantwortlichen Schule widme, will ich einige Punkte nennen, die leider gänzlich in dieser Regierungserklärung fehlen und mit denen sich unser Antrag auseinandersetzt, der bei diesem Tagesordnungspunkt mit beraten wird.

(Florian Rentsch (FDP):Sie haben sie schon vorher aufgeschrieben? Respekt!)

Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit sind für diese Landesregierung offensichtlich kein Thema.

Sie haben – um bei Ihrem Bild von der Eisenbahn zu bleiben – den Bildungs- und Erziehungsplan aufs Abstellgleis geschoben. Frühe Bildung findet in Ihrem Ministerium nicht mehr statt.Stattdessen werden im Ministerium Ihres Kollegen Banzer 5 Millionen c dazu verwendet, wieder einmal eine neue Konzeption auszuarbeiten. Von Ihrer Kinderschule, deren Intention, das letzte Kindergartenjahr verbindlich zu machen, wir geteilt haben, ist eine gerupftes Schulvorbereitungsjahr geblieben, das – zur Ge

sichtswahrung der FDP – eine erkleckliche finanzielle Ausstattung erhalten hat.Aber was es genau ist, weiß bisher niemand, und der Bildungs- und Erziehungsplan liegt weiterhin auf Eis.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Frau Kultusministerin, wozu Sie ebenfalls nichts gesagt haben, ist das Thema Schulsozialarbeit. Mit Ihrer Absage an eine Kooperation zwischen den Schulträgern, den Kommunen und dem Land zur Finanzierung der Schulsozialarbeit haben Sie einen Zug vom Gleis genommen, der gerade ins Rollen gekommen war. Sie haben einen Weg blockiert, Frau Kultusministerin, der die Chancengleichheit und die Integration an unseren Schulen verbessern könnte und auf den die Schulen und die Schulträger seit Jahren warten. Es ist ein Armutszeugnis, dass das mit der Aussage abgeblockt wird,das könnten Schulen und Schulträger aus der 105-prozentigen Lehrerversorgung finanzieren.Was von diesen 105 % übrig bleibt,habe ich vorhin schon erörtert.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben auch nichts über Ihre Absicht gehört, die Lehrerzuweisung durch einen Sozialindex zu ergänzen. Die Schulen müssen endlich die personelle Ausstattung erhalten,die die familiäre Situation ihrer Schüler und die damit verbundenen Anforderungen an die pädagogische Arbeit berücksichtigt. Dann haben die Kinder bessere Chancen, und auch die einzelne Schule kann besser werden. Auch da warten wir darauf, dass Sie eigene Aussagen realisieren und endlich ein Konzept dafür auf den Tisch legen.