Protokoll der Sitzung vom 18.02.2009

Im Koalitionsvertrag steht nichts zum Problem, dass die Gewerbesteuerkannibalisierung fröhliche Urständ feiert. Ich sage nur: Über die Deutsche Börse Eschborn steht auch nichts drin. Beim Thema Integration steht nichts zur Rolle der Kommunen bei der Integration. Es steht nichts drin zur politischen Partizipation von Migrantinnen und Migranten. Es steht übrigens auch nichts drin zur Anerkennung beruflicher Qualifikationen. Das meine ich mit: Integration ist mehr als Sprachförderung. – Wir haben in der Sozialpolitik kein Wort zur Weiterentwicklung, z. B. des Behindertengleichstellungsgesetzes. Das Wort „soziale Gerechtigkeit“ kommt im Kapitel „Soziales“

(Petra Fuhrmann (SPD): Kommt nicht vor!)

nicht vor.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Armutsprävention kommt als Begriff in Ihrem Koalitionsvertrag nicht vor.

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN):Auch keine Maßnahmen!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist angesichts der Situation, in die wir in den nächsten Monaten hineingehen, im Jahre 2009, wirklich kaum zu glauben, was dort nicht drinsteht.

Beim Thema unabhängiges Zentrum Datenschutz – das kommt mir leider sehr bekannt vor – haben wir weiterhin den schönen Satz: Es wird geprüft.

(Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Da kann ich nur sagen: Lieber Florian Rentsch, da musst du mit deiner starken Fraktion aber einmal kraftvoll und ohne lila Latzhose dafür sorgen,

(Günter Rudolph (SPD): Nichts dahinter!)

dass wir wirklich einen Aufbruch bekommen, auch in diesem Bereich. Es ist dringend nötig, dass es Veränderungen gibt.

(Günter Rudolph (SPD): Bouffier will es aber gar nicht!)

Die Datenskandale der letzten Tage, gerade in der Privatwirtschaft, machen sehr deutlich, dass wir da Veränderungen brauchen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Beim Thema Energie kommt keine Landesenergieagentur vor. Es kommt keine Änderung in der Landesplanung vor. Es kommt kein Energieeffizienzfonds vor.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Koalitionsvereinbarung – ich sage es noch einmal – ist eine uninspirierte Aneinanderreihung von Punkten, die auf die entscheidenden Fragen keine Antworten gibt. Deswegen werden wir in diesem Landtag eine kraftvolle, eine kreative Opposition sein. Ich glaube, am heutigen Tag und bei dieser heutigen Regierungserklärung sowie angesichts dessen, was in diesem Koalitionsvertrag und in der heuti

gen Regierungserklärung gefehlt hat, ist sehr deutlich geworden, dass wir diese kraftvolle und kreative Opposition gerade jetzt sein wollen, weil Hessen diese Kreativität dringender denn je braucht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Diese Regierung und diese Regierungserklärung haben sehr deutlich gezeigt, warum das so ist. Wir kämpfen für eine andere Politik in diesem Bundesland Hessen, gerade jetzt, weil sie nötiger ist denn je. – Vielen Dank.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg.Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Schönen Dank,Herr Kollege Al-Wazir.– Das Wort hat die Kollegin Wissler.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Alles deutet darauf hin, dass wir auf die tiefste Wirtschaftskrise nach dem Zweiten Weltkrieg zusteuern. Die optimistischsten Prognosen gehen derzeit davon aus, dass wir es mit einem Schrumpfen des deutschen Inlandsproduktes um 2,5 % im laufenden Jahr zu tun haben. Die pessimistischsten Prognosen gehen von einem Minus von 4 % aus. Das ist der schärfste und tiefste Absturz in der Geschichte der Bundesrepublik.

EU-weit werden wir voraussichtlich bis Jahresende 25 Millionen Menschen in Arbeitslosigkeit haben. In Deutschland verzeichnen die Suppenküchen und Armenspeisungen Rekordzulauf. Viele Menschen sind verunsichert und haben Angst um ihren Arbeitsplatz. Mittlerweile haben wir die Situation, dass Hunderttausende von Angestellten, insbesondere in der Metall- und Chemiebranche, auf Kurzarbeit gesetzt sind. Alle Versuche der Regierungen, dieser Krise beizukommen, sind bisher verpufft. Sogar der Versuch, Bürgschaften in Höhe von 480 Milliarden c für die deutschen Banken bereitzustellen, hat nicht einmal dazu geführt, dass der deutsche Kredithandel wiederbelebt wurde. Wie beim Domino erfasst diese Krise eine Branche nach der nächsten. Gerade die deutsche Industrie, die in den letzten Jahren so stark auf Export getrimmt wurde, wird von dieser Krise besonders stark betroffen sein.

Die jetzige Krise hat globale Ausmaße, d. h. wir erleben eine Wirtschaftskrise, wie sie sich niemals hätte ereignen sollen, wenn es nach den Lehren der liberalen Wirtschaftswissenschaftler gegangen wäre.

Den Menschen wird wie in jedem Konjunkturabschwung erzählt, der Aufschwung komme wieder im nächsten Quartal oder vielleicht schlimmstenfalls Ende des Jahres. Das ist alles Schönrednerei. Es verkennt die tatsächliche Dramatik der Situation.

Diese Krise ist nicht allein dem Versagen einzelner Manager geschuldet. Es ist das Versagen des kapitalistischen Systems. Der Kapitalismus ist ein zutiefst instabiles Krisensystem. Die Anarchie des Marktes führt immer wieder zu Chaos, zu Zerstörung, zu Kriegen. Es ist nicht einfach ein Fehler im System, der behoben werden kann. Nein, das System ist der Fehler. Das wollen wir überwinden.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Walter Arnold (CDU): Das System überwinden?!)

Herr Ministerpräsident, Sie sprachen von Verantwortung und Solidarität gegenüber dem Gemeinwesen.Das sollten wir in der Tat heute einfordern. In Zeiten wie diesen ist es doch der Gipfel der Unverschämtheit, wenn Unternehmen, die Steuergelder in Milliardenhöhe annehmen, sich Bonizahlungen und Dividendenausschüttungen gönnen.

Aber Ihre Regierung ist nicht Teil der Lösung. Sie ist ein Teil des Problems. Ihre Politik der Privatisierung, der Deregulierung, der Liberalisierung hat mit in diese Krise geführt. Ihr Koalitionsvertrag könnte überschrieben sein mit den Worten: Mit Rezepten von gestern in die Krise von morgen.

Herr Ministerpräsident, Sie haben im Wahlkampf versprochen, um jeden Arbeitsplatz zu kämpfen. Dazu habe ich in der Regierungserklärung nichts gehört. Was sagen Sie denn den Menschen, die in den kommenden Monaten zu Zehntausenden von Firmenpleiten, von Entlassungen und von Kurzarbeit betroffen sein werden?

(Dr.Walter Arnold (CDU):Alles nicht passiert!)

Was tun Sie denn im Falle von EDS und im Falle von MAN, wo jetzt Arbeitsplätze abgebaut werden? Wo ist denn der kämpfende Roland Koch, seit der Wahlkampf vorbei ist?

In den kommenden betrieblichen Auseinandersetzungen wird DIE LINKE an der Seite der Beschäftigten stehen und mit ihnen um den Erhalt jedes Arbeitsplatzes kämpfen.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Ministerpräsident, ich bin gespannt, ob wir Sie dann auch vor den Werkstoren antreffen werden.

Wie wollen Sie diesen Kampf um jeden Arbeitsplatz eigentlich mit Ihren anhaltenden Bemühungen verbinden, öffentliches Eigentum zu verschleudern und die öffentliche Daseinsvorsorge zu privatisieren? An diesem Kurs wollen Sie festhalten, obwohl er in den vergangenen Jahren 10.000 Stellen beim Land Hessen direkt und eine unbekannte Zahl in privatisierten Unternehmen gekostet hat. Diese Regierung hat in den letzten Jahren Arbeitsplätze vernichtet und nicht gerettet.

Wenn ich auf der Homepage der Hessischen Staatskanzlei lese, was dort noch immer verkündet wird – „Die Privatisierung staatlicher Aufgaben ist eines der wichtigsten Ziele der Verwaltungsreform“ –, dann sage ich, Sie haben von dieser Krise nichts begriffen. Der Aufbruch in Zeiten der Krise, den Sie hier angekündigt haben, ist nicht erkennbar. Was Sie hier ausgeführt haben, ist vielmehr der Aufbruch in die nächste Krise.

Wer der drohenden Lawine von Firmenpleiten und Massenentlassungen etwas entgegensetzen will, der muss jetzt den öffentlichen Dienst ausbauen. Denn hätte Deutschland eine Beschäftigungsquote im öffentlichen Dienst wie etwa Dänemark oder Schweden, dann hätten wir über vier Millionen Arbeitsplätze mehr. Jetzt wollen Sie zwar 2.500 Lehrer einstellen, aber auf Kosten anderer Bereiche, wo Sie Arbeitsplätze abbauen wollen, weil die Gesamtzahl der Beschäftigten nicht steigen soll. Mit rund 600 Millionen c jährlich ließen sich über 10.000 zusätzliche Stellen beim Land Hessen finanzieren – Stellen, die dringend benötigt werden, in den öffentlichen Verwaltungen, im Sozial-, im Gesundheitsbereich und in der Bildung.

Wir brauchen endlich eine ordentliche Tariferhöhung bei den Landesbeschäftigten und die Rückkehr in die Tarifgemeinschaft der Länder.

(Beifall bei der LINKEN)

Mit Erstaunen habe ich Ihrer Regierungserklärung entnommen, dass Sie gerade „konstruktiv und zielorientiert“ mit den Gewerkschaften über diese Frage verhandeln. Das sehen die Betroffenen offensichtlich anders; denn sonst wären sie wohl nicht in der letzten Woche zu Tausenden in den Warnstreik getreten. DIE LINKE solidarisiert sich mit dem Kampf der Landesbeschäftigten und ihrer Gewerkschaften für 8 % mehr Lohn und für bessere Arbeitsbedingungen. Der Ausbau des öffentlichen Dienstes und eine drastische Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich – das wären richtige Antworten auf Kurzarbeit und auf Massenentlassungen.

Herr Ministerpräsident, Sie sprechen von notwendigen Feuerwehreinsätzen des Staates. Es hilft aber nichts, die Feuerwehr zu spielen, wenn man selbst dauernd neue Brände legt.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie fordern funktionierende Feuermelder. Die Feuermelder funktionieren doch, die schrillen doch schon lange, aber Sie halten sich die Ohren zu.

(Ministerpräsident Roland Koch: Sie sind kein Feu- ermelder, Frau Kollegin!)

Statt kurzfristiger Konjunkturpakete brauchen wir langfristige Investitionen in die öffentliche Daseinsvorsorge und in Beschäftigung. Nach einer aktuellen Umfrage lehnen die Menschen das Konjunkturpaket der Bundesregierung mehrheitlich ab. Was sie sich wünschen, sind mehr soziale Gerechtigkeit, Mindestlöhne und höhere Löhne. Was haben denn auch die 500.000 Niedriglöhner, die wir in Hessen haben, davon, dass es jetzt Abwrackprämien gibt? Sie werden sich auch dann kein neues Auto kaufen können,wenn man 2.500 c drauflegt.Sie setzen weiter auf eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik. Was Sie jetzt „antizyklisch“ nennen, das ist ein schwaches Husten gegen den Sturm, der über die Wirtschaft und die Arbeitsplätze des Landes fegt.

Das hessische Konjunkturpaket sieht größtenteils nur Investitionen vor, die ohnehin geplant waren; das sagen Sie selbst. Nötig wären sie vor Jahren schon gewesen, und sie reichen nicht an den tatsächlichen Investitionsbedarf des Landes heran.Was wir aber brauchen, ist eine langfristige Stärkung der Investitionskraft der Kommunen und der Massenkaufkraft. Die Binnennachfrage muss erhöht werden durch Lohnsteigerungen, durch die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns,durch armutsfeste Renten und durch die Abschaffung der unsäglichen Hartz-Gesetze.

(Beifall bei der LINKEN)

Steuererleichterungen hingegen nutzen einem Drittel der Einkommensbezieher gar nichts, weil sie zu wenig verdienen, um in erheblichem Umfang Steuern zu bezahlen.