Protokoll der Sitzung vom 17.09.2009

Vielen Dank,Frau Kollegin Wissler.– Ich begrüße nun auf der Besuchertribüne die Mitglieder der U.S. Army, die

heute an einem Hessen-Seminar im Landtag teilnehmen. Ganz besonders herzlich begrüßen wir den Generalmajor Terry A. Wolff, der neue Kommandeur der in Wiesbaden stationierten 1st Armored Division, und seine Ehefrau Martha Winkler – herzlich willkommen –

(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und den Brigadegeneral Kenneth Tovo, den neuen stellvertretenden Kommandeur, und seine Ehefrau Suzanne Tovo. Herzlich willkommen auch Ihnen.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nun hat für die Landesregierung Herr Ministerpräsident Koch das Wort.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU), an die LINKEN gewandt: Ihr habt keinen Anstand! – Minister Stefan Grüttner: Das ist Höflichkeit!)

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Wissler, ich bin Ihnen zunächst einmal dankbar, dass Sie die vorangegangene Debatte über die Bedeutung der sozialen Marktwirtschaft für die kommende Bundestagswahl noch einmal so nett illustriert haben, weil nun jeder eine Vorstellung davon hat, was es bedeuten würde, wenn Sie Regierungsverantwortung hätten.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Die Frage, die alle vier übrigen Fraktionen

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Die demokratischen!)

heute in der Diskussion in ihrer Grundlage gemeinsam sehen,ist in der Tat für unser Bundesland in der Auswirkung auf die Menschen und ihre Beschäftigung erheblich, weit über den unmittelbaren Standort Rüsselsheim hinaus. Es ist zugleich für uns alle erheblich. Denn wir sollten nicht unterschlagen, dass dabei am Ende eine Bürgschaftsverpflichtung entsteht, die die Dimensionen überschreitet, über die wir bisher in diesem Hause entschieden haben. Deshalb geht die Verantwortung,die man dabei trägt,eine Prognose zu treffen, am Ende nicht am Parlament und nicht an der Regierung vorbei, egal wen es sonst noch trifft. Denn wir müssen prognostizieren, ob wir glauben, dass es verantwortbar ist.

Ich finde, wenn man sich diese Diskussion anschaut, dass es sich in der Abwägung lohnt,darauf hinzuweisen,wo wir vor einem halben Jahr gewesen sind.Immerhin eine so bedeutende Zeitung wie die „Zeit“ schrieb am 5. März: „Opel ist nicht zu retten.“

(Der Redner hält einen Zeitungsausschnitt hoch.)

„Experten befürworten Insolvenz von Opel.“

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Das war keineswegs nur eine politische Diskussion. Es ist schon gut, festzustellen, dass diese Debatte vorbei ist. Wenn ich mir die Meldungen von Montag, Dienstag und Mittwoch vor der Entscheidung des Verwaltungsrats anschaue: Zwischen „Hobbymanager blamieren sich“ bis „Jetzt droht ein Scherbenhaufen“ haben wir am Ende vielleicht auch das notwendige Quäntchen Glück bei ei

ner sehr komplizierten Entscheidung gehabt, die wir nicht beeinflussen konnten, die durch ein Board aus 13 Mitgliedern getroffen wurde, von denen vor dem Juli des Jahres 2009 sieben noch nie mit der Automobilindustrie zu tun gehabt haben. Dies alles so zu fügen, dass es am Ende gelungen ist, ist möglicherweise ein Stück Arbeit und Können und auch ein Stück Glück gewesen.Aus meiner Sicht ist es aber eben ein Stück Glück, dass es so gelungen ist.

Deshalb will ich von meiner Seite sagen: Ich bedanke mich bei allen, die an der Arbeit mitgewirkt haben. Das gilt für meinen Kollegen Dieter Posch natürlich in einer besonderen Weise. Denn ohne seine Mitwirkung – so ist dies in Koalitionen, und so ist Politik – und ohne unser gemeinsames Wirken, zu einem erheblichen Teil durch den Einsatz von Nachtstunden, wäre es zu den Entscheidungen, über die wir hier sprechen, nicht gekommen. Ohne die Arbeit von Staatssekretär Dr. Schäfer, sehr oft in gemeinsamer Arbeit mit Herrn Staatssekretär Saebisch, in den Wochen darauf, dies alles zu begleiten, wäre dies handwerklich noch so aktiven Politikern nicht gelungen. Insofern denke ich, dass wir mit dem, was die hessische Regierungskoalition gemeinsam in Verhandlungen erreicht hat – in denen wir nicht nur für unser Land,sondern für die vier Bundesländer gesprochen haben –, zufrieden sein können.

Es ist auch keineswegs selbstverständlich,vier Bundesländer – eine CDU/FDP-Koalition,eine sozialdemokratische Regierung, eine CDU-Alleinregierung mit logischerweise unterschiedlichen regionalen Interessen; Hauptverwaltung und Produktionsbetrieb – immer auf einem gemeinsamen Weg zu halten. Ich denke, all das, jedes einzelne Element, ist eine Voraussetzung dafür gewesen, dass wir den heutigen Stand erreicht haben.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Ich will aber auch ein Zweites sagen. Ich gehöre ganz ausdrücklich zu denen, die der Meinung sind, dass das, was wir gemacht haben, eine Ausnahme sein muss. Ich glaube, wenn man Argumente finden will, warum es eine Ausnahme sein muss, ist es nicht nur, wie man an diesem Beispiel sieht,das Geld,sondern es ist ein Stück weit auch der politische Mechanismus, der wirtschaftliche Entscheidungen sehr, sehr schwer diskutierbar macht. Es wird nämlich nicht nur eine wirtschaftlich rationale Debatte geführt. Es werden nicht nur Argumente ausgetauscht, die man in einem ökonomischen Prozess erträgt, sondern es werden auch Argumente vorgebracht nach dem Motto: „Wem nützt es, wem schadet es?“ – damit mache ich niemandem einen Vorwurf; das beschreibe ich für uns alle –, die in der aktuellen politischen Debatte permanent so oder so genutzt werden.

Es besteht die massive Gefahr, dass ein Unternehmen deshalb sehr viel mehr Schlagzeilen bekommt, als es eigentlich verdient hat, selbst in einer Krise. Wir müssen aufpassen, dass diese Schlagzeilen – denn wir in der Politik sind die Einzigen, die die Rettung bewirken können –, die durch uns in der Politik mit unseren Mechanismen des gegenseitigen Streitens verursacht werden, dem zu rettenden Unternehmen nicht den schlechtesten Dienst tun,den man ihm tun kann, nämlich seine Zukunftsperspektiven wieder zu zerreden, weil man möglicherweise immer noch ein klammheimliches politisches Interesse am Scheitern des Projekts haben kann. Das sage ich wechselseitig über alle Grenzen hinweg. Das ist die Herausforderung, wenn sich Politik damit beschäftigt. Diese müssen wir bei Opel meistern. Gleichzeitig müssen wir lernen, dass es nicht so

wahnsinnig spannend ist, das in vielen Fällen in der deutschen Politik zu machen. Wenn man dafür eine Begründung und Erklärung haben will, gilt das auch dafür.

Was die konkrete Arbeit in der Treuhand angeht: Da passiert ein solches Stellungsspiel. Dirk Pfeil ist nicht nur ein ausgewiesener Wirtschaftsfachmann, sondern eben auch Mitglied einer politischen Partei. Es stellt sich ganz automatisch die Frage, wie man zu welcher Position kommt. Alle wissen genau: Die hessische Regierungskoalition hat gemeinsam eine Position. Die ist ersichtlich. Sie haben sie gerade durch den Vortrag der Kollegen der FDP gehört. Sie ist nicht mit der von Dirk Pfeil identisch. Die spannende Frage, die dahinter steht und die man weiter diskutieren muss, ist: Wen beauftragt man an welcher Stelle? – Wir haben uns – die Bundesregierung und die Regierungen der Länder – sehr bewusst entschieden, dort zu sagen: Wir nehmen als Vertreter keine Staatssekretäre, sondern wir nutzen die Chance einer rationalen Diskussion. – Das hat auch Risiken. Die Diskussion mit Dirk Pfeil und mit Herrn Wennemer ist extrem rational. Herr Wennemer – deshalb lässt sich die Bundesregierung übrigens auch anders ein – hat zu einem bestimmten Zeitpunkt für sich die Entscheidung getroffen,dass er auf jeden Fall für Konkurs plädiert. Das war nicht die Aufgabe der Mitglieder der Treuhand.

(Axel Wintermeyer (CDU): Richtig!)

Dirk Pfeil hat die Entscheidung mit seinem Verhalten, obwohl er einen anderen Bewerber befürwortet hat, am Ende möglich gemacht.

(Axel Wintermeyer (CDU): Richtig!)

Ich erwarte jedenfalls von mir, dass ich das unterschiedlich behandle. Ich teile die Argumente von Dirk Pfeil, jedenfalls die, die er öffentlich vorgetragen hat, weitestgehend nicht. Ich bin sachlich anderer Meinung. Das haben wir ausgetragen und ausdiskutiert. Das wird uns auch noch in Zukunft beschäftigen. Aber ich respektiere ihn und stelle fest,dass er es war,der am Ende gesagt hat:„Ich respektiere als Treuhänder die politische Entscheidung, die getroffen worden ist, die Auffassung der Bundes- und der Landesregierungen, und stelle mich ihr nicht in den Weg.“ Das respektiere ich an dieser Stelle ausdrücklich auch.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Das ist genau das, was ich bei der zweiten Stufe sage. Natürlich kann daraus ein politisches Spiel werden.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Weiter Interviews geben!)

Herr Al-Wazir, geschenkt. – Ich bin auch der Meinung, dass es gut ist, wenn das jetzt zur Ruhe kommt. Es kommt im Augenblick zur Ruhe. Denn es hilft nicht, wenn wir das dauernd machen.Aber jeder hat eine Chance,in einem rationalen Diskurs etwas zu sagen. Wir halten das aus. Ich weiß nicht, ob Sie das immer aushalten würden. Das glaube ich vielleicht.Aber jedenfalls ich sage: Ich halte es aus, eine so wichtige Entscheidung im Angesicht von Menschen zu treffen, die anderer Meinung sind. Ich stelle mich dann vor Sie im Parlament und sage: Ja, das sind fast 1,5 Milliarden c Bürgschaft. Darüber muss man nachdenken. Darüber kann man anderer Meinung sein. Ich habe es mir wohl überlegt und bin aus Gründen, die ich jetzt ausführlich darlegen könnte – was ich in einer Aktuellen Stunde natürlich nicht mache –, der festen Überzeugung, dass das für den Steuerzahler die beste Entscheidung ist. Deshalb präsentiere ich sie Ihnen. – Es ist dann auch eine

politische Entscheidung – das räume ich ein –, wenn ein Ministerpräsident für eine Regierung spricht.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Letzte Bemerkung. Wir müssen jetzt versuchen, einen Schlussstrich zu ziehen. Wir müssen auch versuchen, die Disziplin zu haben, noch die nächsten Wochen zu überstehen. Denn machen wir uns nichts vor: Die deutschen Regierungen haben es jetzt geschafft, Opel zu retten. Die Bundeskanzlerin hat vorhin, zwar nicht zu Herrn Wennemer, aber zu dem Punkt, den ich jetzt nenne, noch einmal sehr deutlich gesagt, sie wäre dankbar, wenn jetzt akzeptiert wird, dass die Werke in Saragossa, Antwerpen und Luton, und wo sie sonst sind, nur deshalb noch produzieren,weil unter anderem dieser Hessische Landtag und der Deutsche Bundestag das Risiko für alle europäischen Werke in der Brückenfinanzierung übernommen haben. Wir lassen uns deswegen nicht vorwerfen, wir seien die reinen Protektionisten in diesem Spiel.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage auch: Als hessische Regierung haben wir immer klar gesagt, dass das auch Opfer in Rüsselsheim bedeuten wird – nicht irgendwo anders. Wir vertreten nicht die These, Frau Kollegin Wissler, dass man das neue Buch mit dem Titel schreiben kann „Wir bauen kein Auto, egal, mit wie vielen“, sondern wir sind nach wie vor der Meinung, dass Autos, die gebaut werden sollen, erst einmal verkauft werden müssen. Dann haben die Arbeitnehmer auch Arbeit. Man kann nicht gesellschaftlich bestimmen, wie viele Arbeitnehmer ein Auto bauen, sondern man kann sich nur im Wettbewerb darum kümmern, wie viele Autos verkauft werden. Das ist immer noch die ökonomische Regel, die auch für Opel in Zukunft gelten muss.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Ja- nine Wissler (DIE LINKE))

Deshalb ist diese Frage natürlich diejenige, die alle betrifft. Da geht es nicht ohne.Wenn es 4.000 von 10.500 Arbeitsplätzen sind, die an den deutschen Standorten abgebaut werden, ist das unser Beitrag. Das ist auch kein Grund zum Protektionismus. Aber ich respektiere eine Europäische Kommission in ihrer Stärke. Ich habe EUVerfahren von kleinen Weingütern bis zu großen Unternehmen mitgemacht. Ich habe eine grobe Vorstellung davon, was das bedeutet. Sie werden sehr detailliert fragen. Sie haben wiederum ein Recht, detailliert zu fragen. Wir haben ein gutes Gewissen.Wir sind fest davon überzeugt, nach den Regeln der Europäischen Kommission gearbeitet zu haben.Wir werden das in den nächsten Wochen darlegen. Ich hoffe, dass alle Beteiligten in Deutschland begreifen, dass es keinen großen Sinn macht, damit eine neue parteipolitische Diskussion auszulösen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Weiß das auch die FDP, Herr Koch?)

Die Debatte wird schwierig genug werden – mit solchen Regierungen wie der von Belgien, bei der es in Antwerpen sehr viel komplizierter aussieht und die natürlich unter ihrem politischen Druck steht, jetzt kämpfen zu müssen –, was auch immer dabei herauskommt.

Wenn es im Augenblick deutsche Interessen wahrzunehmen gilt, dann bedeutet das, nachdem wir die Dinge entschieden haben, zu schauen, dass wir möglichst schnell die europäischen Genehmigungen dafür bekommen. Je ge

meinsamer wir das tun,umso besser ist das an dieser Stelle auch.

(Beifall bei der CDU)

Dann gibt es nämlich eine Chance. Ich bedanke mich bei allen Parlamentsfraktionen, dass Sie zugestimmt haben, dass Dieter Posch und ich die Gelegenheit hatten, heute Morgen zunächst bei der Internationalen Automobilausstellung zu sein.Ich denke,dass diese Ausstellung für Hessen sehr wichtig ist und dass wir dort deshalb zu Recht repräsentiert waren. Da kann man das sehen. Jetzt geht es um Folgendes: Wenn sie das neue Auto vorstellen, neue Betriebskonzepte entwickeln, neue Antriebstechniken einbringen, die wir in Mainz-Kastel von General Motors mehr als an vielen anderen Stellen auf der Welt haben, und wenn möglicherweise mit dem Ampera das erste serienmäßige Hybridfahrzeug dieser Klasse in Europa mit dem Wissen der Ingenieure entwickelt und zu einem großen Teil in der Bundesrepublik Deutschland produziert wird,

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Elektrohybrid!)

dann ist das das, was wir Schritt für Schritt weiter erwarten.Dafür wollen wir dem Unternehmen wieder Freiraum geben. Wir haben ihm einen Freiraum geschaffen, den es nie zuvor hatte. Sie haben eine Arbeitnehmervertretung, die das aus meiner Sicht prima gemacht hat. Das sage ich auch. Das ist völlig klar.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU)

Herr Schäfer-Gümbel, ich kenne eine Menge Leute im Management in Rüsselsheim, die klasse Sachen gemacht haben.

(Zuruf des Abg.Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))