Protokoll der Sitzung vom 17.11.2009

Vielleicht sollte auch Politik dazu übergehen, einzugestehen, dass solche Entscheidungen wie die, die im Zusammenhang mit der Schweinegrippe getroffen werden, vor allem von Unsicherheiten geprägt sind, dass unsere Vorstellung der vollständigen technischen Machbarkeit im Gesundheitswesen irreal ist, dass das Versprechen, man könne das alles ohne Weiteres im Griff haben, irrig ist und dass die Vorstellung,die von Ärzten,aber auch von der Gesellschaft als Ganzes übernommen wird, die Vorstellung von der Allmachbarkeit im Gesundheitswesen und der Allmacht des Gesundheitswesens, höchst trüge

risch ist.Vielleicht würde uns das einen etwas entspannteren Umgang mit Krankheitsdarstellungen und ihrem medialen Transport ermöglichen.Denn es gibt viele Bespiele, in denen wir damit höchst fragwürdig umgehen.

Der Gießener Philosoph Udo Marquardt hat gemeint, dadurch, dass die großen Krankheiten, die großen Seuchen und die großen Bedrohungen der Menschheit aus unserer Gegenwart weitgehend verschwunden sind, nehmen wir manchmal Dinge, die weitaus weniger dramatisch sind, und dramatisieren sie so lange, dass sie deren Stellenwert einnehmen können.

Meine Damen und Herren, bislang gestaltet sich die Schweinegrippe als eine vergleichsweise harmlose Krankheit. Hoffen wir, dass es in den nächsten Wochen so bleibt. Hoffen wir, dass es uns – das ist Politik, das ist Presse, das sind Medien – gelingt, mit diesem Thema so ruhig umzugehen, dass keine unnötigen Ängste vor der Erkrankung oder vor den Gegenmaßnahmen geschürt werden. Hoffen wir, dass wir ein bisschen mehr Verständnis für die tatsächlichen Bezüge solcher Erkrankungen und die Fakten dahinter gewinnen.

Hoffen wir, dass wir in Zukunft in der Lage sind, mit neu auftretenden Krankheiten ein bisschen weniger aufgeregt und ein bisschen entspannter umzugehen, und hoffen wir, dass wir in Zukunft Sozialminister-Regierungserklärungen bekommen, die sich mit den großen Themen, mit den großen Herausforderungen beschäftigen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LINKEN)

Vielen Dank. – Es liegt der Wunsch der Frau Kollegin Fuhrmann auf eine Kurzintervention vor.

(Zurufe von der CDU: Ist das zulässig?)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Natürlich sind Kurzinterventionen auch zu Redebeiträgen aus der eigenen Fraktion zulässig. Das ist aber ungewöhnlich, das gebe ich zu. Ich wollte die Kurzintervention eigentlich schon nach der Rede von Herrn Banzer machen, aber das war nach der Geschäftsordnung nicht zulässig.

Ich möchte zu zwei Punkten etwas sagen. Herr Dr. Spies hat schon erwähnt – –

Frau Kollegin Fuhrmann, tun Sie mir einen Gefallen: Beziehen Sie sich auf die Rede von Herrn Dr. Spies.

Ich wollte ihn sogar zitieren, Herr Präsident. – Herr Dr. Spies hat erwähnt,dass es Fälle gibt,in denen der bestellte Impfstoff nicht ausreicht. Ich bin betroffen, insofern hatte ich darum gebeten, kurz reden zu dürfen. Eiweißallergiker haben bei saisonalen Impfstoffen üblicherweise eine Alternative, nämlich einen Impfstoff auf Zellkulturbasis, nicht auf Hühnereibasis. Diese Alternative gibt es bei der Schweinegrippe nicht. Es gibt zwar einen solchen zugelassenen Impfstoff – seit zwei Wochen bemühen sich Herr Dr. Spies, ich und mein Hausarzt darum –, aber der ist

nicht bestellbar. Er ist zwar gelistet, aber nur in 200er-Dosen verfügbar. Das heißt, ich müsste noch 199 andere Menschen finden, die sich am gleichen Tag wie ich impfen lassen.

Ich frage mich angesichts des langen Vorlaufs dieser Pandemie – immerhin fünf Jahre –,warum man an die Gruppe der Eiweißallergiker nicht gedacht hat. Das Gleiche gilt für die Gruppe der Schwangeren, für die es zwar einen Impfstoff gibt, der aber nicht bestellbar, nicht käuflich erwerbbar ist. Insofern ist das ein Punkt, an dem man sehr genau nachdenken muss, wie man künftig handelt. – Vielen Dank.

Herr Dr. Spies, ich wage gar nicht zu fragen, ob Sie antworten wollen. – Nein. Das ist auch in Ordnung.

(Heiterkeit – Dr. Thomas Spies (SPD): Wenn Sie darauf bestehen!)

So weit geht die Liebe nicht.

(Heiterkeit)

Jetzt hat der Kollege Rentsch, der Fraktionsvorsitzende der FDP, das Wort.

(Günter Rudolph (SPD): Der Gesundheitsexperte!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Rudolph, die Geschäftsordnung ist an der Stelle eigentlich eindeutig. Insofern war es unproblematisch, und das, was Frau Kollegin Fuhrmann hier gesagt hat,hat auf jeden Fall zur Debatte beigetragen.

Ich will zunächst ein Wort zu der Situation außerhalb des Landtags verlieren, weil ich es für ein starkes Stück halte, was dort zurzeit passiert. Der Hessische Landtag debattiert hier und heute über verschiedene Themen.Man kann zur Bedeutung dieser Themen unterschiedliche Meinungen haben, aber dass Demonstranten in die Bannmeile des Landtages eindringen und damit ein zentrales Recht unserer parlamentarischen Demokratie verletzen, halte ich für einen Skandal.

(Widerspruch bei der SPD,dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Sie sehen es anders, das zeigt auch Ihre Position. – Das zeigt auch, in welchen Zeiten wir leben.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Es handelt sich um einen fortgesetzten Tatbestand: nach den Demonstrationen und Ausschreitungen, dem Entrollen von Transparenten, die wir hier im Landtag hatten, jetzt der Bruch der Bannmeile. Das ist etwas, was eigentlich alle Abgeordneten als unzulässig erachten sollten. Ich bin erstaunt, dass das nur ein Teil dieses Hauses so sieht. Das zeigt aber auch, wie sehr politisch motiviert diese Debatten mittlerweile geführt werden.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Ich möchte einen letzten Satz dazu sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es ist eines der zentralen Rechte unse

res Landtags, dass wir frei debattieren können. Die Bannmeile, dieses Recht des Landtags, und unsere Demokratie sind von unseren Vorgängern erkämpft worden. Das, was zurzeit da draußen passiert, ist das Gegenteil dessen, was wir gemeinsam wollen sollten. Insofern wundere ich mich, dass Sie Probleme haben, sich ganz klar gegen die Ausschreitungen auszusprechen, die da draußen stattfinden. Das halte ich sehr für problematisch.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, der Gesundheitsminister hat im Hessischen Landtag sehr umfassend – –

Herr Kollege Rentsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Sorge?

Nein, mit Sicherheit nicht. Die Kollegin kann ja die Möglichkeit der Kurzintervention nutzen.

(Zuruf der Abg. Sarah Sorge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Frau Kollegin Sorge,Sie können sich gleich dazu äußern. Das ist doch gar kein Problem. Vielleicht haben Sie dazu eine andere Position.Ich finde es trotzdem nicht gut,wenn der Landtag zu solchen Situationen schweigt, wie wir sie draußen haben. Wir als Demokraten sollten uns dagegen wehren, wenn Demonstrationen direkt vor dem Landtag stattfinden.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Zum Thema Schweinegrippe hat der Herr Gesundheitsminister den Landtag ausführlich unterrichtet. Kollege Spies, ich frage mich wirklich:Was war die Botschaft Ihrer 20-minütigen Rede? Die erste Botschaft war, dass Sie 20 Minuten hier vorne am Pult gestanden haben. Sie haben viele Themen problematisiert, über die man, das ist unbestritten, sprechen kann, aber ich traue Ihnen nicht zu, dass Sie einen Weg aufzeigen, wie diese Probleme gelöst werden sollen. Gibt es irgendeinen Vorschlag, den Sie vorgetragen haben, der praxisnah war? Es waren viele blumige Worte dabei. Ich muss wirklich sagen, das hat mich ein Stück weit an unserer frühere Gesundheitsministerin Ulla Schmidt erinnert. Dieses Problem haben wir auf Bundesebene Gott sei Dank gelöst. Dass Sie hier die Fortsetzung von Ulla Schmidt planen, halte ich für keinen guten Zug, Herr Kollege Spies.

(Zuruf des Abg. Dr.Thomas Spies (SPD))

Frau Schmidt war wirklich nicht die beliebteste Gesundheitspolitikerin.Wenn Sie Ihre Beliebtheit nicht komplett aufs Spiel setzen wollen, sollten Sie so etwas in Zukunft lassen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, das Thema Schweinegrippe – da teile ich die Auffassung von Herrn Spies und von Herrn Banzer – wird von vielen Menschen mit gemischten Gefühlen betrachtet, weil sie nicht wissen, wie sie mit dieser Thematik umzugehen haben. Sie wissen nicht, wie sie sich schützen sollen, ob sie sich schützen sollen, was eine Imp

fung bringt. Man hört die unterschiedlichsten Geschichten über die Nebenwirkungen der Grippeimpfung und die Wirkung der Trägerstoffe. Frau Kollegin Fuhrmann hat auf ein besonderes Problem hingewiesen, nämlich die Frage der Eiweißunverträglichkeit. Das ist unbestritten ein Problem, das die Menschen in der Praxis trifft.

Nichtsdestotrotz kann man feststellen: Das Land hat sehr frühzeitig die Verpflichtung übernommen, sich ausreichend Impfstoff zu verschaffen, um in einer schwierigen Situation gerüstet zu sein.

Zweitens. Es gibt Gott sei Dank einen Impfstoff, der wirkt. Auch das ist unbestritten. Das ist ein Umstand, der positiv zu bewerten ist.

Drittens. Wir können bis Ende Dezember dieses Jahres 25 % der Bevölkerung impfen.

Das sind erst einmal gute Nachrichten. Ich will an dieser Stelle aber auch ganz klar sagen, dass ich nicht glaube, dass es in der Praxis unproblematisch ablaufen wird. Ich weiß von vielen Menschen, dass sie keine Termine bei ihrem Arzt bekommen. Ich weiß von öffentlichen Gesundheitsämtern, die Probleme haben, den Ansturm überhaupt zu bewältigen. Ich weiß von Medizinern, die in vielen Fällen sehr angespannt sind, wenn sie die Menschen über die Situation aufklären müssen. Außerdem wissen wir – Herr Banzer hat es gesagt –, dass es aufgrund der Zehnerdosierung des Impfstoffs, der bei GlaxoSmithKline bestellt worden ist, zu Problemen kommt. Das ist unbestritten.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Ja, es ist zutreffend, dass jetzt ein zweiter Impfstoff auf dem Markt ist. Wir mussten uns aber frühzeitig entscheiden, welchen Impfstoff das Land bestellt. Das hatte nicht nur Vorteile, sondern auch Nachteile. Das ist unbestritten.

Ich sage ein großes Kompliment an die Ärztinnen und Ärzte, die zurzeit die Impfung durchführen. Sie bekommen das sehr gut hin, sowohl bei den Gesundheitsämtern als auch die niedergelassenen Ärzte. Das klappt in den meisten Fällen sehr gut. Darauf können wir stolz sein.

Schon vorher war klar, dass die Impfmüdigkeit irgendwann in eine starke Impfnachfrage umschlagen würde – ich will es einmal so ausdrücken. Das ist immer so. Das ist in vergleichbaren Fällen – das Wort „vergleichbaren“ ist an dieser Stelle vorsichtig zu gebrauchen – häufig so gewesen, dass die Menschen zunächst einmal gefragt haben: Brauche ich das überhaupt, brauche ich überhaupt eine Impfung? – Wenn es dann Todesfälle gibt, entsteht in der Bevölkerung eine sehr starke Nachfrage nach einem Impfstoff. Herr Gesundheitsminister, ich glaube, das hat die Landesregierung vorhergesehen.

Klar ist aber auch, dass wir nicht damit rechnen konnten – Herr Kollege Spies, da teile ich Ihre Auffassung nicht –, dass es beim Saatvirus, der den Impfstoff produzieren sollte, zu technischen Schwierigkeiten kommen würde. Das war von vornherein nicht abzusehen, aber ist jetzt ein Problem, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen.