Protokoll der Sitzung vom 17.11.2009

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die inhaltlichen Schwerpunkte des Gesetzentwurfs der Landesregierung für ein Achtes Gesetz zur Änderung des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Sozialgerichtsgesetz und deren positive Auswirkungen habe ich bereits im Rahmen der ersten Lesung ausführlich dargestellt.

Zwischenzeitlich haben wir eine schriftliche Anhörung mit 15 Anzuhörenden durchgeführt, diese ausgewertet und die Ergebnisse im Rechts- und Integrationsausschuss zur Vorbereitung einer zweiten Lesung intensiv diskutiert.

Aus den schriftlichen Stellungnahmen der Anzuhörenden ist ein hohes Maß an Zustimmung zum vorgelegten Gesetzentwurf ersichtlich.Die Direktoren der Sozialgerichte in Darmstadt, Marburg, Fulda und Wiesbaden sowie der Präsident des Landessozialgerichts haben ihre uneingeschränkte Zustimmung formuliert. Auch vonseiten des Hessischen Städte- und Gemeindebunds und des Kommunalen Arbeitgeberverbands Hessen wurde der vorgelegte Gesetzentwurf uneingeschränkt unterstützt.

Grundsätzliche Zustimmung mit kleineren Einschränkungen in Einzelfragen findet der Gesetzentwurf beim Hessischen Landkreistag, beim DGB Hessen-Thüringen, bei der Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht, beim Deutschen Anwaltsverein und bei der Stadt Offenbach. Wenn überhaupt, gibt es nur einige kleinere Differenzen bezüglich der Zuständigkeiten bzw. der Zuordnung der Gebietskörperschaften zu den verschiedenen Sozialgerichten.

Für die CDU-Landtagsfraktion ist es entscheidend, dass durch den vorgelegten Gesetzentwurf wegweisende und zukunftsorientierte Kernziele erreicht werden.

Darunter verstehen wir die Schaffung leistungsstarker und effizient arbeitender Sozialgerichte mittlerer Größe. Darunter verstehen wir die Anpassung der Grenzen der Gerichtsbezirke an die Zuständigkeitsbezirke der Leistungsträger. Damit würde auch ein derzeit vorhandenes Problem gelöst, nämlich dass die Fläche einzelner Landkreise auf zwei Sozialgerichtsbezirke verteilt ist.

Darunter verstehen wir die Vereinfachung der Berufung der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter. Sie soll nach den Vorschlägen der Landkreise und der kreisfreien Städte erfolgen.

Darunter verstehen wir auch die Beibehaltung und Stabilisierung der sieben Standorte der Sozialgerichte in Hessen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, dass die vorgesehene Umstrukturierung der Zuständigkeiten der Sozialgerichte im Einzelfall für die Prozessbeteiligten zu längeren Anreisewegen führen kann,ist nicht von der Hand zu weisen. Der vorliegende Gesetzentwurf hat darauf allerdings größtmöglich Rücksicht genommen. Frau Kollegin Hofmann, eine im Einzelfall tatsächlich auftretende geringfügige Verlängerung der Wegstrecke und ein damit verbundener höherer Kosten- und Zeitaufwand ist nach unserer Auffassung den Prozessbeteiligten zumutbar und kein Ausdruck fehlender Bürgernähe.

(Zuruf von der SPD: Doch, eindeutig!)

Aus diesem Grunde haben wir auch den von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vorgelegten Änderungsantrag abgelehnt,der sich für einen Verbleib der Zuständigkeit für die Stadt Offenbach beim Sozialgericht Frankfurt und gegen eine Verlagerung der Zuständigkeit zum Sozialgericht Darmstadt ausspricht.

(Zuruf:Warum?)

Mit der im Gesetzentwurf vorgesehenen Regelung würden in Darmstadt und Frankfurt zwei etwa gleich große Sozialgerichte mit jeweils ca. 15 Richterstellen entstehen. Das bisherige Ungleichgewicht zwischen den beiden Standorten würde damit beseitigt. Das würden wir, die Mitglieder der CDU-Fraktion, ausdrücklich begrüßen.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege, das ist nachweislich falsch!)

Herr Al-Wazir, auch die im Einzelfall eventuell anfallenden geringfügig höheren Kosten für den Kläger können den hohen Stellenwert der Kernziele, die der Gesetzentwurf verfolgt, nicht mindern und haben absolut nichts mit fehlender Bürgernähe zu tun. Denn ich habe hier im Gekrumpel das Wort Bürgernähe gehört.

Ich will Ihnen das erklären. Die von mir erwähnten Kernziele,die wir mit diesem Gesetzentwurf erreichen werden, bedeuten das Erzielen von weitaus mehr Bürgernähe, als es eventuell ein 3 km kürzerer Anreiseweg zum Sozialgericht tun würde.

(Dr. Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Es sind aber 30 km!)

Sieben Standorte mit effizient arbeitenden Sozialgerichten sind Ausdruck von Bürgernähe. Effizient und wirtschaftlich arbeitende Sozialgerichte sind Ausdruck von Bürgernähe. Eine Gebietskörperschaft gehört zu einem

Sozialgericht, das ist Ausdruck von Bürgernähe. Die Vereinfachung der Berufung der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter ist ebenfalls ein massiver Ausdruck von Bürgernähe. Verehrte Frau Kollegin Hofmann, hinzu kommt, dass bare Auslagen und der Zeitverlust des Klägers bzw. des Antragstellers wie bei einem Zeugen entschädigt werden, wenn sein persönliches Erscheinen gemäß § 111 Sozialgerichtsgesetz angeordnet wurde.

(Dr. Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Und wenn nicht?)

Verehrter Herr Kollege Al-Wazir, letztendlich muss auch die Frage erlaubt sein, wie oft eine Bürgerin oder ein Bürger tatsächlich persönlich vor einem Sozialgericht erscheinen muss.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Klar, relativ oft!)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir tun doch gerade so, als ob wir hier einen Gesetzentwurf verabschieden würden,bei dem es darum geht,dass jeder Bürger dreimal per anno vor dem Sozialgericht erscheinen muss. Das ist doch fern jeglicher Realität.

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, die Mitglieder der CDU-Fraktion sehen sich nach Auswertung der Unterlagen der schriftlichen Anhörung in ihrer bisherigen Haltung mehr als bestätigt und bestärkt.Wir werden dem vorgelegten Gesetzentwurf heute im Rahmen der zweiten Lesung zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Herr Kollege Klein, vielen Dank. – Als nächster Redner erhält Herr Dr. Jürgens für die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN das Wort.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) geht zum Rednerpult und fährt es herunter.)

Herr Al-Wazir, vielen Dank.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kein Problem! Jetzt haben wir den ganzen Plenarsaal neu gebaut,und das Pult geht immer noch nicht schneller! – Gegenruf: Du musst fester drücken!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Anliegen des Gesetzentwurfs, jede Gebietskörperschaft nur einem Sozialgericht zuzuordnen, wird von meiner Fraktion durchaus geteilt. Das ist sinnvoll. Die derzeitige Aufteilung auf zwei oder drei Sozialgerichtsbezirke ist aus unserer Sicht nicht sinnvoll.

Die Kreise und die kreisfreien Städte sind als Sozialhilfeträger und als Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende, auch Hartz IV genannt, zu einem großen Prozentsatz an den Verfahren vor den Sozialgerichten beteiligt.

Nehmen wir einmal den Landkreis Hersfeld-Rotenburg. Im Augenblick haben wir dort folgende Situation. Da fährt ein Mitarbeiter von Bad Hersfeld zum Sozialgericht nach Kassel, weil dort ein Rechtsstreit geführt wird. Am gleichen Tag fährt ein anderer Mitarbeiter von Bad Hersfeld nach Fulda,weil dort ein anderer Rechtsstreit geführt wird. Ein Mitarbeiter kann also nicht beide Rechtsstreite

an einem Gericht erledigen. Es ist unserer Ansicht nach durchaus sinnvoll,dass,um bei diesem Beispiel zu bleiben, künftig Fulda einheitlich für diesen Landkreis zuständig sein soll.

Wir sind daher vom Grundsatz her mit diesem Gesetzentwurf durchaus einverstanden. Wir dürfen eines nicht vergessen: Es handelt sich um einen Vorschlag, der von der Sozialgerichtsbarkeit selbst entwickelt wurde, und zwar aus guten Gründen.Aufgrund der Praxiserfahrung wurde gesagt: Es ist sinnvoll, eine Gebietskörperschaft einem Gericht zuzuordnen.

Aber wir müssen natürlich auch sehen: Die Zuordnung muss so erfolgen, dass die Bürgernähe nicht gefährdet ist. Das ist bei den Sozialgerichten schon etwas ganz Besonderes. Denn vor den Sozialgerichten werden viele Rechtsstreite von den Klägerinnen und Klägern ohne anwaltliche oder sonstige Vertretung geführt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Herr Klein, sie bekommen Kostenerstattung, wenn das persönliche Erscheinen angeordnet ist.Was ist denn aber, wenn es nicht angeordnet ist? Dann müssen sie gleichwohl erscheinen, um rechtliche Nachteile zu vermeiden, und erhalten keine Kostenerstattung.

(Hugo Klein (Freigericht) (CDU): Das ist derzeit auch schon so!)

Vielmehr müssen sie es auf eigene Kosten finanzieren. Wie gesagt: Rechtliche Nachteile müssen in Kauf genommen werden, wenn man nicht erscheint.

Nun ist es in der Tat bei den meisten Gebietskörperschaften so, dass künftig ein Teil der Leute einen längeren Weg und ein anderer Teil der Leute einen kürzeren Weg haben wird. Aufgrund der Stellungnahmen wissen wir, dass sich das in vielen Fällen ausgleichen wird. Das ist dann halt so, dass sich Licht und Schatten, Vor- und Nachteile irgendwie die Waage halten werden. In den meisten Fällen wird das so sein.

Aber in einem Fall ist es uns in der Tat völlig unverständlich. Da geht es um die Frage, warum Sie einen Zuständigkeitswechsel für die Stadt Offenbach vom Sozialgericht Frankfurt zum Sozialgericht Darmstadt vorsehen.

Überlegen Sie sich das einmal:Wenn man von Offenbach mit dem öffentlichen Personennahverkehr nach Darmstadt will, muss man immer über Frankfurt fahren. Dabei geht es nicht um 3 km Unterschied, also darum, ob man 3 km weiter fahren muss. Vielmehr geht es um 30 km. Es geht nicht um fünf Minuten, sondern es geht um eine halbe Stunde. Es geht darum, ob man unter zumutbaren Bedingungen ein nahe gelegenes Sozialgericht oder zu unzumutbaren Bedingungen ein weiter entfernt gelegenes Sozialgericht erreicht. Das ist nun überhaupt nicht sinnvoll.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

In Offenbach gleicht sich auch nichts aus. Da kann man auch nicht sagen, die eine Hälfte der Betroffenen wird einen kürzeren Weg haben, und für die der anderen Hälfte wird es weiter.Alle werden einen weiteren Weg haben.

Offenbach ist deswegen ganz besonders betroffen, weil der Anteil der Bevölkerung, der in der einen oder anderen Weise mit Arbeitslosengeld II zu tun hat, bei sage und schreibe 19 % liegt.Natürlich führen nicht alle davon Kla

gen vor dem Sozialgericht.Aber wir wissen, dass der Prozentsatz hoch ist. Gerade die Offenbacher Bevölkerung ist von diesem Problem betroffen.

Es ist auch deshalb nicht sinnvoll, die Verlagerung stattfinden zu lassen, weil sich die meisten Offenbacher entgegen dem landläufigen Vorurteil durchaus in Richtung Frankfurt orientieren. Sie gehen dort zum Einkaufen und für kulturelle Aktivitäten hin.

(Zuruf des Ministers Stefan Grüttner)

Meine Aussage wird gerade von der Regierungsbank bestätigt.Vielen Dank.

Sogar der Urheber dieses gesamten Vorschlags, der Präsident des Hessischen Landessozialgerichts, Herr Dr. Klein, hat in seiner Stellungnahme geschrieben,dass es durchaus richtig sei, dass eigentlich mehr für die Zuordnung der Stadt Offenbach zu dem Sozialgericht Frankfurt sprechen würde.