Protokoll der Sitzung vom 19.11.2009

(Janine Wissler (DIE LINKE): Deshalb waren wir ja gegen die Gewährung eines Kredits!)

Auch ich bin ärgerlich über diese Entwicklung, aber wir dürfen doch die Eigentumsrechte von GM nicht beschränken. Das Wichtigste ist jetzt, dass wir uns darauf konzentrieren, zu gewährleisten, dass es in die richtige Richtung geht.

Den allergrößten Teil der Irritationen in Sachen Opel hat zweifellos GM zu verantworten. Da bin ich bei Ihnen. Selten hat ein globaler Großkonzern so eindrucksvoll bewiesen, dass er nicht annähernd weiß, was er eigentlich will.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Konzern GM scheint immer noch nicht zu wissen,was er will und was er zu tun bereit ist. Zuerst betont der neue GM-Chef für Europa, Nick Reilly, er brauche keine Staatshilfe. Dann will der GM-Unterhändler John Smith Staatshilfen in Höhe von 3,3 Milliarden c haben. Flugs dementiert das der mächtige Verwaltungsboss Ed Whitacre wieder, der sagt, man saniere Opel selbst. Niemand weiß, wie lange das, was die drei Herren heute sagen, morgen noch gilt.

Eines dürfen wir meines Erachtens als Politiker aber keinesfalls zulassen. Wir dürfen nicht zulassen, dass GM die Arbeitsplätze bei Opel – wie man jetzt zunehmend vernimmt – meistbietend an Regierungen in Deutschland, in Spanien, in England, in Polen und in Belgien praktisch versteigert nach dem Motto: Wer die meiste Staatsknete gibt, der bekommt die meisten Arbeitsplätze gesichert.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Das haben wir von Anfang an kritisiert!)

Das kann nicht das Ziel sein. Ich rate jedem von uns, sich nicht auf dieses Geschäft einzulassen. Sonst hätten wir als Politik in Deutschland gewaltig verloren und hätten vor einem globalen Großkonzern kapituliert.

Opel muss wie jedes andere Unternehmen, wie jede mittelständische Firma behandelt werden. Wir erwarten, dass GM seiner unselbstständigen Tochter den Lebensunterhalt gewährleistet – wie das auch andere Automobilhersteller tun. Auch da gibt es hier und da Töchter, die nicht so funktionieren, z. B. im Hause VW, im Hause

BMW, im Hause Daimler/Mercedes-Benz und bei anderen Herstellern. Aber hören Sie, dass die ihre Töchter gleich verkaufen wollen, hören Sie, dass die gleich einen Investor suchen, oder hören Sie, dass die gleich nach Staatshilfe schreien? Nein,die lösen die Probleme auf ihre Art und Weise selbst, gemeinsam mit den Mitarbeitern, und sind damit in der Vergangenheit bestens gefahren.

Herr Kollege Reif, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Sie müssten zum Schluss Ihrer Rede kommen.

Seien wir mal ehrlich: Die Zahl der Anträge, der Wortmeldungen und der Presseerklärungen im Hessischen Landtag steht in einem krassen Widerspruch zu der Zahl der Fahrzeuge der Marke Opel in der Tiefgarage des Hessischen Landtags. Gemessen an der Intensität unserer Diskussion dürften da unten nur Fahrzeuge aus dem Hause Opel stehen.

Machen wir doch Folgendes. Lassen wir das Unternehmen das machen, was es am besten kann, nämlich Autos zu konstruieren,Autos zu bauen und Autos zu verkaufen. Dann ist Opel am besten gedient und dieser Automobilhersteller für die Zukunft ordentlich aufgestellt. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Reif. – Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Wissler für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es ist gerade einmal zwei Monate her, dass hier im Landtag der Magna-Deal bejubelt wurde, als sei bereits alles in trockenen Tüchern, als sich der Ministerpräsident und die SPD gegenseitig gedankt und alle Mahnungen in den Wind geschlagen haben – auch in der Hoffnung, noch Punkte für die bevorstehende Bundestagswahl zu sammeln.

Heute wissen wird, dass der Jubel und auch die Danksagung völlig unangebracht und völlig verfrüht waren, denn es hat sich die Befürchtung bestätigt, dass die vermeintliche Rettung von Opel die Bundestagswahl nur knapp überleben würde. Einer der größten Arbeitgeber in Hessen kann seinen Beschäftigten nicht sagen, wie das Geschäft im kommenden halben Jahr weitergehen soll.

Der Magna-Deal ist geplatzt. GM wollte Opel nie verkaufen. Man konnte sich nur die Sanierung nicht leisten. Anzeichen dafür gab es. GM stellte Bedingungen, die Zündstoff bargen und darauf angelegt waren, die Verhandlungen scheitern zu lassen. GM hat vier von acht Vorstandsposten gefordert, ein Rückkaufsrecht und die Beschränkung der Absatzmärkte von Opel; die wachsenden asiatischen und nordamerikanischen Märkte sollten GM vorbehalten bleiben. All das sind Bedingungen, die weder Magna noch irgendein anderer Investor unter normalen Umständen akzeptiert hätte, wären da nicht die Staatshilfen gewesen. Daran und am technischen Know-how war Magna interessiert, denn Magna steckt selbst in Schwie

rigkeiten.Nach Ihrem Konzept sollten ein angeschlagener Zulieferer und eine angeschlagene Bank einen angeschlagenen Automobilhersteller übernehmen und mit Staatshilfen ein Fünftel der Arbeitsplätze abbauen.Wie Opel so eine gute Zukunft haben sollte, konnte ich schon im Sommer dieses Jahres nicht nachvollziehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Hängepartie für die Beschäftigten und ihre Familien geht weiter. Tausenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Opel droht der Verlust der Arbeitsplätze. Ganz ehrlich: Da nehmen sich Magna und GM ziemlich wenig. Magna hatte angekündigt, 10.500 Stellen abzubauen, GM kündigt jetzt an, 11.000 Stellen einzusparen. Zudem hat Magna erwartet, dass 1,5 Milliarden c an Lohnverzicht vonseiten der Beschäftigten für eine Beteiligung der Belegschaft in Höhe von 10 % zusammenkommen würden. Mit 10 % der Anteile, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann man wenig Einfluss nehmen, aber man trägt das Risiko des Verlustes.

Dass GM überhaupt wieder in der Lage ist, Entscheidungen zu treffen und Opel zu behalten, verdankt das Unternehmen der Tatsache, dass es sich faktisch um einen verstaatlichten Konzern handelt und dass die deutsche Regierung den Brückenkredit ohne Bedingungen und ohne Mitspracherechte vergeben hat.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich mache mir Gedanken! Bisher hätte es eine Rede einer FDP-Abgeordneten sein können!)

Zu einer richtigen Einschätzung kommt der Gewerkschaftsrat der hessischen SPD. Unter der Überschrift „Opel an Ideologie der Wespen-Koalitionäre gescheitert“ wird festgestellt: „Hätte man die Gewährung von Bürgschaften an die Übertragung von Anteilen geknüpft (Geld für Eigentum) und damit Mitsprache erhalten, dann hätte Opel heute eine klare Perspektive.“ – Ich denke, dass der Unterschied zur FDP hierdurch deutlich wird.

(Beifall bei der LINKEN – Mathias Wagner (Tau- nus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Aber gerade noch die Kurve bekommen!)

Das habe an einer ideologischen statt an einer pragmatischen Wirtschaftspolitik bei Teilen der handelnden Politikerinnen und Politiker gelegen.

Meine Damen und Herren, ich habe mit Erstaunen festgestellt, dass die SPD-Fraktion genau diesen Beschluss des Gewerkschaftsrates 1 :1 in ihren Antrag übernommen hat. Vor Erkenntnisgewinn ist niemand gefeit. Aber ich finde es schade, dass Sie nicht auf die Gewerkschafter in Ihrer Partei gehört haben, als Sie auf der Bundesebene noch etwas zu sagen hatten.

(Beifall bei der LINKEN – Thorsten Schäfer-Güm- bel (SPD): Vertiefte Sachkenntnis erschwert manchmal die Meinungsbildung! Das trifft auch für den Fall zu, den Sie ansprechen!)

Eines verschweigt die Überschrift nämlich: Nicht nur die Wespe, auch die SPD war gegen den Staatseinstieg bei Opel, nicht wahr, Herr Schäfer-Gümbel? Wer waren denn die handelnden Politiker, von denen Sie in Ihrem Antrag schreiben? Herr Schäfer-Gümbel, Sie haben in Ihrer verfrühten Danksagung zuallererst Frank Walter Steinmeier gedankt.Sie haben ihm dafür gedankt,dass er den MagnaDeal überhaupt erst eingefädelt hat.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Ja! Das war auch gut so! Sonst würde es Opel heute nicht geben!)

Ich finde es nicht falsch, Frank-Walter Steinmeier eine ideologische Wirtschaftpolitik vorzuwerfen, wie Sie es in Ihrem Antrag offensichtlich machen. Wir freuen uns immer, wenn sich die Hessen-SPD vom Schröder-Flügel ihrer Partei distanziert.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber, Herr Schäfer-Gümbel, noch im September haben Sie sich gegen den Vorwurf verwahrt,die SPD plane einen Staatseinstieg bei Opel – „VEB Opel“ nannten Sie das damals –, und Sie stellten fest, dass CDU und SPD auf der Landesebene eng zusammenstünden und dass Sie dem Ministerpräsidenten dankbar seien. Es war der SPD immer wichtig, klarzustellen, dass sie Teil des großen Konsenses in diesem Haus ist, der Kredite ohne Bedingungen befürwortete.

(Zuruf des Abg.Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Der stellvertretende Ministerpräsident Jörg-Uwe Hahn hat wieder eindrucksvoll bewiesen, dass das Wort der FDP nichts gilt. Er war nämlich an allen Entscheidungen beteiligt, die er später öffentlichkeitswirksam kritisierte. Zu Guttenberg hielt eine Pleite des Unternehmens für die bessere Lösung, und der neue FDP-Wirtschaftsminister Brüderle will das Werk offensichtlich beenden.

Der Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle warnte, dass die Opferbereitschaft bei den Arbeitnehmern zurückginge, wenn sie wüssten, dass im Zweifelsfall der Staat mit seinem Geld bereitsteht. Im Klartext heißt das: Nur wenn die Beschäftigten Angst vor der Pleite haben, sind sie erpressbar.

Jetzt lehnt Brüderle alle weiteren Staatshilfen ab. Wenn die Länder Opel retten wollen, so sein Credo, ist das ihr Privatvergnügen, und dann sollen sie das auf eigene Kosten machen. – Ich halte das für unverantwortlich gegenüber den 50.000 Beschäftigten und ihren Familien.

(Beifall bei der LINKEN)

Opel den freien Kräften des Marktes zu überlassen heißt, in Kauf zu nehmen, dass Opel kaputtgeht, nichts anderes. Das mag konkurrierende Automobilhersteller freuen, zu denen sich zu Guttenberg und Brüderle offensichtlich mehr hingezogen fühlen als zu Opel. Aber für die betroffenen Menschen und die Gemeinden wäre es eine Katastrophe.

Nun empören sich die SPD und auch Teile der CDU, allen voran der Ministerpräsident, über die Entscheidung von GM, Opel doch nicht zu verkaufen.Aber das, was hier gerade passiert, ist – da gebe ich Herrn Reif recht; das mag Sie erschüttern, aber es ist so –, dass die Eigentümer von ihrem Recht Gebrauch machen, frei darüber zu entscheiden, ob und unter welchen Bedingungen sie sich von ihrem Eigentum trennen.

Meine Damen und Herren, diese Freiheit haben Sie GM gelassen. Wenn Sie das hätten verhindern wollen, hätten Sie Mitspracherechte verlangen müssen. Das würde bedeuten, bei Opel und vergleichbaren Unternehmen aktiv einzusteigen und darüber die Geschäftspolitik zu beeinflussen. Dann kann man die Standorte und die Arbeitsplätze sichern, statt nur Geld zur Verfügung zu stellen und dann öffentlich darüber zu klagen, was damit geschieht.

Was hat die Regierung denn davon abgehalten, Bedingungen zu stellen,als sie Staatsgarantien in Höhe von 4,5 Milliarden c bereitgestellt hat? Die Große Koalition hat erklärt, man könne keine Bedingungen stellen; denn das würde dem EU-Wettbewerbsrecht widersprechen.Es ist so einfach wie billig, die Verantwortung nach Brüssel abzuschieben und so zu tun, als hätte man damit nichts zu tun.

Herr Reif,auch an diesem Punkt sehe ich es so wie Sie.Ich glaube, dass es ein Problem gibt, wenn wir in die Situation kommen, dass GM die einzelnen Länder gegeneinander ausspielt und fragt: Wer zahlt denn am meisten? Dessen Standort erhalten wir. – Das ist ein Problem.

Die Frage ist: Warum hat man auf der EU-Ebene nicht versucht, die Standorte und Arbeitsplätze europaweit zu erhalten? Warum haben wir das vereinte Europa nicht dazu genutzt, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bei Opel eine Zukunft zu garantieren?

(Beifall bei der LINKEN)

Hier wurde Standortnationalismus betrieben.Andere Regierungen sind sehr erleichtert, dass der Magna-Deal geplatzt ist. Die Beschäftigten und die Gewerkschaften haben recht, wenn sie über die Grenzen und Standorte hinweg gemeinsam Druck machen und sich im Kampf um ihre Arbeitsplätze nicht gegeneinander ausspielen lassen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer die Arbeitsplätze bei Opel retten will, darf nicht auf private Investoren setzen.Angesichts der Überkapazitäten in der Automobilindustrie weltweit und angesichts der Weltwirtschaftskrise, die noch lange nicht vorbei ist, wird Opel als reiner PkwHersteller größte Probleme haben. Bei 20 % Überkapazitäten auf dem Automobilmarkt wird es eine „Bereinigung“ des Marktes geben.

Sie wollten bei Opel nie einsteigen; denn Ihre Vorstellungskraft reicht über die betriebswirtschaftliche Perspektive nicht hinaus. Deswegen haben Sie ungerechtfertigte Hoffnungen in Magna geschürt und schieben die Schuld jetzt auf das andere Atlantikufer.

Für die LINKE ist klar: Wir wollen Opel retten. Wir wollen die Arbeitsplätze retten, und wir wollen die Standorte sichern. Dafür sollte der Staat auch Geld bereitstellen. Das gilt für GM genauso wie für Magna; denn es ist weniger wichtig, auf welches Firmenkonto das Geld überwiesen wird, als wie die Bedingungen dafür aussehen. Als Gegenleistung müssen der Bund und die Länder reale Einflussmöglichkeiten erhalten. Die Beschäftigen müssen beteiligt werden. Herr Ministerpräsident, das ist im Übrigen auch eine Forderung Ihres neuen „Männerfreundes“, wie Herr Reif ihn nennt, nämlich von Klaus Franz.

Wir wollen keine öffentlichen Mittel ohne öffentliche Kontrolle, und wir wollen keine staatliche Subventionierung von Arbeitsplatzabbau. Das VW-Gesetz in Niedersachsen zeigt, dass eine staatliche Beteiligung möglich ist. Es muss ein dauerhaftes Konzept geben. Opel darf nicht auf dem Rücken der Beschäftigten saniert werden, sondern es muss ein neues Geschäftsmodell entwickelt werden.

Eine richtige Reaktion auf die Überproduktion auf den Weltmärkten wäre eine Arbeitszeitverkürzung. Ein Staatseinstieg bietet die Möglichkeiten,Alternativen zum Auto, Alternativen zum Individualverkehr zu entwickeln und Opel zu einem umweltfreundlichen Verkehrskonzern umzubauen. So könnte Opel zum Vorreiter für den sozialökologischen Umbau werden.