Protokoll der Sitzung vom 10.12.2009

Ein zweiter Punkt ist ebenfalls sehr klar. Es wird hier zum ersten Mal der Verdacht bestätigt,den wir alle hatten,dass auf die Bachelorstudiengänge nicht in voller Breite Masterstudiengänge folgen sollen. Das Gesetz sieht explizit eine Rechtsgrundlage vor, Zugangsbeschränkungen nur für Masterstudiengänge zu machen, auch wenn die Bachelorstudiengänge da sind.

Ich weiß, dass das ein ökonomisches Problem ist. Ich kann rechnen. Aber, mit Verlaub, auch das ist eine Grundsatzentscheidung, die hier einmal nebenbei in einem Staatsvertrag getroffen wird. Wir Sozialdemokraten sagen, wir wollen bei der hoch qualifizierten deutschen Hochschulbildung bleiben. Das heißt, in der Regel muss jeder die Chance haben, der einen Bachelor hat, auch einen Master zu machen. Schon deswegen kann man diesem Gesetz nicht zustimmen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Alles in allem werden Sie sich nicht wundern – ich will die Redezeit gar nicht ausschöpfen –, dass wir dem Staatsvertrag und dem Gesetz nicht zustimmen. Ich habe inzwischen dieses Gesetz nach Rückkopplung mit einigen Rechtsanwälten so verstanden, dass es Bestandteil eines Konjunkturpakets ist, weil es für eine Reihe von Rechtsanwälten, die sich mit Staatsrecht und Grundrechten beschäftigen, eine Grundlage für eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ist. Dafür können sie der Landesregierung dankbar sein, die Studierenden können es nicht. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Danke schön, Herr Kollege Grumbach. – Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Frau Dorn.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wir befinden uns in einem sehr sensiblen Bereich der Hochschulzulassung.Auch ich bedauere, dass die Diskussionen im Ausschuss und hier so wenig fruchtbar sind.Wir befinden uns in einem sensiblen Bereich, weil wir uns zwischen dem Grundrecht der freien Studienwahl und gleichzeitig der Realität befinden, dass wir zu wenige Kapazitäten an Studienplätzen haben. Das ist immer wieder ein elementarer Punkt von uns GRÜNEN, der Ausbau von Studienplätzen. Angesichts der schwarz-gelben Steuergeschenke sehe ich für den weiteren Ausbau in eine düstere Zukunft.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sehen auch Probleme, dass die zentrale Vergabe transparenter ist und damit leichter der Klageweg funktioniert. Gleichzeitig ist es Fakt, dass die Hochschulen Schwerpunktbildungen in der Hochschullandschaft machen müssen. Das gilt es auszubalancieren. Deswegen haben wir es uns bei der Bewertung des Gesetzes nicht einfach gemacht und haben gesagt: Gut, der Staatsvertrag ist ein Kompromiss – für uns nicht der gelungenste,aber es ist ein Kompromiss zwischen allen Ländern.

Das kritisiere ich an Ihrem Begleitgesetz: Sie gehen in wesentlichen Punkten über den Staatsvertrag hinaus, und zwar so, dass es Experimente zulasten der Studienbewer

ber sind. Ich möchte sie noch einmal einzeln aufführen. Herr Reißer, zum einen haben Sie angesprochen, Sie verstehen es nicht, warum wir etwas dagegen haben, dass ein weiteres Auswahlkriterium verpflichtend dazugenommen wird. Ich will es Ihnen gern noch einmal erklären.

Zum einen. Die weiteren Kriterien, die Sie dort nehmen, haben Sie ohne Qualitätskriterium aufgeschrieben. Das heißt, ein Auswahlgespräch steht ohne weitere Kriterien als weiteres Zulassungskriterium da.Aber ein Auswahlgespräch,das nicht nach klaren Kriterien durchgeführt wird, das nicht transparent nachvollzogen werden kann, kann eine reine Willkür sein. Das ist ein Riesenproblem in dem sensiblen Bereich des Grundrechts auf freie Studienwahl.

Zum Zweiten. Ein studienspezifischer Test, ein Fähigkeitstest kann – wie der Medizinertest – wunderbar sein, kann aber auch wie das Werfen einer Münze sein, wenn er nicht wissenschaftlich evaluiert ist. Hier verstehe ich nicht, warum Sie unsere Änderungsanträge nicht angenommen haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zum Dritten der unglaubliche Aufwand, der auf die Hochschulen zukommt und für den sie keine Entschädigung bekommen. Wir denken, es ist wichtig, es freiwillig zu lassen. Es gibt einige Studiengänge, wo das sinnvoll sein kann, aber das sind durchaus nicht alle, und wenn, dann sollte es klare Qualitätskriterien geben.

Wo gehen Sie noch über den Staatsvertrag hinaus? Bei der Ermittlung der Kapazitäten von Studienplätzen. In diesem Bereich machen Sie ein Hauruckverfahren. Ich gebe zu, wir müssen bei dem Kapazitätsrecht eine Weiterentwicklung haben – ja. Aber nicht so, dass es komplett das ganze System umschmeißt. Sie haben zwei gefährliche Experimentierklauseln vor. Das ist zum einen, dass Sie nunmehr die Möglichkeit einräumen,dass nicht nach Ausbildungsaufwand und Lehrangebot, sondern auf der Grundlage von haushaltsrechtlichen Budgets die Kapazitätsplätze ermittelt werden können.

Zum anderen haben Sie im Gesetzentwurf eine Sonderstellung der TUD und der Goethe-Universität, die mittels eigener Satzung die Kapazitäten festsetzen können, und nicht mehr durch Rechtsverordnung. Dadurch haben wir keine parlamentarische Kontrolle mehr.

Wir GRÜNEN haben wichtige Kriterien für uns erstellt, wie wir der Entwicklung der Verfahren zur Ermittlung von Studienplatzkapazitäten zustimmen könnten. Die Kriterien sind zum einen, dass vorhandene Studienkapazitäten tatsächlich ausgeschöpft werden müssen, zum anderen, dass die Festlegung der Kapazitäten nachvollziehbar, öffentlich und transparent sein muss.

Weiter gilt es bei den verschiedenen Zielen von Profilbildung, hochwertigen Studienbedingungen und Befriedigung der Nachfrage darauf zu schauen, dass die Befriedigung der Nachfrage nicht an letzter Stelle steht, dass die Festsetzung der Kapazitäten weiterhin durch Verwaltungsgerichte überprüft werden kann und dass bundesweit vergleichbare Verfahren angewendet werden. Alle diese Kriterien erfüllen Ihre Hauruckexperimente leider nicht.Deswegen werden wir diesen auch nicht zustimmen.

Weiter geht es um etwas ganz Grundsätzliches. Eigentlich sollte sich die Landesregierung nicht durch Experimente hervortun, sondern eher in Vorbildfunktion agieren, damit die verschiedenen Länder eine bestmögliche Koordinierung für diese neue Stiftung an den Tag legen. Das heißt,Sie könnten sich in der Kultusministerkonferenz für

wesentliche Punkte einsetzen. Wir haben Ihnen drei Vorschläge gemacht.Bei dem einen haben Sie klar gesagt,warum Sie nicht zustimmen können.Aber bei den beiden anderen habe ich noch nicht ein Argument dagegen gehört.

Der erste Punkt war der zusätzliche Beirat.Wir haben gefordert, dass ein zusätzlicher Beirat mit beratender Funktion gegründet werden soll,in dem Menschen aus der Verwaltungspraxis und Betroffene sitzen. Das ergab sich aus der Anhörung, bei der sehr viele Anzuhörende gesagt haben, dass es immense Probleme bei der Umsetzung geben wird und dass gerade die Schnittstelle zwischen Schule und Hochschule ganz besonders betroffen ist. Ein sehr einfaches Beispiel: Ein Abiturient, der gerade in den Prüfungen ist, kann sich nicht gleichzeitig an einer Uni bewerben. Diesen Stress kann man keinem Schüler antun.

Das sind Beispiele genauso wie der ganze Bereich der sozialen Härtefälle, der bisher ungenügend geregelt ist. All das muss besser geregelt werden. Das kann in der Umsetzung noch geschehen. Dazu brauchen wir die Experten.

Frau Kollegin, Sie müssten zum Ende kommen.

Insofern wäre ein weiterer Beirat sehr sinnvoll. – Ich sage noch einen Punkt.

Herr Reißer, die Verpflichtung, die Sie als unsere Forderung angesprochen haben, dass die Hochschulen an dem Serviceverfahren teilnehmen sollen, finde ich sehr wichtig.Dieses Computersystem kann nur dann funktionieren, wenn möglichst viele Hochschulen teilnehmen.Wir haben einfach das Problem, dass es gut sein kann, dass Hochschulen nicht teilnehmen werden, weil sie die Kosten scheuen und Befürchtungen haben, dass das System nicht funktioniert. Dann gäbe es keine Synergieeffekte.

Deswegen fordern wir, wenn das System funktioniert, dann sollen die Hochschulen sich beteiligen müssen, und der Mehraufwand muss ihnen erstattet werden. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schönen Dank,Frau Dorn.– Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Büger das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Ziel liberaler Bildungspolitik ist, dass jeder Mensch nach seinen Eignungen, Leistungen und Fähigkeiten optimal gefördert wird.

Wir wissen, nicht jeder Mensch will studieren; nicht jeder, der studieren will, ist in jedem Fach und an jeder Hochschule in ihren unterschiedlichen Schwerpunkten – und die wollen wir gerade – gut aufgehoben.

Aus diesem Grunde müssen wir Verfahren finden, nach denen wir individueller und nach mehr Kriterien als der reinen Abiturnote und einer bürokratischen und zentralistischen Vergabe Studienplätze und Bewerber zueinanderbringen. Deshalb stimme ich ausdrücklich den

Punkten zu, die Herr Reißer in seinem Vortrag hier erwähnt hat.

(Zuruf des Abg. Gernot Grumbach (SPD))

Frau Dorn, nur ein kurzer Hinweis.Wenn an dieser Stelle Auswahlgespräche Einsatz finden, dann würde ich die in jedem Fall nicht als willkürlich abtun.

(Gernot Grumbach (SPD): Nach wissenschaftlichen Untersuchungen sind die aber willkürlich!)

Ich glaube, da würde man vielen dieser Gespräche wirklich unrecht tun.

Meine Damen und Herren, der heute hier in dritter Lesung zur Abstimmung stehende Staatsvertrag erreicht dieses Ziel – das will ich an dieser Stelle selbstkritisch sagen – noch nicht vollständig. Aber er ist ein richtiger Schritt in die richtige Richtung,da er die ZVS in eine neue Rechtsform überführt, nämlich in die Form einer Stiftung, und sie damit letztendlich als Serviceeinrichtung aufstellt.

Deswegen werden wir als FDP dieser Vorlage zustimmen. Der Staatsvertrag wird im Übrigen – auch das will ich erwähnen – von allen Ländern mitgetragen, auch von den Ländern mit Beteiligung von SPD, GRÜNEN und LINKEN an der Regierung. Ausdrücklich kann ich das Land Berlin erwähnen – soweit ich weiß, ist das rot-rot regiert. Vor diesem Hintergrund muss ich schlicht sagen: Offensichtlich besteht hier von Grundsatz her eine Einigkeit.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Frau Wissler, ich glaube, Sie sind gleich dran, melden sich hier aber schon lautstark. – Ich habe gesehen und bemerkt, dass DIE LINKE in den Ausschüssen diesen Staatsvertrag grundsätzlich abgelehnt hat. Vor dem Hintergrund,dass Sie dort,wo Sie regieren,diesem Staatsvertrag zustimmen, entsteht für mich doch ein gewisser Beigeschmack: dass man hier in einer Fundamentalopposition alles ablehnt, was man dann, wenn man in der Regierungsverantwortung steht, selbst macht. Ich glaube nicht, dass das unser politischer Stil sein sollte.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE) – Hermann Schaus (DIE LINKE): Lassen Sie uns doch einmal regieren, dann sehen Sie es!)

Das möge Gott verhindern.

Unterschiede bestehen im Detail – darauf hat Herr Grumbach zu Recht hingewiesen – beim hessischen Begleitgesetz.Allerdings haben wir hier weitere positive Änderungen vorgenommen.

Im Rahmen der Ausschussberatungen haben wir nochmals die Stellung von Bewerbern gestärkt,die ihr Studium im EU-Ausland begonnen haben.An dieser Stelle freuen wir uns, dass Europa zusammenwächst. Das spiegelt sich in allen Belangen des öffentlichen Lebens wider. Deshalb ist diese Änderung auch ein gutes Zeichen im Hinblick auf die Mobilität – auch wenn die Anzahl der Studierenden, die das betrifft, vergleichsweise klein ist.

Lassen Sie mich zusammenfassen. Meine Damen und Herren, insgesamt halten wir an dem Ziel fest, starre Systeme wie bundesweit zulassungsbeschränkte Studiengänge abzuschaffen und die ZVS komplett zu einer Dienstleistungseinrichtung der Hochschulen umzugestalten. Das wäre die liberalste Lösung. Diese Lösung bleibt nach wie vor unser Ziel. – Danke sehr.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank, Herr Büger. – Für die Fraktion DIE LINKE, Frau Wissler.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mit dem Staatsvertrag und dem hessischen Begleitgesetz werden die Regelungen zur Hochschulzulassung nicht nur massiv verändert, sondern die soziale Selektion wird verstärkt.

Es ist richtig, derzeit erleben wir ein Chaos bei der Hochschulzulassung. Denn die angehenden Studierenden müssen sich an immer mehr Hochschulen für immer mehr Fächer bewerben, um überhaupt irgendwo unterzukommen. Das hat zur Folge, dass letztendlich Studienplätze frei und trotzdem Studienbewerber unversorgt bleiben. Dadurch verzögert sich die Aufnahme eines Studiums für viele – was Sie eigentlich verhindern wollen.

Es gibt keine koordinierte Vergabe von Studienplätzen. Aber der Kern des Problems ist doch: Es gibt zu wenige Studienplätze für zu viele Bewerberinnen und Bewerber.